Protokoll der Sitzung vom 13.09.2018

Was die Fragestellung der Berechnung anbetrifft, Herr Hersel, ich will hier nicht in die Verlegenheit gebracht werden, den ursprünglichen Mathematiklehrer, der ich auch bin, herauszukehren. Machen wir mal vielleicht eine Rechenstunde in der Pause, das führt sonst zu weit. Ich denke, so, wie wir das aufgeschrieben haben, ist das in der Landwirtschaftsfinanzpolitik üblich. Gucken Sie noch mal rein, vielleicht haben Sie da auch etwas überlesen! Es ist ein ganz übliches Verfahren mit diesen fünf Jahren – Erstes und Letztes streichen, also Bestes und Schlechtestes, und dadurch den Durchschnitt zu bilden.

(Zuruf von Sandro Hersel, AfD)

Aber das, wie gesagt, wäre jetzt eine Rechenaufgabe und nicht meine Mathematikstunde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für uns war es nicht nur Anlass in diesem Jahr mit der Dürre, über dieses Thema zu reden. Die Risikoausgleichsrücklage für die Landwirtschaftsbetriebe ist, wie wir es hier wiederholt gehört haben, ein altes Thema. Dieses alte Thema kommt nicht von ungefähr. Wir sind seit vielen Jahren an diesem Thema dran. Genau genommen ist die Fragestellung für uns nicht mal eine Fragestellung, die sich an irgendeine Klientel oder ein Wählerpotenzial richtet. Für uns geht es wirklich um die Existenzfähigkeit des ländlichen Raumes, um die Existenzfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe und der entsprechenden sozialen Gruppen, die da dranhängen. Uns für diese Sache einzusetzen, ist also mehr als einfach nur eine Spielerei, wie uns hier vielleicht so zwischen den Zeilen unterstellt wird.

In dem Zusammenhang ist natürlich auch die Fragestellung, wie systemrelevant – und da wäre der Ergänzungsantrag der BMV zu erwähnen – die ganze Angelegenheit ist. Auf die Problematik der Systemrelevanz werde ich an anderer Stelle noch mal eingehen.

Wir betrachten unseren Antrag als einen Teil der Diskussion zur Zukunft der Landwirtschaft. Es ist gut, dass es vielen nicht gleichgültig ist, wer die Lebensmittel wo und wie produziert, aber offensichtlich ist es gerade im städtischen und gutbürgerlichen Milieu nicht wirklich mehr zu vermitteln, dass Landwirtschaft in Deutschland und Europa nur überlebensfähig ist, wenn man von der Arbeit auf den Feldern oder in den Ställen nur leben kann, wenn man auch öffentliches Geld für die Landwirtschaft ausgibt.

Ich erinnere an dieser Stelle nur mal an den Proteststurm, der gleich nach den ersten Forderungen von

1 Milliarde Euro Dürrehilfe von Herrn Rukwied aufkam. Wir fanden diese Forderung auch nicht gerade hilfreich. Viele Menschen empfanden diese Forderung als völlig überzogen und stellten sie als eine für den Berufsstand insgesamt vielleicht sogar schädliche Forderung dar. Die vielen Witze, die diesbezüglich kursieren von den fünf Feinden der Landwirtschaft – Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter und dann noch das Wetter – kennen wir alle, aber es geht hier, wenn es um die Landwirtschaft geht, doch um andere Dinge, nämlich in dem Fall um die Funktionstüchtigkeit von viel mehr als nur diesen Betrieben. Das Beispiel der Kapitalgesellschaften, die eine ganze Reihe von entsprechenden Möglichkeiten zum Risikoausgleich erhalten, auch durch den Steuerzahler, wird beispielsweise immer wieder vergessen, wenn es um einen Vergleich geht.

