Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Und dann nur mit der Begründung zu kommen, wir verwischen hier irgendwelche Begriffe, und Sie tun es permanent selbst, und damit unseren Antrag abzulehnen, entschuldigen Sie bitte, das ist

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Gelinde gesagt.)

gelinde gesagt einer parlamentarischen Arbeit nicht würdig, was Sie hier abgeliefert haben, und wird auch den Interessen der Kinder und Jugendlichen in unserem Land nicht gerecht.

Die Frage bleibt also bestehen: Gibt es hier die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung, ja oder nein? Haben wir als Parlament die Möglichkeit, Kindeswohlgefährdung über eine Änderung dieser Richtlinie zu verhindern, ja oder nein? Wir sagen ganz klar: Ja, das Kindeswohl hat hier Priorität vor dem Sammeln von Informationen. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1202. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1202 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, BMV und dem fraktionslosen Abgeordneten, bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE und Stimmenthaltung der Fraktion der AfD abgelehnt.

Vereinbarungsgemäß rufe ich den Zusatztagesordnungspunkt auf: Aussprache gemäß Paragraf 43 Ziffer 2 der Geschäftsordnung des Landtages zum Thema „Paradise Papers“.

Aussprache gemäß § 43 Ziffer 2 GO LT zum Thema Paradise Papers

Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Rösler.

(Vizepräsidentin Dr. Mignon Schwenke übernimmt den Vorsitz.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Herr Wildt, ich hoffe, dass ich jetzt nicht Ihre Zeit verschwende, weil wir uns vermeintlich mit einem Thema befassen, das nichts mit dem Land zu tun hat. Wir meinen schon, dass es uns betrifft, weil es auch sehr, sehr viel mit den Einnahmen des Landes zu tun hat.

Ein riesiger Datenschatz über fragwürdige Steuervermeidungsmethoden, brisante Geschäftskontakte und Geschäftskonstrukte beschäftigen die Öffentlichkeit. Nach den sogenannten Panama Papers, die uns bereits im Landtag beschäftigten, legte kürzlich das Netzwerk investigativer Journalisten, dem über 400 Journalisten aus über 60 Ländern angehören, die Paradise Papers auf den Tisch. Öffentlichkeit schafft den notwendigen Druck und Druck sorgt für Veränderung – das ist die große Hoffnung. Es wird sich zeigen, wie viel davon übrig bleibt. Ich fürchte, der Skandal besteht fort.

Die Paradise Papers enthalten unzählige Dokumente über Briefkastenfirmen und Geschäfte mithilfe von Steueroasen. Es tauchen die Namen von 120 Politikern, Prominenten und Unternehmen aus fast 50 Ländern auf. Dazu darf man nicht schweigen, dazu muss man sich ganz klar positionieren, auch hier im Landtag. Und mehr noch muss von hieraus ein glasklares Signal an die Verantwortlichen im Bund ausgehen. Es muss endlich etwas passieren, es müssen endlich wirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, die Steuerflucht verhindern – ohne Wenn und Aber.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, der eigentliche Skandal besteht doch darin, dass die Steuertricks zumeist legal sind. Der eigentliche Skandal ist, dass die Politik es nicht schafft, Steuerflucht endlich einen Riegel vorzuschieben. Und der eigentliche Skandal ist, dass bislang keine wirksamen Maßnahmen ergriffen wurden. Das ist der Punkt. Solange sich Politik hilflos stellt, Tausende Ausreden hat und gar nicht handeln will, wird es bei der Empörung über derartige Enthüllungen bleiben. Es bleibt bei der schreienden Ungerechtigkeit und einem weiteren Auseinandertriften der Gesellschaft.

Was sagt es uns, wenn auf diesem Globus die 62 reichsten Menschen genauso viel besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung? Was sagt es uns, wenn in Deutschland die oberen 10 Prozent sage und schreibe 52 Prozent des gesamten Vermögens besitzen?

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Die Schere geht immer weiter auseinander, nicht zuletzt aufgrund der schattenhaften Welt globaler Steuerparadiese, in der Billionen Euros in Offshorekonten fernab vom Fiskus geparkt werden können. Während Reiche immer reicher werden, bleibt die Allgemeinheit auf der Strecke.

Vor acht Jahren haben die G20-Staaten vereinbart, Praktiken der Steuerflucht und Steuervermeidung ein Ende zu

setzen. Warum wurde das Versprechen nicht eingelöst? Was folgt aus diesem Umstand? Nichts? Wir sagen, es ist das Gebot der Stunde, Steueroasen endlich auszutrocknen. Niemand, der entsprechendes Einkommen oder Vermögen hat, sollte sich der Pflicht entziehen können, Steuern für das Wohl der Allgemeinheit zu zahlen. Wir erwarten, dass auch von der Landesregierung ein klares Signal an die Bundesebene geht, und in der EU muss der Druck auf Länder, die mit Steuervermeidung Kasse machen, massiv erhöht werden. Es kann doch nicht sein, dass Länder wie Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Irland, auch Großbritannien, Malta oder Zypern an Steuervermeidung verdienen dürfen, während die Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten die Zeche dafür zahlen.

