Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

Wie schwierig es für unsere Unternehmen gegenwärtig noch ist, in die USA zu exportieren, konnte man gestern, wie ich fand, in einem sehr guten Artikel im Nordkurier nachlesen. Als bekennender Biertrinker habe ich diesen Beitrag besonders aufmerksam gelesen. Dort wird nämlich beschrieben, welche Probleme eine mittelständische Brauerei aus Mecklenburg-Vorpommern gegenwärtig noch hat, wenn sie 100.000 Flaschen Bier für einen Preis von 30.000 Euro in die USA liefern will.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Das gute Bier dahin zu schicken, das ist Vergeudung.)

Ja, aber wenn wir mal da sind, wäre es natürlich schön, wenn es dort auch unser Bier geben würde.

Da müssen zurzeit Zölle und bestimmte Einfuhrquoten berücksichtigt werden.

(Udo Pastörs, NPD: Bockwurst fehlt da noch.)

Die Brauerei muss zahlreiche Zertifikate einreichen. Diese bestätigen zum Beispiel, dass das Bier ein Produkt aus Deutschland ist und den USA-Gesundheitsstandards entspricht, also zusätzlicher bürokratischer Aufwand. Würde es durch TTIP diese Handelszonen und Zölle nicht mehr geben, könnte die Brauerei bei diesem Geschäft circa 900 Euro einsparen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in unserem vorliegenden Antrag haben wir Ihnen vier Punkte aufgelistet, die wir als Koalition von diesem Handelsabkommen mit den USA erwarten. Ich glaube, dass alle demokratischen Fraktionen dem durchaus zustimmen könnten. Uns ist natürlich klar, dass Punkt 4 ganz besonders kontrovers diskutiert wird und auch bei den Verhandlungen immer wieder infrage gestellt wird. Aber als Vorsitzender des Rechtsausschusses ist mir – und ich habe mittlerweile den Eindruck, vielen anderen auch – die Idee der internationalen Handelsgerichtsbarkeit aus vielen Gründen sympathischer als die Schiedsgerichtsverfahren. Das habe ich auch im Rahmen der Erarbeitung einer Stellungnahme zu TTIP im AdR zum Ausdruck gebracht.

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, mit dem vorliegenden Antrag bringen wir uns, wie ich finde, konstruktiv in die Diskussion zu dem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA ein. Meine geschätzte Kollegin Drese wird dazu noch Weiteres ausführen. Ich

bitte Sie aber schon jetzt um Ihre Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Burkhard Lenz, CDU)

Danke, Herr Müller.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Brie von der Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich in den Beratungsgegenständen zu dieser Landtagssitzung die Überschrift dieses Antrages las, war ich angetan, aber mir war nicht ganz klar, in welche Richtung die Reise gehen soll. Als ich den Antrag selbst las, wurde mir klar, dass insgesamt sehr vernünftige Maßstäbe zur Geltung kommen. Natürlich geht es der SPD und der CDU offensichtlich auch darum, das angekratzte Image von Handelsabkommen, des Freihandelsabkommens TTIP im Speziellen, etwas aufzupolieren. Aber ich denke, der Antrag geht in die richtige Richtung. Ich denke allerdings auch, dass man einiges konkreter und differenzierter formulieren kann und werde darauf noch eingehen.

Meine Fraktion wird sich in der Abstimmung enthalten. Ich selbst werde allerdings zustimmen. Da meine Fraktion aber ziemlich pluralistisch ist, darf ich trotzdem die Rede für unsere gesamte Fraktion halten.

(Heiterkeit und Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Peter Ritter, DIE LINKE: So sind wir.)

Zunächst eines vorweg: Es ist sicherlich bekannt, dass ich solchen Dingen, wie einem freien Handelsabkommen, offener gegenüberstehe als andere. Meine gesamte Fraktion und ich sind ohnehin keine Totalverweigerer.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Ich plädiere immer dafür, sich klar für oder gegen etwas zu entscheiden, wenn man den fertigen Gegenstand tatsächlich kennt. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt.

Wie aus der EU-Kommission zu erfahren ist, verzögert sich auch Vieles. Das spricht im Übrigen auch dafür, welche Wirkung die öffentliche Diskussion hat. Ich finde sie doch einigermaßen intensiv, ich bin da etwas optimistischer als Sie, Herr Müller. Sie zeigt auch, dass die Rolle der Parlamente gewachsen ist und dass das Europäische Parlament und die Kommission selbst eine sehr ernsthafte, aufmerksame Haltung gegenüber dieser Diskussion eingenommen haben.

Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Bernd Lange, das ist ja schon zitiert worden, hat bei uns im Ausschuss gesagt, es sei die Zeit der Parlamente. Meine Fraktion war dieser Meinung schon lange und hatte als erste Fraktion im Ausschuss – das werden Sie bestätigen – und auch hier im Plenum diese Fragen auf die Tagesordnung gebracht. Für mich ist es sehr erfreu

lich, dass die Regierungsfraktionen das inzwischen ebenso sehen.

Ich wiederhole meine Überzeugung, dass ein gut gemachtes Handelsabkommen wirklich Vorteile für viele, ja sogar für alle Menschen, haben kann.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die Frage ist nur, wie geht man es an, und wie setzt man es um. Die Antwort heißt zunächst, dass man bereits von Beginn an größtmögliche Transparenz herstellen muss. Das ist bei TTIP bis heute nicht ausreichend passiert.

Meine Fraktion hatte die Herstellung der vollen Transparenz hier im Landtag bereits Ende 2013 gefordert. Obwohl dieser Antrag mit der Mehrheit der Großen Koalition abgelehnt wurde, ist man inzwischen vonseiten der Kommission dieser breiten öffentlichen Forderung nach mehr Transparenz zumindest teilweise nachgekommen. Es sind mehr Dokumente öffentlich gemacht worden, und die Zugänge für die Reading Rooms sind erweitert worden. Es ist gut, aber aus meiner Sicht noch lange nicht ausreichend.

Als äußerst problematisch – und das hat auch viel mit der Öffentlichkeit zu tun – sehe ich, dass das Verhandlungsmandat der EU-Kommission sehr lange geheim gehalten wurde. Wenn man einmal den Verhandlungsrahmen nicht öffentlich macht, muss man sich über das Misstrauen der Bevölkerung nicht wundern. Dann kann man es auch den Menschen nicht übel nehmen, wenn sie trotz aller Fortschritte immer noch erhebliche Skepsis gegenüber TTIP, gerade hier in Deutschland, hegen.

(Udo Pastörs, NPD: Nicht nur in Deutschland, in Frankreich auch.)

Die Frage nach der Umsetzung eines solchen Abkommens ist sicher die problematischere. Durch diverse Anhörungen im Europa- und Rechtsausschuss sind wir inzwischen sehr gut informiert. Was ich persönlich mitgenommen habe, ist, dass ein Freihandelsabkommen in vielen Bereichen sehr sinnvoll erscheint. Ich denke da an die Zulassungsvorschriften in der Pharmaindustrie oder die Standards in der Automobilindustrie und meinetwegen auch bei den Brauereien. Das ist mir auch nicht ganz unwichtig.

(Rudolf Borchert, SPD: Tag des Bieres.)

Uns wurden aber auch erhebliche Bedenken mitgeteilt, etwa in Bezug auf Umwelt- und Verbraucherschutzstandards – das kennen Sie und teilen Sie sicherlich auch – oder im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge.

(Burkhard Lenz, CDU: Das ist doch rausgenommen aus dem Mandat.)

Was ich aber ebenfalls mitgenommen habe – so habe ich den EU-Abgeordneten Bernd Lange jedenfalls verstanden –, ist, dass das Europäische Parlament keinesfalls leichtfertig mit diesem Abkommen umgeht, sehr selbstbewusst ist und die Bedenken der Zivilgesellschaft sehr, sehr ernst nimmt.

Ich möchte jetzt zu den einzelnen Punkten des vorliegenden Antrags kommen. Unter Punkt 1 wird festgestellt, dass ein Handelsabkommen, namentlich TTIP, eine

Erhöhung des Industrieanteils am Bruttoinlandsprodukt bewirken kann. Ursprünglich war der Anstieg des Exportvolumens sowohl in der EU als auch in den USA und der damit verbundene Anstieg des BIP eines der tragenden Argumente. Es war von Hunderttausenden neuen Jobs die Rede.