Es geht uns nicht um ein Rundum-sorglos-Paket für die Landwirtschaft, sondern wirklich um Hilfe zur Selbsthilfe. Ich wiederhole gern noch mal das aus der Einbringung unseres Antrages Genannte. Ja, es geht auch um den Verzicht von Steuereinnahmen, na klar. Deswegen ist es für uns LINKE besonders wichtig zu begründen, warum das trotzdem im Sinne des Gemeinwohls ist. Und ja, wir schaffen damit für die Landwirtschaft eine Sonderrolle. Die hat sie auch. Deswegen zitiere ich einen anderen Beitrag von Frau Tackmann noch mal: „Uns sind die Ernährungssicherung und die Ernährungssouveränität eben nicht nur im globalen Süden sehr wichtig, sondern auch im eigenen Land. Deshalb hat die Existenzsicherung der einheimischen Landwirtschaft für uns einen hohen gesellschaftlichen Wert. Es geht uns dabei um die Sicherung der Versorgung in den Regionen durch die Landwirtschaft und damit um Gemeinwohlinteressen.“ Zitatende.

Ergänzend möchte ich noch sagen, dass es uns auch um den Erhalt des durch die Nutzung des Menschen geschaffenen Umlandes, der Kulturlandschaft geht. Es ist nicht nur einfach Lebensraum, es ist ein, gerade was den ostelbischen Raum anbetrifft, über acht Jahrhunderte geschaffener Raum, der vor über 1.000 Jahren noch vollständig bewaldet gewesen ist. Wenn wir uns umschauen, alles das, was uns umgibt, ist, selbst in dem Falle, wo es scheinbar Naturraum ist, Naturschutzgebiet, nur deswegen Naturraum, weil es der Mensch so wollte. All das funktioniert insbesondere, wenn es um die Feldfluren geht, nur mit einer gesunden Landwirtschaft und mit gesunden Agrarstrukturen und nicht ohne örtlich ansässige und wirtschaftende Betriebe. Die aktuelle Agrarpolitik will die Landwirtschaft aber vor allem darauf reduzieren, als Zulieferer für den Agrarmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Genau das ist eben nicht das Leitbild der LINKEN.

Zur Sonderrolle der Landwirtschaft wäre zudem noch zu sagen – und da bin ich sehr dankbar, Herr Minister, dass Sie darauf eingegangen sind –, dass es auch eine ganze Reihe von neuen Risiken gibt. Risikomanagement bedeutet eben nicht nur, die bestehenden Strukturen und Schwächen und die bestehenden Risiken mit aufzunehmen, sondern auch zu schauen, was zukünftig auf uns zukommt. Es geht eben nicht nur um das Wetter, wo man vielleicht mittlerweile sogar hellseherische Fähigkeiten bräuchte, um zu begreifen im Frühjahr, was denn im Sommer kommt, ob es ein Sommer wird wie im vorigen Jahr, wo die Felder abgesoffen sind, oder ob es ein Sommer ist wie in diesem Jahr, wo drei Monate kein Tropfen gefallen ist. So gibt es zum Beispiel völlig neue

und neu eingeschleppte oder zurückkehrende Tierseuchen.

Ich will gar nicht groß über die ASP reden. Wir wissen ganz genau, wenn sie erst an der Oder steht, dann wird die Oder keine Grenze sein für die ASP. Oder denken wir beispielsweise an das Schmallenbergvirus, das ohne Vorwarnung zu hohen Verlusten in der Schaf- und Ziegenhaltung führte und bis dahin völlig unbekannt war.

Einige von uns Abgeordneten – und ich glaube, diese Briefe gehen in alle Fraktionen – bekommen seit vielen Jahren Briefe von Herrn Klaus Wohldmann, der uns immer wieder an die mysteriöse Bestandserkrankung erinnert, die chronischer Botulismus genannt wird. Bei uns ist jedenfalls der Aktenordner mittlerweile ziemlich voll davon. Ich frage Sie: Wie sollen sich Betriebe vor so etwas schützen? Wie sollen sie damit umgehen, wenn nicht einmal die Wissenschaft weiß, welche Ursachen solche Krankheiten haben? Die Landwirtschaft braucht auch an dieser Stelle Unterstützung, weil sie zum Beispiel die Tierseuchenkasse an der Stelle nicht dafür bewegen kann.

Auch bei den Pflanzen lauern bisher völlig unbekannte Gefahren. Denken Sie an die Kirschessigfliege! Sie ist möglicherweise banal für manch einen, aber es ist ein tief greifender Wandel, der dort in der Pflanzenproduktion eintritt. Denken Sie an den Eichenprozessionsspinner! Manch einer nimmt den nur wahr, weil es eventuell jucken könnte, aber der Obstanbau in MecklenburgVorpommern und der aufkommende Weinanbau wissen nicht mehr, wie sie sich schützen sollen. Das Holz der befallenen Eichenbäume kann man ja nur noch verbrennen.

