Protokoll der Sitzung vom 03.07.2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 98. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 27: Beratung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gefahr für Mensch und Umwelt durch Munitions-Altlasten in der Ostsee von Mecklenburg-Vorpommern abbauen, Drucksache 6/4091.

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gefahr für Mensch und Umwelt durch Munitions-Altlasten in der Ostsee von Mecklenburg-Vorpommern abbauen – Drucksache 6/4091 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN die Abgeordnete Frau Dr. Karlowski.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum zweiten Mal in dieser Legislatur bringt unsere Fraktion einen Antrag ein, der das Problem der meist so unsichtbaren, aber doch so gefährlichen Munitionsaltlasten in der Ostsee in den Fokus rückt.

Dieser heutige Antrag hat durch die unangenehmen Strandfunde in Rerik und Boltenhagen eine unerwartete Brisanz bekommen – unerwartet, denn dieser Antrag entstand noch bevor erneut Munitionsaltlasten am Ostseestrand, diesmal in Boltenhagen, entdeckt und entfernt werden mussten. Das Problem der Munitionsaltlasten in der Ostsee ist bekannt und doch wird es in diesem Bundesland nur zu gern und nur zu oft verdrängt.

Warum das so ist, dazu haben wir im Ausschuss einiges erfahren und werden es heute sicher noch aus einigen der weiteren Redebeiträge herauslesen können. Ich bin jetzt schon gespannt darauf. Worum es uns heute geht, steht bereits im ersten Punkt unseres Antrages: „In der deutschen Ostsee liegen geschätzte 300.000 Tonnen konventionelle und bis zu 65.000 Tonnen chemische Altmunition.“ Die Umhüllungen „rosten nach und nach und die Freisetzung von Umweltgiften“ in die Natur, in die Umwelt „wird weiter zunehmen“.

Werden diese Fakten erst einmal anerkannt, ergeben sich logische Schlussfolgerungen, die in den weiteren Punkten des Antrages aufgeführt sind:

Wir fordern, „dass eine aktive Archiv-Recherche und gezielte Erkundung über Vorkommen, Mengen und Zustand von Altmunition … in der Ostsee von Mecklenburg-Vor- pommern durchgeführt wird“.

Wir fordern, „dass ein Monitoring der Meeresumwelt auf kampfmitteltypische und auf sprengstofftypische Verbindungen und deren Auswirkungen auf die Meeresumwelt aufgebaut wird“ und „dass die Information über das Gefährdungspotenzial und den Umgang mit Fundstücken weißen Phosphors entschieden verbessert wird“.

Auf weitere Forderungen gehe ich gleich noch ein.

Die Notwendigkeit einer deutlichen Intensivierung der aktiven Recherche in den mittlerweile zugänglichen Archiven habe ich bereits in meiner früheren Rede ausführlich begründet. Dass auch in diesem Jahr diese Forderung weiterhin im Raum steht und gut begründet ist, habe ich unter anderem auf der Veranstaltung „Munitionsbeseitigung und Meeresumwelt“ in Warnemünde am 21. April dieses Jahres bestätigt bekommen, als die Vorgehensweise in Schleswig-Holstein mit der in unserem Bundesland gut vergleichbar dargestellt wurde.

Für eine wirkliche, aktive Recherche in den Archiven fehlt in Mecklenburg-Vorpommern wieder mal das Personal, es fehlt das nötige Geld. Verantwortlich zeichnet hier das Innenministerium, ja, genau Sie, Herr Minister Caffier. Dass wegen der langsam verrostenden Hüllen der Granaten, Torpedos, Minen nach und nach eine schleichende, weil zunächst unbemerkte Vergiftung des Lebensraums Meer stattfindet, wird immer wahrscheinlicher, denn wenn die Hüllen wegrosten, gelangen die giftigen Inhalte unweigerlich in die Meeresumwelt. Gleichzeitig wird auch die Bergung und Entschärfung der Sprengkörper immer komplizierter und gefährlicher. Fragen Sie, Herr Caffier, dazu einmal die Mitarbeiter im Munitionsbergungsdienst.

(Manfred Dachner, SPD: Aber das wissen wir doch.)

Deswegen fordern wir, und das ist noch das Mindeste, ein Monitoring der Meeresumwelt auf Substanzen, die aus den Kampfstoffen stammen, eine Forderung, die auch vonseiten des Alfred-Wegener-Instituts erhoben wird.

