Protokoll der Sitzung vom 23.09.2020

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrages der Fraktion der AfD – Fall Nawalny nicht missbrauchen, Drucksache 7/5353.

Antrag der Fraktion der AfD Fall Nawalny nicht missbrauchen – Drucksache 7/5353 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion der AfD der Fraktionsvorsitzende Herr Kramer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Bevor ich hier zu unserem Antrag komme, möchte ich gleich etwas sagen, was mir am wichtigsten erscheint: Meine Fraktion wünscht Herrn Nawalny eine schnelle Genesung.

(Andreas Butzki, SPD: Der ist schon aus dem Krankenhaus raus.)

Wir hoffen inständig, dass der Herr Nawalny, der sich selbst als Patriot sieht, schnell wieder zur alten Form findet. Nur, weil er heute aus dem Krankenhaus gekommen ist, heißt das noch lange nicht, dass er auch schon wieder genesen ist. Wir hoffen, dass er sich unter dem persönlichen Gaststatus der Kanzlerin auch in Sicherheit befindet.

Viele, insbesondere Mitglieder meiner Fraktion und Partei, wissen, was es heißt, als Oppositionelle von kriminellen Straftätern angegriffen zu werden. Wir kennen diese hinterhältigen Gewalttaten und die Zerstörungswut. Deshalb bringen wir hier einen Antrag ein mit dem Titel den „Fall Nawalny nicht missbrauchen“. Denn es ist schon ziemlich absurd, was alles unternommen wird, um einen nicht aufgeklärten Vergiftungsfall auf einen oppositionellen Politiker zu vergelten. Ein milliardenschweres Energieversorgungsprojekt soll nun gestoppt werden. Die Rede ist von der Ostseeerdgasleitung Nord Stream 2.

Meine Damen und Herren, die Heuchelei ist riesengroß. Es war ein begrüßenswerter medizinischer, lebensrettender Einsatz, Herrn Nawalny in die Charité nach Berlin zu bringen. Aber es drängen sich doch die Fragen und Parallelen geradezu auf: Wo war denn da das staatliche Interventionspaket, als der AfD-Bundestagsabgeordnete und Oppositionelle Frank Magnitz niedergestreckt und lebensgefährlich verletzt wurde? Wo war der Polizeischutz und das Betroffenheitsgetue der Kanzlerin, als mein Parteikollege Kay Gottschalk von Schlägern vor dem Parteitag in Hannover niedergeprügelt wurde?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nawalny, oder worum geht es?)

Und wo sind die Unternehmungen dieses Landtages, wenn unsere Bürgerbüros angegriffen, beschmiert oder entglast werden? Ich kann es Ihnen sagen: Wenig ist passiert und wurde unternommen, um diese Angriffe zu unterbinden, denn es interessiert in diesem Staat so gut wie niemanden, wenn die rechte Opposition drangsaliert wird.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

Und mal komplett andersherum gedacht: Fordern die Amerikaner oder die Russen Sanktionen gegen uns, wenn mein Kollege Frank Magnitz fast erschlagen wird? Nein, denn das wäre ja auch absurd. Und nun, ein russischer Politiker einer chancenlosen Kleinstpartei wird vergiftet. Plötzlich haben wir in ganz Deutschland die Alarmstufe Rot und der Kalte Krieg wird heraufbeschworen. Und bevor überhaupt nur ansatzweise geklärt ist, was dahintersteckt, wird Stimmung gegen eine Regierung gemacht.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Es wird versucht, den Handel zweier Völker zu unterbinden. Ein 10 Milliarden schweres Projekt soll nutzlos in der Ostsee versenkt werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Entschädigungszahlungen oder Sanktionsspiralen auf Kosten des Volkes würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit folgen. Warum aber? Welche Beweise gibt es?

(Präsidentin Birgit Hesse übernimmt den Vorsitz.)

Wo sind die Beweise, dass Mitarbeiter von Gazprom, dem Mutterkonzern von Nord Stream 2, dahinterstecken? Gibt es Beweise, dass Angestellte von Wingas aus Lubmin etwas mit der Vergiftung zu tun haben? Es gibt sie nicht, genauso wenig, wie es Beweise gibt, dass irgendjemand aus dem russischen Verwaltungs- oder Geheimdienstapparat damit etwas zu schaffen hat. Wir haben also keine Beweise, aber Stimmungsmache.

