Protokoll der Sitzung vom 12.03.2002

hier nach Deutschland kommen dürfen, sondern es geht um die Frage, was wir mit den mehr als 200 000 Flüchtlingen machen, die seit zehn Jahren und länger hier in Deutschland geduldet werden, aber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Wir wollen, dass diese Flüchtlinge, die integriert sind, die deutsch sprechen, die arbeiten wollen, ein Aufenthaltsrecht bekommen, damit sie und ihre Kinder, die hier geboren sind, die hier in die Schule gehen, in Deutschland die Perspektive des sozialen Aufstiegs haben. Bei dem Aspekt der nichtstaatlichen Verfolgung geht es um die Frage, ob die afghanischen Frauen, die seit zehn Jahren und länger hier in Deutschland wohnen, ein Aufenthaltsrecht bekommen. Aber auch in diesem Punkt verweigert die CDU jedes Gespräch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für den Bereich der Integration brauchen wir dieses Zuwanderungsgesetz, weil es dazu bisher keine bundesrechtliche Regelung gibt. Wir sehen doch die Probleme in den Kommunen. Wir wollen, dass der Bund einen Teil dieser Kosten übernimmt. Die Bundesregierung hat zugesagt, dass sie bei Neuankömmlingen 600 Sprachstunden pro Flüchtling finanzieren will. Ich verstehe nicht, wie Sie hier in Niedersachsen glauben können, auf dieses Geld, auf diese Bundesfinanzierung von Sprach- und Integrationskursen verzichten zu können.

Meine Damen und Herren, ich hoffe immer noch, dass sich die CDU bis zur entscheidenden Sitzung des Bundesrates bewegen wird und dass es dort dann eine Mehrheit gibt. Wir brauchen in Deutschland ein modernes Zuwanderungsgesetz, und es wäre schön, wenn von der CDU in Niedersachsen ein entsprechendes Signal an Brandenburg ausgehen würde. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Schünemann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir - und vor allem die SPDFraktion - können froh sein, dass die Rede ihres Vorsitzenden nicht live übertragen worden ist;

(Beifall bei der CDU)

denn das, was Sie in dieser sensiblen Frage vorgetragen haben, war nichts anderes als Stimmungsmache. Ich meine, darauf sollten wir wirklich verzichten.

(Beifall bei der CDU - Adam [SPD]: Dann verhindern Sie das doch! Wo ist denn Ihr Einfluss auf Ihren Vorsitzen- den?)

Es wäre schlicht peinlich gewesen, wenn das übertragen worden wäre.

Meine Damen und Herren, die Position der CDU in dieser Frage ist seit langem völlig eindeutig. Wir wollen ein modernes Zuwanderungsrecht, das Zuwanderung auch wirklich steuert. Aber angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen in diesem Land und einer Zuwanderung in die Sozialversicherungssysteme seit mehr als zehn Jahren wollen wir Zuwanderung auch begrenzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Dem trägt das am 1. März verabschiedete Gesetz aber in keiner Weise Rechnung. Es bringt nichts, wenn ich zwar Ziele definieren - „Zuwanderung begrenzen“ -, aber bei den konkreten Regelungen dann genau das Gegenteil mache. Damit täusche ich doch die Bürger, meine Damen und Herren, und das sollten wir in dieser Frage nun beim besten Willen nicht machen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, sogar der Herr Ministerpräsident - der bei dieser Frage wieder nicht da ist - hat Schlagzeilen produziert: „Wir müssen dem Gesetz zustimmen, um Zuwanderung zu begrenzen.“ - Meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, dass die Menschen nicht auch das Kleingedruckte lesen? Ich will Ihnen einmal ganz plastisch darstellen, dass hier überhaupt nichts begrenzt wird:

Wenn Sie bei den Arbeitgeberverbänden sind, sagen Sie, dieses Gesetz trägt - vor allem dadurch, dass der Anwerbestopp aufgegeben wird - dazu bei, dass mehr ausländische Arbeitnehmer nach Deutschland kommen und in Arbeit gebracht werden können. Wenn Sie bei den Kirchen sind, dann sagen Sie, dass durch erweiterte Bleiberechtsregelungen ein humaneres Recht geschaffen wird und mehr hierher kommen können. Wenn Sie bei den Sozialversicherungsträgern sind, sagen Sie, wir

brauchen mehr Zuwanderung, um den demografischen Knick in unserer Gesellschaft auszugleichen. Zum Schluss machen Sie einen rot-grünen Strich darunter. - Und dann wollen Sie behaupten, dass damit Zuwanderung begrenzt wird?

(Frau Harms [GRÜNE]: Dass Sie sich zum Büttel von Stoiber machen wür- den, ist unglaublich!)

Meine Damen und Herren, Sie können die Menschen in unserem Lande doch nicht für dumm verkaufen!

(Beifall bei der CDU)

Ganz interessant ist dann Folgendes - hier haben Sie gezeigt, dass Sie wirklich etwas inszenieren können -: Nachdem Sie angeblich hart verhandelt haben, haben Sie eine Pressekonferenz gemacht, 48 Stunden vor der Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Bundestag. Ich habe Frau Kerstin Müller gesehen, die mit Ringen unter den Augen gesagt hat: Wir sind über die Belastungsgrenze hinausgegangen und sind der CDU entgegengekommen. - Da habe ich gedacht, jetzt können wir vielleicht tatsächlich zu einem gemeinsam getragenen Gesetz kommen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Wer soll Ih- nen das eigentlich glauben, Herr Kol- lege? Zwei Stunden später habe ich dieselbe Fraktions- vorsitzende mit der Vorsitzenden der Grünen, mit Frau Roth, gesehen, als sie freudestrahlend gesagt hat: An diesem Gesetzentwurf ist im Kern über- haupt nichts geändert worden. - Genau so ist es, meine Damen und Herren, und da sollten Sie die Leute auch nicht täuschen. (Beifall bei der CDU)

Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass Sie der Fraktion der CDU ein Konsensangebot haben machen wollen, wenn Sie ihr nachts, 48 Stunden vor der Abstimmung, mehr als 60 Änderungsseiten gegeben haben. Das war doch unseriös! So etwas sollten Sie auch nicht machen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in unserem Staat und in unserer Demokratie gibt es ganz klare Regeln: Gesetzentwürfe müssen in den Ausschüssen verhandelt werden. Es kann nicht angehen, in irgendwelchen Kungelrunden zu versuchen,

zu Kompromissen zu kommen. Wenn Sie Ihren Gesetzentwurf vorgelegt hätten, hätten wir im Innenausschuss vernünftig darüber reden können! Dann hätten wir nicht in einer Nacht- und Nebelaktion 140 Änderungsanträge behandeln müssen. Nur dann hätten Sie sagen dürfen, meine Damen und Herren, dass hier wirklich seriös etwas geändert werden soll.

(Beifall bei der CDU - Frau Harms [GRÜNE]: Ich finde, dass Frau Süss- muth ganz gut gearbeitet hat!)

Meine Damen und Herren, auch im Bundesrat gibt es klare Regeln. Wenn wir da nicht zu einer Einigung kommen, dann wird der Vermittlungsausschuss angerufen. Dort können wir unsere Positionen abgleichen und versuchen, doch noch zu einem Kompromiss zu kommen. Aber was sagen Sie? Sie lehnen dieses ab. Und uns dann vorzuwerfen, wir würden blockieren, meine Damen und Herren, ist doch nun wirklich ein Hohn. Das können Sie den Leuten doch nicht verkaufen. Hören Sie doch damit auf!

(Beifall bei der CDU - Buß [SPD]: Wir wissen doch, dass Sie nicht zu- stimmen dürfen!)

Wir bieten Ihnen an, zu versuchen, in den zentralen Fragen zu einem Konsens zu kommen.

(Adam [SPD]: Das dürfen Sie doch gar nicht! Sie werden zurückgegrif- fen!)

Voraussetzung ist aber, dass wir damit tatsächlich zu einer Begrenzung der Zuwanderung kommen, gerade was die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt angeht. Aber wenn in Ihrem Gesetzentwurf immer noch steht, dass der regionale Bedarf ausreicht, um Zuwanderung zu organisieren, dann sage ich Ihnen, das kann doch nicht wahr sein. Wir müssen möglichst erst die 4,3 Millionen Arbeitslosen in Arbeit bringen, und dann können wir über Zuwanderung nachdenken. So wie Sie das organisieren, macht das doch keinen Sinn.

(Frau Harms [GRÜNE]: Das ist doch infam! Sie sind ein ganz schlimmer Propagandist, Herr Kollege! Präsident Wernstedt: Kommen Sie bitte zum Schluss! Schünemann (CDU):

Uns Blockade vorzuwerfen, macht angesichts der Tatsache, dass wir Ihnen längst angeboten haben, im Vermittlungsausschuss eine Linie zu finden, keinen Sinn. Gehen Sie weiter auf uns zu, rufen Sie mit uns den Vermittlungsausschuss an! Dann können wir noch eine insgesamt vernünftige Regelung für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land organisieren.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Plaue hat noch einmal um das Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schünemann, wie viel AufSie-Zugehen wollen Sie eigentlich noch haben? Ich habe den Eindruck, dass die rhetorische Kosmetik, die Sie hier betreiben, keinem anderen Ziel dient, als zu fordern, dass zusätzliche Forderungen der CDU aufgenommen werden, und immer dann, wenn die Koalition auf die CDU zugeht, zu erklären, das reiche nicht aus. - Meine Damen und Herren, seien Sie doch ehrlich! Sie wollen vor der Bundestagswahl den Kompromiss nicht mehr,

(Adam [SPD]: Richtig!)

und Sie wollen dieses Thema zum Wahlkampfthema machen. Das sind Ihre Motive und nicht das, was Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD)

Haben Sie denn die historische Entwicklung völlig vergessen, Herr Kollege? - Da gab es eine Kommission, die den Namen Rita Süssmuths - Mitglied Ihrer Partei - trug. Sie hat ein Konzept vorgelegt, zu dem auch die meisten Konservativen gesagt haben, dass man damit leben kann. Dann gab es eine Kommission Ihres Parteifreundes Müller, Ministerpräsident im Saarland, deren Konzept im Wesentlichen aus den Süssmuth-Positionen heraus entwickelt worden ist. Er durfte aber nicht dazu stehen, weil Stoiber den rechten Rand bedienen wollte. Das ist die Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Was soll eigentlich diese scheinheilige Debatte mit der Zuwanderung, die angeblich die Sozialversicherungssysteme belastet?

(Busemann [CDU]: Natürlich, das ist doch so!)

Meine Damen und Herren, diese Landesregierung hat beim Thema Aussiedler eine klare Position für eine gesteuerte Zuwanderung bezogen. Daraufhin haben Sie Zeter und Mordio geschrieen und waren für Sie die Belastung der Sozialversicherungssysteme und die Arbeitslosigkeit kein Thema mehr.

(Zustimmung bei der SPD)

Nein, meine Damen und Herren, Sie sind in dieser Frage nicht redlich. Ihnen geht es darum, den Rechten bei dem Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen Konkurrenz zu machen. Das werden wir Ihnen aber nicht durchgehen lassen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD - Frau Pawelski [CDU]: Die zittern alle, wenn Plaue über dieses Thema redet!)

Frau Stokar von Neuforn, noch einmal!