Meine sehr verehrten Damen und Herren, und genau deswegen ist vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Landespolizei und den Entwicklungen in den letzten Wochen es für mich nicht ganz so einfach, über erhebliche Kompetenzerweiterungen im Bereich der Landespolizei zu sprechen.
Wenn in den letzten Tagen die Rede davon war, dass wir die Polizei nicht unter einen Generalverdacht stellen dürfen,
dann stellt sich bei mir die Frage, warum durch einzelne Teile dieser Gesetzesnovelle die Menschen in diesem Land unter einen Generalverdacht gestellt werden. Mit der Gesetzesnovelle sollen der Polizei neue Regelungen gegeben werden, aber ob es neue Regelungen innerhalb der Polizei geben wird, das ist noch offen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie gesagt, darüber werden wir am Freitag vertieft reden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, grundsätzlich ist gegen eine Konkretisierung, eine Modernisierung und eine Fortschreibung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes nichts einzuwenden. Gefordert aber sind problemadäquate und rechtsstaatverträgliche Lösungen. Sicherheit ist ein grundsätzlich anzustrebender Wert, nur darf er keine Eigendynamik entwickeln. Sicherheit entsteht nicht von allein, sondern muss auch in Mecklenburg-Vorpommern aktiv hergestellt werden. Und dafür müssen Entscheidungen getroffen werden, und das ist unser Handwerkszeug. Es müssen Entscheidungen getroffen werden, welche Maßnahmen angebracht sind. Und deshalb ist Sicherheit auch kein Phänomen oder Abstraktum, sondern Sicherheit ist Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses, den wir heute beginnen. Und so trägt denn auch jede Fraktion für sich die Verantwortung dafür, was Sie hier beschließt und nach außen vertritt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor einigen Anmerkungen zu den Neuregelungen im Einzelnen gestatten Sie mir daher kurz drei Vorbemerkungen, und zwar zu Umfang, Klarheit und Begründetheit des Gesetzentwurfes.
Der enorme Umfang des Gesetzentwurfes von 354 Seiten ergibt sich auch daraus, dass mit Artikel 1 insgesamt eine Neufassung des SOG erfolgt. Dabei stellt sich dann aber die Frage nach der bisherigen Sicherheitslage in unserem Land. Wenn eine so umfangreiche Gesetzesänderung tatsächlich erforderlich ist, war dann das bisher geltende SOG nicht mehr geeignet zur Gefahrenabwehr in Mecklenburg-Vorpommern? Welche Regelungen im Einzelnen wurden evaluiert und mit welchem Ergebnis? Darüber sagt der Entwurf nichts aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, und wenn der Gesetzentwurf behauptet, die Koalitionsvereinbarung umzusetzen, dann lassen Sie mich Ziffer 379 wörtlich zitieren. Dort heißt es: „Die Koalitionspartner werden das Sicherheits- und Ordnungsgesetz novellieren, soweit dies aufgrund geänderter EU-Vorschriften rechtlich geboten ist..“ Zitatende.
Eine SOG-Novelle also, soweit diese aufgrund geänderter EU-Vorschriften geboten ist. Der vorliegende Gesetzentwurf macht die entsprechende Koalitionsvereinbarung
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Polizeigesetze und somit auch unser SOG sind eingriffsintensive Regelungen. Gleichzeitig folgt aber unsere Verfassungsordnung dem Grundsatz, dass Bürgerinnen und Bürger weitgehend unbehelligt von staatlichen und polizeilichen Eingriffen sein sollten. Unser SOG legt nun fest, unter welchen Bedingungen davon abgewichen werden darf, also auch, was die Polizei darf. Für unsere Bürgerinnen und Bürger muss klar sein: Welches Verhalten bringt mich ins Visier der Behörden? Womit genau mache ich mich strafbar? Was konkret löst welche polizeilichen Maßnahmen gegen mich aus? Und da, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt der Gesetzentwurf hinter dem eigenen Anspruch meilenweit zurück. Wenn nämlich der Kreis der möglichen Betroffenen erweitert wird, dann habe ich schon erhebliche Zweifel, ob das mit einer Erhöhung der persönlichen und öffentlichen Sicherheit in Übereinklang zu bringen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für unseren Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit – er wurde hier schon mehrfach angesprochen – entspricht dieser Gesetzentwurf in puncto Lesbarkeit und Verständlichkeit nicht den Standards moderner Gesetzgebung. Dies wird erhebliche Folgen haben, auch für die Rechtsanwender. Schließlich ergeben sich erhebliche Zweifel an der Begründetheit des Gesetzentwurfes. Es wird unverändert von angespannter Terror- und Gefährdungslage gesprochen. In Anbetracht der aktuellen Sicherheitslage müssten weitere Befugnisse verankert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die polizeiliche Kriminalstatistik spricht hier allerdings eine ganz andere Sprache: ständig abnehmendes Straftatenaufkommen bei stetig steigender Aufklärungsquote. Das spricht für die gute polizeiliche Arbeit in diesem Land, aber keinesfalls für ausufernde polizeiliche Befugnisse.