Was es mittlerweile leider gibt, sind aber aggressive Stimmen hochrangiger Politiker. Ein Ende des Pipelinebaus fordern Vertreter der GRÜNEN, der FDP und auch der CDU. Sogar in der Bundesregierung ändert sich die Tonlage. Finanzminister Scholz versucht, die Amerikaner mit 1 Milliarde Euro Tributzahlungen zu besänftigen. Außenminister Heiko Maas teilte der Öffentlichkeit mit, ich zitiere: „Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern.“ Zitatende. Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt über ihren Presse

sprecher Seibert verkünden, dass ein Stopp nicht mehr ausgeschlossen sei.

Und wie sieht es mit der Europäischen Union aus, unserem angeblichen Bündnis, das zum Großteil von uns finanziert wird? Sie tat und tut bisher nichts, um die amerikanischen Sanktionen gegen Unternehmen abzuwehren. Aber am 17.09.2020 wurden mit großer Mehrheit härtere Maßnahmen gegen die Russische Föderation und eine internationale Untersuchung zum Fall Nawalny beschlossen. Wer hat Interesse daran?

Liebe Kollegen hier im Landtag und auf der Ministerbank, wir haben dieses Thema schon auf der vergangenen Plenarsitzung besprochen, damals wohl aus ehrlicherem Grunde. Das aggressive Schreien der drei amerikanischen Cowboys haben wir hier einstimmig zurückgewiesen. Damit schließt sich dann aber auch der gedankliche Kreis für jeden, der darüber nachdenkt, wer Interesse an einer weiteren Eskalation haben könnte. Spekulieren wir doch mal: Vielleicht stecken die Amerikaner dahinter. Wir wissen, wozu dieser „Deep State“ in der Lage ist. Vielleicht war es der ukrainische Geheimdienst. Haben möglicherweise Linksextremisten etwas damit zu tun?

Auf der anderen Seite können wir aber auch spekulieren, wem diese Tat nichts nützt. Da fällt mir zum Beispiel Wladimir Putin ein, denn er hat mit Sicherheit kein großartiges Interesse daran, kurz vor der Regionalwahl eine völlig unbekannte Partei eines völlig unbekannten Politikers dadurch noch aufzuwerten.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Mit Sicherheit hat Herr Putin auch kein Interesse daran, sich weitere Sanktionen einzuholen. Deshalb fordern wir hier mit unserem Antrag ein Ende der Spekulationen und weiterhin Politik für unsere Bürger.

Und bevor wir hier weiter spekulieren, welcher brutale Geheimdienst dahinterstecken könnte, lassen Sie uns doch einfach mal überlegen, wer sich sowieso keine Sanktionen einholen will. Das sind vor allem unsere Bürger. Das sind die russischen und die deutschen Bürger, die in Ruhe Handel treiben wollen. Das sind die russischen Arbeiter, die Erdgas aus dem Boden holen, und Kraftwerksangestellte, die Strom für unsere Haushalte produzieren. Deshalb fordern wir hier den Landtag heute auf, unserem Antrag zuzustimmen und dieses Ansinnen damit zu bekräftigen. Lassen Sie uns ein deutliches Zeichen setzen und die Landesregierung auffordern, jetzt nicht einzuknicken aufgrund dieses Nawalny-Vorfalls!

(Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)

Die letzten 130 Kilometer Gasleitung müssen fertiggestellt werden. Wir dürfen diesen Vorfall nicht missbrauchen, um die scheinheiligen Interessen Kalter Krieger und der Fracking-Lobbyisten zu bedienen. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Stimmen Sie für Frieden, Handel und unsere Energiesicherheit! – Herzlichen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 61 Minuten vorzusehen. Ich sehe

und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Landesregierung der Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Herr Pegel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Kramer, zunächst würde ich mich noch wieder näher an den Antrag ranbewegen wollen.

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Ja, sehr gut!)

