Protokoll der Sitzung vom 18.10.2019

solange sich das nicht ändert, werden solche Programme, wie sie hier heute diskutiert worden sind, weiterhin ins Leere laufen. So einfach ist das. – Vielen Dank.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Barlen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon das „Leitbild“ unseres Landesprogrammes „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ bringt es in meinen Augen hervorragend auf den Punkt, Zitat: „Mecklenburg-Vorpommern bekennt sich in seiner Verfassung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“ Die Verfassung „verpflichtet uns, die Würde aller in diesem Land lebenden oder sich hier aufhaltenden Menschen zu achten und zu schützen.“ Zitatende. Und weiter heißt es dann, Zitat: „Eine notwendige Voraussetzung hierfür ist neben den funktionierenden demokratischen Institutionen vor allem

eine gesellschaftlich fest verankerte demokratische politische Kultur.“ Zitatende.

Für die Umsetzung dieses Verfassungsleitbildes und dieser Ziele braucht es auch 30 Jahre nach der friedlichen Revolution in allererster Linie viele, viele engagierte, mutige Demokratinnen und Demokraten, die einerseits selbstbewusst, streitbar, aber trotzdem verbindend diese gemeinsamen Werte leben und die andererseits mit einem wachen Geist die Bedrohungen, die Defizite und auch die Gefahren für unser friedliches und freiheitliches Zusammenleben erkennen, benennen und versuchen zurückzudrängen.

Und, meine Damen und Herren, es braucht einen staatlichen Rahmen, der erstens die gesetzlichen und die institutionellen Leitplanken hierfür setzt und der zweitens das für den Frieden und den Wohlstand unseres Landes existenzielle Engagement jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin unterstützt, qualifiziert und wertschätzt.

Und, meine Damen und Herren, ein solches Demokratiefundament für Mecklenburg-Vorpommern, das unterstützt, das qualifiziert, das wertschätzt, ein solches Fundament bildet unser Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“. Und deshalb möchte ich auch im Namen unserer SPD-Fraktion meinen sehr herzlichen Dank und meinen wirklich tief empfundenen Respekt zum Ausdruck bringen: Danke allen, die unsere Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern aktiv leben, die sie verteidigen, die sie beflügeln – im Landesberatungsnetzwerk, in den Regionalzentren,

(Zuruf von Dr. Gunter Jess, AfD)

bei der Opferberatung, bei der betrieblichen Beratung, der Aussteigerhilfe, in Vereinen, Initiativen, in Sport, Wis- senschaft, Wirtschaft, in den Feuerwehren, in den zahlreichen Bündnissen oder aber auch alleine, ganz individuell auf der Arbeit, in der Familie, in der Nachbarschaft. Vielen Dank dafür!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Und gleichzeitig möchte ich ausdrücklich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landeszentrale für politische Bildung danken, die die Umsetzung des bisherigen Landesprogramms ermöglicht haben und die die nun vorliegende Fortschreibung ausgearbeitet haben, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen. Liebe Susann Wippermann, liebe Kollegen von der LINKEN, von der CDU, auch herzlichen Dank für diesen konstruktiven Prozess!

Meine Damen und Herren,

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

meine Damen und Herren, wir in Mecklenburg-Vorpom- mern sind wahrlich leidgeprüft, aber auch kampferprobt, wenn es um den jahrelangen Umgang mit den uns allzu bekannten Feinden eines toleranten Zusammenlebens geht. Aber diese Bedrohung und die Notwendigkeit, Widerstand zu leisten und für unsere Werte geradezustehen, die hat uns hier in Mecklenburg-Vorpommern auch geschult, die hat uns gestärkt und die hat uns im besten demokratischen Sinne zusammenwachsen lassen.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Wir haben die vorbildhaften Strukturen unseres Landesprogramms geschaffen, gemeinsam, die nicht zuletzt auch dem Bundesprogramm Vorbild waren und in einigen Bereichen Gestalt gegeben haben. Wir haben viel Demokratieexpertise im Umgang mit schwierigen Situationen, ob auf Landesebene oder in den Kommunen, gewinnen können, die auch in anderen Bundesländern viel Beachtung finden, und wir profitieren in Mecklenburg-Vorpommern von phantastischen, energischen und kreativen Initiativen, die über die Jahre entstanden sind und den Menschen in den Städten und in den Dörfern von Mecklenburg-Vorpommern Motivation, Mobilisierung und Orientierung bieten, kurz, die vor Ort den Rücken stärken.