Und bei der allgegenwärtigen abstrakten Terrorgefahr ist die Position des Innenministeriums besonders dann aufschlussreich, wenn es konkret wird. „Gesonderte Analysen zu terroristischen Ereignissen sind im Bereich des Landeskatastrophenschutzes aktuell nicht vorhanden“ und es ist „aktuell kein … Landesgefahrenschwerpunkt ,Terroristische Ereignisse‘ vorgesehen“. Alles nachzulesen auf Landtagsdrucksache 7/3616 vom 6. Juni diesen Jahres und alles eben wenig geeignet, erhebliche Verschärfungen unseres Polizeigesetzes zu legitimieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die tatsächliche Gefährdungslage in Mecklenburg-Vorpommern ist also denkbar ungeeignet für die beabsichtigte erhebliche Verschärfung unseres SOG. Das muss auch den Autoren des Entwurfes bewusst geworden sein. Sie haben sich deshalb im Polizeirecht anderer Bundesländer bedient wie auf einem Basar. Die Neuregelung wird nicht mit landesspezifischen polizeilichen Erfordernissen begründet. Nein, der Bedarf entsteht, weil es die Befugnis bereits in Land X, Y oder Z gibt, frei nach dem Motto: „Das könnte mir auch gefallen.“ Bei einer anderen Maßnahme suche ich mir dann einige andere Vorbildländer raus. Manchmal gilt die Mehrheit der Bundesländer als Vorbild,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Sammelsurium hat mit einem Polizeigesetz nichts zu tun. Es handelt sich hier auch nicht um den Versuch einer möglicherweise sinnvollen Annäherung polizeirechtlicher
Regelungen. Es handelt sich um eine massige Ausdehnung polizeilicher Befugnisse, um weitgehende Kompetenzerweiterungen mit tief greifenden Grundrechtseinschränkungen, und das alles überwiegend ohne sachgerechte Begründung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Novellierung beziehungsweise Neufassung unseres SOG verläuft bundespolitisch natürlich nicht in einem luftleeren Raum, und auch parteipolitisch ist ein vielstimmiger Meinungsstand auszumachen. Die klassische Farbenlehre wird mächtig aufgewirbelt. Was die FDP in unserem Land für verfassungswidrig hält, das setzt sie in NordrheinWestfalen um. Was DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern für politisch falsch hält, wird sie in Brandenburg mittragen. Was die CDU in Mecklenburg-Vorpommern umsetzen möchte, hat sie in Sachsen gar nicht erst aufgenommen. Und was die AfD in Baden-Württemberg ablehnte, wird sie in Mecklenburg-Vorpommern möglicherweise begrüßen. Zur SPD fällt mir nur noch der bereits zitierte Koalitionsvertrag beziehungsweise Verzerrung ein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sehe Neuerungen, die tragbar sind, andere halte ich für diskutabel, wieder andere für völlig indiskutabel, und schließlich gibt es aus meiner Sicht im Gesetzentwurf fehlende Regelungen. Lassen Sie mich diese meine Kategorien an einigen Beispielen verdeutlichen.
