Protokoll der Sitzung vom 26.10.2018

dass sie dieses schwierige, oft vernachlässigte und verheimlichte Thema auch mal hier in den Landtag gebracht hat, wenngleich wir nur über eine Bundesratsinitiative da einwirken können. Aber ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass der Landtag dieser Praxis von Vertuschen, Verschweigen, aus welchen Gründen auch immer, entgegenwirkt, und deswegen erst mal danke schön dafür.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Ich möchte noch mal an das anknüpfen, was Herr Dr. Weiß vorgetragen hat. In der Tat, es geht hier nicht darum, die Katholische Kirche, die Gläubigen und die Mitarbeiter der Katholischen Kirche an den Pranger zu stellen. Die Katholische Kirche ist mehr anderes und auch weniger als die eben benannten. Es geht um die Amtskirche und die amtlich von dieser Amtskirche begangenen Taten, die über bewusstes Verschweigen, Vertuschen, gewollte oder vollzogene Strafvereitelung und andere Dinge gehen. Und da wiederum habe ich keinerlei Verständnis dafür, dass man die Katholische Kirche in Schutz nehmen will. Die Katholische Kirche untersteht in voller Blüte auch unserem deutschen Strafrecht und muss sich für das verantwortlich zeigen, was an Straftaten im Hoheitsgebiet unserer Strafrechtsordnung geschieht.

Zum Inhalt der Studie ist von Herrn Weiß schon das Wesentliche gesagt worden. Ich belasse es daher mal dabei und komme vielleicht in der Diskussion noch mal darauf zurück. Ich möchte nur auf eines hinweisen: Dieser Sonderweg, den die Kirchen in unserem Lande für sich beanspruchen, begann mit weitgehenden Enklaven im gesamten Rechtssystem. Diese sind überwiegend abgeschafft. Vor zwei Tagen hat das Bundesarbeitsgericht eine der letzten sogenannten Enklaven bereinigt. Da ging es darum, dass die Kirchen bei Einstellung verlangen konnten, dass man sich zu dieser Kirche gehörig fühlt und Kirchenmitglied ist. Das ist jetzt auch vom Bundesarbeitsgericht endlich und längst überfällig beseitigt worden. Es gilt maximal noch für solche Kirchenämter, die mit besonderen, nach außen in Erscheinung tretenden Repräsentationsämtern verbunden sind. Das hat man schon vor 15 Jahren für die Kündigung auch so festgelegt.

Wir haben aber trotzdem noch so zwei, drei Enklaven, bei denen die Kirchen Sonderrechte in Anspruch nehmen. Ob ihnen das zukommt, das ist eine andere Frage. Ich nenne da zum einen mal das Kirchenasyl, eine rechtswidrige, strafrechtliche Tat, die aber nicht geahndet wird.

(Manfred Dachner, SPD: Das ist überhaupt nicht korrekt. Das wissen Sie, Herr Weber.)

Und vor allem, weil das Frau Hesse auch angesprochen hat, der Einzug von Kirchensteuer durch die staatlichen Steuerbehörden entspricht nicht dem, was man bei Trennung von Kirche und Staat erwarten könnte.

(Beifall Jens-Holger Schneider, AfD)

Es ist eigentlich überfällig, dass auch die Amtskirchen an ihre Mitglieder Mitgliedsbescheide verschicken, in denen sie die Mitgliedsbeiträge einfordern. Warum man da Sonderregelungen über die Kirchensteuer geschaffen und bis heute aufrechterhalten hat, entzieht sich meiner Wertschätzung. Das müsste auch mal bereinigt werden. Es hat aber nur mittelbar etwas mit dieser Studie zu tun.

Zu den Punkten im Einzelnen: Zunächst einmal haben Sie die Errichtung eines Entschädigungsfonds angesprochen, der zu prüfen ist. Ich gehe mal davon aus, Sie meinen einen Entschädigungsfonds innerhalb der Katholischen Kirche, und dann ist es in der Tat so, dass das zu prüfen ist. Es gibt ja teilweise schon solche Fonds, aber es ist auch darauf hingewiesen worden, mit sehr unterschiedlichem Aufklärungsinhalt und mit sehr unterschiedlichen Zahlungshöhen und Zahlungsneigungen in den Diözesen. Vielleicht sollte die Katholische Kirche da mal mit einem guten Beispiel vorangehen und das vereinheitlichen.