Nicht nur Steuerhinterzieher und Steuerflüchtlinge sind asozial, sondern das sind auch diejenigen, die ihnen Tür und Tor öffnen. Steueroasen müssen endlich mit Strafzahlungen belegt werden und Steuerflüchtlinge mit Strafsteuern.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Australien macht genau das: Konzerne, die ihre in Australien erwirtschafteten Gewinne in Steueroasen verlagern, müssen 40 Prozent Steuern zahlen. Es geht also.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Schärfere Bestimmungen der EU für die Offenlegung der tatsächlichen Eigentümer von Trusts und Stiftungen sind längst überfällig. Da nützt es auch nichts, sich allein darauf zurückzuziehen, die genannten Länder würden sich ja sträuben.

Meine Damen und Herren, auch in Deutschland ist wahnsinnig viel zu tun und es kann einiges getan werden, ja, auch allein auf nationaler Ebene. Es gibt im deutschen Steuerrecht eine Reihe von Privilegien für Reiche: unsinnige Ausnahmen, diverse Steuerlücken und Möglichkeiten zur Steuervermeidung,

(Egbert Liskow, CDU: Das hat doch damit nichts zu tun.)

etwa die Share Deals, die auch abgeschafft gehören. Wir brauchen endlich die Quellenbesteuerung auf Finanzflüsse in Steueroasen und wir brauchen dringend ein Unternehmensstrafrecht. Nur ein solches würde bei komplizierten und undurchsichtigen Unternehmensstrukturen helfen. Die wahren Steuerschuldner könnten sich dann nicht mehr verstecken, ihre Unternehmen würden zur Kasse gebeten. Steuergesetze müssen verschärft, aber auch die Betriebsprüfungen wieder gestärkt werden. Wir wissen auch, dass Spitzenverdiener aufgrund vieler steuerlicher Tricks kaum Spitzensteuersätze zahlen. Die tatsächliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften erreicht gerade einmal 10 bis 15 Prozent, also nicht einmal die Hälfte dessen, was die nominalen Steuersätze vermuten lassen.

Wenn wir uns die gigantischen Summen anschauen, die jährlich dem Fiskus entgehen, dann wird die Diskussion über das, was wir uns angeblich alles nicht leisten, was wir angeblich alles nicht finanzieren können, so richtig absurd. Experten gehen davon aus, dass Deutschland aufgrund von Tricksereien mit Gewinnverlagerungen in Steuerparadiese bis zu 20 Milliarden Euro jährlich

entgeht – 20 Milliarden Euro! Angesichts dessen ist auch der Satz von Minister Glawe in der Debatte gestern völlig absurd. Er sagte – wir erinnern uns vielleicht noch daran –: „… man kann nicht über seine Verhältnisse leben“. Ha! Na dann ändern wir diese Verhältnisse!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Wir fordern von der Landesregierung ein klares Signal, ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Frau Polzin, die ehemalige Finanzministerin, hat immer wieder betont, dass Sie kaum die Macht hätten, an den Umständen im Bund etwas zu ändern. Sie sagte aber auch, dass die Welt sich vielleicht ändern werde, und ich sage Ihnen jetzt: Die Welt verändert sich, und zwar rasant – jeden Tag. Der Reichtum wächst und wächst, aber nur in wenigen Händen. Und wer ist dafür verantwortlich? Es ist die verdammte Verantwortung der Politik, für eine gerechte Besteuerung zu sorgen. Immer größer werden die Vermögen, die sich in Steueroasen vor Steuerbehörden verstecken. Immer wieder werden kriminelle Machenschaften und Strukturen aufgedeckt.

Was muss eigentlich noch passieren, dass sich an der Einstellung der politisch Verantwortlichen etwas grundlegend ändert? Stattdessen ambitionslose Maßnahmen seitens des Bundesfinanzministers, aber auch auf europäischer Ebene gibt es nur punktuell wirksame Maßnahmen, die eigentlich durchgreifend nichts ändern. Es ist nicht zu dulden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittleren und kleinen Einkommen, Selbstständige und viele kleine, aber auch mittlere Unternehmen die öffentlichen Aufgaben dieses Landes mit all seinen Strukturen finanzieren, während Konzerne und Superreiche ihre Gelder in oftmals sonnigere Gefilde in Steueroasen bringen. Sie müssen dabei gar nicht unter Palmen fahren, es reicht auch ein Abstecher etwa in die Niederlande. Wir haben die Steueroasen mitten in Europa.

