Protokoll der Sitzung vom 12.12.2019

Mein geschätzter Kollege Henning Foerster hat in der 66. Sitzung dieses Landtages im Mai 2019 bei der letzten Befassung mit dem Thema hier im Hohen Haus auf die Widerspruchs- und Klagesituation an den Sozialgerichten hier im Land hingewiesen. Die Sozialgerichte sind überlastet und die Verfahren dauern viel zu lange. Meine Kollegen Jacqueline Bernhardt und Henning Foerster haben in den letzten Jahren immer wieder mit Kleinen Anfragen und hier im Landtag auf diese Belastung der Gerichte im Land durch Hartz-IV-Klagen und auch auf die lange, auf die viel zu lange Verfahrensdauer hingewiesen.

Sehr geehrte Damen und Herren, es geht uns heute nicht um einen großen Rundumschlag, der uns zuweilen bei unseren Hartz-IV-Anträgen von Ihnen vorgeworfen wurde. Es geht uns auch nicht darum, Dinge zu fordern, die Sie als Regierung nur im Schulterschluss mit anderen Bundesländern bewerkstelligen können. Es geht meiner Fraktion um nicht mehr, aber auch nicht weniger als darum, nicht noch weitere Jahre darauf warten zu müssen, bis ein einzelner Richter an einem Sozialgericht irgendwo in diesem Land Zweifel an den ausgesprochenen Sanktionen oder an der Ermittlung der Regelsätze hat und dann das oberste Gericht dieses Staates angerufen wird.

Eigentlich für alle Menschen mit klarem Verstand müsste klar sein, dass Sanktionen, die unter das Existenzminimum führen, nicht rechtens sein können, und leider ergibt sich eben kein Automatismus aus dem Urteil vom 5. November, wie wir in den letzten Tagen erfahren mussten, als im Bundesarbeitsministerium offensichtlich schon wieder ernsthaft an Umgehungsregelungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts gearbeitet wurde. Es gab offensichtlich Kräfte im Bundesministerium, die auf Teufel komm raus das System der Drangsalierung, das System der schwarzen Pädagogik bis aufs Messer verteidigen wollen. Und weil wir uns eben nicht darauf verlassen können, dass bei der nun fälligen Korrektur des SGB II auch die anderen strittigen beziehungsweise nach klarem Menschenverstand grundgesetzwidrigen Regelungen geändert werden, bedarf es weiterer richterlicher Klarstellungen.

Und an dieser Stelle will ich auch ganz deutlich sagen, meine und unsere Kritik richtet sich nicht an die Jobcenter im Land und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Gesetze aus Berlin und die Anweisungen aus Nürnberg lediglich umsetzen und selber unter ihrem schlechten Image leiden. Unsere Kritik richtet sich gegen schlechte Gesetze, gegen Gesetze, die ganz offensichtlich gegen das Grundgesetz verstoßen, gegen Gesetze,

die dem 21. Jahrhundert und unserem Menschenbild von Anfang an nicht entsprochen haben und auch weiterhin nicht entsprechen, wenn sie so bleiben.

Selbstverständlich hinterlässt dieses System nach nunmehr 15 Jahren Spuren bei den Menschen. In diesem Zusammenhang kann ich es Ihnen nicht ersparen, erneut Kritik daran zu üben, dass Sie die Auswirkungen von Hartz IV auf die Menschen in unserem Bundesland nicht untersuchen lassen. Auch das erweckt den Eindruck, dass Sie Angst vor der Wahrheit über Hartz IV und seine Wirkung haben.

(Torsten Renz, CDU: Wer ist wir? Wen meinen Sie?)

Die regierungstragenden Fraktionen und die Landesregierung.

(Torsten Renz, CDU: Ach so!)

Also es ist gut, dass Sie sich angesprochen fühlen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Allen voran Torsten Renz. – Zuruf von Torsten Renz, CDU – Heiterkeit bei Sebastian Ehlers, CDU)

Ich kann das jetzt im Detail so nicht belegen. Das ist jetzt hier nicht der Punkt. Aber die politische Situation und die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen im Land, die bis in dieses Parlament hineinreichen, haben nach meiner festen Überzeugung auch mit der Einführung von Hartz IV und der sogenannten Agenda 2010 zu tun.

(Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU)

Und leider ist es eben so, dass diese Politik unter einer rot-grünen Bundesregierung eingeleitet wurde und sich bis heute nicht wirklich davon distanziert wird, sehr geehrte Damen und Herren. Daran hat auch der Bundesparteitag der SPD kürzlich in Berlin nicht so sehr viel geändert. Obwohl – von der CDU, die diese Politik bislang mitgetragen hat, Herr Renz, und verschärft hat auch, erwarte ich nicht unbedingt eine Distanzierung von Hartz IV, aber gleichwohl, hier ist es doch ganz offenkundig, dass gehandelt werden muss.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin gespannt auf die jetzt sich anschließende Debatte und bedanke mich schon mal für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Koplin.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Landesregierung der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Herr Glawe.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Lassen Sie mich eingangs zu dem vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE erst einmal feststellen, sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Koplin, Sie springen bildlich gesprochen auf einen fahrenden Zug auf.

(Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU)

Der Bund und auch die Länder, soweit sie zuständig sind, haben längst reagiert. Das müssten Sie vielleicht auch mal anerkennen.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Bevor ich im Einzelnen auf Ihre Forderungen zu sprechen komme, lassen Sie mich vorab etwas zur aktuellen Situation der Grundsicherung für Arbeitssuchende im SGB II oder auch Hartz IV sagen. Die Grundsicherung befindet sich in der günstigsten Situation seit ihrer Einführung im Jahre 2005. Wir erleben insbesondere in dieser Legislaturperiode eine Entwicklung, von der vorher niemand zu träumen wagte. Der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt ist auch die Basis für die sehr positiven Entwicklungen in den vergangenen Jahren, und die stark verringerte Anzahl von Menschen, die auf SGB-II-Leistungen angewiesen sind, ist beredtes Beispiel. Das hat selbst Herr Foerster nicht infrage gestellt. Nach aktuellen Prognosen ist zu erwarten, dass sich diese sehr gute Entwicklung in MecklenburgVorpommern auch im Jahre 2020 fortsetzen und die Abhängigkeit von sozialen Sicherungssystemen weiter sinken wird. Das hätte ich mir auch mal gewünscht, dass Sie das mal anerkennen.

Sehr geehrte Damen und Herren, nun zum Antrag im Einzelnen. Die Fraktion DIE LINKE will, dass der Landtag feststellt, dass das Bundesverfassungsgericht am 5. November eine mehr als 30-prozentige Kürzung der Grundsicherungsleistungen als grundgesetzwidrig und demzufolge als unzulässig bewertet hat, und weiterhin, dass das Gericht nicht über die verschärften Sanktionen gegenüber Jugendlichen sowie nicht über die 10-prozentige Sanktionierung bei Meldeversäumnissen geurteilt hat. Im Weiteren sollen umgehend Normenkontrollklagen in Bezug auf die Zulässigkeit verschärfter Sanktionen gegenüber Jugendlichen, die Zulässigkeit der 10-prozentigen Sanktionierung bei Meldeversäumnissen und die Höhe der Regelsätze sowie deren Ermittlung eingeleitet werden.

Ja, es ist richtig, dass das Bundesverfassungsgericht am 5. November 2019 aufgrund der vorgelegten Klage ausdrücklich nur über die Verletzung von Mitwirkungspflichten, zum Beispiel Vorstellungsgespräche der über 25-Jährigen, entschieden hat. Ja, es ist richtig, dass Sanktionen wegen Verstößen gegen Meldepflichten in Bezug auf Personen unter 25 Jahren vom Urteil nicht erfasst sind. Hier wird also vom Landtag gewünscht, lediglich Inhalte eines Urteils festzustellen. Ich denke, wenn das Verfassungsgericht was entschieden hat, dann ist das auch so, und das brauchen wir jetzt nicht extra noch mal festzustellen.

Für mich ist es aber wichtig, dass auch entschieden wurde, dass verhältnismäßige Mitwirkungspflichten aufgelegt und verhältnismäßige Sanktionen grundsätzlich durchgesetzt werden dürfen. Der Staat hat also durchaus immer noch das Recht, bei Gewährung von staatlichen Leistungen auch eine Mitwirkung des Bürgers einzufordern.