Zur Verjährungsfrist: Auch dazu ist schon einiges gesagt worden. Ihr Antrag, die Verjährungsfristen zu verlängern, ist nur teilweise nachvollziehbar. Für andere Teile verwende ich jetzt auch mal ein bisschen das Wort „populistisch“, denn zu den allermeisten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben wir 1998, 2004 und 2015 etwas verändert. Inzwischen gibt es eine Verjährungshemmung bis zum Eintritt des 30. Geburtstages des Opfers und dann Verjährungsfristen zwischen 20, 10 und 5 Jahren.

Das heißt also, in den gravierenden Fällen tritt eine Strafverfolgungsverjährung erst am 50. Geburtstag des Opfers ein, in den weniger schweren am 40. und in den ganz leichten Fällen, wenn es solche überhaupt gibt in diesem Bereich,

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

dann immerhin am 35. Geburtstag. Man kann in der Tat sagen, fünf Jahre sind vielleicht generell zu wenig, dass man das auf zehn Jahre anhebt. Ansonsten, glaube ich, ist da schon sehr viel getan worden. Vielleicht sollten Sie mal nachlesen, es gibt da eine wunderbare Seite, http://rechtsicherheit.de, wie lange kann ich Sexualstraftäter anzeigen, in der nicht in Juristendeutsch, sondern wirklich als Handreichung für jeden Bürger und jede Bürgerin dargelegt wird, wie die Verfolgungsverjährung eintritt.

Zu Recht kritisiert man die Verjährungszeiten bei bereits vergangenen Taten, vor allem vor 1998, aber, auch das hat Frau Hesse schon gesagt, daran können wir sowieso nichts mehr ändern. Die eingetretene Strafverfolgungsverjährung kann nicht rückwirkend beseitigt werden. Insofern kann man das sehr bedauern, aber wie gesagt, da ist entsprechend nachgelegt worden. Das zu den Verjährungsfristen.

Zum runden Tisch: Ich halte es für dringend erforderlich – und insofern auch wieder Zustimmung zu Ihrem Antrag –, dass dieser runde Tisch belebt wird, nicht nur eingeführt, sondern weitergeführt wird, und dass mit den Betroffenen gesprochen wird, denn es ist immer noch diese immense Hemmschwelle aus Scham, wenn Sie mal in der Studie nachlesen oder überhaupt in Akten zur Strafverfolgung von Sexualstraftaten, vor allem gegenüber Jugendlichen, die sich zu einem guten Teil sogar selbst die Verantwortung dafür geben, die Schuld geben, dass ihnen das widerfahren ist. Das sind untragbare Zustände. Das heißt, alles, was dazu führt, an die Öffentlichkeit zu treten und diesen Menschen Mut zu machen, deutlich aufzuzeigen, was ihnen widerfahren ist, ist positiv zu bewerten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Damit hängt auch zusammen, dass der durchschnittliche Zeitraum zwischen Tat und Beginn der Strafverfolgung in diesem Bereich bei Taten innerhalb der Kirche bei 22,1 Jahren liegt. 22,1 Jahre brauchen die Betroffenen, die von sexuellem Missbrauch im Bereich der Katholischen Kirche betroffen sind, um den Mut zu fassen, sich selbst gegenüber und den Strafverfolgungsbehörden gegenüber dieses Unrecht aufzudecken. Und dann dauert es noch mal ein bisschen, bis die Strafverfolgungsmechaniken greifen, also 22,1 Jahre. Das spricht dafür, dass die Verlängerungen der Verjährungsfristen, die bereits überwiegend erfolgt sind, richtig sind, und das spricht dafür, dass man vielleicht bei den verbliebenen 5-Jahres-Straftaten nachbessert und das auf 10 Jahre anhebt.

Alles in allem ist es also ein richtiger, gesellschaftlich notwendiger Antrag, der hier von den LINKEN gestellt wurde, der unsere ungeteilte Zustimmung erfährt, auch wenn wir mit der kleinen Einschränkung sagen müssen, was die Verjährungsverlängerung angeht, da bleibt nur ein kleiner Restcharakter, das meiste ist bereits geleistet. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Abgeordnete Dachner.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich denke, wir haben hier im Parlament, solange ich hier bin, also seit sieben Jahren, noch nie so ein erdrückendes Thema behandeln müssen wie dieses. Insofern ist dieser Antrag der LINKEN schon sehr wichtig und dass er hier eingebracht wird.

