Protokoll der Sitzung vom 25.04.2018

Frau Schwesig hat vor wenigen Minuten ausgeführt, dass der Bau von Nord Stream 2 für die Energieversorgung in Deutschland so wichtig wäre. Da muss ich Ihnen sagen, hier sind wir genau einer Meinung. Das sehen wir genauso, denn natürlich bleibt es das langfristige Ziel auch meiner Fraktion, die Energiewende soweit voranzutreiben, dass wir mit 100 Prozent erneuerbaren Energien leben können. Aber solange wir weiterhin auf fossile Energieträger angewiesen sind, ist uns die umweltfreundliche Verwendung von Erdgas im Zweifel wesentlich lieber, als wenn wir weiter ganze Kulturlandschaften auf der Suche nach Braunkohle umpflügen oder neue Kohlekraftwerke oder Atommeiler errichten. Das kann doch nicht das Ziel sein.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Von den Gegnern der Pipeline hört man immer wieder die angeblich gefährliche Importabhängigkeit von Russ

land. Dieses Bedrohungsszenario bleibt aber aus meiner festen Überzeugung immer noch verfehlt, denn Russland ist vom Export der Energieträger genauso abhängig, wie Europa von deren Import. Mit einer weiteren direkten Verbindung umgehen wir damit auch die gestiegenen Risiken, die sich mit der Durchleitung durch mehrere Transitländer ergeben. Ich denke da beispielsweise an die Situation in Weißrussland, insbesondere aber auch an die Ukraine. Ich glaube, wir haben alle noch die jahrelangen Streitigkeiten zwischen Gazprom, zwischen der russischen Regierung, zwischen der ukrainischen Regierung und auch zwischen Naftogaz in Erinnerung, als es im Winter für zwei lange Wochen zu Lieferunterbrechungen kam und kein Gas floss von Ost nach West. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit Nord Stream 2 die Energieversorgung nachhaltig für Deutschland und auch für Europa sichern.

Es ist hier schon angeklungen, natürlich kann ich die Bedenken, die in Polen und im Baltikum artikuliert werden, insbesondere mit Blick auf die historischen Erfahrungen nachvollziehen und selbstverständlich müssen wir auch unsere Beziehungen nach Polen und zu den anderen Ostseeanrainern weiter ausbauen. Ich bin selbst in den Ostseekooperationen tätig und es ist richtig. Allerdings finde ich die eingeschlagene Alternative, die jetzt immer wieder diskutiert wird, weg vom russischem Erdgas und hin zum Flüssiggas aus den USA, wenig zielführend, denn nicht nur die viel längeren Transportwege mit dem Schiff sind nicht gerade umweltfreundlicher, sie sind eine zusätzliche Belastung für das Ökosystem Ostsee, sondern dazu kommt die Art und Weise, wie dieses Flüssiggas in den USA gewonnen wird. Die Rohstoffe werden dort häufig durch das mittlerweile hochumstrittene FrackingVerfahren gewonnen. Dagegen gab es auch bei uns im Land zu Recht immer wieder Proteste, die meine Fraktion selbstverständlich unterstützt hat und immer wieder unterstützen würde, wenn es notwendig wird.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE und Tilo Gundlack, SPD)

Am Ende des Tages muss man konstatieren, dass auch hinter dem Agieren der USA eigene wirtschaftliche Interessen stecken. Man möchte Russland möglichst aus dem europäischen Markt drängen und selbst vermehrt überschüssige Energie in Europa loswerden. Zu dieser Strategie gehören auch die angekündigten Maßnahmen gegen Unternehmen aus Drittstaaten, die sich an Nord Stream 2 beteiligen wollen. Dies ist ein weiteres Beispiel für eine zunehmend aggressiver werdende Handelspolitik der USA, die uns mit großer Sorge erfüllt und uns vor Augen hält, wie dringend es geboten ist, verstärkt eine eigenständige europäische – ich sage bewusst, europäische – Sicherheits- und Energiepolitik zu entwickeln.