Ich denke, diese Lasten können wir den Betrieben allein nicht aufbürden. Wenn dann noch die ganze Diskussion des Klimawandels dazukommt, so ein typisches Beispiel für Klimawandelprobleme: Allein im Unterschied zu den 1970er-Jahren blühen Apfel und Raps heute ganze 20 Tage früher, drei Wochen.

(Dr. Till Backhaus, SPD: Ja.)

Nun könnte man sagen, okay, dann haben wir möglicherweise mehr Zeit für die Reife. Nein, diese früheren Blühzeiten führen natürlich zu größeren Gefahren, insbesondere beispielsweise durch Eintreten der Spätfröste. Aber insgesamt kann man die ganzen dendrologischen Daten – Herr Butzki wird sich möglicherweise noch an seine Ausbildung erinnern können, auch wenn du, Andreas, gerade wegguckst –, den dendrologischen Atlas, der damals von Professor Hurtig und Professor Reinhard erstellt wurde, heute nur noch als historische Geografie bezeichnen. Da gibt es also erhebliche Veränderungen.

Genau deswegen möchte ich noch einmal auf ein Zitat von Kollegin Tackmann zu sprechen kommen: „Die Natur“, sagte sie, „gibt der Landwirtschaft lange Produktionszyklen vor.“ Das zitiere ich vor allem deswegen, weil hier der Vorwurf nach einer kurzfristigen Lösung kommt. „Ein kurzfristiges Reagieren auf Preisachterbahnen auf dem Weltagrarmarkt ist kaum möglich. Wenn zum Beispiel eine Kuh trächtig ist, wird sie nach circa neun Monaten und neun Tagen ein Kalb zur Welt bringen und danach auch Milch geben, egal ob der Milchpreis gerade wieder einmal abstürzt oder nicht. Oder wenn erst einmal eingesät ist, kann man das Saatgut nicht wieder ausbud

deln, wenn der Preis für das Erntegut gerade verfällt. Verschärft werden diese Preisschwankungen durch die spekulativen Wetten an der Börse auf Ernten, die noch nicht einmal eingesät sind.“ Zitatende. Es geht also auch nicht um die Frage, ob es hier ein kurzfristiges Argument wäre oder nicht.

Oder nehmen Sie das Beispiel, dass selbst in einer Negativsituation durchaus auch etwas Positives sein kann, wenn ich an die Zuckerrübenernte denke. Ich habe gerade den Begriff des Rosineneffektes gelernt: kleine Rübe, aber sehr hoher Zuckeranteil, ein positiver Effekt, weil der Transportaufwand für dieselbe Menge Zucker außerordentlich gering ist.

Dann gibt es eben noch die Probleme, die die Tierhalter und die Marktfruchtbetriebe haben und so weiter.

(Zuruf von Minister Dr. Till Backhaus)

Das gilt für breit aufgestellte Betriebe genauso wie für die konventionelle und ökologisch produzierende Landwirtschaft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen der Landwirtschaft Instrumente an die Hand geben, damit die öffentliche Hand nicht wieder zu Rettungspaketen genötigt wird, die die Landwirtschaft sich selbst gewissermaßen schnüren kann. Deswegen vielleicht in ganz kurzer Zusammenfassung:

Erstens. In Analyse und Problembeschreibung sind wir wahrscheinlich doch ziemlich gleich.

Zweitens erinnere ich an Ihre Worte, Herr Dr. Backhaus, die Sie gesagt haben – den Satz haben Sie vielleicht noch im Kopf –, dass es in Deutschland im Glauben Unterschiede gibt.

(Minister Dr. Till Backhaus: Richtig!)

Wenn wir drittens aber in der Landwirtschaft so viele Leute haben, die gleicher Meinung sind, dann kann das auch nicht ganz falsch sein. Ich denke wieder gerade an den Bauernverband.

(Thomas Krüger, SPD: Ich kläre das gleich noch mal auf.)