Zunächst einmal möchte ich vielleicht doch auf ein paar Dinge meiner Vorredner eingehen und danke Ihnen, Herr Dr. Weiß, dass Sie hier in Ihrem Vortrag Ihren Antrag relativiert haben in einigen Punkten. Das ist schon sehr bedeutsam, aber es steht leider nicht in Ihrem Antrag, das, was Sie zusätzlich hier – und darauf komme ich noch mal zurück – erwähnt haben.

Ich glaube einfach, dass wir besser von den Tätern in der Katholischen Kirche sprechen, als die Katholische Kirche zu verteufeln, und das haben Sie leider, Herr Professor Weber, auch hier und da angedeutet, aber letzten Endes die Katholische Kirche in Gänze hier in Geiselhaft genommen. Die Weltkirche umfasst 1,3 Milliarden Mitglieder und besteht nicht nur aus den Tätern dieser Kirche. Und

wenn Sie von dem Thema abweichen und vom Kirchenasyl sprechen als Strafrecht, das geahndet werden muss, dann wissen Sie als Professor besser als ich, dass strafbewährt nur das ist, wenn die Kirche im Asylrecht die Abschiebung verhindert oder das Recht beugt. Solange die Kirche im Kirchenasyl jemandem diesen Aufenthalt gewährt, um noch einmal ihren Antrag zu überprüfen, ist es noch lange nicht strafbewährt. Aber das nur nebenbei, und es tut mir leid, dass wir leider nicht sofort zu diesem heutigen Thema kommen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle sind uns einig, dass der sexuelle Missbrauch nicht nur ein Vergehen ist, sondern dass der sexuelle Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ein Verbrechen ist. Das erwähne ich deshalb, weil im Kirchenrecht immer noch vom Vergehen gesprochen wird und mittlerweile die Bischöfe selbst genau dieses Kirchenrecht anprangern und sagen, es muss nicht nur kritisiert werden, es muss ein neuer Katalog her mit neuen Kirchenstrafen und es muss auch so ausgesprochen werden, wie es ist, nämlich ein Verbrechen. Das Kirchenrecht ist anders zu bewerten als das Strafrecht. Ich bin kein Kirchenrechtler oder sage, dass ich das jetzt besser ausführen kann, aber zumindest ist das Kirchenrecht auf Sühne und Strafe angelegt und das Strafrecht ausschließlich auf Strafe. Dennoch bleibt für mich ein Verbrechen ein Verbrechen und muss auch stets so benannt werden, auch die, die in der Katholischen Kirche begangen werden.

Die Kardinalfrage des Antrages heute ist für mich: Ist die Katholische Kirche mit ihren eingeleiteten Maßnahmen, insbesondere der 7-Punkte-Plan der Deutschen Bischofskonferenz, glaubwürdig, die Aufklärung, die Ahndung und die Verhinderung zu betreiben, ja oder nein? Wenn Sie die Aufzeichnungen verfolgen der letzten Monate, Jahre und auch des eckigen Tisches, wo die Opfer des Missbrauchs der Katholischen Kirche sitzen, dann gibt es weitgehend Zustimmung zu dieser Glaubwürdigkeit, obwohl sicherlich einige Punkte dieser Konferenz noch nicht detailliert genug ausgelotet sind. Aber davon bin ich überzeugt, das wird sein. Ich meine, ja, die Katholische Kirche ist glaubwürdig in der Aufklärung dessen, was die Bischofskonferenz vorgetragen hat, denn die Glaubwürdigkeit hängt ganz eng zusammen mit der Glaubwürdigkeit der Deutschen Bischofskonferenz. Letzten Endes bestimmt sie auch die Zukunft der Katholischen Kirche.

Der Erzbischof Dr. Heße im Bistum Hamburg, MecklenburgVorpommerns Mecklenburg und Schleswig-Holstein umfasst dieses Erzbistum, schrieb an die Katholikinnen und Katholiken folgenden Brief, und ich zitiere hier: „Für Missbrauch und Übergriffigkeit darf es keine Toleranz geben. Ausgehend von der Studie werden wir uns zudem mit dem Kontext der Verbrechen und den möglichen Ursachen befassen.“ Ich denke, das ist für mich glaubhaft, weil danach mit Beginn dieser Offenlegung der Missbrauchsfälle auch Taten gefolgt sind und Maßnahmen eingeleitet worden sind.

