Protokoll der Sitzung vom 10.06.2020

Da verwundert es wenig, dass der Zorn der letzten Fischer an den englischen Küsten des Königreichs auf die EU in einer Mehrheit für den Brexit mündete. Und wenn auch der Anteil der Fischerei an der Wirtschaftsleistung in England bei lächerlichen 0,1 Prozent liegt, so polarisiert das Thema doch enorm, und übrigens nicht nur in England, denn durch die Rückkehr zu den Zeiten vor der Gemeinsamen Fischereipolitik verlören insbesondere Franzosen und Holländer große Teile ihrer Fangmengen, die sie aus den britischen Hoheitsgewässern holen. Und somit verwundert es auch nicht, dass die Rest-EU genauso vehement am Tauziehen um die Fische teilnimmt.

An dieser Stelle, meine Damen und Herren, sei mir noch ein kleiner Exkurs gestattet, welcher das Dilemma der deutschen Ernährungswirtschaft demonstriert. Während man hierzulande die Lebensmittelproduktion, sei es auf dem Acker oder dem Wasser, unter dem Postulat eines radikalen Natur- und Umweltschutzes drastisch zurückfährt, steigen die Exporte aus dem Ausland, bei Fisch übrigens zu 90 Prozent unseres Verbrauchs. Es kann nicht sein, dass eine grüne Schickeria im Wohlstandsstaat Deutschland ihr grünes Gewissen vor der eigenen Haustür durch die Ruinierung ganzer Berufsstände beruhigt und gleichzeitig weltweit immer mehr Fläche unter den Pflug genommen wird, um den Konsumhunger eben jener Klientel zu befriedigen. Bio-Avocado aus Mittelamerika, angeblich nachhaltiges Rindfleisch aus Argentinien und unter gigantischen Plastikhallen angebaute BioPaprika, aber Hauptsache, auf dem Acker vor der eigenen Haustür muss eine Wildblumenwiese stehen und kein Getreide.

Und so verhält es sich auch mit der Fischerei. Im Bodden sollen sich Robben und Kormorane sattfressen können,

in der Ostsee lieber Windparks stehen und auf den Binnengewässern haben die Angler gefälligst auch nichts mehr zu suchen. Den Fisch kann man schließlich auch woanders herholen.

Meine Damen und Herren, im Greifswalder Bodden ist im Augenblick die Fischerei so gut wie zum Erliegen gekommen. Dort fährt kein Fischer mehr raus.

(Burkhard Lenz, CDU: Doch!)

Einer fährt noch.

Wenn die rausfahren, dann werden sie sofort von den Robben begleitet. Es macht gar keinen Sinn, überhaupt noch ein Netz auszubringen, sie holen nur abgefressene Fischköpfe raus. Das ist alles, was sie fangen. Und daher meine ich, ein bisschen mehr Ehrlichkeit, meine Damen und Herren, täte dieser Debatte doch sehr gut. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU Herr Lenz.

Sehr geehrter Herr Waldmüller! Ich war Geradeausfahrer und kein Fischer.

(Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, der uns hier vorliegt, der ist wichtig und richtig.

(Beifall Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr gut!)

Dass wir Probleme haben mit den britischen Gewässern, Herr Borschke, das geht auf ein Abkommen zurück, das ist über 56 Jahre alt. Damals waren die Briten dafür, die territorialen Grenzen, gerade auf dem Meer, freizumachen, um auch in anderen Ländern zu fischen. Sie haben vor Island gefischt, sie haben vor Norwegen gefischt, und das Gleiche sollten dann auch die anderen Länder in Anspruch nehmen können. Seitdem gibt es die Fischerei hauptsächlich in den britischen Gewässern. Und, Herr Borschke, da haben Sie recht, und auch der Minister hat davon gesprochen, es sind mit die fischreichsten Gewässer in der ganzen Welt.

Und auch deshalb – jetzt mache ich mal einen kleinen Exkurs in die Zeit der DDR-Fischerei – hat auch die DDR damals in den britischen Gewässern hauptsächlich Hering gefischt, der bei uns verarbeitet worden ist. Wir haben allerdings dafür teuer bezahlt, weil den Fisch haben wir bezahlt mit Fängen, die unsere Fischereiflotte vor Afrika gemacht hat, ob es Sardinen waren, Langusten, ob es Thunfisch war, all das wurde genutzt, gefangen vor Mosambik und Angola, um den Hering, den wir für die Versorgung in der DDR brauchten, um den in den britischen Gewässern zu verkaufen. Also es war schon immer ein Geben und Nehmen mit den Briten.

