Protokoll der Sitzung vom 15.05.2020

Schwesig hat die gegenwärtige von der Covid-19Pandemie ausgelöste Krise als größte Herausforderung für das Land Mecklenburg-Vorpommern seit dessen Gründung vor 30 Jahren bezeichnet. Nicht wenige Ökonomen und Finanzexperten sprechen sogar von der schwersten Wirtschaftskrise seit Kriegsende, welche in den kommenden Monaten und Jahren vielleicht auch auf die inzwischen abklingende Corona-Welle folgen wird.

Fakt ist freilich, dass viele Unternehmen schon jetzt in großen Schwierigkeiten stecken. Das gilt natürlich und besonders auch für den Einzelhandel. Der sogenannte Lockdown hat viele Unternehmen in existenzielle Schwierigkeiten gebracht.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Eine jüngst vorgenommene Lockerung dieser Einschränkungen brachte dem Einzelhandel in unserem Land bis anhin nicht die erhoffte Linderung. Der erwartete Andrang in den Geschäften blieb weitgehend aus. Das hat verschiedene Gründe. So gelten nach wie vor diverse Regeln, wie die Pflicht zum Tragen von Gesichtsmasken – wir sprachen bereits darüber – oder eine beschränkte Anzahl von Kunden, die sich zur gleichen Zeit in einem Geschäft aufhalten dürfen.

(Unruhe bei Peter Ritter, DIE LINKE und Minister Harry Glawe)

Ferner hat während des Lockdowns eine wachsende Zahl von Bürgern Gefallen am Einkauf im Internet gefunden und behält diese neue Gewohnheit nun bei. Und natürlich ist die Konsumstimmung allenthalben gedrückt, weil niemand so recht weiß, was noch alles auf uns zukommt.

Folgerichtig stellte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, HDE, Stefan Genth, unlängst fest, ich zitiere: „Da, wo viele Läden … wiedereröffnen durften, blieben die Umsätze im Vergleich zu den Zeiten vor Corona eher gering“, Zitatende. In einem Positionspapier schlägt der Handelsverband daher eine wenigstens vorübergehende Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten vor. Das Argument, damit könne der verlorene Umsatz ein Stück weit wenigstens zurückgeholt werden, wird indessen nicht nur von Unternehmerseite ins Feld geführt.

Der Publizist Nils Heisterhagen, Mitglied von SPD und IG Metall, hat in einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“ den Vorschlag einer wohlgemerkt temporären Sonntagsöffnung im Einzelhandel vehement verteidigt. Er führt sowohl ökonomische als auch zur psychologische Gründe für seine Haltung an. So dürfe man die Menschen nicht dauerhaft daran gewöhnen, auf den Onlinehandel umzusteigen. Das würde aber passieren, wenn Kunden die Innenstädte meiden, auch weil die Regierung ihnen im Zweifel dazu rät. Klar ist, durch Corona haben viele Menschen gerade Bedenken, sich in den nächsten Monaten in Innenstädten und Shoppingmalls aufzuhalten. Das wird den Konsum des stationären Einzelhandels dauerhaft einbrechen lassen, vor allem an normalerweise starken Verkaufstagen wie dem Samstag.

Andererseits, so Heisterhagen, könne die Regierung mit Blick auf eine befürchtete zweite Welle der Covid-19Pandemie kein Interesse daran haben, dass es in den

Innenstädten demnächst wieder rappelvoll ist und die Ansteckungsgefahr sich dadurch erhöht, auch weil immer mehr Bürger der Gesichtsmasken und Abstandsregeln überdrüssig sind. Ein zusätzlicher Einkaufstag würde den Einkaufsstrom also entzerren.

Auch das Argument, die Kaufkraft würde nicht steigen, nur, weil die Kunden auch am Sonntag shoppen gehen dürften, lässt der Experte nicht gelten. Er schreibt, ich zitiere noch einmal: „Gerade jetzt hilft jeder Anreiz, einkaufen zu gehen. Für den Dienstleistungssektor ist der Konsum nun mal zentral. Die Regierung kann noch so viele Kreditgarantien und Nothilfen geben – wenn die Leute nicht mehr kommen, wird es für Einzelhandel, Gastronomie und Hotelgewerbe existenziell.“ Zitatende.

(allgemeine Unruhe)

Man muss sich bei der Frage nach einer Liberalisierung der Öffnungszeiten auch stets vergegenwärtigen, dass der Einzelhandel während der mehrwöchigen Schließungen von Geschäften aus dem Nichtlebensmittelbereich annähernd 30 Milliarden Euro Umsatz verloren hat. Das sind jedenfalls die Zahlen des HDE, der als Folge der Pandemie bis zu 50.000 Insolvenzen in der Branche befürchtet. Da kann es nur gut sein, wenn die Menschen mehr Gelegenheit zum Einkaufen bekommen. Natürlich würde eine vorübergehende Sonntagsöffnung im Einzelhandel den betroffenen Arbeitnehmern eine Menge abverlangen, …

(Harry Glawe, CDU: Ist die Redezeit noch nicht abgelaufen?!)

Nö.

(allgemeine Unruhe – Glocke der Präsidentin)

… aber es kommt mir trotzdem so vor …

Einen Moment bitte, Herr Arppe!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind beim letzten Tagesordnungspunkt und der Geräuschpegel ist extrem gestiegen. Ich bitte doch, etwas mehr Ruhe zu bewahren, damit wir dem Redner auch zuhören können.

Danke! Ja, hier sind viele schon im Wirtshausmodus, dem Geräuschpegel nach zu urteilen.

(Thomas Krüger, SPD: Sie scheinen sich ja damit auszukennen.)

