Ich habe also abgestimmt, ob wir, oder die Frage ist gewesen, und es hat ja schon erste Zeichen gegeben, ob wir jetzt in eine Mittagspause eintreten.
(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Wir können ja eine Fürrede und eine Gegenrede machen. – Zurufe von Patrick Dahlemann, SPD, und Sebastian Ehlers, CDU)
Von daher rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Hartz IV muss weg, Drucksache 7/3247.
(Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU: Persönliche Erklärung kommt jetzt! – Torsten Koplin, DIE LINKE: Persönliche Erklärung! – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der SPD und Sandro Hersel, AfD)
Mit großem Interesse hat meine Fraktion die jüngsten Verlautbarungen zur Kenntnis genommen, die den Schluss nahelegen, die SPD würde sich 16 Jahre nach der Verkündung der Schröderʼschen Reform nun endlich von der Agenda 2010 verabschieden.
Wenn dem tatsächlich so wäre, Kollege Schulte, dann müsste man in Anlehnung an ein bekanntes Musical ausrufen: „Ich glaub, jetzt hat sie’s! Mein Gott, jetzt hat sieʼs!“,
denn viele Dinge, die in Ihrem Thesenpapier unter dem Titel „Zukunft in Arbeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ auftauchen, gehen auch nach Auffassung meiner Fraktion in die richtige Richtung.
Skepsis ist dennoch angebracht. Zurzeit regiert die SPD bekanntlich auf Bundes- wie auf Landesebene in Großen Koalitionen mit der CDU, und folglich besteht wohl auch keine allzu große Gefahr, dass der programmatischen Kehrtwende jetzt umgehend eine Änderung der praktischen Politik folgt. Außerdem entdecken die Sozialdemokraten ihr soziales Herz bekanntermaßen regelmäßig vor Wahlen wieder,
(Patrick Dahlemann, SPD: Na wenigstens haben wir einen! Na wenigstens haben wir einen! – Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Aber nur kurzzeitig, mein Lieber!)
Wenn ich jetzt in Ihren Papieren wieder etwas lese von der Notwendigkeit, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen, dann taucht vor meinem geistigen Auge selbstverständlich sofort die letzte Landtagsdebatte, die wir hier zu diesem Thema geführt haben, auf. Und wenn SPD-Chefin Andrea Nahles gerade jetzt von der Notwendigkeit einer großen Sozialstaatsreform redet, obwohl ihre
Partei seit Jahren im Bund wie im Land an der Regierung beteiligt ist, dann frage natürlich nicht nur ich mich, wie glaubwürdig die medienwirksam verkündete Überwindung von Hartz IV nun tatsächlich ist. Man möge mir meine Zurückhaltung verzeihen, aber es handelt sich schließlich um dieselbe Person, die nach der letzten Bundestagswahl erst den Gang in die Opposition verkündete, dann den CDU-Kolleginnen und -Kollegen androhte, dass es ab jetzt „in die Fresse“ gebe, und wenig später doch wieder im schwarz-roten Koalitionsbett landete.
(Heiterkeit bei Jochen Schulte, SPD – Patrick Dahlemann, SPD: Das haben wir aber Herrn Lindner zu verdanken! – Zuruf von Torsten Renz, CDU)
Das Internetportal ZEIT ONLINE hat daher in einem Beitrag zu Recht darauf hingewiesen, dass viele Kritikpunkte an Hartz IV schon längst hätten abgeräumt sein müssen. Zwei Beispiele will ich nennen. Wenn auch die SPD zu dem Schluss kommt, dass Hartz IV das Existenzminium nicht abdeckt, hätten die Regelsätze doch längst bedarfsgerecht erhöht werden können. Stattdessen zeigen diverse Medienberichte, dass sich die Bundesregierung den Regelbedarf im Gegenteil künstlich kleinrechnet.
Vor diesem Hintergrund forderte der Paritätische Wohlfahrtsverband letztes Jahr unter anderem die Anhebung des Regelsatzes von 416 auf 571 Euro für Alleinstehende. Dessen Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider nannte das Agieren der Bundesregierung einen „Skandal“ und verwies darauf, dass bestimmte Ausgaben, die für Berufstätige selbstverständlich seien, willkürlich gestrichen würden. Ferner hat er daran erinnert, dass der Bedarf heute anhand der Ausgaben der unteren 15 Prozent der Einkommensbezieher ermittelt wird und eben nicht mehr wie zuvor anhand der untersten 20 Prozent.
Wir geben den Kolleginnen und Kollegen der SPDLandtagsfraktion heute also erneut die Chance, Farbe zu bekennen.
(Heiterkeit bei Sebastian Ehlers, CDU: Ihr seid so gut! – Zuruf von Jochen Schulte, SPD – Heiterkeit bei Andreas Butzki, SPD)
Das tun wir im Übrigen ohne Vorfestlegung darauf, was tatsächlich bedarfsgerecht wäre. Wir fordern Sie aber mit diesem Antrag dazu auf, Worten endlich Taten folgen zu lassen und auch über die Landesregierung Druck zu machen, damit wir 2020 nicht wieder nur eine Minierhöhung der Hartz-IV-Regelsätze erleben müssen.
Wir nehmen Sie natürlich auch bei anderen Vorhaben beim Wort, schließlich haben Sie in Ihrem Thesenpapier stehen, dass Sie die umstrittenen Sanktionen, wenn schon nicht in Gänze abschaffen, dann doch zumindest in wesentlichen Punkten abmildern wollen. Auch dazu bräuchte es im Übrigen nicht die von Andrea Nahles mit viel Lametta geforderte große Sozialstaatsreform. Notwendig wäre schlicht eine Gesetzesänderung, die eine Streichung bestimmter – aus unserer Sicht bekanntermaßen besser aller – Sanktionen aus dem SGB II zur Folge hätte.
Erstens ist es doch ein Widerspruch in sich, wenn die Grundsicherung für Arbeitsuchende einerseits das soziokulturelle Existenzminium gewährleisten soll, durch die Sanktionen jedoch anderseits faktisch eine Kürzung eben dieses Existenzminimums erfolgt.
Zweitens sollten doch Landes- und Bundespolitik nicht wieder auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Gothaer Sozialgerichtsurteil warten, sondern selbst handeln, denn neben den vielen negativen Effekten, die es bekanntermaßen für die Betroffenen gibt, bindet die bisherige Sanktionspraxis enorme personelle und finanzielle Ressourcen in den Jobcentern, und sie belastet darüber hinaus natürlich auch die Gerichte in erheblichen Maße.
Das können Sie aktuell noch mal nachlesen im Internetportal „O-Ton Arbeitsmarkt“. Dort finden Sie dann, dass es im vergangenen Jahr 612.000 Widersprüche und etwa 110.000 Klagen im Bereich der Hartz-IV-Grundsicherung gab, die abschließend bearbeitet wurden. Rund 35 Prozent der Widersprüche und 40 Prozent der Klagen wurde dabei teilweise oder vollständig stattgegeben.
Auch beim Thema Sanktionen wollen wir die Kolleginnen und Kollegen der SPD heute nicht mit der Maximalforderung quälen, sondern stattdessen geben wir Ihnen die Gelegenheit, Ihr eigenes programmatisches Vorhaben zur Streichung der Sanktionen für unter 25-Jährige und für Kosten der Unterkunft und Heizung durch ein entsprechendes Votum zu untermauern. Die Argumente für die Streichung genau dieser Passagen dürften Sie ja kennen.