Im Bereich von Peenemünde tauchen immer wieder äußerst unangenehme Funde auf. Sie kennen das sicherlich, vermeintlich als Bernstein gesammelt entpuppt sich der Fund in manchen Fällen als sich selbst entzündender Phosphor – schlimm, schlimm. Schwere Brandverletzungen sind oft die Folge. Um die Menschen endlich so zu warnen, dass sie sich der Gefahr bewusst sind und so etwas vielleicht gar nicht erst in die Hand nehmen, braucht es bessere Informationen vor Ort. Es braucht klarere Infotafeln, die auch in anderen Sprachen als Deutsch gefasst sind, die auch mit Bildern und Piktogrammen versehen sind, die an den richtigen Stellen sind, wo die Menschen sie auch wahrnehmen. Allen, die sich mit diesen Kriegsaltlasten im Meer beschäftigen, ist die Dimension dieses Problems bewusst.

Auch dass es für eine angemessene Bewältigung bundesweite und internationale Kooperationen bräuchte und dass Mecklenburg-Vorpommern seine Altlasten nicht aus eigener finanzieller Kraft bergen kann, ist bekannt.

(allgemeine Unruhe – Glocke der Vizepräsidentin)

Doch die Geschichte mit den aufgespülten Sanden aus dem Trollegrund haut nun wirklich dem Fass den Boden aus. Wie kann es denn möglich sein, dass aus einem bekanntermaßen munitionsbelasteten Gebiet Sand für unsere Strände geholt wird, obwohl es gleichzeitig andere Gebiete gibt, die speziell für die Sandentnahme ausgewiesen sind? Das ist für uns unfassbar, es ist kaum zu fassen, kaum zu glauben.

(Manfred Dachner, SPD: Ja, ja, das ist neu.)

Werfen wir nur einen ganz kurzen Blick in das „Regelwerk Küstenschutz Mecklenburg-Vorpommern“ und schauen, was dort auf Seite 10 steht. Ich zitiere: „In der gesamten Ostsee finden sich Munition, Munitionsschrott und munitionsähnliche Gegenstände als Hinterlassenschaft von Kriegen, Marineübungen und Manövern. Der für den Küstenschutz zu verwendende Sand muss jedoch frei von jeglicher Verunreinigung mit Munition sein.“ Jetzt kommt der entscheidende Satz: „Munitionsverdachtsflächen sind somit von vornherein als Entnahme-Gebiete für die Sandgewinnung ausgeschlossen.“ Zitatende. Das ist doch eine ganz klare und nachvollziehbare Regelung.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Das von Ihrem Hause, Herr Dr. Backhaus, gewählte Verfahren zur Sandentnahme, Sandsiebung und ferromagnetischen Untersuchung des Sandes ist ja ein zugelassenes Verfahren für die nicht munitionsbelasteten Gebiete. Es ist aber keinesfalls für die Sandentnahme aus dem Trollegrund geeignet. Sie verteidigen in Interviews und Pressemeldungen das Vorgehen, statt den groben Fehler, der meiner Meinung nach hier durch die Sandentnahme am falschen Ort passiert ist, einfach mal zuzugeben.

Schon im vergangenen Juli wurden am Strand von Rerik sage und schreibe mehr als eineinhalb Tonnen Munitionsreste aus dem Sand gesiebt, eine Fläche von rund 15.000 Quadratmetern musste untersucht werden. Pikant ist aber, dass genau dieser Strand schon einmal gesiebt worden war, und zwar im Jahr 2000. Damals wurden mehr als eine Tonne Munitionsreste aus dem Zweiten Weltkrieg geborgen. Nach dieser Reinigungsaktion gab es ein paar ruhige Jahre, das war auch zu erwarten. Doch seltsam, kurz nach der Aufspülung mit dem Sand aus dem Trollegrund, das war im Jahr 2013, wurden gleich im Folgejahr 1.600 Kilogramm Munitionsaltlasten an eben diesem Strand gefunden.

Und Sie sagen, Herr Backhaus, das Verfahren ist im Prinzip sicher. Ich sage: Nein, das Risiko einer Sandentnahme vom Trollegrund ist zu hoch. Eine Sandentnahme vom Trollegrund ist vielleicht verführerisch, da das Gebiet so nahe an der Küste liegt, doch wenn es um riskante Munitionsaltlasten geht, dann müssen doch die landeseigenen Regelwerke unbedingt beachtet werden.

