Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: Beratung der Unterrichtung durch die Landesregierung – Bericht über die Wirksamkeit des Gesetzes zur Einführung eines Leitbildes „Gemeinde der Zukunft“, Drucksache 7/3837, auf Antrag der Fraktion DIE LINKE.
Unterrichtung durch die Landesregierung Bericht über die Wirksamkeit des Gesetzes zur Einführung eines Leitbildes „Gemeinde der Zukunft“ – Drucksache 7/3837 –
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 64 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Fragen nach der Wirksamkeit von Gesetzen und deren Bemessung lassen sich mühe
los ganze Bibliotheken füllen. Mit dem vorgelegten Bericht kommen weitere 241 Seiten hinzu. Der hierin enthaltene Bericht, also der gesetzlich geforderte Bericht, kommt da mit seinen 24 Seiten eher bescheiden daher. Und das wird Gründe haben. Wenn es von dem Gemeinde-Leitbildgesetz Positives zu berichten geben sollte, dann wohl die Pflicht der Gemeinden zu einer Selbsteinschätzung, also einer Art Gesamtschau auf wichtige Kriterien der örtlichen Gemeinschaft. Wie ernsthaft damit vor Ort umgegangen wurde, war, so meine ich, sehr unterschiedlich, ganz abgesehen davon, wie Nutzen und Konsequenzen aus der Selbsteinschätzung bewertet wurden.
Meine Damen und Herren, die Wirksamkeit lässt sich ablesen, wenn man Ziel, Aufwand und Ergebnis ins Verhältnis setzt. Ziel des Gemeinde-Leitbildgesetzes war es – alles nachzulesen in dem vorliegenden Bericht –, Ziel war es, die äußerst kleinteilige Gemeindestruktur zumindest zukunftsfest zu machen, weil die Auswirkungen des strukturellen und demografischen Wandels in größeren Strukturen besser und effizienter zu bewältigen wären als in kleinen Gemeinden.
Meine Damen und Herren, vorausgegangen war bereits eine Enquetekommission in der 5. Legislatur und eine fast drei Jahre währende Bereisung aller kommunalen Ämter durch Innenminister und Staatssekretär. Auch hier sollte auf zu erwartende Problemlagen der kleinteiligen Gemeindestrukturen, auf Fusionseinsparungen und bestehende Defizite bei der gemeindlichen Aufgabenwahrnehmung in den bestehenden Strukturen verwiesen werden. Vor diesem Hintergrund dieses Handlungsbedarfs, den die Koalition hier ausgemacht hat –, vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse nicht nur sehr mager, nein, da die Probleme der Landesregierung spätestens seit der 5. Wahlperiode bekannt sind, muss die Wirksamkeit des Gemeinde-Leitbildgesetzes als besorgniserregend eingeschätzt werden.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis wird noch schlimmer, wenn man Aufwand und Nutzen vergleicht. Es wurden Erfahrungsberichte bereits fusionierter Gemeinden erstellt. Neben der bereits erwähnten aufwendigen Ämterbereisung erfolgten Abstimmungen zwischen Innenministerium und Infrastrukturministerium – sechs Koordinatoren wurden per Beraterverträge eingesetzt und von sechs Kräften der unteren Rechtsaufsichtsbehörden unterstützt, die wiederum vom Land finanziert wurden –, dazu zwei große Workshops, eine dicke Broschüre, eine Fusionsverordnung und deren Änderungsverordnungen als sogenannte Fusionsmotoren, Beschlussfassungen von fast allen Gemeindevertretungen und am Ende dafür aber mit Verspätung ein Bericht von 240 Seiten.
Nach diesem enormen materiellen und personellen Aufwand erfolgten 21 Gemeindefusionen und die Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft. Ich zitiere aus dem Bericht: „6,5 Prozent der Gemeinden“ haben sich „zu neuen, zukunftsfähigen Strukturen zusammengeschlossen“. 6,5 Prozent – das ist nicht nur mager, gemessen an dem Aufwand ist die Wirksamkeit des GemeindeLeitbildgesetzes ganz einfach nur peinlich.
Ich will vor dieser Bilanz an dieser Stelle nicht die Frage nach der Verschwendung öffentlicher Gelder stellen. Sie stellt sich, glaube ich, von selbst.
Ich muss aber daran erinnern, dass die zweifelhafte Wirksamkeit des Gemeinde-Leitbildgesetzes allen Beteiligten bereits im Anhörungsprozess mehr als deutlich vor Augen geführt wurde.
Und wer hier immer noch Illusionen hat, dem empfehle ich im Anhang der Unterrichtung die Resümees der Koordinatoren. Ein zentrales Fusionshemmnis war, so ist zu lesen, dass der Gesetzgeber keine Aussage getroffen hat, was nach dem Stichtag des Gesetzes geschieht. Vom Landesgesetzgeber werde erwartet, vorzugeben, wie er sich eine Struktur vorstelle und so weiter und so fort.
Meine Damen und Herren, wenn man die Prosa aus dem vorliegenden Bericht weglässt, dann erkennt man erschreckend deutlich, dass das größte Hindernis für die Wirksamkeit des Gemeinde-Leitbildgesetzes dieses Gesetz selbst war.