Um nicht missverstanden zu werden: Ja, auch Wladimir Putin ist bestimmt kein Heiliger, auch er vertritt knallhart russische Interessen und Grenzüberschreitungen müssen wir ganz klar kritisieren. Herr Schulte hat die völkerrechtswidrige Annexion der Krim erwähnt. Das ist selbstverständlich zu kritisieren. Allerdings möchte ich zumindest in Erinnerung rufen, dass wir in den 90er-Jahren auch den Jugoslawien-Krieg hatten und die Anerkennung des Kosovos, die bis heute noch durch, ich glaube, fünf EU-Staaten nicht erfolgt ist.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr richtig!)

Auch das darf man in der Argumentationskette nicht außen vor lassen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Allerdings habe ich den Eindruck, dass der russische Präsident bei aller berechtigten Kritik – ich will das hier noch mal betonen –, gegenwärtig doch weitaus besonnener reagiert als sein twitterndes Pendent im Weißen Haus, das mit, so wörtlich, „schönen, neuen, smarten“ Raketen in Syrien gedroht hat und es dann auch umgesetzt hat, denn dort tobt seit mittlerweile sieben Jahren ein blutiger Krieg, zweifellos die schlimmste humanitäre Katastrophe im 21. Jahrhundert. Wie in jedem Krieg stirbt auch hier die Wahrheit zuerst. Hier wie dort versuchen die Propagandaabteilungen, jeweils ihr Narrativ von den Ereignissen zur absoluten Wahrheit zu stilisieren. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich weiß nicht, was im syrischen Duma und anderenorts vorgefallen ist, und solange die Chemie-Waffen-Spezialisten nicht vor Ort Untersuchungen durchführen können, sollten wir uns mit einem Urteil tunlichst zurückhalten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Sehr richtig!)

Was jedoch im Nachgang geschehen ist, verdeutlicht, dass eine direkte Konfrontation zwischen den Atomwaffenmächten Russland und USA wieder denkbar und möglich geworden ist. Wenn ich eine deutsche Bundeskanzlerin höre, die sagt, dass der Militärschlag der USA, Großbritanniens und Frankreichs angemessen war, obwohl selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags klipp und klar feststellt, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriff handelt, ja, dann kann ich konstatieren, dass die deutsche Außenpolitik jegliches Maß und Mittel verloren hat.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der AfD und DIE LINKE)

Lassen Sie mich abschließend sagen: Nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland wird es möglich sein, diese und andere internationale Konflikte zu lösen. Wir brauchen keine Kraftmeierei, sondern endlich wieder einen Dialog auf Augenhöhe. M-V macht vor, wie eine friedliche und gemeinsame Zukunft im Interesse der Völker gelingen kann. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE und Patrick Dahlemann, SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der BMV der Fraktionsvorsitzende Herr Wildt.

Einen schönen guten Morgen, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin! Wir haben heute in der Aktuellen Stunde ein Thema, das sich eher mit Außenpolitik und mit der Sanktionspolitik beschäftigt und in dem Sinne sicherlich mehr in den Deutschen Bundestag gehört als hier in den Landtag. Aber Sie haben recht, auch unsere Region ist davon betroffen und es ist sinnvoll, einmal einen Blick zu wagen, wie sieht die Politik in Mecklenburg-Vorpommern aus und wie sind wir von diesen Sanktionen zum Beispiel gegenüber Russland betroffen.

Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass man mit Sanktionen äußerst sparsam umgehen sollte, insbesondere mit Handelssanktionen, denn sie treffen einen automatisch auch selbst und schaden einem damit selbst, das ist schon gesagt worden.

Zweitens ist es außerordentlich zweifelhaft, ob man damit das Ziel der eigentlichen Sanktionen erreicht. Auch das ist in diesem Fall leider nicht passiert. Die Krim ist immer noch besetzt, die Konflikte in der Ostukraine sind immer noch nicht beigelegt und von den ganzen anderen Konflikten möchte ich gar nicht sprechen.

