Protokoll der Sitzung vom 12.03.2002

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur gut eine Minute Redezeit. Ein Hinweis an die CDU: Waren Sie eigentlich jemals auf der Internetseite Bayerns? - Ich kann Ihnen das nur empfehlen. Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz wird die Zuwanderungspraxis in Bayern begrenzen. Das ist richtig, und das halte ich auch für einen richtigen Weg. Bayern sucht über das Internet Pflegekräfte. Bayern sucht über das Internet Facharbeiter. Bayern lässt mehr Zuwanderung in den regionalen Arbeitsmarkt über die Amigo-Beziehungen zwischen Handwerk und Arbeitsamt, über die Ausnahmeregelungen vom Anwerbestopp zu. Diese Regelungen werden in Bayern sukzessiv so ausgenutzt, dass es dort derzeit mehr Zuwanderung im Facharbeiterbereich gibt, geduldet von der Bayerischen Landesregierung, als es das rot-grüne Zuwanderungsgesetz zulassen will.

(Möllring [CDU]: Dagegen spricht doch auch gar nichts! - Gegenruf von Frau Harms [GRÜNE]: Sie sprechen dagegen, Herr Kollege!)

Diese Realität hat gute Gründe, meine Damen und Herren: Gerade in Bayern und Baden-Württemberg besteht ein eklatanter Facharbeitermangel, sodass bestimmte Handwerksbetriebe im Mittelstand 10 % ihrer Aufträge zurückgeben müssen - den wirtschaftlichen Schaden daraus können Sie ja einmal ausrechnen! -, weil die Arbeitskräfte fehlen, um diese Aufträge auszuführen.

Meine Damen und Herren, die Debatte, die Herr Stoiber gerade führt, ist unehrlich. Die bayerische Praxis ist eine andere.

(Busemann [CDU]: Erfreulich!)

Wir wollen das für ganz Deutschland regeln. Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir kommen jetzt zu

c) Bundes- und Landesregierung als Arbeitsplatzkiller: 22 % mehr Insolvenzen in Niedersachsen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/3214

Das Wort hat Herr Kollege Dinkla.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Plaue, bei Ihrem Beitrag ist mir eben deutlich geworden, dass zwischen der Steigerung der Lautstärke und der Kraft der Argumente nicht unbedingt immer eine Parallelität besteht.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bei einer Zunahme der Insolvenzen um 22,3 % müssen bei der Landesregierung eigentlich alle Alarmglocken schrillen. Alle Fachleute sagen, dass das die Spitze des Eisberges ist. Man sollte hier in Niedersachsen nicht, wie gewohnt, die Dinge schönreden, sondern hier müssen eigentlich die Fakten auf den Tisch.

Handwerk und Mittelstand - speziell in der Baubranche - stecken in einer tiefen Krise. Viele Hoffnungen, die zweifellos auch im Handwerk mit dem Regierungswechsel 1998 verbunden waren, sind in tiefe Resignation und Verzweiflung umgeschlagen.

Die Zahlen für Niedersachsen sind ernüchternd: Ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % heißt konkret: 50 % unter dem Bundesdurchschnitt und etwa ein Viertel oder ein Fünftel des Wirtschaftswachstums von Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Sogar das Saarland hat uns nach dem Regierungswechsel weit abgeschlagen.

Die Arbeitslosigkeit im Februar 2002 belief sich in Niedersachsen auf 10 %. Das ist die höchste Arbeitslosenquote aller westdeutschen Flächenländer. Auch hier stehen drei SPD-regierte Bundesländer an der Negativspitze.

Es gibt knallharte hausgemachte Gründe für die negative wirtschaftliche Situation in Niedersachsen. Niedersachsen bildet zusammen mit Schleswig-Holstein das Schlusslicht in der baukonjunkturellen Entwicklung. Wir haben in Niedersachsen einen enormen Nachholbedarf an Investitionen im Baubereich. Durch die schlechte Finanzausstattung der Kommunen ist diese erzwungene Investitionszurückhaltung insgesamt zum Arbeitsplatzkiller geworden. Die Investitionen in Zukunftsbereiche in Niedersachsen plätschern vor sich hin. Die Anhörung zum Thema Mittelstand hat gezeigt, wo die Schwachpunkte liegen: Förderwirrwarr, knappe Mittel, zu lange Bearbeitungszeiten. Um auch ein Beispiel zu nennen: Wo sind denn die von der CDU-Fraktion angemahnten Aktivitäten, auch für den Mittelstand neue Exportmöglichkeiten zu schaffen? Was ist gemacht worden? - Bislang habe ich davon nichts gehört.