Für tragbar halte ich etwa die Neuerungen in Paragraf 9 Gesetzentwurf, also die Eilkompetenz für Zollbedienstete in den Vollzugsbereichen der Zollverwaltung. Die Frage der Eilkompetenz für Zollbedienstete hat dieser Landtag bereits in der 6. Wahlperiode diskutiert. Die damalige Ablehnung war nicht allein der antragstellenden Fraktion geschuldet, sondern auch der fehlenden bundesrechtlichen Öffnungsklausel. Diese liegt nun seit 2017 vor und wir entsprechen mit der Neuregelung einer langjährigen Forderung der Zoll- und Finanzgewerkschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ähnlich verhält es sich mit der gesetzlichen Regelung des finalen Rettungsschusses in Paragraf 109 Absatz 1, also einer langjährigen Forderung der Gewerkschaft der Polizei auch hier in Mecklenburg-Vorpommern. Er ist derzeit in 13 Bundesländern ausdrücklich gesetzlich geregelt und soll letztlich für mehr Handlungssicherheit sorgen. Das unterstützen wir ausdrücklich. Zur ganzen Wahrheit gehört dann aber auch, dass unser Landtag der 1. Wahlperiode diese Regelung aus dem Gesetzentwurf der damaligen CDU-F.D.P.-Koalitionsregierung wieder herausgestrichen hat. In den kommenden Anhörungen und Fachberatungen sollten wir aber auch die Frage thematisieren, wie es um die Kapazitäten der psychosozialen Betreuung der Beamtinnen und Beamten nach einem Schusswaffengebrauch in den einzelnen Dienststellen bestellt ist. Meine Erfahrungen aus den Revierbereisungen sagen, schlecht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für sinnvoll erachte auch ich, insbesondere nach meinen Revierbe
reisungen, die in Paragraf 32 Absatz 9 vorgesehene Videoüberwachung in Gewahrsamzellen und deren Vorräumen, sinnvoll im Interesse der Klienten einerseits und der Vollzugsbeamtinnen und -beamten andererseits. Die Vorfälle in Dessau lassen grüßen und sollten uns aufhorchen lassen.
Ausführlich diskutieren müssen wir selbstverständlich die umfangreichen SOG-Datenschutzvorschriften. Die Kritik des Innenministers an der europäischen DatenschutzGrundverordnung kann ich hier an dieser Stelle in keinster Weise nachvollziehen. Hier halte ich den Gesetzentwurf für unleserlich und schwer handhabbar und erhoffe uns tatkräftige Unterstützung durch den Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit.
Kritisch hinterfragen sollten wir auch die vorgesehenen Regelungen zum Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, Paragraf 26 b Absatz 2 und Paragraf 28 Absatz 2. Nach meiner bisherigen Lesart – der Innenminister hat hier eine andere – sind die Berufsgeheimnisse von Journalistinnen und Journalisten, der Informantenschutz oder das Redaktionsgeheimnis durch den Gesetzentwurf gefährdet. Diese Gefahr sollen und müssen wir ausräumen. Wenn wir dazu in den Anhörungen eine gemeinsame Position finden, kann das nur gut sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, indiskutabel für mich sind Regelungen zur sogenannten Onlinedurchsuchung, also der verdeckte Einsatz technischer Mittel zum Eingriff in informationstechnische Systeme, Paragraf 33 c. Hier geht es eben nicht mehr um eine Anpassung polizeilicher Ermittlungsarbeit an die technische Entwicklung. Gemeinsam mit der sogenannten Quellen-TKÜ, Paragraf 33 d, also dem Einsatz von Staatstrojanern, soll eine neue Sicherheitsarchitektur geschaffen werden. Was bisher als Zwangsmaßnahmen der Strafprozessordnung vorbehalten war, wird nun auch im Bereich der präventiv polizeilichen Tätigkeit zugelassen. Das ist ein Dammbruch. Das ist ein Dammbruch! Und der Ausgang entsprechender Verfassungsbeschwerden wird hoffentlich bis Mecklenburg-Vorpommern durchschlagen.