Drittens, das zeigt sich auch heute hier, ist es sehr schwer, einmal beschlossene und verhängte Sanktionen wieder zurückzunehmen, gesichtswahrend, gerade dann, wenn Punkt 1 und 2 zutreffen. Man hat sich selbst geschadet und seine Ziele nicht erreicht. Ich sehe unsere Debatte heute hier auch als Versuch und als Beitrag, genau das zu unternehmen, gesichtswahrend von diesem Thema Wirtschaftssanktionen wieder wegzukommen.

Das Wichtigste aber, Frau Ministerpräsidentin, was Sie ebenfalls angesprochen haben, ist der Wandel durch Annäherung. Das ist eine Entspannungspolitik, die in den 70er- und 80er-Jahren äußerst erfolgreich war und die genau dazu geführt hat, wie Sie sagen, dass wir uns heute hier alle über dieses Thema austauschen können. Sie haben den Bundeskanzler Willy Brandt und Egon Bahr als seinen engsten Mitarbeiter dabei genannt. Aber Sie haben nicht genannt Helmut Schmidt und Helmut Kohl, die diese Entspannungspolitik sehr konsequent, und zwar mit äußerster Konsequenz, weiter fortgesetzt haben. Sie haben dafür gesorgt, dass immer Gespräche geführt worden sind, dass Handelssanktionen vermieden wurden. Es wurden andere Sanktionen verhängt, aber keine Handelssanktionen. Aber man war auch knallhart und fest in seiner eigenen Position und tief und fest verankert im westlichen Bündnis der Demokratien.

(Vincent Kokert, CDU: So ist es.)

Ich denke, wir sollten auch heute keinen Zweifel daran lassen, dass wir Bestandteil des Bündnisses der westlichen Demokratien sind.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Ebenso sind wir – das möchte ich allen Russlandfreunden und den Freunden, die das vielleicht werden wollen, ins Stammbuch schreiben – Bestandteil des Westens

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

und zu diesem Westen gehören heute auch Estland, Lettland, Litauen, Polen und so weiter. Herr Kokert hat es richtigerweise angesprochen, diese Verbündeten erwarten von uns, dass wir die Bündnisverpflichtungen einhalten, dass wir uns ganz klar zu diesem Bündnis bekennen und daran keinen Zweifel lassen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und BMV)

Deutsche Sonderwege zwischen allen Stühlen haben unserem Land in der Vergangenheit schweren Schaden zugefügt. Wir dürfen nicht zulassen, dass es noch mal in diese Richtung tendiert. Das bedeutet nicht, dass wir

keine Gespräche führen können, dass man nicht versucht, die regionale Zusammenarbeit zu stärken. Das ist alles in Ordnung, aber man muss immer ganz klar sagen, wo man steht, und darf daran, wie gesagt, keinen Zweifel lassen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und BMV)

Ums Wort gebeten hat noch einmal für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Schulte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir an dieser Stelle, auf die eine oder andere Bemerkung, die im Laufe der Debatte gefallen ist, noch mal einzugehen.

Zunächst ein Punkt: Mecklenburg-Vorpommern lebt nicht auf einer Insel der Seligen. Alles, was wir hier diskutieren, was wir in diesem Land tun – wenn man jetzt mal die Debatten, die in diesem Haus schon geführt worden sind über Schweriner Bushaltestellen, ausklammern –, ist in einem Kontext mit Themen, die außerhalb dieses Landes stattfinden. Wir werden uns nicht hinstellen und sagen können, das ist Landespolitik, das ist Außenpolitik. Wenn wir über die Exportbeziehungen dieses Landes reden, reden wir immer auch über Außenpolitik, weil Außenpolitik hat auf die Wirtschaft dieses Landes eine entsprechende Auswirkung.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt klarstellen: Natürlich gibt es Kritik an dem, was in Russland, auch von der politischen Führung, in den letzten Jahren gemacht wird. Es gibt in Russland offenkundige Homophobie, es gibt Zweifel zumindest an der Frage rechtsstaatlicher Verfahren, es gibt möglicherweise auch in Russland, ich will es mal ganz vorsichtig formulieren, die einen oder anderen Bedenken, was Einflussnahme auf entsprechende Entscheidungen außerhalb oder innerhalb der Justiz angeht, und es gibt sicherlich Repression in dem einen oder anderen Umfang gegen die politische Opposition. Das ist nicht die Frage.