Die Ost-Erweiterung der EU bietet insbesondere für den Handwerksbereich und den Mittelstand große Chancen zu mehr wirtschaftlichen Kooperationen. Aber auch hier ist zurzeit nicht erkennbar, dass etwas geplant ist.

Die Wirtschafts- und Steuerpolitik des Bundes wird mehr und mehr gerade für den eigentümergeprägten Mittelstand und das Handwerk zum Desaster. Die politisch kaltschnäuzige, einseitige und unausgewogene steuerliche Bevorzugung der Kapitalgesellschaften und Großindustrie, verbunden mit einer völligen Fehleinschätzung der Steuermindereinnahmen, wird ein massives Sterben der kleinen und mittleren Betriebe einläuten. Das ist die Ausgangssituation.

Es gibt aber auch psychologische Wirkungen der Politik: Wenn der Mittelstand heutzutage so definiert wird, dass dies der Bereich der Wirtschaft ist, zu dem in Krisensituationen kein Bundeskanzler,

kein Ministerpräsident und kein Staatssekretär kommt, dann läuft etwas falsch in diesem Lande.

(Zustimmung von Frau Körtner [CDU])

Dann müssen wir uns endlich von dem HolzmannSyndrom lösen, dass nur die Großen einen Stellenwert in der Wirtschaftspolitik haben.

Die schlechte Situation in der Wirtschaft hat auch eine Vorgeschichte, die nicht in Europa oder in den USA zu suchen ist. Wer hat denn diese komplizierte und ungerechte Steuerreform auf den Weg gebracht? Wer hat denn dieses bürokratische Monster der Neuregelung der 630-DM-Beschäftigung beschlossen? Wer hat denn das Betriebsverfassungsgesetz novelliert? Von Ökosteuer, Scheinselbständigkeit, Schlechtwettergeld und vielen anderen Negativentscheidungen überhaupt nicht zu reden. Dieser kumulierte Druck bringt die Betriebe insgesamt zur Verzweiflung.

Die Politik muss auch endlich Antworten auf folgende hochgradig gefährliche Situation finden. Viele Unternehmen auch in Niedersachsen haben eine völlig unzureichende Eigenkapitaldecke, die in vielen Fällen das kaufmännische Mindestmaß erheblich unterschreitet. Der Mittelstand - so formulieren es Insider - blutet zurzeit aus. Basel II wird vielleicht erst 2006 kommen. Aber alle wissen: Es wird jetzt bereits umgesetzt.

Meine Damen und Herren, ich möchte auch ein Zitat bringen: Die Blütenkränze, die dem Handwerk regelmäßig in den Sonntagsreden der Politiker gebunden werden, bestehen in Wirklichkeit leider nur zu oft aus verdorrten und dornigen Blumen. Er wünsche sich, in Berlin mehr Mittelstandspolitik erkennen zu können. - Das hat NRW-Wirtschaftsminister Ernst Schwanhold von der SPD gesagt. Ich nehme ihm das ab; er kommt ja nicht aus Köln.

Für die Landesregierung heißt es angesichts der Zahlen und der Fakten der Wirtschaftspolitik: Alarmstufe Rot. - Dann ist bekanntlich Handeln und nicht Aussitzen angesagt!

Ich bin es auch leid, dass uns in Niedersachsen von der SPD politisch immer vorgegaukelt wird, hier stehe alles zum Besten. Bei der Verkündung dieser „großen“ Erfolge habe ich oft das Gefühl, das ist mehr eine Marketingmaßnahme. Hier soll etwas verkauft werden, was es in Wirklichkeit gar nicht gibt, also sozusagen „gebratenes Eis am Stiel“. Die

Wirklichkeit im Bereich des Handwerks, der Bauwirtschaft, der Dienstleistungswirtschaft ist so bedrückend, dass dies vom Hochsitz der Politik der Landesregierung wohl gar nicht mehr wahrgenommen wird. Darunter leidet der Standort Niedersachsen, meine Damen und Herren, aber nicht mehr lange!