(Zuruf von Burkhard Lenz, CDU)

Mittlerweile wurden diese Zahlen seitens der EUKommission herunterkorrigiert. Aktuell wird davon ausgegangen, dass mit TTIP das reale Bruttoinlandsprodukt der EU im Jahr 2027 um 0,48 Prozent und das der USA um 0,39 Prozent höher wäre als ohne. Diese Zahlen geben den Gesamteffekt nach einer Anpassungsphase von mindestens zehn Jahren an. Unter Berücksichtigung dieser Anpassungsphase reden wir hinsichtlich dieser Hoffnung zurzeit nur über ein jährliches Wachstum des BIP von 0,05 Prozentpunkten pro Jahr. Das zur Relativierung von vielen Hoffnungen.

In Punkt 2 sprechen Sie sich dafür aus, dass ein solches Handelsabkommen vor allem kleinen und mittleren Unternehmen Vorteile bringt. Dem stimme ich gern zu. Was ich aber vermisse in diesem Antrag, ist: In der EU und den USA gibt es 800 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Die müssen ebenfalls Vorteile durch ein derartiges Handelsabkommen haben. Es ist völlig richtig, dass TTIP kein Abkommen für Großkonzerne sein darf. Und natürlich müssen kleine und mittlere Unternehmen gestärkt werden. Aber letzten Endes muss hier ein Abkommen für die Menschen in Europa und in den USA ausgehandelt werden. Das sollte nach meiner Überzeugung niemals vergessen werden.

In Punkt 3 fordern Sie zunächst, dass europäische Standards nicht unterschritten werden. Damit, das wissen Sie, rennen Sie bei meiner Partei offene Türen ein. Wir freuen uns, dass diese Auffassung allgemein geteilt wird im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Wenn aber – und jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag – die Rede davon ist, „Gestaltung der Globalisierung nach den gemeinsamen Werten der EU und der USA“ vorzunehmen, komme ich doch etwas ins Grübeln.

(Udo Pastörs, NPD: Ich auch.)

Ich hoffe, dass tatsächlich gemeint ist, dass es eine Vorbildfunktion unserer Standards für die gesamte Weltwirtschaft sein soll.

(Rudolf Borchert, SPD: So ist es gemeint.)

Ich hoffe nicht, dass irgendjemand darunter vielleicht einen europäisch-amerikanischen Mechanismus versteht. Ich denke, diese Wortwahl hat einen Beigeschmack.

Der Punkt 4 Ihres Antrags, in dem es um den Investorenschutz geht, ist mir besonders wichtig.

(Stefanie Drese, SPD: Uns auch.)

Natürlich ist für Unternehmen, die im Ausland investieren, ein Schutz vor staatlicher Willkür erforderlich. Und natürlich gibt es diese staatliche Willkür weder bei uns in der EU noch in den USA.

(Udo Pastörs, NPD: Die gibt es in den USA.)

Die Idee eines internationalen Schiedsgerichtshofes finde ich in der Hinsicht wirklich gut. Aber wenn Sie diesen Gedanken schon haben, warum zeigen Sie nicht eine klare Kante gegen den ISDS-Investorenschutz?

(Burkhard Lenz, CDU: Deutschland ist jetzt dabei, davon zu profitieren.)

Vor nicht langer Zeit haben wir dieses Thema hier im Landtag auf die Tagesordnung gebracht. Unser Antrag wurde abgelehnt. Ich verfolge die Diskussionen innerhalb der SPD und in der Bundesregierung sehr aufmerksam. Ich kenne also auch die Unterschiede und Schwierigkeiten und akzeptiere sie natürlich. Doch gerade hinsichtlich des Niveaus und der Verlässlichkeit von Rechtsstaatlichkeit sowohl innerhalb der EU als auch in den USA halte ich eine klare Ablehnung von ISDS nach wie vor für wünschenswert und notwendig.

Letztlich bleibt mir festzustellen, dass der vorliegende Antrag deutlich in die richtige Richtung geht. Die von mir angeführten Kritiken sind nicht nur die meiner Fraktion, sondern auch meine persönlichen. Sie führen zur Stimmenthaltung meiner Fraktion. Wir werden auch unser entsprechendes Engagement entschieden fortsetzen. Ich persönlich habe, wie gesagt, eine etwas andere Haltung. Es ist für mich nicht die Frage, ob das Glas halb leer oder halb voll ist.