Protokoll der Sitzung vom 31.05.2018

Dennoch sei mir an dieser Stelle gestattet, Herr Ritter, dass Ihre Kritik, dass der Adressat hier der falsche sei, gerade aus Ihrer Richtung völlig unberechtigt ist. Das würde ja bedeuten, dass jegliche Anträge, die von Ihnen kommen, die Entschließungsanträge „Die Landesregierung möge sich im Bundesrat dafür einsetzen …“ – Sie sind doch immer derjenige, der …

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dafür ist sie zuständig. Da, wo sie zuständig ist.)

Ja, und auch in diesem Fall ist das zuständig gewesen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nein, ist sie eben nicht! Sie haben den Traditionserlass immer noch nicht verstanden.)

Es war völlig, völlig daneben, ein völliger Fehlgriff.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Mein Gott! Also, so was, du!)

Ihr Debattenbeitrag – das war ja absolut unterirdisch.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, damit haben Sie nicht gerechnet. Deswegen suchen Sie jetzt nach Ausreden, ne?!)

Wir ziehen den Antrag zurück und bedanken uns für die Debatte. Wir haben hier mal aufgerüttelt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sie haben gedacht, Herr Ritter hetzt jetzt richtig gegen Arndt. Den Gefallen habe ich Ihnen nicht getan.)

Das war richtig und wichtig. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Reingefallen! Reingefallen!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

(Elisabeth Aßmann, SPD: Mann, Mann, Mann, Mann! Ehrlich!)

Da der Antragsteller im Rahmen der Debatte den Antrag zurückgezogen hat, ist eine Abstimmung obsolet.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wertvolle Lebenszeit verschwendet.)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 29: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Haftvermeidung statt Ersatzfreiheitsstrafe, Drucksache 7/2156.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Haftvermeidung statt Ersatzfreiheitsstrafe – Drucksache 7/2156 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Bernhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Sie in den vergangenen Monaten und Wochen die Medien aufmerksam verfolgt haben, ist Ihnen sicherlich aufgefallen, dass häufiger über die Strafbarkeit des Schwarzfahrens diskutiert wurde. Da kam dann die Frage auf, ob es gerecht ist, jemanden wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis zu stecken, oder ob man diese Tat nicht lieber zu einer Ordnungswidrigkeit machen sollte.

Aus der Sicht meiner Fraktion geht diese Diskussion ein wenig am Problem vorbei. Es ist schließlich nicht so, dass Schwarzfahrer grundsätzlich zu Freiheitsstrafen verurteilt werden. Sie werden zu Geldstrafen verurteilt und wenn sie diese nicht zahlen können, tritt dann anstelle der Geldstrafe eine Gefängnisstrafe. Das Problem ist also nicht die Höhe der vom Gericht verhängten Strafe, sondern dass an deren Stelle eine andere, viel höhere Strafe tritt. Will man also das Problem vermeintlich ungerechter Strafen lösen, muss man die Ersatzfreiheitsstrafe anpacken.

Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst einmal erläutern, worum es hier eigentlich geht. Häufig habe ich den Eindruck, dass das Konstrukt der Ersatzfreiheitsstrafe nicht richtig verstanden wird. Als in der Bundesrepublik im Jahr 1962 die Geldstrafe eingeführt wurde, sollten

damit eigentlich kurze Freiheitsstrafen abgeschafft werden. Der Täter bekommt seine Strafe, kann trotzdem weiterarbeiten und kostet den Staat kein Geld, so die Idee. Um der Sache dann doch etwas Nachdruck zu verleihen, wurde später die Ersatzfreiheitsstrafe eingeführt, das heißt, ist eine Geldstrafe uneinbringlich, sollte an ihre Stelle eine Haftstrafe treten. Das wäre dann keine Beuge- oder Erzwingungshaft, wie einige glauben, es ist eine eigene Strafe.

Der berühmte Strafrechtler Herbert Tröndle sprach damals vom „Rückgrat der Geldstrafe“. Interessant ist, dass sein Nachfolger als Bearbeiter des Standardkommentars „Strafgesetzbuch und Nebengesetze“, Thomas Fischer, mittlerweile die Auffassung vertritt, dass die Ansicht seines Vorgängers „angesichts vieler Ungerechtigkeiten der Anwendungspraxis und einer insgesamt mangelhaften Einpassung in das Strafrechtssystem … bezweifelt werden“ muss. Zitatende.

Ein solcher Wandel in derselben Kommentierung macht deutlich, dass die ursprünglichen Erwartungen, die man in die Ersatzfreiheitsstrafe gestellt hatte, nie erfüllt wurden. Tatsache ist, dass bei einer Ersatzfreiheitsstrafe eine Strafe verbüßt werden muss, die das erkennende Gericht nie verhängt hat. Es muss eine schwerere Strafe verbüßt werden, denn ob ich Geld zahlen muss oder in dem Strafvollzug Wochen verbringen muss, ist schon ein Unterschied.

