Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Ich habe auch darüber mit einem Betreuungsrichter gesprochen, der sagte, ob die Gerichte entscheiden können, dazu hat jeder Richter vielleicht eine andere Vorstellung. Da wird man irgendwelche Prinzipien, Kataloge, was weiß ich, feststellen oder entwickeln müssen, das wird möglicherweise auch gar nicht ohne Sachverständige gehen. Das ist ein Riesenproblem, das immer schon bestand und das in der Gesellschaft größer wird, in dieser alternden Gesellschaft immer größer wird, und das bisher tabuisiert war und durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts nur aktualisiert wurde für eine kleine Gruppierung, die faktisch davon nicht betroffen ist, weil sie wahlunfähig ist.

Das wollen Sie einfach nicht begreifen, warum, weiß ich auch nicht, weil es irgendwo in Ihr Weltbild nicht passt, Herr Koplin. Es ist offensichtlich so, dass Sie glauben, jeder, der Mensch ist, muss auch wählen dürfen – egal, ob unter Vollbetreuung, egal, ob entscheidungsfähig, es muss Assistenzsysteme geben,

(Karen Larisch, DIE LINKE: Politische Teilhabe ist ein Menschenrecht.)

weil es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Das hat mit Menschenrechten und Versagung von Menschenrechten natürlich überhaupt nichts zu tun.

(Karen Larisch, DIE LINKE: Doch, doch!)

Sie müssen Rechte anwenden immer auf den konkreten Fall. Ein Säugling hat weniger Rechte als die Mutter

(Karen Larisch, DIE LINKE: Nein!)

und als Erwachsene, und ein Schwerstbehinderter, der so behindert ist, dass er dem Komapatienten medizinisch gleichsteht, kann eben nicht wählen, und das müssen Sie hinnehmen. Aber Sie wollen es nicht hinnehmen, ich

merke das an Ihren Reaktionen, und das ist Ihr Problem, dass dann, was Sie verkünden, leere Worthülsen sind, völlig jenseits der Wirklichkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Da lasse ich mir überhaupt nichts vorwerfen, ich weise das wirklich entschieden und auch wütend zurück, wir würden die Menschenrechte nicht respektieren, oder ich persönlich. Natürlich respektieren wir die Menschenrechte,

(Unruhe vonseiten der Fraktion der SPD – Andreas Butzki, SPD: Das hört sich aber nicht so an.)

nur wenn Sie nicht in der Lage sind zu differenzieren zwischen denkbaren Fällen, dann tut es mir schrecklich leid.

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Ein Wahlausschluss ist nicht immer diskriminierend, das sagt das Verfassungsgericht auch.

(Martina Tegtmeier, SPD: Das hat ja auch niemand behauptet.)

Ein Wahlausschluss ist natürlich mehr diskriminierend, weil es einen behinderten Menschen trifft. Wenn die Situation aber so ist, dass er entscheidungsunfähig ist, dann ist er wahlunfähig. Das ist eben so. Da müssen Sie sich beim lieben Gott beklagen, wenn Sie das nicht wahrhaben wollen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Andreas Butzki, SPD: Was wollen Sie uns denn heute erklären?!)

Ich reagiere darauf, ich reagiere auf Ihre Äußerungen,

(Unruhe vonseiten der Fraktion der SPD –

Meine nicht! –

Sie scheinen

ja überhaupt nicht zuzuhören! –

Was reden Sie

eigentlich von Menschenrechten?! –

Glocke der Vizepräsidentin)

die für mich haben erkennen lassen, dass Sie die Realität überhaupt nicht begriffen haben.

(Andreas Butzki, SPD: Sie auch nicht! Sie auch nicht! – Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Frau Tegtmeier hat es so ausgedrückt und Herr Koplin erst recht, als ob es nur um die kleine Gruppe der Vollbetreuten ginge und die jetzt alle wunderbar wählen könnten,

(Heiterkeit und Zuruf von Torsten Renz, CDU)

und die Regierung jetzt nicht anderes tun muss, als so schnell wie möglich die notwendigen Assistenzsysteme zu schaffen,

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

um aus einem hoch behinderten, wahlentscheidungsunfähigen Menschen kraft Assistenz einen Wahlberechtigten zu machen.

Natürlich würde das für Sie in der Praxis sehr einfach sein. Natürlich würden Sie vermutlich auch jedem Komapatienten beibringen und die Hand führen, dass er nicht bei der AfD das Kreuz macht,

(Beifall und Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD – Zurufe von Andreas Butzki, SPD, und Martina Tegtmeier, SPD)

aber das ist nicht das, was Wahlrecht bedeutet. Allgemeines freies Wahlrecht heißt, auf freier Entscheidung, und da gibt es keine Assistenz, auch das habe ich gesagt, weil das Wahlrecht ein höchst persönliches Recht ist, ob es Ihnen nun passt oder nicht. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Andreas Butzki, SPD: Traurig! Traurig! – Zuruf von Karen Larisch, DIE LINKE)

Ums Wort gebeten hat noch einmal für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Koplin.

(Andreas Butzki, SPD: Ziel erfüllt.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Renz, merken Sie es? „Bemerkenswert“ ist kein Wort,

(Andreas Butzki, SPD: Das war doch nicht bemerkenswert! – Heiterkeit bei Marc Reinhardt, CDU: Das ist keine Bemerkung wert, ja. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

„bemerkenswert“ ist kein Wort, keine Qualität. Ich suche nach dem richtigen Wort, um es deutlich zu machen. Das muss man hören, man muss das durchdenken, was die AfD sagt, was sie für ein Menschenbild hat, welche Sicht sie auf Menschen hat, welche Sicht sie auf Menschenrechte hat.

(Andreas Butzki, SPD: Und das als ehemaliger Richter!)

Ich werde nicht müde, den Leuten zu sagen, wenn wir darüber reden, wie das mit der AfD im parlamentarischen Alltag ist und wie sie sich gibt. Ich sage nur, hört ihnen zu und schaut, was sie tun, das spricht Bände, und man muss wirklich erkennen, was dahintersteckt.

Universelle Menschenrechte – ich habe vorhin darüber gesprochen, wir reden über das Recht zum Wählen und nicht über die Pflicht. Das Recht erst einmal herzustellen, das ist der erste Punkt, und die Typisierung, Herr Förster, haben Sie vorgenommen. Sie haben quasi alle Betroffenen, diese 1.600 als komatös eingestuft

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

oder quasi komatös, und das wird der Sache nicht gerecht. Das ist ein wirklich krudes Menschenbild und das

muss man deutlich machen. Die Grenzen sind fließend, an der Stelle widersprechen Sie sich ja selbst. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, denn die Argumente der LINKEN sind Ihnen da nicht zugänglich: Sie haben am Ende selbst die Pirouette gedreht und deutlich gemacht, worum es geht. Und die Hand führen, bei der AfD nicht das Kreuz zu machen, also das war unterste Schublade, muss ich mal sagen!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)