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat die Wirtschaftsministerin Frau Dr. Knorre.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt dabei, die CDU-Fraktion kommt beim Thema Wirtschaft und kommt bei der Wirtschaft einfach nicht rüber. Das ist heute wieder deutlich geworden.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Sie tragen hier saft- und kraftlose Papiere vor, meine Damen und Herren. Wenn man dann noch chic „Nordwind“ darüber schreibt, kann das auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das allenfalls ein laues Lüftchen ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat die Perspektiven für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes schon längst herausgearbeitet, und wir haben sie auch schon in unsere Programme umgesetzt. Wir haben die Weichen für unseren expansiven Dienstleistungssektor gestellt. Gießkannenförderung gibt es schon lange nicht mehr. Unsere Innovationsprogramme haben wir in diesem Doppelhaushalt aufgestockt. Wir haben sie auf 60 Millionen Euro pro Jahr verdoppelt. Wir haben unser Darlehensprogramm im letzten Jahr mit einem Rekordergebnis abgewickelt. Wir haben unser großes Investitionsprogramm „Bauen jetzt“ aufgelegt.

(Hagenah [GRÜNE]: Wo bauen Sie denn?)

Wir haben die Investitionsbank Niedersachsen angeschoben. Sie sagen: „Fakten auf den Tisch!“ Das sind die Fakten, und die sprechen für sich!

(Beifall bei der SPD - Busemann [CDU]: Wie heißt der Planet, von dem Sie erzählen?)

Meine Damen und Herren, Sie haben in Ihrem Antrag die Insolvenzen im Jahre 2001 angesprochen. Ich gebe Ihnen Recht - darüber muss man nicht hinwegreden -, natürlich haben wir in Niedersachsen einen erheblichen Anstieg der Insolvenzen zu verzeichnen. Es ist auch ganz klar, dass wir eine Änderung erreichen müssen.

Was Sie allerdings nicht sagen, Herr Dinkla, ist, dass der Trend im zweiten Halbjahr 2001 deutlich positiv ist und dass wir im Dezember sogar nur noch einen ganz minimalen Anstieg bei den Insolvenzen zu verzeichnen haben. Im Übrigen darf ich Ihnen entgegenhalten: Sie sprechen für Niedersachsen von einem Anstieg von 22 % bei den Insolvenzen. In Ihrem Vorzeigeland Bayern waren es 32 %. Das sind die Fakten.

(Plaue [SPD]: Hört, hört! Hoch inte- ressant! Da würde ich mal nachfra- gen!)

Wir hören von Ihnen - daran haben wir uns schon gewöhnt - immer nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit wäre aber, wenn Sie sagen würden, wie denn insgesamt unser Saldo bei den Unternehmensgründungen aussieht.

(Plaue [SPD]: Eben!)

Diese Zahl spricht für sich. Ich darf sie einmal nennen. Ich freue mich, dass Sie mir noch einmal Gelegenheit geben, sie hier im Plenum zu nennen. Im Jahre 2001 wurden in Niedersachsen rund 7 300 Unternehmen mehr gegründet, als abgemeldet wurden. Das ist die Zahl, die zählt.

(Beifall bei der SPD)

Auch bei den Gewerbeanmeldungen in den vergangenen fünf Jahren können wir feststellen, dass wir in Niedersachsen ein Plus von 6,8 % hatten. Die Gewerbeanmeldungen in Niedersachsen sind damit schneller gestiegen als in jedem anderen Bundesland und liegen damit auch deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, auch wenn die CDUFraktion nach dem Motto vorgeht „Je schlechter für Niedersachsen, desto besser für uns“, müssen wir feststellen: Niedersachsen ist ein Gründerland.

Wir sollten allen denjenigen, die den Mut haben, sich selbstständig zu machen, unsere volle Unterstützung und Anerkennung geben und sie hier nicht schlechtreden.

(Beifall bei der SPD)