Anerkennen muss ich, dass Sie ja vor Kurzem im Ausschuss eingelenkt haben und ein Gutachten extern vergeben, das jetzt im Nachhinein das Verfahren untersuchen soll und bis zum Herbst mit Ergebnissen aufwarten will. Ich werte das jetzt mal als eine gewisse Einsicht. Auch Ihre Ankündigung, Herr Backhaus, dass Sie über die Umweltministerkonferenz ein stärkeres Engagement des Bundes bei der Munitionsbergung angehen wollen, begrüße ich ausdrücklich.

Deswegen ist unsere Forderung Nummer 3 etwas, was Sie ohne Zögern unterstützen müssten, steht es doch bereits in dem erwähnten Regelwerk: Bei Strandaufspülungen keinen Sand zu nehmen, der aus Munitionsverdachtsflächen kommt. Daher werbe ich um Ihre Zustimmung für unseren Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat der Innenminister.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Liebe Frau Dr. Karlowski, ich bin bei Ihnen davon ausgegangen, dass Sie sich mehr mit den Inhalten beschäftigen und mit Sachverstand, und hier nicht durch Panikmache und falsche Zahlen

(Burkhard Lenz, CDU: Genau, richtig.)

zu Beginn der Tourismussaison dieses Landes Mecklenburg-Vorpommern auch noch die Branche verunsichern. Das halte ich aus meiner Sicht für unverantwortlich, was Sie hier tun.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Im Jahr 2013 wurde zum Schutz der Ostseeküste – das haben Sie vergessen, hier auszuführen, Frau Dr. Karlowski – und auch auf Wunsch der Gemeinden Sand an den Stränden von Rerik und Boltenhagen aufgespült. Im darauffolgenden Jahr wurden dort Munitionsreste gefunden. Der Munitionsbergungsdienst musste ausrücken und die betroffenen Strandabschnitte wurden aufwendig geräumt.

In Rerik geschah dies bereits im letzten Jahr, in Boltenhagen wurde die Arbeit zwei Wochen – und damit noch gerade rechtzeitig – vor der Hauptsaison beendet. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen, die dazu beigetragen haben, dass das geschafft wurde für unser Urlaubsland, und natürlich war das insbesondere für die Boltenhagener eine gute Nachricht.

Doch eben nicht nur am Strand wird Munition gefunden, nahezu täglich ist der Munitionsbergungsdienst im gesamten Land Mecklenburg-Vorpommern im Einsatz, um Munitionsreste, um Granatsplitter einzusammeln oder um Blindgänger zu entschärfen. Es ist und bleibt ein gefährliches Erbe aus dem Zweiten Weltkrieg, das da in der Erde oder im Meer schlummert.

Die Gefahr ist zumeist unsichtbar und wir können uns nicht hundertprozentig vor ihr schützen. Umso wichtiger ist es, dass wir alles unternehmen, um die Gefahr, die möglicherweise daraus entsteht, einzudämmen. Und vor allem dürfen wir nicht dazu beitragen, die Gefahr noch zu erhöhen.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Gerade an Stränden ist die Verletzungsgefahr hoch. Kinder spielen im Sand, suchen Steine und Muscheln, buddeln und machen gern auch andere Spiele im Sand. Ich möchte mir nicht ausmalen, was passieren kann, wenn die Schaufel auf einen Blindgänger trifft.

Am besten wäre es natürlich, wenn wir wüssten, wie und warum Munition an den Strand kommt. Dann könnten wir direkt eingreifen und mit weniger Aufwand verhindern, dass das passiert. Leider erschweren immer die eindeutigen Faktenlagen die Fehlersuche. Wir haben zwar auf

der einen Seite zum Beispiel mit Muscheln behaftete Munitionsreste in den betroffenen Strandabschnitten gefunden. Ob die Munition schon da war oder erst mit Sandaufspülung an Land kam, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen. Denkbar ist eben auch, dass die Munition bereits viele Jahre vorher durch Sandaufspülung ans Land oder durch Stürme oder anderes dahin gelangt ist. Wir müssen unabhängig davon dafür Sorge tragen, die Landesregierung ist sich da einig, wir müssen alles unternehmen, um zukünftig weitere Munitionsfunde an den Stränden unseres Landes einzudämmen, am besten natürlich zu verhindern.