Zu begrüßen ist sicherlich, dass einige Sanktionsregelungen teilweise als unverhältnismäßig bewertet wurden. Dies gilt in besonderer Weise dafür, dass die Pflichtverletzung immer zwingend zu sanktionieren sei und es keine Berücksichtigung von Härtefällen gibt. Das hat das Verfassungsgericht eindeutig jetzt festgelegt, dass darauf zu achten ist. Auch die starre Sanktionierungsdauer von drei Monaten wurde bemängelt. Dies wurde im Prinzip immer durch eine individuelle Prüfung und dann auch Ausgestaltung möglich. Die Landesregierung begrüßt das vorliegende Urteil ausdrücklich. Es schafft in einigen Bereichen Klarheit, stellt aber alle Akteure, vor allem in den Jobcentern, natürlich auch vor neue Herausforderungen.

Meine Damen und Herren, es geht um die Einhaltung der Ermessenspflichten in der Gesetzesanwendung. Es gilt zum Beispiel, bei allen Sanktionen eine Härtefallprüfung durchzuführen. Ich denke, das ist eine richtige Entscheidung. Die Landesregierung verfolgt bereits seit einigen Jahren, unter anderem in den Beratungen zum 9. SGB-IIÄnderungsgesetz, das Ziel, dass die Sanktionsregelungen für unter und über 25-jährige Personen anzugleichen sind. Entsprechende Initiativen auf allen Ebenen und Anträge im Rahmen der Arbeitsminister- und Sozialministerkonferenzen wurden seitens Mecklenburg-Vorpommerns immer unterstützt, scheiterten jedoch an verschiedenen Ansichten und Interessen der Akteure auch in anderen Bundesländern. Zum Beispiel Bayern, Baden-Württemberg wären hier zu nennen.

Mittlerweile kann man aber feststellen, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch diese Länder den Weg jetzt einschlagen, unter und über 25-Jährige gleich zu behandeln, und dieses Verfahren wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dann auch in allen Ländern angewandt, zumal auch der Bundesarbeitsminister in einer Klarstellung dafür wirbt und auch festgelegt hat, dass in dieser Frage die Sanktionierungen gleichzuschalten sind.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Das ist am 27. November dieses Jahres einerseits durch Herrn Heil dann auch an alle Länder gegangen. Von daher ist es, glaube ich, auch richtig, dass die Länder jetzt sozusagen fast im Einklang diese Dinge dann auch so umsetzen wollen. Die neue Position des Bundesarbeitsministers wurde noch mal am 3. Dezember dieses Jahres untersetzt, und damit ist deutlich geworden, dass die fachlichen Weisungen für über und unter 25-Jährige dann auch bei der Frage der Umsetzung gleichgeschaltet sind, das heißt maximal, wenn Sanktionen anstehen, nicht mehr als 30 Prozent, und Härtefallregelungen et cetera sind in diesem Falle mit zu prüfen.

Seitens der Landesregierung werden diese Ansätze voll unterstützt. Zu der Normenkontrollklage muss man sagen, die ist nicht nötig und die würden wir auch nicht unterstützen. Von daher, Herr Koplin, war es richtig, dieses Thema aufzusetzen, aber nicht alle Inhalte, die Sie vortragen, können von den Regierungsfraktionen mitgetragen werden.

Ich denke, dass Harz IV dazu geführt hat, dass man einerseits feststellen darf und muss, dass Deutschland sich dadurch massiv erholt hat, dass die Mitwirkungspflichten auch diskutiert sind und dass es auch darum geht, das will ich hier auch noch mal sagen, dass die Regelleistungen in den letzten Jahren um acht Prozent

auch erhöht worden sind. Das lassen Sie auch immer gerne weg.

Meine Damen und Herren, es ist so, dass wir dieses Bundesverfassungsgerichtsurteil ernst nehmen, und von daher werden die Festlegungen auch befolgt. Meine Damen und Herren, ich denke, dass die Regierungsfraktionen Ihren Antrag ablehnen werden. Ansonsten war es, denke ich, bis jetzt eine sachliche Debatte. – Vielen Dank.

(Beifalls vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vielen Dank, Herr Minister.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD Herr Professor Weber.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Bis jetzt war es eine sachliche Debatte. Bis jetzt war es eine sachliche Debatte.)

Liebe Mitbürger! Wertes Präsidium! Der Wirtschaftsminister hat eben gesagt, die Fraktion DIE LINKE würde auf einen fahrenden Zug aufspringen. Das stimmt nicht so ganz. Die Fraktion DIE LINKE hat uns jetzt in dieser Legislaturperiode zum dritten Mal unmittelbar mit Sanktionen, zum fünften Mal insgesamt mit der Hartz-IV-Problematik beschäftigt. Das heißt, die haben den Zug angeschoben, auf den jetzt vielleicht andere aufspringen.

