Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

(Regine Lück, DIE LINKE: Völlig richtig.)

Der Bericht des Paritäters zur Armutsentwicklung lenkt unseren Blick in Mecklenburg-Vorpommern auf drei wichtige Punkte und Fakten:

Zum einen stagniert hierzulande die Kinderarmut auf hohem Niveau. Sie beträgt, das will ich noch erwähnen, allein in dem Landkreis, in dem ich zu Hause bin, 26,6 Prozent und ist überdurchschnittlich.

Zweitens wird in dem Bericht darauf verwiesen, dass wir eine alarmierende „Lawine“, so heißt es dort wörtlich, „der Altersarmut“ haben. Sie hat seit 2006 einen Anstieg um sage und schreibe 37,5 Prozent.

Und drittens: Mit Blick auf unser Land gibt es eine regionale Zerklüftung innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns. Während in Westmecklenburg die Armutsquote von vormals 23,4 im Jahre 2007 auf nunmehr 20,3 Prozent gesunken ist, stieg sie in allen anderen Regionen unseres Landes – in Vorpommern sogar auf 27,8 Prozent – im vergangenen Jahr.

(Patrick Dahlemann, SPD: Nur Vorpommern? Greifswald oder Rügen?)

Sehr geehrte Damen und Herren, so weit etwas zu den unwiderlegbaren Fakten.

Nun etwas zu den Überlegungen von Bundesministerin Nahles, die Armutsdefinition zu verändern, um die Armutsquote zu frisieren. Bekanntlich beträgt die relative Armutsgrenze 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens. Wer weniger oder etwa so viel hat, lebt in Armut beziehungsweise ist von Armut bedroht.

(Manfred Dachner, SPD: Relativ.)

Relativ, ganz klar, es geht um die relative. Es gibt die absolute, die relative, es gibt noch andere Nuancen. Aber mir geht es jetzt nicht um einen wissenschaftlichen Vortrag, sondern um eine politische Würdigung des Handelns der Akteure.

Angesichts der belastenden Armutszahlen hat Frau Nahles Ende März laut darüber nachgedacht, den Armutsindikator zu verändern, denn, ich darf sie zitieren: „Der Ansatz führt leider schnell in die Irre. Angenommen, der Wohlstand in unserem Land würde explodieren, dann bleibt nach dieser Definition das Ausmaß an Armut gleich.“ Zitatende.

So macht man das. Mit ärgerlichen Sozialdaten muss irgendwie umgegangen werden. Statt die Ursachen zu bekämpfen, wird die Definition bekämpft. Und dafür,

(Manfred Dachner, SPD: Das ist doch keine richtige Definition.)

und dafür, das ist auch Gegenstand unseres Antrages, das sehen Sie in einem der Punkte, hiervor wollen wir

warnen. Es geht uns darum, dafür zu sorgen, dass wir keine Veränderung der Definition haben, nicht ausscheren aus dem Konsens der Europäischen Union, wenn es darum geht, relative Armut zu definieren.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Abgesehen davon, und das ist der Kernpunkt unseres Antrages, wollen wir über einen landesspezifischen Armutsbericht einen konkreten Maßnahmenplan zur Zurückdrängung und Vermeidung von Armut. Armutsbericht und Maßnahmenplan stehen am Anfang eines langen Weges zur Armutsbekämpfung. Lassen Sie uns beschließen, diesen Weg gemeinsam zu gehen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat in Vertretung der Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales der Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf erneut eine Rede der Sozialministerin zum Besten geben.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE – Heinz Müller, SPD: Vortragen.)

Die beste Strategie gegen Armut ist nicht etwa ein Bericht, sondern die beste Strategie gegen Armut heißt Arbeit, vor allem gute Arbeit, also Arbeit, deren Einkommen auch ein Auskommen ist. Es gilt also, zwei Dinge zu schaffen: mehr Menschen in Arbeit zu bringen und diese Arbeit auch fair zu bezahlen. An beiden Punkten ist in Mecklenburg-Vorpommern in der jüngeren Vergangenheit einiges passiert. Wir konnten die Arbeitslosigkeit seit 2006 halbieren und die Jugendarbeitslosigkeit sogar um zwei Drittel zurückdrängen. Selbst die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in dieser Zeit um etwa 40 Prozent zurückgegangen.

(Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)

Die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften ist kleiner geworden, ebenso die der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, übrigens auch die der Alleinerziehenden. Wir konnten die Familienarbeitslosigkeit reduzieren und den Anteil der von Armut betroffenen Kinder. Das sind positive Entwicklungen, die dazugehören, wenn man sich ein vollständiges Bild machen will.

Trotzdem ist es weiterhin so, dass Mecklenburg-Vorpom- mern das Land mit dem niedrigsten Lohnniveau ist.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Aber auch hier bewegt sich etwas. Die Unternehmen erkennen, dass es nicht zuletzt am Geld hängt, ob sie ihre Arbeitskräfte halten können. Und wir stehen im Jahr eins des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Es ist schon in der Aktuellen Stunde deutlich geworden, diese Neuerung verbessert gerade hier bei uns in Mecklenburg-Vorpommern die Lebenssituation vieler Men

schen spürbar. Aber natürlich ist auch der Mindestlohn kein Allheilmittel. Der Kampf gegen Armut erfordert unseren Einsatz auf mehreren Ebenen. Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und Langzeitleistungsbezug, das sind die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.

Schon ohne Kinder ist es für die Betroffenen schwer, wieder einen Fuß in die Tür des allgemeinen Arbeitsmarktes zu bekommen, sei es aufgrund mangelnder Stellenangebote oder wegen vorhandener sogenannter Vermittlungshemmnisse. Noch schwerer haben es Mütter und Väter. Sie sehen sich nicht nur den Anforderungen des Arbeitsmarktes gegenüber, sondern auch denen ihrer familiären Situation.

Rund 20 Prozent aller Langzeitleistungsbezieher sind alleinerziehend, weitere 15 Prozent leben in Familien mit Kindern. In unserem Land gibt es also eine große Gruppe, wir reden hier von 35.000 Erwerbsfähigen und deren Kindern, die individuelle Unterstützung benötigt. Für diese Menschen hängt die Chance auf eine erfolgreiche Integration in Beschäftigung, Ausbildung oder Selbstständigkeit auch daran, dass sie entsprechend ihren Problemlagen und Familiensituationen betreut werden.

Diese individuell ausgerichtete Unterstützung ist der Ansatz, den wir hier in Mecklenburg-Vorpommern mit verschiedenen Integrationsprojekten und aktuell vor allem mit den Familiencoaches verfolgen. Dafür stellt die Landesregierung in der aktuellen EU-Förderperiode 17 Millionen Euro zur Verfügung.

Meine Damen und Herren, der Antrag nennt auch das Risiko der Altersarmut, deshalb noch einige Worte dazu. Ein Knackpunkt ist hier immer noch die Rentenangleichung zwischen Ost und West. Der aktuelle Rentenwert Ost liegt bei 92,2 Prozent. Unser Land – und allen voran unser Ministerpräsident – arbeitet im Bundesrat offensiv daran mit, dass eine vollständige Angleichung bis 2020 gelingt. Parallel hat das sogenannte Rentenversicherungsleistungsverbesserungsgesetz des Bundes aus dem vergangenen Jahr für viele Rentnerinnen und Rentner einen Fortschritt gebracht. Neben der erleichterten Anerkennung von Kindererziehungszeiten für Mütter und Väter von vor 1992 geborenen Kindern stellt das Gesetz auch Erwerbsminderungsrentner fortan besser. Langjährig Versicherte mit mindestens 45 Beitragsjahren können nun mit 63 in die Rente gehen.

Sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, wo Licht ist, ist auch Schatten, heißt es. Es ist aber auch umgekehrt. Ich bin immer dafür, die Dinge anzupacken, um den Menschen zu helfen, und das tun wir auch. Die Armut Einzelner, die von Familien und die von Kindern ist ein ernstes Thema, dem sich die Landesregierung beharrlich widmet. Die Zahlen und Statistiken, die wir als Grundlage dafür brauchen, gibt es – durch den Mikrozensus, durch einschlägige Studien wie die von Ihnen hier angeführte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Ein weiterer Bericht brächte aus meiner Sicht keinerlei neue Erkenntnisse oder Verbesserungen oder, um es kurz zu machen: Wir stehen für Taten statt Daten. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Peter Ritter, DIE LINKE: Das war aber jetzt gut zum Besten gegeben.)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau FriemannJennert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorstellung von Armut macht uns alle doch irgendwie stark betroffen. Ich habe dann schon mal das Bild eines hungernden afrikanischen Kindes im Kopf. Aber wir reden hier über Armut in einer Wohlstandsgesellschaft.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tja!)

Jedes Jahr aufs Neue stellen Sie, die LINKEN, die gleichen Anträge. Herr Koplin hat es schon gesagt. Heute verlangen Sie mit dem Antrag eine Aussprache zum Thema Armut und als Aufhänger haben Sie den Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes für das Jahr 2013 genutzt.

Ich möchte an dieser Stelle gern mal die FAZ vom 21.02.2015 zitieren: „Armut ist keine Erfindung der Statistiker. Es ist deshalb eine Schande, dass der Armutsbericht, den der Paritätische Wohlfahrtsverband … vorgelegt hat, genau diesen Eindruck hinterlässt.“ So die FAZ.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

„Nie gab es in Deutschland so viele Erwerbstätige wie heute. Die Löhne steigen dank üppiger Tarifabschlüsse auf breiter Front. Die Unternehmen können sich das leisten, weil sie blendende Geschäfte machen. Der private Konsum kennt kaum noch Grenzen. Trotzdem behauptet der Bericht: ,Es gibt keinen Zweifel: Die Armut in Deutschland ist auf Rekordhoch.‘ Ein statistischer Trick macht es möglich, dass die Armut auf dem Papier zunimmt, obwohl sich die Lebensverhältnisse in Wirklichkeit seit Jahren günstig entwickeln.“

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Na ja.)

„Dass der Armutsbericht auf regionale und individuelle Unterschiede keine Rücksicht nimmt, ist indes nicht sein größter Fehler. Viel schlimmer sind die absurden Folgen, die der sogenannte ,relative Armutsbegriff‘ für die Ab- bildung von wirtschaftlicher Dynamik hat. Denn die 60Prozent-Grenze, eben die relative Definition von Armut, sorgt dafür, dass es immer Armut geben wird, solange es Unterschiede bei den Einkommen gibt. Verdoppeln sich in einer Gesellschaft alle Einkommen, verdoppelt sich nach dieser Interpretation nämlich automatisch auch die Armutsgrenze – und es gelten genauso viele Menschen als arm wie vorher, auch, wenn sie plötzlich viel mehr Geld zur Verfügung haben. So lösen sich allgemeine Wohlstandsgewinne im Handumdrehen auf. Umgekehrt lässt selbst eine äußerst scharfe Wirtschaftskrise nach diesem Modell die Zahl der Armen nicht steigen. Halbieren sich alle Einkommen, sinkt auch die Armutsgrenze entsprechend – und die Zahl der Armen bleibt in der Statistik unverändert. … Es geht im Armutsbericht also gar nicht um Armut, sondern um Einkommensunterschiede.“

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat aber Ulrich Schneider ein bisschen anders gesagt.)

„Problematisch ist“, dass „daraus ein Auftrag an die Politik formuliert wird“, den übernehmen Sie ja auch eins zu

eins, wie die „Forderung nach einem höheren Mindestlohn, langfristig aus der Staatskasse geförderten Arbeitsplätzen und mehr Umverteilung zwischen den Bundesländern“.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und Abschaffung des Ehegattensplittings.)

„An diesem Punkt …“

Frau Gajek, müssen Sie denn immer dazwischenquatschen?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sie braucht sich nicht zurückzuhalten. – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Tja.)