Die britischen Fischer, das haben Sie auch gesagt, auch der Minister, sind eigentlich diejenigen, die sich vorstellen – ich sage bewusst: vorstellen –, von dem Brexit am meisten zu profitieren. Denn eins muss man wissen,

die Franzosen, die Belgier, auch die Holländer, die Franzosen aus der Normandie, aus der Bretagne dürfen bis sechs Meilen vor die britische Küste fahren, und der britische Küstenfischer darf nicht weiter als zwölf Seemeilen an die anderen Küsten heran. Das ist natürlich ein Druckmittel auch gewesen an ihren Präsidenten, um den Brexit voranzutreiben. Dass das aber natürlich nach hinten losgehen kann, das muss man auch sehen.

Übrigens, die Franzosen realisieren ungefähr 75 Prozent ihres Fischerlöses – 75 Prozent! – in britischen Gewässern. Das ist gigantisch! Für das, was wir aus den britischen Gewässern holen, ist das ja eigentlich noch ziemlich wenig. Deshalb denke ich, dass es nicht nur Deutschland sein wird, dass es auch Frankreich sein wird, dass es Belgien, Holland sein werden, die darum kämpfen, dass die Fischereirechte, die es bis jetzt innerhalb der EU gab, auch beibehalten werden. Ansonsten wird es nämlich für die britischen Fischer – und das muss ich sagen – sehr, sehr teuer, denn die exportieren ungefähr 80 Prozent ihres Fanges in die EU. Das ist ein ganz heikles Geschäft für die Briten, denn der Eigenverbrauch an verarbeitetem Fisch ist in England sehr hoch.

Nur, dieser verarbeitete Fisch, der kommt speziell aus Deutschland. Wir importieren ungefähr für 135 Millionen Rohfischware nach Deutschland, exportieren für ungefähr 250 Millionen in das Königreich. Das sind also Fragen, die alle mit ausgewertet werden müssen. Das geht nicht von heute auf morgen, das muss genau durchdacht werden. Und so, wie es früher war, die Briten sind aus der EU raus, da haben sie auch kein Interesse mehr an den landwirtschaftlichen Ausgleichszahlungen, die ja das mit der Fischerei damals ausgeglichen haben, das wird natürlich noch ein Riesenproblem.

(Vizepräsidentin Dr. Mignon Schwenke übernimmt den Vorsitz.)

Ich denke, ich brauche hierzu nicht weiter auszuführen, der Minister hat genügend ausgeführt. Ich denke, dass es für beide Seiten, also für die EU und aber auch für die Briten, ein Tanz auf der Rasierklinge wird, wie das mit den Fischereirechten wird. Ich hoffe, dass, wenn die Bundesrepublik die Ratsherrschaft in der EU übernimmt und eine Kanzlerin, die in ihrem Wahlkreis sehr viele Fischer hat, sie sich auch dafür einsetzen wird, dass das, was wir hier in Mecklenburg-Vorpommern auch an Produktionsstätten gefördert und errichtet haben, dass die am Leben bleiben.

Aber einen Satz noch vielleicht zur kleinen Küstenfischerei. Herr Minister, es gibt seit ein paar Wochen eine neue Regelung, was die Dorschquoten betrifft. Und Hochseefischerei und die kleine Küstenfischerei, ich meine, von der kleinen Küstenfischerei lebt Mecklenburg-Vorpommern traditionell mehr als von der Hochseefischerei. Deshalb muss es doch uns ebenfalls am Herzen liegen, diese kleine Küstenfischerei, die – ich habe es schon ein paar Mal gesagt, ich lasse es heute sein – am Überleben zu halten. Und diese neue Verordnung, die es gibt – das wäre schön, wenn wir uns nachher darüber mal kurz unterhalten könnten –, die bestimmten kleinen Kuttern verbietet, außerhalb der 20-Meter-Tiefenlinie auf Flunder, auf Scholle, auf Steinbutt zu gehen, weil sie ja eventuell Dorsch damit fangen könnten, weil die Fanggebiete oder die Fangeinschränkung für den Dorsch noch weiter, restriktiver ausgeweitet worden sind, denen verbietet

man, außerhalb der 20-Meter-Linie die anderen Fischarten zu fangen.

Und Übrigens, der Pole ist meiner Meinung nach auch Mitglied der EU und sollte sich wie alle anderen auch an die durch die EU vorgegebenen Fangquoten halten. Da kümmert sich keiner drum. Also es wäre mal interessant, dass wir auch eine internationale Fischereiüberwachung in der Ostsee bekommen, die solche Staaten, die sich nicht an die vorgegebenen Quoten halten, zur Rechenschaft zieht.

Danke schön, meine Damen und Herren! Ich danke für die Aufmerksamkeit. Dem Antrag kann man nur zustimmen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt das Wort der Abgeordnete Dr. Weiß.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei aller Gutwilligkeit: Guten Morgen, liebe Koalitionäre! Endlich aufgewacht, das Thema ist da.

(Burkhard Lenz, CDU: Endlich aufgewacht?!)

Meine Freude hält sich in Grenzen.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Ja, endlich aufgewacht. Ich sage gleich in fünf Punkten, weshalb. Zunächst …

(Peter Ritter, DIE LINKE: Im Europa- ausschuss hoch und runter diskutiert.)

