(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Peter Ritter, DIE LINKE: Eigentlich ist alles gesagt. – Tilo Gundlack, SPD: Sie können es doch den Bürgern mal erklären. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)
„Schluss mit dem ,Schönrechnen‘ – unbequeme Fakten zur Energiewende müssen auf den Tisch“ lautet der Titel der Aussprache, die die AfD-Fraktion beantragt hat.
Werte Kolleginnen und Kollegen der AfD, im Namen der SPD sage ich herzlichen Dank für dieses wichtige Thema, wobei, an dieser Stelle dürfte der Konsens zwischen unseren beiden Parteien auch schon fast sein Ende erreicht haben. Sie haben bereits hinreichend in zurückliegenden Sitzungen und nachdrücklich auch in dieser Woche wieder klargemacht, dass Sie die Energiewende für überflüssig halten und sie als Verteilung von unten nach oben einschätzen. Das sehen wir nicht so. Für uns ist klar, der Wechsel weg von den fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren ist für uns in MecklenburgVorpommern, ist für uns in Deutschland, in Europa und in der Welt alternativlos und ist gerade keine Frage der Ideologie, sondern in erster Linie eine Frage der Folgekosten, die auf uns zukommen, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Und glauben Sie nicht, dass diese Folgekosten erst die Generation der Enkel betreffen wird. Jede und jeder Einzelne von Ihnen, wie Sie hier sitzen, würde das, was kommt, wenn wir nichts machen, noch am eigenen Leib erleben.
Wir als SPD-Fraktion haben hier im Landtag immer deutlich gemacht, dass wir bei den Transformationskosten des Energiesystems eine gerechte Verteilung auf alle Verbraucher benötigen. Insofern ist es gut, dass die Kolleginnen und Kollegen der SPD im Bundestag beispielsweise das Netzentgeltmodernisierungsgesetz oder kurz das NEMoG doch noch gegen die Bedenken der CDU/CSU
auf die Spur gebracht haben, denn es ist vor allem ein erster, aber sehr wichtiger Schritt, um die bestehenden Ungerechtigkeiten bei den Netzentgelten abzubauen. Und ja, wir müssen auch kritisch hinterfragen, ob die ganzen Rabatte und die Ausnahmen für die deutsche Industrie bei den Kosten von Energie gerechtfertigt sind, denn jeder Industrierabatt bedeutet in der heutigen Mechanik der Kostenverteilung, dass bei den Verbrauchern eben jene Kosten hängenbleiben.
Jeder Industrierabatt bedeutet außerdem, dass wir den zwingend notwendigen Druck, das eigene Handeln umzustellen, von der Industrie nehmen. Und jeder Industrierabatt für große Unternehmen benachteiligt all die kleinen und mittelständischen Unternehmen gerade bei uns im Land.
Doch kommen wir zurück zum eigentlichen Thema – unbequeme Fakten zur Energiewende. Nehmen wir mal an, Sie stellen fest, Ihnen geht es körperlich in letzter Zeit nicht so gut, und Sie gehen zu 100 Ärzten und lassen sich untersuchen. 99 dieser Ärzte erzählen Ihnen, Sie haben Diabetes, Sie müssen sofort aufhören, fett gebratenen Schinken zu essen und fettige, süße Krapfen. Niemand würde allen Ernstes behaupten, das ist eine Verschwörung, man will mir den Schinken und die Krapfen wegnehmen. Die 99 Ärzte lügen. Jeder, aber auch wirklich jeder vernünftige Mensch würde sagen, okay, ich muss jetzt wohl mal handeln, sofort.
Einige haben es bestimmt gemerkt, ich habe mich gerade frei bei Barack Obama bedient, ganz einfach, weil dieser Vergleich zur Diskussion über den Klimawandel
und damit dem Hauptgrund, warum wir die Energiewende angehen, ein verdammt treffender Vergleich ist. 99 Prozent der Wissenschaftler, die sich mit Klimafragen auseinandersetzen, sagen uns, die Erde wird signifikant wärmer. Wir bekommen ernsthafte Probleme, wir müssen jetzt etwas tun und unbequeme Fakten aus der Energiewende auf den Tisch legen.
Eine Atmosphäre, die um ein Grad wärmer wird, nimmt sieben Prozent mehr Wasser auf. Wir haben die Bilder des überfluteten Berlins vor anderthalb Wochen noch vor Augen, von Dörfern in der Uckermark, die zwar nicht an einem Fluss liegen, und in denen trotzdem tagelang das Wasser kniehoch stand. Wetterphänomene wie Starkregen nehmen heute bereits deutlich zu. Diese Wetterphänomene sorgen für Schäden, die jeder Hausbesitzer an den inzwischen nahezu jährlich steigenden Beiträgen für die Wohngebäudeversicherung ablesen kann.