Unser Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ – und das können wir, meine Damen und Herren, und das sollten wir auch heute mit Fug und Recht sagen – hat maßgeblich dazu beigetragen, dass unser Bundesland Mecklenburg-Vorpommern heute im positiven Sinne oftmals als der andere Osten dasteht. Und weil das so ist und weil gleichzeitig die Herausforderungen und der Bedarf nach aktiver demokratischer Beteiligung natürlich nicht weniger geworden ist, begrüße ich die vorgelegte Fassung der Fortschreibung unseres Landesprogramms außerordentlich.

Wir müssen weiterhin das grundsätzliche Vertrauen in unsere Demokratie stärken, wir müssen weiter uns selbst und alle Menschen starkmachen, für unsere Werte und vor allen Dingen aber auch für die damit eng verbundenen Rechte der Schwächeren einzutreten. Und wir müssen weiter hart am Wind segeln, wenn es darum geht, Beteiligungsmöglichkeiten auch zu verbessern und das selbstlose Eintreten für die Gemeinschaft zu befördern. Und deshalb aktiviert, berät, beflügelt unser Landesprogramm verschiedenste Akteure und bietet ihnen einen gemeinschaftlichen Rahmen für eine klare Haltung pro Demokratie, für den Ausgleich, für ein friedliches Miteinander und gegen Spaltung unserer Gesellschaft, gegen Ausgrenzung, gegen Hass und gegen Hetze.

Meine Damen und Herren, wie immens wichtig dieses Anliegen des Landesprogrammes ist und warum wir unser Landesprogramm dringend auch weiterhin brauchen, zeigen uns die aktiven, in der bisherigen Debatte schon beschriebenen massiven Folgen einer Verrohung der politischen Debatte, einer ganz bewusst kalkulierten und auch befeuerten Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft und in der Folge einer stark gestiegenen Gewaltbereitschaft. Bei allen möglichen Differenzen in der Sache und in Fachfragen, es muss Konsens aller Demokratinnen und Demokraten sein und bleiben, dass jegliche Form von Gewalt, von Menschenfeindlichkeit, von Ausgrenzung und von Abwertung geächtet wird und unseren scharfen Widerstand erntet, meine Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Ralph Weber, AfD: Deswegen setzen Sie sich auch hin, wenn eine Kurzintervention kommt.)

Ein Hilfsmittel für diesen Widerstand, für dieses demokratische Engagement ist unser Landesprogramm für Demokratie und Toleranz. Ich möchte nicht auf jedes Detail der vorliegenden Fortschreibung eingehen, wobei jedes Detail es verdient hätte. Exemplarisch möchte ich aber

Ihre Aufmerksamkeit auf Kapitel 3 – dort sind die Aufgabenfelder beschrieben –, insbesondere Kapitel 3.3, richten, ein Punkt, der mir besonders aufgefallen ist und zu dem ich etwas näher ausführen möchte.

Dort heißt es auf Seite 11, ich zitiere: „Ziel ist es, junge Menschen in ihrer Identitäts- und Selbstwertentwicklung zu unterstützen, ihnen die Werte einer demokratischen und offenen Gesellschaft zu vermitteln und so gleichzeitig ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber menschenfeindlichen Ideologien zu stärken.“ Das Zitat geht weiter: „Dafür ist es auch notwendig, dass Lehrkräfte eine demokratische Haltung vorleben und diese in der kommunikativen Auseinandersetzung mit den Schülerinnen und Schülern verteidigen können. Sie sollen aktiv für die Werte des Grundgesetzes und die Bildungs- und Erziehungsziele des Schulgesetzes eintreten. Lehrerinnen und Lehrer werden in ihrem Freiraum, dies entsprechend auszugestalten, gestärkt.“ Zitatende.

Meine Damen und Herren, „Haltung vorleben“, „für die Werte unseres Grundgesetzes aktiv eintreten“ – ich halte diese Worte für sehr klug gewählt und ich halte diese Worte für exemplarisch für die Botschaft des gesamten Landesprogrammes. Und genau an dieser Stelle möchte ich mich zur Fraktion der AfD auf der rechten Seite dieses Parlamentes wenden, denn Sie, meine Damen und Herren von der AfD...

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Damen gibt es da nicht, du!)

Ach ja, Verzeihung, ich vergesse das immer wieder, ja.