Die Frage, über die wir in diesem Land diskutieren müssen, weil die Menschen und die Wirtschaft in diesem Land davon existenziell betroffen sind, ist, ob eine Sanktionspolitik, die 2014 aus guten Gründen initiiert worden ist, im Jahr 2018 vor dem Kontext, in dem wir leben, noch Sinn macht. Da kann ich nur eins anschließen: Es hat natürlich einen Diskussionsprozess innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gegeben, es hat politische Veränderungen in Deutschland gegeben. Das ist auch initiiert worden aus der Mitte dieses Landes. Es ist die Politik des früheren Ministerpräsidenten gewesen und es ist die Politik der derzeitigen Ministerpräsidentin, die in ihrem Werben für politische Mehrheiten auch eine Änderung des Umgangs mit Russland bewerkstelligen will. Im Endeffekt,

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

im Endeffekt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, geht es genau um das, was auch der Kollege Kokert gesagt hat. Die Frage, vor der wir stehen, die wir mit diesem Thema befasst sind, weil die Menschen in diesem Land mit diesem Thema befasst sind, ist: Eine

Sanktionspolitik, die gegen die politische Führung in Russland gerichtet war aufgrund dortiger Entscheidungen, Stichwort „Ukraine“, zeigt offensichtlich im Jahr 2018 keine Auswirkungen bei der politischen Führung, sondern massive Einwirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Wenn das schon 2014 nicht gewollt gewesen war und wenn das 2018 nicht gewollt ist, muss man diese Debatte offen führen und dann muss man auch Sanktionspolitik – zumindest so, wie sie heute besteht – offen infrage stellen können. Da sehe ich keinen Dissens zu dem, was der Kollege Kokert eben gesagt hat. Das ist ein Prozess, in dem Entscheidungen immer wieder infrage gestellt werden können.

Sehr geehrte Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz dazu sagen, weil immer auch die Frage aufgeworfen wird, es gibt unterschiedliche Ausführungen oder Auffassungen innerhalb der SPD. Natürlich hat der Kollege Kokert recht, es wird immer in Parteien, die mehr als ein Mitglied haben, unterschiedliche Auffassungen geben. Ist das übrigens der Grund, warum Herr Geert Wilders...

(Vincent Kokert, CDU: Eh, ich habe euch in Schutz genommen! Hast du nicht richtig zugehört, oder was?!)

Ja, ich bestätige das doch bloß, lieber Vincent.

Deswegen hat es auch der Kollege Geert Wilders in den Niederlanden abgelehnt, eine Partei zu gründen, weil er immer zu 100 Prozent recht haben will in seiner Organisation.

(Vincent Kokert, CDU: Das stimmt auch.)

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das, was aus diesem Land hervorgeht, was der Ministerpräsident a. D. Erwin Sellering angefangen hat, was die Ministerpräsidentin heute macht, ist doch, den Meinungswandel innerhalb der SPD in Richtung der politischen Wirklichkeit und der Interessen der Menschen auch in diesem Land herbeizuführen. Das kann man doch der SPD nicht vorwerfen. Was wäre denn, wenn wir das nicht tun würden?!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das trägt offensichtlich auch Früchte. Ich will mal die Äußerungen des Bundesaußenministers aus den letzten Tagen zur Seite legen, weil der natürlich nicht nur,

(Vincent Kokert, CDU: Schade eigentlich!)

weil der natürlich nicht nur für die SPD redet, sondern eine Position der Bundesregierung im Zweifelsfall deutlich machen muss, lieber Vincent. Aber es ist die Parteivorsitzende der SPD gewesen, die auf dem Bundesparteitag am letzten Sonntag noch mal deutlich gemacht hat, dass der Dialog mit Russland nicht Sanktionspolitik, sondern der Weg sein muss, auf dem eine Lösung herbeigeführt werden kann. Daran, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, kann doch im Endeffekt kein Zweifel bestehen.