Meine Damen und Herren, für Sandaufspülungen sind verschiedene Stellen zuständig. Betroffen sind die Geschäftsbereiche des Energieministeriums, das Landwirtschaftsministerium und das Innenministerium. Seit 2003 wird ein Verfahren angewandt, das zwischen dem Bergamt, dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt und dem Munitionsbergungsdienst abgestimmt ist. Zunächst beantragt das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt eine Bewilligung nach Paragraf 8 Bergbaugesetz für die Gewinnung mariner Sande. Im Fall von Rerik und Boltenhagen war das eben der Trollegrund.

Für die Genehmigung ist das Bergamt Stralsund als nachgeordnete Behörde des Energieministeriums zuständig. Hierfür führt das Bergamt eine Anhörung durch, an der der Munitionsbergungsdienst aus meinem Haus gleichermaßen beteiligt wird wie die Vertreter des Landwirtschaftsministeriums. Der Munitionsbergungsdienst weist auf eine zu erwartende Munitionsbelastung hin und empfiehlt dem Bergamt für belastete Lagerstätten ein abgestimmtes Verfahren zur Sandentnahme.

Der vom Meeresgrund aufgenommene Sand muss sowohl Siebe als auch Magneten passieren. Dieses in Europa einmalige Verfahren wurde von Fachleuten der betroffenen Behörden entwickelt und ist bei ordnungsgemäßer Durchführung sicher. Dennoch haben uns die Munitionsfunde in Rerik und Boltenhagen veranlasst, das ganze Verfahren noch einmal zu überprüfen. Hierzu ziehen wir, wie ausgeführt, externen Sachverstand heran. Bereits heute findet eine Besprechung der beteiligten Behörden statt. Ende des Jahres sollen bekanntermaßen die Ergebnisse vorliegen.

Doch schon heute steht fest, die Sandentnahme und die Munitionsabtrennung auf dem Schiff und an Land werden, begleitet durch zertifizierte Munitionsexperten, intensiver kontrolliert werden. Wir brauchen einfach eine noch bessere Überwachung dieser Maßnahmen. Ich bin sicher, am Ende des Prozesses werden wir auch hier einen Schritt nach vorn machen. Probleme wie in Rerik und Boltenhagen sollten, zumindest wenn sie über diesen Weg dahin gelangt, der Vergangenheit angehören.

Meine Damen und Herren, der Antrag der GRÜNEN greift aber neben den Sandaufspülungen noch andere Themen auf. Auch hierzu möchte ich gern Stellung nehmen. Eins vorweg: Der Antrag hat ein bisschen was von Panikmache und Aktionismus. Er ist eben typisch für die GRÜNEN-Fraktion.

Der Landtag sollte feststellen, dass in der deutschen Ostsee bis zu 65.000 Tonnen chemische Altmunition liegen. Ich hingegen stelle fest, diese Zahl kann die Landesregierung nicht bestätigen. Circa 5.000 Tonnen werden südlich des Kleinen Belts, aber noch außerhalb der

deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone vermutet. Die Freisetzung von Schadstoffen aus Altmunition ist ein komplexer, ein langwieriger und ein sukzessiver Prozess.

Eine signifikante Zunahme ist, anders als die GRÜNEN es behaupten, nicht zu erwarten. Wir sollten uns von den Zahlenspielereien, von den grünen Zahlenspielereien nicht verwirren lassen. Ja, es können giftige chemische Kampfstoffe freigesetzt werden, die lange im Wasser bleiben und allenfalls theoretisch auch den Weg in die Nahrungskette finden können. Fakt ist aber auch, aufgrund der enorm hohen Verdünnungsrate besteht keine Gefahr.

Im Überblicksmonitor zu Schadstoffen in der Ostsee sind diese Stoffe gar nicht messbar. Lediglich in unmittelbarer Nähe zur Quelle können Kampfmittel und sprengstoff- typische Verbindungen überhaupt nachgewiesen werden. Im Ergebnis, liebe Frau Dr. Karlowski, wäre ein Monitoringprogramm vielleicht eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Ihnen nahestehende Institute, aber sinnvolle Ergebnisse werden Sie damit auf keinen Fall erzielen.