Natürlich würde eine vorübergehende Sonntagsöffnung im Einzelhandel den betroffenen Arbeitnehmern eine Menge abverlangen, das ist mir vollumfänglich bewusst. Schließlich war meine eigene Familie mehr als 70 Jahre im Fotografenhandwerk im Einzelhandel tätig. Ich selbst habe als Drucker über 20 Jahre im Schichtbetrieb gearbeitet, weiß also, was es heißt, an Sonn- und Feiertagen nicht zu Hause zu sein. Doch eines muss allen Beteiligten klar sein: Wer jetzt durch die Bereitschaft zur Sonntagsarbeit sein Unternehmen retten hilft, hat auch künftig einen Arbeitsplatz. Geht das Geschäft pleite, ist für die betroffenen Arbeitnehmer erst mal jeder Tag ein Sonntag. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion der SPD Herr Schulte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der LINKEN und der CDU haben mich gebeten, auch für sie gleich den Redebeitrag mit zu übernehmen, und das werde ich dann auch an der Stelle tun.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben Debatten in diesem Haus zum Thema Ladenöffnung, glaube ich, geführt, seitdem ich auch hier im Parlament bin, und sie werden auch davor geführt worden sein und sie werden auch in Zukunft noch geführt werden, weil es immer wieder Überlegungen gibt, wie gehen wir mit der Ladenöffnung und auch, wie gehen wir mit dem Sonntagsverbot um. Wir alle wissen, dass es unterschiedliche Auffassungen dazu gibt, aber man muss die allgemeine Debatte, die wir zum Thema Ladenöffnung, zum Thema „Sonntagsarbeit im Einzelhandel“ führen, von der derzeitigen Situation abkoppeln.

Wir haben eine Situation, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in der gerade die Beschäftigten im Einzelhandel vor besonderen Herausforderungen stehen. Sie alle fragen sich, ob Sie zum Beispiel in einer Ausschusssitzung oder hier in der Plenarsitzung – vielleicht acht Stunden oder zehn Stunden – mit einer Maske arbeiten wollen, um da entsprechend das auch zu machen. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tun das die ganze Woche über. Sie tun das unter ohnehin für sie auch erschwerten Bedingungen, und sie tun das, während wir ihnen Beifall klatschen als Helden des Tages, wo sie genauso bezahlt werden für ihre Arbeit wie vorher.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Frage, die sich jetzt stellt, ist nicht die Frage, ob man für Sonntagsarbeit im Einzelhandel generell ist, sondern die Frage, die sich stellt, ist, ob man in dieser Situation den Beschäftigten im Einzelhandel das noch zusätzlich geben will.

(Peter Ritter, DIE LINKE: So ist es, so ist es.)

Wir alle wissen das, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger lange überlegen, ob sie überhaupt in die Geschäfte gehen, ob es aus Angst ist, ob es aus Zurückhaltung ist. Wir wissen alle, dass viele von den Menschen in diesem Land, weil sie von Kurzarbeit betroffen sind oder auch betroffen werden können, sich Sorgen machen, wie sie mit ihrem Geld auskommen, und sich deswegen zurückhalten. Und vor dem Hintergrund ist eigentlich kein Bedarf, dass wir in dieser Situation,

(Thomas Schwarz, SPD: Genau.)

und damit ist nicht die allgemeine Debatte über die Ladenöffnung gemeint, dass wir in dieser Situation den Beschäftigten im Einzelhandel noch sagen: Ja, jetzt sollt ihr am siebten Tag in der Woche auch noch arbeiten!

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das wird jetzt nicht nur von mir so gesehen, vielleicht auch von vielen, vielen anderen in diesem Haus. Das wird ja selbst von den Arbeitgebern so gesehen, denn als es die Überlegung gab – und sie ist ja auch umgesetzt worden –, dass man den Lebensmittelgeschäften die Möglichkeit gibt, auch am Sonntag zu öffnen, da sind es die Arbeitgeber, die gesagt haben: Nein, unsere Beschäftigten arbeiten schon sechs Tage in der Woche schwer,

(Susann Wippermann, SPD: Richtig!)

nicht nur für unser Geschäft, sondern auch für die Menschen, die tatsächlich täglich einkaufen wollen, und wir wollen ihnen das am siebten Tag in dieser spezifischen Situation nicht antun

(Zuruf von Christian Brade, SPD)

und nehmen das nicht mal in Anspruch.

Und vor dem Hintergrund, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werden wir alle zusammen diesen Antrag heute ablehnen.

(Thomas Schwarz, SPD: Jawoll, Herr Schulte!)

Danke schön!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Schulte!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD Herr Horst Förster.

Und Herr Schulte hat es ja bereits angekündigt, dass die Redebeiträge der Fraktionen der CDU und der LINKEN entfallen, sodass Herr Förster der vorletzte Redner ist.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wo nichts angemeldet ist, kann auch nichts entfallen.)

Sehr richtig bemerkt, Herr Ritter! Es kann nicht entfallen, da es nicht angemeldet wurde. Aber gestatten Sie mir den Hinweis an alle, das quasi Herr Förster jetzt der vorletzte Redner ist.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Ja, es liegt mir fast auf der Zunge, Herr Schulte, Sie haben ja hier ein Modell in dem Punkt gewählt, was Ihnen ohnehin vorschwebt. Da will ich mich weiter nicht darauf einlassen, dass Sie also, ja, wie auch immer, aufgrund welcher Umstände

(Peter Ritter, DIE LINKE: Na?!)

hier meinen, für alle gemeinsam, für die übrigen Parteien gemeinschaftlich reden zu können. Interessante Neuerung!