Sie haben ja sehr stark abgestellt auf den Fall Nawalny. Dazu traue ich mir Spekulationen nicht zu, auch wenn ich als Anwalt gelernt habe, dass allzu viele Beweismittel am Tatort mich trotzdem kurz misstrauisch werden lassen, ob man nicht einmal genau hinterschaut. Also an der Stelle sind wir vielleicht bei den Bedenken, die wir erheben, nicht so weit auseinander. Aber der Antrag geht ja vor allen Dingen in eine positive Richtung und sagt, wir wollen uns erneut mit der Frage befassen, ob das Bedenken an dem Weiterbau von Nord Stream 2 weiter nähren soll.

An der Stelle gibt es den Beschluss des Landtages aus der letzten Sitzung, von dem wir als Landesregierung davon ausgehen, dass er weiterhin – ich glaube, er war einstimmig, nach meiner Erinnerung – genau in der Weise geht, wie er dort beschlossen worden ist. Sie werden auch wahrgenommen haben, dass die Ministerpräsidentin sehr deutlich, auch als sich die politischen Wallungen um die Nord-Stream-2-Pipeline noch einmal wieder erhöht haben infolge des Falles Nawalny, sehr klar inhaltlich Position bezogen hat für die Landesregierung, für das Land und damit auch für das, was dieser Landtag uns mit auf den Weg gegeben hat. Wir gehen davon aus, und da teilen wir die Auffassung, dass es an dieser Positionierung keinerlei Veränderung gibt.

Wir würden zugleich sagen, und da sind wir uns einig, das ist insoweit, was wir bisher kennen, eine erschreckend schwere Straftat. Und selbstverständlich gehört dazu, dass wir ja Erwartungshaltungen an die staatlichen Organe in Russland haben, dass genau diese Straftat aufgeklärt und dann konsequent sanktioniert wird. Aber das sind Dinge, die wir losgelöst sehen von Fragestellungen verschiedenster Art, mit dem internationalen Handel und mit dem Handel mit Russland und insbesondere von dem Pipelineprojekt. Und das ist für uns, genau wie beim letzten Mal hier gemeinsam ausgetauscht, auch darin begründet, dass Nord Stream 2 nicht irgendein russisches Projekt ist, das wir aus Barmherzigkeit bereit sind zu begleiten, sondern es ein durch und durch europäisches Projekt der Energieversorgungssicherheit wenigstens in West- und Mitteleuropa ist und von daher es umso dringender erforderlich ist, die Dinge voneinander getrennt zu halten.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Hört, hört!)

Das Gleiche haben Sie von mir in der Vergangenheit wiederholt gehört, deswegen bin ich ohne Bedenken oder bin ich ohne Sorge. Aber es freut mich, dass Sie noch mal „Hört, hört!“ rufend auf diesen Punkt hinweisen.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD)

Da ich aber in den letzten Wochen durchaus intensivere, ich formuliere es mal freundlich, Missverständnisse zu Nord Stream 2 in der öffentlichen Debatte wahrgenommen habe, will ich Ihren Antrag nutzen, einige Punkte noch mal aufzugreifen, weil ich immer glaube, dass eine faktenbasierte Diskussion unglaublich hilfreich ist, um Dinge einzuordnen und auch Diskussionen zu führen. Ich nutze also die Chance, einfach mal hier und da, ich hoffe, Fakten beitragen zu können und vielleicht auch zur Aufklärung manchen Missverständnisses beizutragen.

Also erstens, der Vorwurf in den letzten Wochen war ja wiederholt – es gab übrigens eine spannende Bundestagsdebatte, ich glaube, vergangene Woche Freitag –, es handele sich um ein originär russisches Projekt. Und auch eine große deutsche Boulevardzeitung hat das unter dieser Überschrift gefahren, es sei ein rein russisches Projekt. Ich weise zum wiederholten Male gern darauf hin, dass dem nicht so ist. Es ist weder ein rein deutsches Projekt noch ein rein russisches, sondern ein durch und durch europäisches, was Sie auch daran erkennen können, dass die Mitfinanzierung durch mehrere mitfinanzierende große Konzernstrukturen verschiedener europäischer Länder stattfindet. Dabei sind Unternehmen aus Frankreich, Österreich, Großbritannien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland.