Ja, meine Damen und Herren, ich denke, die ist glaubwürdig, weil im Bewusstsein des Leides der vielen Missbrauchsopfer auch mit der Kraft der 54.000 Mitglieder der Katholischen Kirche in Mecklenburg diese Glaubwürdigkeit jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde mit der Solidarität vieler Millionen anderer Menschen eingefordert wird. Wir sollten auch nicht vergessen bei der Glaubwürdigkeit, dass es ein Jesuitenpater war, der zugleich

Schulleiter in Berlin war oder ist, der diese Verbrechen öffentlich gemacht hat. Nicht der Staat war es, keine Organisation, sondern die Kirche selbst, einzelne Mitglieder. Deshalb sollten wir die Priester und Ordensleute nicht alle unter Generalverdacht des Missbrauchs und der Vertuschung nehmen.

Als Abgeordneter des Landtages beziehe ich mich mit meinen Ausführungen ausschließlich auf das Erzbistum Hamburg und teilweise auch auf Berlin, die den Zeitraum von 1946 bis 2014 ab 2010 systematisch aufgearbeitet haben. Es wurden über 660 Personalakten durchforstet und in keinem anderen Bereich sind diese Missbrauchsfälle auch so dokumentiert worden. Es waren 17 Pfarrer, davon wurden 2 rehabilitiert, und es waren bisher 103 Opfer dieses Missbrauchs. Diese Aufklärung ist durch unabhängige Juristen – das will ich hier noch mal deutlich sagen –, durch unabhängige Juristen erfolgt, nicht durch die Kirche selbst.

Stichpunktartig sei mir gestattet, auf einige Maßnahmen einzugehen und das kurz zu erwähnen, weil es doch sehr umfangreich ist. Zunächst einmal wurde eine unabhängige Präventionsstelle für Opfer unter Leitung einer unabhängigen Psychologin und Rechtsanwältin eingerichtet. Sofort wurden Maßnahmen der finanziellen Hilfe, der Betreuung, der psychologischen Beratung und Rechtsbeistand gewährt. Es wurde ein wissenschaftlicher Beirat in Neubrandenburg berufen, alle Mitarbeiter der Kirche haben sofort ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, alle Fälle werden der Staatsanwaltschaft übergeben und auch der Zugang zum Priesteramt soll zukünftig neu überdacht werden. Die Forderung von Bischöfen – das muss man natürlich auch erwähnen –, diese Studie, die wir hier zur Kenntnis nehmen mussten, soll auch erweitert werden auf die kirchlichen Bereiche wie zum Beispiel Internate, Heime, Kitas, Ordensgemeinschaften und Chöre. Es ist ein Anfang oder auch eine Fortsetzung dieser Aufklärungsarbeit.

Wir sollten aber nicht bei der Wut und bei der Abscheu angesichts dieser Verbrechen stehen bleiben, sondern natürlich auch den – und deshalb ist der Antrag der LINKEN hier auch richtig eingebracht –, sondern wir sollen auch, denke ich mal, in unserer Gesellschaft komplexer denken. Denn diese Straftaten, die wir erleben, und zwar nicht nur in der Katholischen Kirche, sind Übergriffe auf Kinder und Jugendliche von Menschen aus unserer Mitte und in der Mitte unserer Gesellschaft. Sie finden in unserer Gesellschaft im Schutz der Angst, der Verzweiflung, der Ohnmacht, des Schams der Opfer im familiären Bereich, in Organisationen oder Strukturen, in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie auch der Kirche statt, ohne dass sich die Opfer überwiegend wehren können.

Wenn wir, meine Damen und Herren, hier im Landtag nur ein paar Sekunden in Demut innehalten und uns fragen, was haben wir getan oder was hätten wir tun können, mehr als das, was wir gemacht haben, dann dürfen wir auch in Demut unseren Kopf senken und um Entschuldigung bitten, dass wir nicht dazu beigetragen haben in entscheidendem Maße, die Missbrauchsfälle zu verhindern beziehungsweise die Opfer zu schützen. Uns liegen ja jährlich die Zahlen der Polizei, der Justiz, der Dunkelfeldstudie, der Mahnung der Opferverbände vor und wir haben so manche Einzelschicksale beraten und besprochen. Wir können uns also nicht abducken. Das gehört auch zur ganzen Wahrheit.