Die Münchener Rückversicherung, die heute Munich Re heißt, hat kürzlich Daten zu schadensrelevanten Naturereignissen veröffentlicht. Seit 1980 hat sich die Zahl dieser schadensrelevanten Wetterereignisse weltweit verdreifacht. Verdreifacht!
In der letzten Woche und am Wochenende hat es die japanische Insel Kyūshū erwischt. Starkregen – der dort stärkste je gemessene seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – hat mindestens 18 Menschenleben gefordert, mindestens 27 Personen sind immer noch vermisst. Die Schäden sind noch lange nicht bezifferbar. Wir reden nicht von Erdbeben oder Vulkanausbrüchen, die eine ganze Region verwüsten. Wir reden von Regen! In Deutschland sind vor allem schwere Gewitter auf dem Vormarsch, die allein im vorigen Jahr Schäden in Höhe von 3 Milliarden Euro verursacht haben. Schluss mit dem Schönrechnen! Wenn wir bei der Energiewende weltweit versagen, dann werden diese Kosten weiter deutlich steigen.
2013 waren wir schon einmal – nur in Deutschland! – bei 6 Milliarden Euro, dem Doppelten aus dem letzten Jahr, 6 Milliarden Euro für Schäden allein durch schweres Gewitter. Auch das sind Kosten der Energiewende, Kosten, die deutlich steigen werden, wenn wir weiterhin im Klein-Klein tatenlos verharren.
In Hamburg ist gerade der G20-Gipfel zu Ende gegangen. Abseits der alles überschattenden Krawalle hat der Gipfel auch zu Entscheidungen geführt. Zumindest ein positiver Lichtblick ist, dass sich dieser US-Präsident nicht mit seiner Agenda durchsetzen konnte und dass die Ziele von Paris immer noch verfolgt werden.
Ich möchte kurz aus dem beschlossenen Hamburger Aktionsplan zu Klima und Energie für Wachstum zitieren. Dort heißt es, Zitat: „Erneuerbare Energiequellen und andere saubere Energietechnologien spielen eine maßgebliche Rolle beim Übergang der G20-Volkswirtschaften zu nachhaltigen Energiesystemen mit geringem CO2Ausstoß, was wiederum zahlreiche weitere Vorteile birgt, darunter die Schaffung von Arbeitsplätzen, weniger Luftverschmutzung und bessere Energieversorgungssicherheit.“ Zitatende. Und nein, die Beschlüsse aus Hamburg sind kein großer Schritt gewesen. Sie sind leider nur der kleinste gemeinsame Nenner, der auf internationaler Ebene möglich ist. Dieses Tempo wird aber nicht ausreichen, um die Ziele von Paris zu erreichen.
Im Vorfeld des Gipfels hat sich eine Gruppe von Wissenschaftlern, unter anderem das renommierte Potsdamer Institut für Klimaforschung, mit einem eindringlichen Appell an die Gipfelteilnehmer gewandt, jetzt endlich die Handbremse zu lösen und die Verhinderung einer Klimakatastrophe ernsthaft anzugehen. „Mission 2020“ nennt sich diese Gruppe, weil wir bis 2020 weltweit endlich anfangen müssen, dem pyromanen Zeitalter der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas nachhaltig Adieu zu sagen. Bis 2020, so die Forderung, müssen wir beim Thema Klimaschutz endlich in die Gänge kommen, müssen wir unsere Anstrengungen deutlich verstärken, um die im Pariser Klimaabkommen festgelegten Ziele von maximal zwei Grad Temperaturanstieg zur vorindustriellen Zeit überhaupt noch einhalten zu können. Dass dieses Ziel gehalten werden soll, das haben selbst die G20-Staaten in Hamburg beschlossen, nur eben ohne die nötige Konsequenz in den Handlungen.
Ich rufe noch einmal in Erinnerung: Selbst eine Erhöhung der Atmosphärentemperatur nur um zwei Grad führt zu einem 15 Prozent höheren Wasseranteil, der wiederum irgendwo abregnen muss. Die Forderungen von „Mission 2020“ sind ambitioniert, aber sie sind allesamt machbar: keine neuen Kohlekraftwerke ab 2020, alte Kraftwerke kontinuierlich vom Netz, insgesamt raus aus der Kohle, Wälder wieder aufforsten, unsere Äcker nachhaltig bewirtschaften und Bodenerosion stoppen, was bei uns im Land zum Beispiel bedeutet, wieder mehr Hecken zu pflanzen, den Lkw-Verkehr deutlich schadstoffärmer zu gestalten, ÖPNV attraktiver zu machen, Schluss mit dem Billigfleischirrsinn und der Maßlosigkeit der Industrienationen.