Es hat der Koalition eine Legislatur politischer Ruhe verschafft. Auf wessen Kosten, lasse ich hier offen.
Meine Damen und Herren, im aktuellen „Überblick“, also der Monatszeitschrift des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern, wird ein Gutachten des ifo Institutes Dresden vorgestellt. Das Thema des Gutachtens lautet: „Stärkung kommunaler Identität“. Im „Überblick“ heißt es dagegen: „Gemeindefusionen bedrohen gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Ich möchte abschließend eine Aussage des Gutachtens direkt zitieren, die mir für unsere Strukturdebatten hilfreich erscheint, auch wenn sie aus Platz- oder Zeitgründen keinen Eingang in den „Überblick“ finden konnte. Zitat: „Verbleiben nach Aufgabenverlagerungen“, also etwa auf das Amt oder den Zweckverband, „die Kommunen zwar formal als selbstständige Einheiten, sind aufgrund des Aufgabenentzugs jedoch lediglich bloße ‚Hüllen‘ ohne größere Entscheidungsbefugnis, droht ebenfalls die kommunale Identität beschädigt zu werden.“ Zitatende. Diese Gefahr haben wir mit dem Gemeinde-Leitbildgesetz nicht mindern können. Gesetz und Unterrichtung haben sich erledigt, der tatsächliche Handlungsdruck hat sich aber weiter erhöht. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Liebe Frau Rösler, unsere Herangehensweise zu dem Gesetz unterscheidet sich schon grundsätzlich. Wir haben nicht ein Leitbildgesetz gemacht mit der Zielstellung, dass in dessen Ende sich möglichst viele Gemeinden fusionieren,
sondern wir haben ein Leitbildgesetz gemacht, um den Zustand einerseits zu analysieren, und zum anderen die Gemeinden als kommunale Selbstverwaltung entscheiden zu lassen, was sie für den richtigen Weg halten.
Mit ein paar Monaten Verspätung, das muss ich zugeben, hat die Landesregierung den Bericht über die Wirksamkeit des Gesetzes zur Einführung eines Leitbildes „Gemeinde der Zukunft“ dem Landtag vorgelegt. Die Verzögerung ist allein dem Umstand geschuldet, dass wir die Frist für Fusionen im laufenden Prozess – und jeder hier im Haus weiß das – verlängert haben. Ende letzten Jahres gab es schlicht noch kein aussagekräftiges Gesamtbild über alle Gemeinden.
Die Berichtspflicht wurde mit dem Leitbildgesetz verabschiedet und ich finde, dass es eine gute Idee war, denn abseits aller Spekulationen ermöglicht dieser Bericht, den kompletten Prozess der Selbsteinschätzung abzubilden und eben Fakten zu präsentieren. Ob die Fakten jedem Einzelnen gefallen, ist eine ganz andere Frage, aber wir reden hier über die Fakten der jeweiligen Gemeinde. Am Anfang dieser Aussage oder dieses Prozesses stand die glasklare Aussage, Zwangsfusionen wird es keine geben.
Und in diesem Gemeinsinn ist auch das Leitbildgesetz formuliert worden. Es trat am 30. Juli 2016 in Kraft. Es beinhaltet im Wesentlichen drei Hebel zur Förderung freiwilliger Gemeindefusionen: erstens eine verpflichtende Selbsteinschätzung und eine Gesamtbeurteilung der Gemeinde mit Bestandsaufnahme, zweitens eine umfassende Beratung durch die sogenannten Koordinatoren in den Landkreisen, und drittens einen Mix aus Fusions- und Konsolidierungszuweisungen nach der Fusionsverordnung. Damit gingen wir vor drei Jahren an den Start und es war eine sehr ereignisreiche Zeit für alle Betroffenen, die sich mit diesem Thema befasst haben.
Wir halten alle – alle Fraktionen – die kommunale Selbstverwaltung hoch. Es kann sich also jeder vorstellen, dass insbesondere die Selbsteinschätzung zu lebhaften Diskussionen in den jeweiligen Gemeinden geführt hat. Das waren nicht nur Harmonieveranstaltungen. Der Großteil der Gemeinden hat die Selbsteinschätzung anstandslos durchgeführt. Nur einige wenige Gemeinden waren etwas zurückhaltend, um es mal freundlich zu formulieren, oder widerspenstig. Aber letztlich haben sich nahezu alle Gemeinden diesem Prozess der Selbsteinschätzung gestellt, der, so wurde vor Ort wiederholt versichert, durchaus lehrreich war.
Das Ergebnis – und das sollten wir zumindest als Parlamentarier zur Kenntnis nehmen –, das Ergebnis der Selbsteinschätzung ist eindeutig: 96 Prozent der Gemeinden halten sich für zukunftsfähig.
Die Koordinierungsstellen haben natürlich alle Selbsteinschätzungen auf Plausibilität überprüft, auch hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit.
Also, Kollege Ritter, jetzt muss ich mal sagen, ich verstehe auch Ihre Fraktion häufig nicht. Einmal sagen Sie, wir sollen die kommunale Selbstverwaltung berücksichtigen, jetzt gebe ich hier das Ergebnis bekannt, was sozusagen die Kommunen selbst beurteilt haben, da machen Sie sich wieder drüber lustig.