So jedenfalls auch der BGH in einem Beschluss vom Dezember 2016, der sagt: „… die Freiheitsstrafe ist im Verhältnis zur Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen“. Wenn also das Gericht eine Strafe ausspricht, die der Tat und der Schuld angemessen ist, sich die Strafe danach aber kraft Gesetzes verschärft, ist sie zwingend nicht mehr Tat und Schuld angemessen.

Das sehen übrigens ganz viele Rechtsordnungen so, weshalb es dieses Konstrukt genau in dieser Form auch nur in Deutschland gibt. Die Skandinavier haben von Anfang an gesagt, das ist Unfug, in Italien hat man es ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt, in Frankreich gibt es anstelle dessen eine Erzwingungshaft, die aber nur dann angeordnet werden darf, wenn keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, und Österreich und Schweiz haben zwar auch Ersatzfreiheitsstrafen, aber in deutlich milderer Form. Ein ganz wesentliches Problem ist nämlich, dass die Ersatzfreiheitsstrafe insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen trifft. Der, der aus welchen Gründen auch immer nicht zahlen kann, muss eben in den Strafvollzug.

Ein weiteres Problem ist, dass mit den Ersatzfreiheitsstraflern in der JVA praktisch nicht gearbeitet wird. Denn warum können die Ersatzfreiheitsstrafler meist nicht zahlen? Weil sie aufgrund privater Probleme keiner Arbeit nachgehen können. Sie müssen dann mindestens einen Tag, meist mehrere Tage und Wochen in den Strafvollzug und da wird nicht mit ihnen gearbeitet, weil die Verweildauer zu kurz ist. Da wird mancher sagen, dann ist das so, da müssen wir aber deutlich widersprechen. Strafe ist nach deutscher Rechtsordnung kein Selbstzweck. Ihr oberstes Ziel – und so sagt es Paragraf 2 des Strafvollzugsgesetzes – ist die Resozialisierung, das heißt, den Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Es muss also in zwingender Weise therapeutisch mit ihnen gearbeitet werden. Das passiert nicht.

Ein Mitarbeiter in einer JVA meinte mal etwas plakativ zu mir, das Einzige, was passiere, sei, dass die mal so richtig ausnüchtern können. Ich denke, das ist der falsche Ansatz, der verfolgt wird mit der Ersatzfreiheitsstrafe, weil er nichts mit Resozialisierung zu tun hat. Sie werden lediglich weggesperrt, wir reden also über einen schlichten Verwahrvollzug. Meistens verschlimmert sich dann ihre Situation noch. Leute, die sowieso kein Geld haben, warum auch immer, sitzen mehrere Wochen in der Haft und haben kein Einkommen. Miete, Versicherungskosten fallen trotzdem an und ihre finanzielle Situation wird immer schlimmer.

Aber nicht nur ihre finanzielle Situation verschlechtert sich, ein weiterer Kritikpunkt an den Ersatzfreiheitsstrafen sind die Kosten. Diese sind zwar für mich nicht die tragende Säule der Argumentation, aber vielleicht überzeugt das ja den Pfennigfuchser unter Ihnen. Von 2013 bis Ende 2016 verbüßten in 3.482 Fällen Personen eine Ersatzfreiheitstrafe in Mecklenburg-Vorpommern. Allein 2016 waren es fast 1.000 Fälle. Bei einem Kostensatz von gut 174 Euro am Tag beliefen sich 2015 die Haftkosten auf über 4,8 Millionen Euro. In allen Fällen lagen die Haftkosten über den ausgeurteilten Geldstrafen. Diese betrugen insgesamt nur 702.000 Euro, also etwa ein Siebtel der Haftkosten. Es ist also nicht nur so, dass der Staat sein Geld nicht bekommen hat, man hat durch die Ersatzfreiheitsstrafen sogar noch kräftig obendrauf gezahlt.

Werte Kolleginnen, werte Kollegen, ich denke, es ist deutlich geworden, dass da etwas passieren muss. Der erste Schritt ist bereits passiert, die Justizministerkonferenz hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die nach Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe suchen soll. Also auch die Justizministerinnen und Justizminister teilen unsere Auffassung. Das ist auch einer der Punkte des Antrags, dass man über die Ergebnisse oder den Sachstand dieser Arbeitsgruppe informiert wird.

Was kann man aber sonst noch tun? Die LINKENBundestagsfraktion hat am 18. April dieses Jahres einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe vorsieht. Auch das ist eine Möglichkeit. Da wir als Landtag aber die Ersatzfreiheitsstrafe natürlich nicht unmittelbar abschaffen können, sollten wir zunächst einmal schauen, was wir im Land tun können.