Der Anteil an Elektrofahrzeugen bei den Autoverkäufen weltweit müsste bis 2020 auf 15 bis 20 Prozent steigen. Norwegen hat da klare Ziele, wann der letzte Verbrennungsmotor verkauft werden soll, und verkauft heute schon fast 40 Prozent Elektroautos. Volvo stellt in Schweden nach 2019 kein einziges Fahrzeug mehr mit reinem Verbrennungsmotor her. Frankreich setzt dem Verbrennungsmotor 2040 ein Ende, China will die Elektrifizierung des Verkehrs jetzt. Tesla hat endlich die Produktion des Models 3 begonnen, für das weltweit bereits über 400.000 Vorbestellungen eingegangen sind.
15 Prozent Elektrofahrzeuge sind machbar. Die Welt macht sich bereits auf den Weg. Und wenn die deutsche Automobilindustrie nicht endlich anfängt, brauchbare, markttaugliche Ergebnisse zu liefern, dann werden wir in Deutschland Zehntausende Industriejobs in Gefahr bringen, sodass diese einfach wegbrechen.
Ich darf an dieser Stelle übrigens die Deutsche Post loben, den vermeintlich schwerfälligen Beamtenkoloss, der trotzdem das Rückgrat der New Economy, zumindest des Versandhandels ist. Die Deutsche Post ist gerade mit Nachdruck dabei, ihre Fahrzeugflotte zu elektrifizieren. Und weil der Markt in Deutschland keine vernünftigen Angebote bereit hat, stellt man die Fahrzeuge einfach selbst her, und das auch noch sehr kostengünstig. Das, werte Kolleginnen und Kollegen, nenne ich gutes und vorausschauendes Unternehmertum!
Sprechen wir von den Kosten der Energiewende. Die Forschungsgruppe „Mission 2020“ taxiert die jährlich notwendigen Finanzinvestitionen,
wollen wir den Klimawandel auf ein für uns Menschen erträgliches Niveau begrenzen, auf über 1 Billion USDollar. 1 Billion US-Dollar! Das klingt erst mal nach verdammt viel Geld, und das ist es auch. Das ist knapp das 110-Fache unseres Landeshaushaltes. Zum Glück müssen wir es nicht allein stemmen.
Jetzt setzen wir aber einmal daneben, dass die Welt allein im vorigen Jahr 1,6 Billionen US-Dollar für Waffen ausgegeben hat. Wer erzählt, wir können nicht 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben aufbringen, um den Klimawandel zu begrenzen, der hat wahrscheinlich den Twitter Account des US-Präsidenten als Hauptnachrichtenquelle. Und wenn ein Donald Trump fordert, dass wir in Deutschland 30 Milliarden Euro jedes Jahr mehr für die Bundeswehr ausgeben sollen, dann kann ich meinem Parteivorsitzenden Martin Schulz nur zustimmen: 2 Milliarden reichen auch aus. Nehmen wir lieber die anderen 28 Milliarden Euro Differenz, um die Energiewende in Deutschland sozial gerecht voranzubringen, um das Klima unseres Planeten in einem für die Menschen günstigen Rahmen zu halten.
Unbequeme Fakten auf den Tisch, gern doch: Von den Ländern weltweit, die über ein gut ausgebautes Autobahnnetz verfügen, ist Deutschland das einzige Land, das kein generelles Tempolimit auf Autobahnen hat. Wir werden es wohl auch nicht erleben, zumindest nicht in diesem Bundestagswahlkampf, dass irgendeine Partei in diesem Landtag ein Tempolimit fordert, denn das wäre in Deutschland politischer Selbstmord.
Ich muss zugeben, ich fahre auch gern knapp über 130. Aber lassen wir die persönlichen Befindlichkeiten bezüglich schnellen Autofahrens einfach mal beiseite. Wenn auf deutschen Autobahnen jeder Autofahrer völlig freiwillig, also ohne Tempolimit trotzdem nur noch 130 Kilometer pro Stunde fahren würde, dann würden vier Dinge eintreten:
Zweitens. Der Spritverbrauch für Autofahrten würde deutlich sinken und damit natürlich auch die CO2-Emissionen.
Viertens. Der wichtigste Punkt aber wäre, der Bedarf an großen Oberklassefahrzeugen mit großen Motoren, mit denen man bequem sehr schnell fahren kann, würde deutlich sinken.
Mit 130 Kilometern pro Stunde kommt man auch mit einem kleinen Fahrzeug mit einem kleinen Motor und geringem Verbrauch bequem an sein Ziel.
Herr da Cunha, vor 30.000 Jahren hatten wir eine Wärmeperiode, da war es um knapp vier Grad wärmer als heute. Können Sie mir beantworten, was die Neandertaler alles verbrannt haben, damit das damals so warm geworden ist?
Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Herrn Professor Dr. Weber? interjection: (Zustimmung)
Das ist also für Sie kein Argument gegen einen menschengemachten Klimawandel und das Argument dafür, dass der Klimawandel ein Naturprodukt ist?
Ich habe es vorhin ausgeführt: Das ist ein Prozent der Wissenschaftler, die dann sagen, es war genau diese Wärmeperiode. Aber wahrscheinlich haben Sie gerade davon gelesen, es tut mir leid.