Protokoll der Sitzung vom 14.03.2019

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Heute ist es noch so, jungen Leuten kann schon beim ersten Verstoß gegen Auflagen des Jobcenters die staatliche Unterstützung für drei Monate komplett gestrichen werden. Der zweite Verstoß kann derzeit die Einstellung der Leistung für Unterkunft und Heizung nach sich ziehen. Diese Sonderbehandlung war schon oft Diskussionsthema, zuletzt bei der groß angekündigten SGB-IIReform. Aber auch aus dieser wurde bekanntermaßen nur ein „Reförmchen“ und insbesondere dieser Passus ist eben nicht angefasst worden.

Andrea Nahles begründet die Forderung nach Streichung der Sanktionen für Jüngere damit, dass, ich zitiere, die besonders scharfen „Sanktionen bei Jüngeren“ nichts bewirken würden und stattdessen „kontraproduktiv“ seien. Dem können wir uns durchaus anschließen.

(Zuruf von Christian Brade, SPD)

Das gilt auch für die Vorhaben, bei eintretender Arbeitslosigkeit die Prüfung, ob eine Wohnung angemessen ist oder nicht, für zwei Jahre auszusetzen und den generellen Verzicht darauf, die Kosten der Unterkunft zu sanktionieren. Wir können das deshalb guten Gewissens unterstützen, denn wenn jemand arbeitslos geworden ist, muss schließlich die Suche nach einer neuen Arbeit im Mittelpunkt stehen und nicht zuallererst die Suche nach einer kleineren Wohnung. Die Sanktionierung der Kosten für Unterkunft und Heizung ist aus unserer Sicht besonders perfide, weil sie in letzter Konsequenz Obdachlosigkeit für die Betroffenen nach sich ziehen kann, und das verbessert nichts, das macht die Sache nur schlimmer.

Zusammengefasst: Für uns gehören die Sanktionen in Gänze abgeschafft, aber wir halten die genannten Dinge für wichtige Schritte in die richtige Richtung. Die wollen wir aber nicht nur in internen Papieren der SPD, sondern auch im realen Leben umgesetzt sehen, schließlich kämpfen meine Partei und meine Fraktion gemeinsam mit zahlreichen Organisationen nun schon seit mehr als eineinhalb Jahrzenten für die Überwindung von Hartz IV. Ich weiß selbstverständlich, dass dafür mehr als nur die bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze oder die Streichung der Sanktionen notwendig ist. Es sind eine Menge Deregulierungen am Arbeitsmarkt mit der Einführung der Agenda 2010 verbunden gewesen. Auch die sollte man natürlich noch mal genauer unter die Lupe nehmen. Das werden wir in den nächsten Monaten weiter tun, damit sie auf der Tagesordnung bleiben und nicht nur als geduldiges Papier in einem weiteren Aktenordner im Berliner Willy-Brandt-Haus vergammeln.

(Patrick Dahlemann, SPD: Digitalisierung! Digitalisierung!)

Zum Schluss noch ein Satz in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der CDU: Im Konrad-Adenauer-Haus konnte man sich gar nicht eilig genug von den Vorhaben des Koalitionspartners distanzieren.

(Heiterkeit und Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Offenbar hängt man, Herr Renz, bei Ihnen noch dem Mythos von der Agenda 2010 als der Grundlage für das deutsche Jobwunder nach. Doch auch dieser Mythos bröckelt jetzt zusehends.

Zwar hat sich unbestritten die Arbeitsmarktlage durch Abgänge in die Rente und die Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung stabilisiert, allerdings sagen Wirtschaftswissenschaftler, dass dies vor allem der guten Konjunktur der vergangenen Jahre geschuldet ist. Zudem wirkt sich natürlich die Niedrigzinspolitik der EZB positiv auf die deutsche Wirtschaft aus. Mit der verbesserten Arbeitsmarktsituation gingen auch wieder höhere Lohnabschlüsse zwischen den Tarifparteien einher,

(Torsten Renz, CDU: Sagt das die Mehrheit der Experten oder nur Ihrer?)

die für steigende Einkommen und eine stärkere Binnennachfrage gesorgt haben.

(Torsten Renz, CDU: Das bedeutet also, nichts tun, es passiert sowieso alles von alleine?!)

Wirtschaft und Arbeitsmarkt wachsen also nicht trotz, sondern wegen steigender Löhne. Das steht im völligen Widerspruch zum Ansatz der Agenda 2010. Deren Urheber haben den Ausbau des Niedriglohnsektors und den Abbau des Sozialstaates zu Motoren ihres Wirtschaftskonzeptes erklärt und sie haben uns den größten Niedriglohnsektor Europas hinterlassen,

(Beifall Christoph Grimm, AfD: Und Altersarmut!)

der uns noch reichlich Kopfzerbrechen bescheren wird in den nächsten Jahren, weil wenn hier keine gesetzgeberi

sche Korrektur erfolgt, dann werden auch sehr viele fleißige Menschen in unserem Land am Ende ihres Erwerbslebens in die Altersarmut rutschen. Dafür verantwortlich sind SPD, GRÜNE, CDU und CSU gleichermaßen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE)

Insofern ist der gern zitierte altbackene, aber falsche Slogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“ endgültig ad absurdum geführt.

(Sebastian Ehlers, CDU: Aha!)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst für die Landesregierung die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung Frau Drese.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In der Begründung des Antrags weist die Linksfraktion sehr richtig darauf hin, dass aktuell eine umfängliche öffentliche Debatte über Reform und Veränderung beim SGB II läuft. Parteien, Verbände, diskutieren hierzu alternative Konzepte. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich jüngst zur Rechtmäßigkeit von Kürzungen in der Grundsicherung geäußert. Der Antrag benennt also ein spannendes und wichtiges Thema, das war es dann aber auch schon.