Ich denke, in dem Falle sollte man möglicherweise auch mal überprüfen, wenn einem auf der Autobahn alle entgegenkommen, dass das nicht alles Falschfahrer sind.

Viertens glauben wir an die Richtigkeit unseres Vorschlages, und zum Glück haben wir ja Glaubensfreiheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Für die Fraktion der SPD hat um das Wort gebeten der Fraktionsvorsitzende Herr Krüger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will das noch mal für meine Fraktion ganz deutlich machen:

Herr Dr. Weiß, Sie haben gerade gesagt, wir wollen der Landwirtschaft Instrumente an die Hand geben. Ja, das wollen wir auch. Nur wir bezweifeln, dass dieser Antrag dazu hilfreich ist. Ich will Ihnen auch gern sagen, warum. Seit Jahrzehnten wird von der Branche und von der Landespolitik in der Regel gefordert, dass wir die steuerfreie Risikorücklage einführen. Seit Jahrzehnten! Und was ist passiert? Alle Finanzminister aller Parteien haben das zurückgewiesen. Sie haben das zurückgewiesen mit dem Hinweis darauf, dass, wenn wir die steuerfreie Risikorücklage einführen, dann andere Branchen kommen werden, beispielsweise der Tourismus, der hier natürlich auch sagen kann, wir haben ein verregnetes Jahr gehabt und wir wollen nach diesem verregneten Jahr einen Ausgleich haben. Oder es kommt die Bauwirtschaft, die natürlich auch sagen kann, Wetterunbilden sind gewesen, wir fordern jetzt, dass entsprechend ein Ausgleich gemacht wird.

(Rainer Albrecht, SPD: Genau.)

Meine Damen und Herren, solange wir uns in dieser Schleife bewegen, solange wir einfach wiederholen, was die letzten Jahrzehnte gesagt worden ist, solange nützen wir der Landwirtschaft nicht, solange bewegen wir uns in einer Schleife. Das ist das, was meine Fraktion hier deutlich gemacht hat. Das ist auch das, was mein Kollege Gundlack deutlich gemacht hat.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Dann bieten Sie doch Alternativen!)

Ich komme gleich darauf.

Mein Kollege hat einfach deutlich gemacht, wir müssen aus dieser Schleife raus und überlegen, welche anderen Möglichkeiten es gibt. Eine andere Möglichkeit gibt es, wenn man beispielsweise ins Ausland guckt. Gucken Sie sich an, es gibt im europäischen Maßstab Länder, die das anders geregelt haben, beispielsweise über eine Versicherungslösung! Wir stehen am Rande dessen, dass wir in Europa eine neue Förderperiode bekommen ab 2021. Meine Partei, meine Fraktion möchte, dass wir diese Gespräche dazu nutzen, um über die zweite Säule der europäischen Agrarpolitik eine Versicherungslösung zu unterstützen. Das heißt am Ende, dass die landwirtschaftlichen Betriebe sich selbst beteiligen müssen, aber auch, dass wir als Staat die Mittel, die zur Verfügung stehen, dafür nehmen, um diese Wetterunbilden abzusichern.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Ich glaube, das ist der Weg, den wir gehen sollten, meine Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Zuruf aus dem Plenum: Genau.)

Ich will noch mal ganz klar sagen: Die Betriebe sind uns wichtig, sie sind wichtiger Bestandteil in unseren Dörfern. Wir brauchen die Betriebe in den Dörfern. Es gibt hohe Risiken, die erkennen wir an. Wir wollen die Wertschöpfung vor Ort behalten, aber bitte lassen Sie uns auch neue Wege gehen! Es nützt nichts, sich in einer Schallplattenrille zu bewegen und keinen Millimeter weiterzukommen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ritter?

Selbstverständlich.

Schönen Dank.

Herr Kollege Krüger, Bezug nehmend auf die neuen Wege, die man gehen muss, also wir haben auch überlegt, mit unserem Antrag eine Lösung vorzuschlagen. Wie stehen Sie dann zu dem Vorwurf, dass, wenn man hier Lösungen vorschlägt, meine Fraktion Handlanger des Bauernverbandes wäre?

Ich glaube, dass niemand hier im Saal Handlanger des Bauernverbandes ist.