Und da ist auch ein Kern Wahrheit drin, letztlich hat das Bundesverfassungsgericht jetzt ja geurteilt, dass Sanktionen, die über eine Kürzung von 30 Prozent hinausgehen, das Existenzminimum unterschreiten und damit verfassungswidrig sind. Ich mache keinen Hehl daraus, dass mir dieses Urteil inhaltlich überhaupt nicht gefällt, denn ich halte und hielt diese Sanktionsregelung für notwendig. Wir haben jetzt unter kräftiger Mithilfe des Bundesverfassungsgerichts so was Ähnliches wie ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen, das 30 Prozent unter den Hartz-IV-Sätzen liegt, aber immerhin. Diesen Weg halten wir, halte ich für grundsätzlich verfehlt. Aber es ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Diese Urteile wirken wie ein Gesetz, wie ein Bundesgesetz, und binden damit Verwaltung und Regierung. Das heißt, darüber braucht man nicht mehr zu diskutieren, das ist jetzt so. Punkt, aus! Gratuliere zum Erfolg!

Darüber hinaus wenden Sie sich jetzt wieder gegen alle weitergehenden Sanktionen, also Sanktionen gegen Jugendliche bei Meldeverstößen und so weiter. Ich möchte nur mal betonen, gerade bei Jugendlichen halten wir die Sanktionspraxis für elementar wichtig, denn da kann man noch auf die Zukunftsgestaltung einwirken und verhindern, dass sich Menschen dauerhaft im Hartz-IVMilieu ansiedeln und dort bleiben, lernen, damit zu leben, zurechtzukommen und vielleicht durch Zusatzeinkommen sich in diesem – vielleicht nicht auskömmlich bequemen, aber immerhin vorhandenen Nest – dann auch niederzulassen. Deswegen, Sanktionen für Jugendliche sind weiterhin notwendig.

Liebe Kollegen, Herr Koplin hat gestern gesagt, den „Unfug“ des Förderns und Forderns soll man aufgeben. Heute sprachen Sie vom „System der Drangsalierung“ und dem System einer „schwarzen Pädagogik“. Das wird

natürlich unserem Hartz-IV-System überhaupt nicht gerecht. Wir haben Regelungsbedarf, dazu hatten wir schon mehrfach uns ausgelassen, was die Regelsätze im SGB II angeht, auch die Bezugsdauer. Es ist schlichtweg unverständlich, dass jemand, der zwei oder mehr Jahrzehnte Arbeitsleben hinter sich hat, nach einem Jahr in die Sozialhilfe entlassen wird, und so weiter. Darüber, wenn Sie mal so einen Antrag isoliert darauf stellen, dann sind wir bei Ihnen, darüber muss man reden. Aber das System des Förderns und Forderns aufzugeben, Sanktionen ganz einzuschränken und das jetzt mit einer Normenkontrolle zu verfestigen, ist der in unseren Augen völlig falsche Weg.

Wir sind schon in dieser Republik auf einem verhängnisvollen Weg dahin, dass wir nur noch fördern und nicht mehr fordern. Schulpolitik, aktuelle Schulpolitik, geht weitgehend einen solchen Weg. Und wenn dann die Noten nicht passen, wenn zu viele im Schul-, im Pädagogikstudium durchfallen, dann liegt es sicher nicht nur an den Studenten, aber es liegt auch an den Studenten. Das heißt, man kann das Studium reformieren, aber man muss auch die Arbeitseinsätze und den Arbeitswillen derer, die ein solches Studium aufnehmen, fördern. In der Schule möglichst weitgehend Noten abschaffen, nur noch fördern, Migrationspolitik, wenn die Sprachtests zu schwierig sind, weil zu viele durchfallen, dann wird nicht etwa dahin appelliert, dass Sprache für die Integration wesensnotwendig und wichtig ist und man deswegen mehr Engagement einfordert, sondern es werden die Anforderungen an die Sprachtests abgesenkt und, und, und – dieser Weg, nur noch zu fördern und möglichst gar nichts mehr zu fordern, ist der völlig falsche Weg. Und genau diese Diktion trägt den Antrag der Linksfraktion.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Was haben Sie denn für ein Freiheitsverständnis?)

Deswegen können wir diesen Antrag nur insgesamt ablehnen. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)