Wenn ich davon spreche, dass wir natürlich über diesen Skandal der Katholischen Kirche, diese Missbrauchsfälle, sprechen, dann will ich Ihnen aus meinen Erfahrungen in der Polizeiarbeit – der 40-jährigen, das wissen Sie –, aber auch aus meiner Tätigkeit der 27 Jahre in der Opferbetreuung sagen, und das bewegt mich zusätzlich, dass diese Missbrauchsfälle bis heute anhalten. Vor Kurzem, vielleicht vor sechs Wochen – nun will ich Ihnen drei Beispiele nennen –, ruft mich, etwa vor sechs Wochen, ein junger Mann an und sagt, ich möchte meinen Namen nicht nennen, ich arbeite in einer Kindereinrichtung, wir haben da ein Mädchen von vier Jahren und die behauptet, ein älterer Mann, und jetzt mit meinen Worten, berührt sie mit den Händen, eben sexuell, bedrängt sie. Was sollen wir tun? Meine Vorgesetzte möchte nicht, dass wir darüber sprechen. Unsere Einrichtung soll nicht unbedingt nach außen in Verruf dadurch kommen. Ist das glaubwürdig? Die Einrichtung wird nicht genannt. Nach mehreren Gesprächen waren dann auch Gespräche mit der Mutter zustande gekommen und alle meinten, also das Kind ist so verhaltensgestört, dass sie meinen, das Kind schwindelt, das lügt. Mehr will ich zu diesem Fall nicht sagen. Da frage ich mich: Wo leben wir, in welcher Zeit, dass es heute noch möglich ist, so einen Fall so hinzustellen, als wenn man zunächst seine Einrichtung schützen muss

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Bevor das Kind geschützt wird.)

und nicht das Kind, dieser Ausgangspunkt des Denkens! Deshalb meine ich, dass dieser Antrag, der heute von den LINKEN richtig gebracht wurde, viel zu kurz gefasst ist.

Dann gibt es eine Frau, die ist heute 50 Jahre alt und wurde als 10-jähriges Mädchen von ihrem Onkel mehrfach sexuell belästigt, sage ich es mal so. Das ist jetzt 40 Jahre her und sie sagte, sie würde gerne über diesen Fall mit ihrer Mutter sprechen, denn sie glaubt, ihre Mutter wusste davon, und ob sie was dagegen getan hat oder nicht. Aber ihre Brüder und Schwestern meinen, das sollte sie nicht tun, sie sollte mit ihrer Mutter nicht darüber sprechen, deshalb wagt sie es sich auch nicht. Ich denke, dass diese Frau in ihrem Leben niemals ihren inneren seelischen Frieden finden wird, wenn ihre Mutter gestorben ist und diese Frage nicht beantwortet wird.

Die schwersten Verbrechen an Kindern und Jugendlichen habe ich erfahren, als ich noch zehn Jahre lang ehrenamtlicher Außenstellenleiter war in den 27 Jahren insgesamt in Neustrelitz. Da hatten wir eine Mitarbeiterin aus dem Jugendamt, die hatte einen hervorragenden Zugang zu den Menschen. Die hat uns Taten geschildert, die 20/30 Jahre lang zurückliegen. So bestialisch habe ich es in 40 Jahren Polizeiarbeit und 27 Jahren Opferbetreuung nie gehört.

Nun frage ich Sie: Gab es die wirklich nur in Neustrelitz und Umgebung? Ich denke, nicht. Auch darum sage ich Ihnen das, weil das tagtäglich im Schutzfeld von Familien, von Kirche, von Organisationen und Einrichtungen stattfindet, dieses Verschweigen, dass es aktuell ist, absolut aktuell in unserer gesamten Gesellschaft. Deshalb meine Bestürzung und auch unsere Demut vor allen Opfern. Ich kann nicht einsehen, weshalb wir heute Opfer, Missbrauchsopfer, des einen Bereiches, wenn auch sehr schwerwiegend, aus der Katholischen Kirche, betrachten und morgen oder übermorgen andere Bereiche.

Dieses Thema ist ein gesellschaftliches Problem, dem wir leider zu wenig Bedeutung beigemessen haben, weil natürlich so vieles im Dunkelfeld stattfindet.