Gemäß Artikel 293 des Einführungsgesetzes zum StGB sind die Landesregierungen ermächtigt worden, durch Rechtsverordnungen Regelungen zu treffen, wonach die Vollstreckungsbehörde dem Verurteilten gestatten kann, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden. Mecklenburg-Vorpommern hatte eine solche Verordnung bereits 1993 erlassen und 2002 wurde das entsprechende und mittlerweile verstetigte Modellprojekt „Ausweg“ ins Leben gerufen. Man muss sagen, dass dieses Projekt erfolgreich war und ist, aber nichts ist so gut, als dass es nicht fortentwickelt werden könnte. Und genau das sind die Hinweise, die wir aus der Praxis erhalten. Wir müssen hier an diesem Projekt weiterarbeiten, es fortentwickeln, damit man tatsächlich zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen kommt und zur Hilfe der betroffenen Ersatzfreiheitsstrafler.

Es steht leider still, dieses Projekt. Die finanzielle Ausstattung ist seit einigen Jahren unverändert und auch eine inhaltliche Fortentwicklung, ich hatte es gesagt, gibt es nicht. Wir haben deshalb in den letzten Haushaltsbe

ratungen Mittel für zwei zusätzliche Stellen E13 für dieses Projekt gefordert, um es weiter auszubauen. Leider wurde der Antrag von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Verstehen kann ich das nicht, da diese Kosten sich durch die Erfolge des Projektes und den daraus resultierenden Einsparungen mehr als amortisieren würden, und vor allen Dingen würde es den Menschen helfen.

Aber auch inhaltlich muss noch etwas passieren. An dieser Stelle muss ich einmal etwas ins Detail gehen. Das Verfahren bei der Ersatzfreiheitsstrafe sieht grob so aus: Mit Urteil oder Strafbefehl ergeht die Geldstrafe, die zuständige Person in Gericht oder Staatsanwaltschaft versucht die Strafe zu vollstrecken, gelingt das nicht, kommt die Aufforderung zur Haft. Das erste Problem ist, dass der Hinweis darauf, dass die Strafe auch als gemeinnützige Arbeit abgeleistet werden kann, erst im letzten Schritt erfolgt. Das muss aus unserer Sicht viel früher passieren.

Das zweite Problem ist, dass diese Menschen häufig völlig aus der Gesellschaft raus sind. Wenn die Polizei zu denen nach Hause fährt, um sie abzuholen, finden sie nicht selten im Hausflur einen riesigen Berg ungeöffneter Post.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Der Geräusch- pegel ist aber ziemlich hoch hier. – Zuruf von Minister Harry Glawe)

Unter etlichen Rechnungen und Mahnungen liegen dann irgendwo auch der Strafbefehl und die Ladung. Dass diese Menschen häufig erhebliche soziale Probleme haben, ist auch schon den Behörden bekannt. Da braucht es Streetworker, die sich schon dann einschalten, wenn Urteil oder Strafbefehl ergehen. Die können versuchen, die Kuh vom Eis zu bekommen, um mit den Menschen zu arbeiten.

Werte Kollegen, ich möchte an dieser Stelle eines deutlich klarstellen: Es geht bei diesem Antrag nicht darum, rechtsfreie Räume zu schaffen. Wenn das Gesetz eine Tat unter Strafe stellt, dann muss der Verstoß auch sanktioniert werden. Da gibt es keine Diskussion, aber er muss eben auch derart sanktioniert werden, wie das Gericht es ausgeurteilt hat, und nicht schwerer. Das ist der Punkt unseres Antrages. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat zunächst die Justizministerin. Frau Hoffmeister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Haftvermeidung statt Ersatzfreiheitsstrafe“, das hört sich zunächst einmal gut an. Ich kann Ihnen sagen, das deckt sich mit unseren Bemühungen, die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden, und zwar nicht zuletzt auch aus ureigenem Interesse unseres Strafvollzuges,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr gut!)

denn in der Tat haben wir es hier mit Menschen zu tun, deren Aufenthalt im Strafvollzug bei regulärem Verlauf nicht vorgesehen war, und es stimmt auch, dass der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen häufig unverhältnismäßig aufwendig ist.

Meine Damen und Herren, gleichwohl ist dem vorliegenden Antrag nicht zu folgen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ach, schade!)

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist seit den 60er-Jahren im Strafgesetzbuch verankert. Sie ist keine Freiheitsstrafe, die der Vorstellung von Resozialisierung des Verurteilten zugrunde liegt,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Eine Sekunde lang hatte ich Hoffnung.)

sondern sie ist der letzte, aber unverzichtbare Baustein, um die Geldstrafe zu einem schlüssigen Strafkonzept werden zu lassen, denn eine Strafandrohung entfaltet nur dann die erforderliche Wirkung, wenn sie auch durchgesetzt werden kann.