Es erfüllt im Übrigen tiefe, im tiefsten Sinne europäische Interessen. Es erfüllt nämlich notwendige Voraussetzungen innerhalb von Europa, ein in sich vermaschtes Netz von Gaspipelines innerhalb von Europa, die Energieversorgungssicherheit, abzubilden. Und es zeigt sich auch ein Hauch darin, dass die Anschlussleitung von Lubmin Richtung Sachsen, die im Übrigen letzten Freitag dann auch bei Nord Stream 2 so untergemuschelt wurde als Thema, die andere Investoren hat in Teilen im Übrigen, die sogenannte EUGAL, diese EUGAL, die aus zwei Strängen besteht, ein Strang bis über die tschechische Grenze, ganz bewusst mit Interessenlage der Tschechen gebaut worden ist und von da aus im Übrigen in dort existierende Gasnetze weiter in den südosteuropäischen Raum hinein das Gas weiterleiten soll. Auch die Mitfinanzierenden, die ich eben genannt habe, zeigen dann deutlich, es ist kein deutsches, kein russisches, sondern ein klar europäisches Projekt.

Und ich will an der Stelle auch mit einem weiteren Argument kommen, bei dem wir hier mit Sicherheit wildeste Debatten führen könnten zum eigentlichen Ursachenpunkt, aber vielleicht bei der Quintessenz zumindest einig sind. Wenn man Energiewende will oder auch sagt, ich habe Bedenken, aber egal, wie man es bewertet, wenn man Kohlekraft 2038 spätestens abschaltet und auch vorher prüfen will, ob man früher rausgeht, wenn man die friedliche Nutzung der Kernenergie, also die Kernspaltung, Ende kommenden Jahres endgültig für die Energieversorgung in Deutschland ausfahren lassen will,

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

wenn man all das …

Ich bin nicht so in großer Sorge, dass wir Franzosen brauchen. Ich bin in Sorge, dass Sie irgendwann überlegen müssen, wie Sie die sogenannte Residuallast, also die Momente, wo Wind und Sonne das nicht abbilden,

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Wie Sie zumindest in der Übergangszeit genau das füllen, denn wir sind bei Speichertechnologien, wir sind bei Wasserstoff noch in keiner Situation, wo wir mal eben innerhalb von anderthalb Jahren die gesamte deutsche Energieversorgung umstellen, sondern es wird ein Prozess sein, von dem ich überzeugt bin, dass er uns zwei Jahrzehnte mindestens beschäftigt. Genau wie die industrielle Skalierung der Windenergie, vor knapp 20 Jahren mit dem EEG begonnen, auch über 20 Jahre heute Leistungswerte erreicht, die vor 20 Jahren kein Mensch geglaubt hätte, daran gemessen sind die Anlagen von vor 20 Jahren quasi Playmobil- oder Legogröße.

Aber dieser Entwicklungsprozess, der ganz stark von industrieller Forschung begleitet war, ist natürlich auch angeheizt worden durch den neu geschaffenen Markt. Aber auch der war nicht in 2 Jahren da, sondern hat 15 bis 20 Jahre Entwicklung gebraucht. Gleiches werden wir bei Speichertechnologien, vor allem bei Wasserstofftechnik, in den nächsten 50 Jahren auch erleben. Wir brauchen also notwendig eine Brückentechnologie, die schnell regelbare Gaskraftwerke benötigt, die möglichst häufig aus dem Netz herausgehen mit ihren Strommengen, wenn die Wind- und Sonnenstrommengen da sind, weil sie nicht so träge sind, dass sie dann weiterproduzieren müssen, die umgekehrt aber sehr schnell hochregelbar sind, wenn wir diese Mengen benötigen. Also noch mal: als Brückentechnologie dringend benötigt für die längere Übergangsphase, vor dem Hintergrund brauchen wir diese Gasmengen.

Und da bin ich bei den Gasbedarfsfragen. Und jetzt wieder: in Europa betrachtet, nicht in Deutschland. Wir haben ein eng vermaschtes Gasnetz in Europa. Wir reden, wenn, dann immer über die wenigstens west- und mitteleuropäische Gasversorgung insgesamt.