Sie, meine Herren von der AfD,

(Dr. Ralph Weber, AfD: Das ist schon nicht mehr lustig, das ist einfach dumm.)

haben doch gerade erst gezeigt,

(Minister Dr. Till Backhaus: Tatsache ist das.)

warum dieses Programm und warum genau diese Forderung so wichtig ist. Die AfD war es, die ein Lehrerdenunziationsportal ins Netz gestellt hat, auf dem Lehrer, die genau diese Haltung vorleben und die im besten Sinne unserer Gesetze, aber auch des Programmes aktiv für die Werte eintreten, an die AfD gemeldet werden sollten. Sie ziehen sich bei Ihren Begründungen für dieses Denunziationsportal immer auf einen Neutralitätsbegriff zurück. Diesen von Ihnen so verwendeten Neutralitätsbegriff, den gibt es nicht,

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

den haben Sie selbst erfunden.

(Zuruf von Jörg Kröger, AfD)

Die Schule, die Ihrem Neutralitätsbegriff genügte, wäre eine unpolitische Schule, frei von Werten und von deren Vermittlung. Die Gesellschaft, die Ihrem Neutralitätsbegriff genügte, wäre eine unpolitische Gesellschaft, frei von Werten und frei von der Verteidigung dieser Werte. Und es ist richtig, da sind wir einer Meinung, dass Schule bei politischen Themen neutral sein soll, aber neutral im Sinne von ausgewogen. Der eben angesprochene Beutelsbacher Konsens steht einer streitbaren Schule, in der

aktiv, in der kontrovers über Lebensthemen diskutiert wird, nicht im Geringsten entgegen, ganz im Gegenteil.

Und wenn ein älterer Herr mit Dackelkrawatte kundtut, dass er einen farbigen Spieler der deutschen Nationalmannschaft nicht zum Nachbarn haben möchte, wenn eine Landesvorsitzende der AfD und ein Generalsekretär der AfD in völlig unmenschlicher Weise den Schusswaffeneinsatz gegen Menschen an Grenzen thematisieren, wenn ein Geschichtslehrer angesichts des Dritten Reiches und des Holocaust von der Notwendigkeit einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ schwadroniert, dann sind das selbstverständlich Themen, die auch an Schulen zur Sprache kommen und die an Schulen auch zur Sprache kommen müssen. Das sind nämlich Themen, die die Grundfesten unserer Werte berühren, die diskutiert, kommentiert und die eingeordnet werden.

Und wir wollen uns mit diesem Landesprogramm zu einer pluralistischen, zu einer offenen Gesellschaft bekennen. Eine pluralistische und eine offene Gesellschaft schließt aber aus, dass wir Menschen aufgrund ihrer Herkunft, dass wir Menschen aufgrund ihrer politischen, ihrer religiösen, ihrer sexuellen Orientierung,

(Zuruf von Jörg Kröger, AfD)

dass wir Familien aufgrund ihrer Zusammensetzung oder ihrer Lebensverhältnisse stigmatisieren oder brandmarken.

Herr Abgeordneter Barlen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grimm?

Ich zitiere mal den Abgeordneten Grimm: Nein, die Zeit ist so kurz.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Minister Dr. Till Backhaus: Grimms Märchen sind vorbei. – Zuruf von Dr. Gunter Jess, AfD)

Und wenn, meine Damen und Herren, wie bei der AfD der Fall, Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Partei regelmäßig genau das tun, zu stigmatisieren, zu brandmarken, auszugrenzen,

(Heiterkeit bei Jörg Kröger, AfD: Was machen Sie denn gerade?)

sich regelmäßig so zu äußern, dann sind diese Äußerungen ein Angriff auf die pluralistische und die offene Gesellschaft.

(Zuruf von Dirk Lerche, AfD)

Das müssen wir so verstehen und deshalb brauchen die Schulen und deshalb braucht die gesamte Gesellschaft den Freiraum und die Rückendeckung, sich genau mit diesen Angriffen Ihrerseits auf unsere Gesellschaft auseinanderzusetzen. Und deshalb danke ich an dieser Stelle auch allen Lehrerinnen und Lehrern, die in unserem Bundesland sich genau überlegen, was „Neutralität“ bedeutet, nämlich Ausgewogenheit und nicht Gleichgültigkeit gegenüber den Werten unseres Grundgesetzes, und die sich deshalb in der Schule dafür starkmachen und auch den Konflikt mit der AfD nicht scheuen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Das sind mutige, vorbildliche Frauen und Männer.