Insbesondere diese Regelungen mit all ihren technischen Möglichkeiten und Begleiterscheinungen führen zu dem wachsenden Gefühl eines aufziehenden Überwachungsstaates. Und da sollte man nicht immer mit der Frage der Bekämpfung der Kinderpornografie kommen. Hinter dieser Aufgabe stehen wir, denke ich, geschlossen. Aber das als Argument einzubringen, ist an dieser Stelle wenig hilfreich.
Von der Auskunft über Bestandsdaten, den auch rückwirkenden Zugriff auf Verkehrs- und Nutzungsdaten, die Feststellung des Standortes bei mobilen Geräten, die Unterbrechung oder Verhinderung der Kommunikation, das Durchbrechen der Verschlüsselung etwa bei Messengerdiensten oder Internettelefonie bis hin zum Ausspionieren sämtlicher auf einem PC oder Smartphone gespeicherten Daten, im Digitalzeitalter sind dies tiefste Eingriffe in die Intimsphäre und rufen zu Recht,
und rufen zu Recht massiven Protest hervor. Bei diesen Eingriffsbefugnissen ist eine verlässliche Folgenabschätzung nicht mehr möglich. Wer anderes behauptet, täuscht sich selbst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss zwei Beispiele für bisher fehlende Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf. Die Problematik „Videoüberwachung auf dem Schweriner Marienplatz“ hat die Folgen sichtbar gemacht, wenn der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit rechtlich nicht in der Lage ist, Datenschutzverstöße bei öffentlichen Stellen abzustellen. Obwohl ein vorübergehendes Verbot der Datenverarbeitung verhängt wurde, setzte das Polizeipräsidium Rostock die Videoüberwachung auf dem Marienplatz unverändert fort. Hier bietet sich eine entsprechende Klarstellung in Paragraf 85 „Vollzug gegen Träger der öffentlichen Verwaltung“ an. Die erhebliche Ausweitung von Eingriffsbefugnissen ruft förmlich nach Stärkung des Datenschutzes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die zweite Ergänzungsanregung resultiert zwar nicht aus den Vorkommnissen im Bereich der Landespolizei in den letzten Wochen und Monaten, sie hat dadurch aber an Aktualität und Dringlichkeit gewonnen. Es geht um die Einrichtung einer Ombudsstelle für die Landespolizei auch in Mecklenburg-Vorpommern, und zwar nicht innerhalb der Landespolizei. Hier könnte der Gesetzentwurf dann auch auf andere Bundesländer verweisen, etwa Sachsen oder Niedersachsen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Fazit: Vor uns steht ein intensiver Anhörungsprozess. Die Landesregierung selbst hat 20 Institutionen in ihrem Anhörungsverfahren befragt. Vor dem Hintergrund dessen habe ich bereits auf der letzten Sitzung des Innenausschusses vorgeschlagen, dass auch der Innenausschuss hier nicht nachstehen darf. Wir müssen also hier Waffengleichheit herstellen, denn wir sind der Gesetzgeber. Insofern habe ich auf der letzten Ausschusssitzung ja schon die Zustimmung unseres Ausschussvorsitzenden gern zur Kenntnis genommen, dass wir uns dann heute dazu verständigen, wie wir gemeinsam diese Anhörungsverfahren gestalten werden.
Letztendlich, das will ich zusammenfassend sagen, stehen wir den Forderungen des Aktionsbündnisses, was am Sonntag hier in Schwerin demonstriert hat, sehr nahe, also wenn es darum geht, keine Gleichstellung von Kontakt- und Zielpersonen vorzunehmen, wenn es darum geht, Staatstrojaner nicht einzusetzen, wenn es darum geht, anlasslose Videoüberwachung nicht zuzulassen, und wenn es darum geht, eine unabhängige und effektive Kontrollinstanz für die Polizei zu schaffen.
Insofern freue ich mich auf eine interessante Debatte in den Ausschüssen und beantworte jetzt keine Fragen. – Herzlichen Dank.
Ehe Frau von Allwörden ihr Wort beginnt, möchte ich neue Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne begrüßen. Das sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung Altentreptow, wenn das richtig ist. Herzlich willkommen!