Ja, doch, ich komme ja gleich darauf, Peter.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nee, ist ja bloß für den Kollegen.)

Meine Freude hält sich in Grenzen, sagte ich,

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

und ich werde es gleich begründen,

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

denn erstens kommt dieser Antrag viel zu spät, der Brexit ist quasi bereits Geschichte.

(Torsten Renz, CDU: Aha!)

Der Bericht, den der EU-Verhandler Herr Barnier am 15. Mai – das ist ja nun noch wirklich nicht allzu lange her – gegeben hat, ist ernüchternd. Und gerade vorgestern – sicherlich, man kann nicht jedes Interview mitbekommen, was läuft –, gerade vorgestern sagte er fast wörtlich in einem weiteren Interview als Replik auf diese Verhandlungsrunde, die er gerade beendet hat, er sei nicht optimistisch, dass der Deal noch gelingt. Und ein Mann, der quasi Berufsoptimist ist, wenn der so etwas sagt, dann hat das natürlich schon Gewicht.

Ohne dieses Interview hätte ich mein Statement wie folgt fortgesetzt: In der vor uns liegenden Übergangsfrist muss

es gelingen, ein für alle Seiten tragbares Abkommen mit dem Königreich zu erzielen. Und dabei stellten und stellen die Rechte der britischen Fischer seit Beginn der Brexit-Verhandlungen bis heute einen zentralen Punkt dar. Zwar macht der Sektor nur einen kleinen Teil aus in der britischen Wirtschaft, nach unseren Recherchen arbeiten mal gerade 24.000 Leute in der britischen Fischwirtschaft, und die Hälfte davon in Schottland, und dieser Sektor trägt weniger als 0,1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt in Großbritannien bei – es ist also gewissermaßen ein symbolisches Spiel, was hier stattfindet –, es ist ein symbolisches Spiel, aber für die Brexitiers ist es ein sehr wichtiges, weil es nämlich symbolisiert, wie hier die Souveränität von der Europäischen Union erlangt wird.

Und zudem pocht Premier Johnson darauf, keinen Antrag auf Verlängerung der Übergangsfrist zu stellen, und damit droht zum Jahresende ein harter Brexit ohne Abkommen. Und da bin ich wieder beim Anfang dessen, was ich gerade gesagt habe über Barnier beziehungsweise sein Zitat. Es ist zwar, wie es gerade formuliert wurde durch Herrn Lenz, es ist die Hoffnung der britischen Fischer und es ist auch ernst zu nehmen, was an dieser Stelle gesagt wird, aber diese Hoffnung der britischen Fischer, gekoppelt mit der symbolischen Haltung der Brexitiers, macht natürlich unsere Verhandlungsbasis, egal ob auf Bundes-, Landes- oder EU-Ebene, nicht günstiger.

(Zuruf von Burkhard Lenz, CDU)

Zweitens. Ich halte es für absolut selbstverständlich, dass die Landesregierung sich gegenüber der EU in Verbindung mit dem Bund einsetzt, nicht nur für unsere Hochseefischerei, auch eben für die Fischverarbeitung, ob nun in Sassnitz oder wo sonst in unserem Land. Dazu braucht es eigentlich keinen Auftrag des Parlaments. Soweit mir bekannt ist, und wie es der Minister ja auch gerade gesagt hatte, machen sie das bereits. Eigentlich hat sich damit der Antrag erledigt. Sei es drum! Herr Patrick Dahlemann hat es ja deutlich gesagt, es handelt sich um einen Rückenwindantrag. Nun, wenn die Regierung das braucht, wollen wir dem nicht im Wege stehen.

Drittens. Dass die Landesregierung gemeinsam mit dem Bund nach Lösungen sucht, die Folgen auch für die Fischverarbeitung in unserem Land, insbesondere in Sassnitz, zu bearbeiten, alle Folgen dort abzumildern, bedarf keiner Aufforderung durch das Parlament. Aber da bin ich wieder beim sogenannten Rückenwindantrag und frage mich dann so insgeheim: Hat die Regierungskoalition, haben die Koalitionäre kein Vertrauen mehr in den eigenen Minister? Nun, lassen wir das als rhetorische Frage stehen.

Viertens. Ich erinnere an die Januarsitzung 2020. Die meisten von Ihnen waren anwesend. Es gab einen Bericht durch unseren Kollegen Karsten Kolbe. Er sprach damals dezidiert über die Sorge, die ihn begleitet und beschleicht, wenn er an die Hochseefischerei und unsere Fischverarbeitung, insbesondere in Sassnitz, denkt, gerade im Hinblick auf die Folgen des Brexit. Ich denke, das war eindeutig formuliert und es ist bei all denen, die das gehört haben, sicherlich nicht einfach so vorbeigegangen. Damit bin ich wieder am Anfang meiner Rede: Guten Morgen, liebe Koalitionäre!