Also zu dem Antrag der LINKEN: Da gibt es sicherlich auch handwerkliche Fehler – die will ich gar nicht so in den Vordergrund stellen, aber es gehört zu diesem Antrag, der so bedeutsam ist, auch, und ich kenne ja auch gute und sehr gute Anträge, die Sie gestellt haben –, dieser Antrag, der so bedeutsam ist, ist doch leider noch von handwerklichen Fehlern und auf alle Fälle auch manchmal... Also ich werfe Ihnen keine Polemik vor, will ich damit sagen, aber wenn Sie davon sprechen, dass die „Spitze des Eisbergs“ erst aufgedeckt ist, und ich spreche nur für das Erzbistum Hamburg, ich hatte Ihnen gesagt, 660 Akten wurden geöffnet,

(Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)

dann von der „Spitze des Eisbergs“ zu sprechen, halte ich für das Erzbistum Hamburg nicht für angebracht. Diese Dinge, die zur Aufklärung eingeleitet und durchgeführt wurden, das ist Populismus oder sind unbedachte Äußerungen. Was will man damit sagen? Wenn Sie das auf ganz Deutschland beziehen, das kann ich nicht, ich bin nicht dafür verantwortlich und Sie auch nicht.

In Punkt 2 Ihres Antrages sagen Sie, viele Opfer melden sich nach Jahren, um gegen die Täter auszusagen. Was soll diese Formulierung? Nein, meine Erfahrung sowohl im Polizeidienst als auch in der Opferbetreuung sagt genau das Gegenteil. Opfer wollen nicht mit der Polizei sprechen, schon gar nicht nach so vielen Jahren. Die wollen auch nicht mit der Staatsanwaltschaft reden, sie wollen eigentlich jemanden suchen nach einer schweren Zeit des Leidens, dass sie angehört werden, dass sie betreut werden, da sie Hilfe brauchen, dass sie eine Fürsorge entgegennehmen. Viele Opfer? Was ist das? Man kann es so hinnehmen, man kann es überlesen, aber ich überlese es nicht, weil ich es spüre regelmäßig in unserer Opferberatung.

Im Punkt II.3 schlagen Sie einen runden Tisch vor. Man kann natürlich auch sofort sagen, ja, sicher, ein Gespräch am runden Tisch hilft immer, aber mit keinem Wort erwähnen Sie in Ihrem ganzen Antrag Opferverbände. Opferverbände haben an Ihrem runden Tisch scheinbar nichts zu suchen. Da interpretiere ich sehr empfindlich, das meinen Sie vielleicht gar nicht so. Herr Dr. Weiß hat es ja berichtigt. Das ist auch in Ordnung, dafür danke ich Ihnen auch. Aber im Antrag steht es nicht so und ich bin der Auffassung, dass gerade Opferverbände – und das ist meine persönliche Auffassung – die einzigen unabhängigen Stellen sind, die ohne Wenn und Aber den Opfern zur Seite stehen.

Sicherlich ist auch ein Professor nicht unfehlbar. Da wurde vor ungefähr 20 Jahren der Täter-Opfer-Ausgleich besprochen an der Fachhochschule Güstrow. Dann hatte ich mir erlaubt, dem Professor nach seinen Ausführungen zu sagen, dass man, wenn man schon einen TäterOpfer-Ausgleich will, die Belange des Opfers natürlich wirklich gleichwertig gegen diese Täterinteressen, die er hat, meinetwegen auch in der Sühne und auch im Ausgleich stellen muss. Da meinte er, darum, genau deshalb, weil sie ausschließlich nur für Opfer da sind, brauchen wir sie nicht. Das war vor 20 Jahren, meine Herren. Das war nicht vor 100 Jahren, das war vor 20. Das halte ich ihm heute gar nicht vor, aber ich wollte nur sagen, wie

unser Denken ist in unserer Gesellschaft mit Opfern. Deshalb gehören Opferverbände unbedingt zu Gesprächsrunden, runden Tischen oder wo auch immer.

Wir als SPD hätten Ihrem Antrag zwar nicht heute zugestimmt, weil da eben diese und jene Dinge sind – und ich will gar nicht auf diese Verjährung eingehen, weil das die Ministerin schon getan hat –, aber wir hätten uns garantiert auch vorstellen können, dass wir uns im Rechtsausschuss damit noch einmal befassen, weil es wichtig ist. Insofern danke ich Ihnen für den Antrag. Leider haben wir uns miteinander, mit dem Koalitionspartner, nicht einigen können, insofern müssen wir den Antrag heute ablehnen. Aber in der Selbstbefassung können wir – und das werden wir auch tun –

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wir können ja überweisen, Herr Kollege Dachner.)

im Rechtsausschuss uns damit noch einmal befassen,