Meine Damen und Herren, wir fordern ein Höchstmaß an Transparenz bei der Besteuerung, klare Abkommen zu einer Mindestbesteuerung und schwarze Listen, die diesen Namen auch verdienen. Schwarze Listen sind nämlich völlig witzlos, wenn wieder Steueroasen wie die USA, die Niederlande und Länder mit Nullsteuersätzen darauf landen und keine abschreckenden Sanktionen vereinbart werden. Wir, die Linksfraktion, wir werden an den Themen „Beseitigung von Steuerflucht“, „Steuerschlupflöcher und Steuervermeidung“, „gerechte Besteuerung“ und „Vermögenssteuer“ dranbleiben und diese auch weiterhin in diesen Landtag tragen. Selbst der Internationale Währungsfonds – nun wahrlich keine linke Organisation – hat der Bundesregierung inzwischen empfohlen, ihre reichsten Bürger höher zu besteuern, um der Ungleichheit tatsächlich entgegenzuwirken. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Abgeordnete.

Ums Wort gebeten hat der Minister für Finanzen. Herr Brodkorb, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist gewiss ein spannendes Thema, das heute zum Schluss noch aufgerufen wird, vor allem ein Thema, das geeignet

ist, viele Emotionen zu wecken. Ich glaube, wir tun gut daran, bei aller Empörung, die man für das eine oder andere empfinden mag, nicht aus dem Auge zu verlieren, dass durch derartige Papiere verschiedenste Dinge aufgedeckt werden, nämlich in dem einen Fall die rechtlich nicht zu beanstandende Form der Steuervermeidung, auf der anderen Seite rechtlich fragwürdige Verstöße gegen geltende Normen, die dann auch strafbewährt sind. In erheblichem Umfang handelt es sich allerdings bei den Unterlagen, die jetzt öffentlich geworden sind, eben nicht um Daten, die ein Verbrechen dokumentieren, sondern eine legale Form der Steuerumgehung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen, glaube ich, ist es auch angemessen, sich nicht so sehr über diese Personen, die diese Möglichkeiten nutzen, zu ereifern, sondern die Politik ist eigentlich in der Pflicht, sich über sich selbst zu ereifern, dass sie Mechanismen und Systeme immer noch zulässt, die zu solchen Steuervermeidungspraktiken gehören.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau.)

Es gibt natürlich einen guten Grund, sich über diese Steuervermeidung trotzdem Sorgen zu machen, auch wenn sie vielleicht keinen Straftatbestand erfüllt.

Ich kann es nicht besser sagen als Andreas Zielcke, der in der „Süddeutschen Zeitung“ – ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren – Folgendes zur Begründung ausführt, warum legale Steuervermeidung vielleicht doch ein Problem ist. Ich zitiere: „Zum einen, weil reales Geschäft und steuerliches Einkommen künstlich auseinandergezogen werden. Kein Steuerflüchtling will wirklich auf der Isle of Man wohnen, kein Konzern seine weltweiten Geschäfte von Bermuda aus dirigieren. Es ist ein fingierter, ein vorgetäuschter Sitz. Zum anderen, weil die Auslagerung in die Steueroasen meist verschleiert wird, sei es durch anonyme Gesellschaften oder Strohleute. Was gibt es zu verbergen und zu tarnen, wenn alles mit rechten Dingen zugeht? Und drittens schließlich, weil Steueroasen de facto nur von reichen Privatpersonen oder multinationalen Unternehmen zu nutzen sind, nicht aber von kleineren Firmen, inländischen Festangestellten oder sozial schwachen Personen. Grenzüberschreitende ‚Steuergestaltung‘ ist ein Klassenprivileg.“ Zitatende. Dies sind, glaube ich, ausreichend gesellschaftspolitische Gründe, um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, bei aller Differenzierung in der Debatte.

Wir brauchen aus meiner Sicht genau drei Dinge, um hier etwas zu ändern:

Das Erste ist der politische Wille, zu Veränderungen zu kommen. Da kann sich ja jeder von diesem Pult aus in die eine oder andere Richtung bekennen. Mein Bekenntnis, glaube ich, haben Sie meinen einführenden Worten schon ein wenig entnommen.

Zweitens. Der politische Wille reicht nicht, man muss auch über Wissen verfügen. Denn worum es ja bei der legalen Steuervermeidung geht, ist, dass sich kluge Leute mithilfe anderer kluger Leute Wege ausdenken, um die Intention der Gesetzgeber zu unterlaufen – jedenfalls in vielen Fällen. Dann braucht man Wissen darüber, welche kreativen Wege gewählt werden, um bestehendes Steuerrecht auszuhebeln. Deswegen darf ich Ihnen sagen, diese Anstrengungen laufen auch seitens der Europäischen Union. Die Finanzministerkonferenz hat sich in der

letzten Woche in positiver Hinsicht mit einer entsprechenden Richtlinie der Europäischen Union beschäftigt, die eine Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle europarechtlich verankern will.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern arbeitet über die Finanzministerkonferenz in einer Arbeitsgruppe mit, die eine entsprechende Anzeigepflicht rechtlich auch in Deutschland verankern will, denn das Thema Steuerumgehung oder -vermeidung ist ja nicht nur ein Thema, das international von Relevanz ist, das findet auch in Deutschland statt. Wir brauchen also solche Meldesysteme, um überhaupt Wissen über die Wege der Steuervermeidung zu generieren, um dann gesetzgeberisch darauf reagieren zu können.