Ihr Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, hat zur Debatte nichts beizusteuern. Ihr Antrag ist inhaltlich sehr dünn, Ihr Antrag enthält kein Konzept, keinen Lösungsansatz und schon gar kein alternatives Konzept, mit dem man sich auseinandersetzen könnte.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Das müssen Sie sich dann schon gefallen lassen. Sie klopfen sich gern auf die Schulter für Ihre Anträge, manchmal zu Recht. Ich kann da auch sehr gut differenzieren, meine Damen und Herren. Wir behandeln später, heute Abend noch einen Antrag Ihrer Fraktion zur geschlechtersensiblen Arbeit mit Geflüchteten.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Dieser Antrag ist fundiert und konzeptionell. Man muss nicht alles unterschreiben, was dort aufgeführt wird, aber man ist sehr gut dabei, sich damit argumentativ auseinanderzusetzen.

(Jochen Schulte, SPD: Freuen Sie sich nicht zu früh!)

Der Gegenentwurf ist dann dieser Stakkatoantrag.

Sehr geehrte Damen und Herren, gestatten Sie mir deshalb fernab von diesem Antrag einige grundsätzliche Bemerkungen zum wichtigen Thema einer Reform und Veränderung der SGB-II-Gesetzgebung. Ich halte diese maßgeblich von Bundesarbeits- und -sozialminister Hubertus Heil beförderte Debatte für sehr sinnvoll und überfällig. Oberstes staatliches Ziel sollte sein, alle Kräfte zu bündeln, um Langzeitarbeitslose wieder zurück in die Arbeit zu bringen. Hier muss es Erleichterungen, gezielte Hilfen und Unterstützungen geben.

Mit dem zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Teilhabechancengesetz mit zwei neuen Fördermöglichkeiten setzt die Bundesregierung aus meiner Sicht genau an der richtigen Stelle an. Dieses Teilhabechancengesetz bietet Langzeitarbeitslosen neue Chancen auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt. Die Betroffenen brauchen Unterstützung, die individuell auf sie ausgerichtet ist, und Arbeitgeber erhalten Lohnkostenzuschüsse, wenn sie Personen der jeweiligen Zielgruppe einstellen. Das ist ein sinnvoller Weg zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit. Wir müssen gezielter fördern, ohne den Einzelnen komplett aus seiner Verantwortung zu lassen, sich selbst einzubringen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Reformbedarf sehe ich aber auch bei der Dauer des Arbeitslosengeldbezugs.

(Beifall Dr. Ralph Weber, AfD)

Ich spreche mich klar dafür aus, die Zahlung stärker an die Beschäftigungszeiten zu binden. Wer über viele Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, muss länger als ein Jahr Arbeitslosengeld I bekommen.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Das hat schon Kurt Beck 2007 gefordert!)

In vielen Fällen werden wir damit einen Hartz-IV-Bezug verhindern.

Darüber hinaus halte ich ein gesetzliches Recht auf Förderung des Nachholens eines Berufsabschlusses für sehr sinnvoll. Es ist aus meiner Sicht notwendig, dass Qualifizierungsmaßnahmen, die länger als zwei Jahre dauern, und auch vollständige Berufsausbildung förderfähig werden. Dies ist besonders bei jungen Menschen wichtig. Auch die Sanktionen für unter 25-Jährige gehören auf den Prüfstand. Ich sage, überzogene, oftmals kontraproduktive Sanktionen für unter 25-Jährige müssen abgeschafft werden. Gleichwohl sollten auch junge Menschen, die staatliche Leistung beziehen, Mitwirkungspflichten nachkommen.

Sehr geehrte Damen und Herren, alle, die Armut bekämpfen wollen, dürfen den Blick jedoch nicht nur auf erwerbsfähige Menschen richten. Es geht dabei auch um die heutigen Rentnerinnen und Rentner sowie die zukünftige Rentnergeneration. Die Koalition auf Bundesebene hat sich auf eine Grundrente verständigt,

(Vizepräsidentin Dr. Mignon Schwenke übernimmt den Vorsitz.)

die denen zustehen soll, die nach 25 Jahren keinen Rentenanspruch erworben haben, der das Existenzminimum erreicht.

Mittlerweile liegt ein Konzept wieder aus dem Haus von Bundesminister Hubertus Heil vor. Aus Respekt vor der

Lebensleistung dieser Menschen soll danach diese Grundrente ohne Prüfung von Einkommen und Vermögen umgesetzt werden. Ich befürworte diesen Ansatz.

Unsere Abfrage bei der Deutschen Rentenversicherung hat ergeben, dass in Mecklenburg-Vorpommern ungefähr 70.000 Menschen davon profitieren werden, die jahrzehntelang gearbeitet haben.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Das sind Menschen – übrigens zu zwei Dritteln Frauen –, die mit 35 Jahren und mehr Beitragsjahren weniger als 900 Euro monatlich erhalten. Das sind Menschen, die vor allem in der Nachwendezeit und zur Jahrtausendwende sich und ihre Familie nicht selten mit schlecht bezahlten, harten Jobs über Wasser gehalten haben. Mag auch um die konkrete Gestaltung in Berlin noch gerungen werden, die Grundrente kommt,

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Die Grundrente ist sicher, das hat schon mal jemand gesagt!)