Protokoll der Sitzung vom 23.04.2002

Herr Kollege Hagenah, das kann so nicht stehen bleiben, wie Sie es hier dargestellt haben. Wenn Sie einmal das Spektrum der Petitionen betrachten, die wir im Ausschuss behandeln, dann betreffen nur ganz wenige den § 69 a. Ansonsten betreffen sie Schwarzbauten und Verstöße, das sind uralte Geschichten. Das zeigt, dass im Baubereich vielfältig gegen geltendes Recht verstoßen wird, zum einen deswegen, weil die Vorschriften so kompliziert sind, zum anderen aber auch deswegen, weil die Bauaufsichtsbehörden ihr Augenmerk nicht überall haben, zum Teil auch deswegen, weil die Bebauungspläne früher nicht so exakt aufgestellt worden sind, wie sie heute aufgestellt werden.

Das, was wir 1995 eingeführt haben, hat also mitnichten zu dem geführt, was Sie hier beschreiben. Es wäre besser gewesen, Sie hätten den Gesetzentwurf gelesen anstelle eines Zeitungsberichts über eine Anhörung in Hessen für etwas ganz anderes.

(Zustimmung bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Daher schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Gesetzentwurf soll zur federführenden Beratung an

den Ausschuss für Städtebau und Wohnungswesen sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, den Ausschuss für Jugend und Sport, den Ausschuss für Haushalt und Finanzen, den Ausschuss für innere Verwaltung, den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr sowie den Ausschuss für Freizeit, Tourismus und Heilbäderwesen überwiesen werden. Wenn Sie so beschließen wollen, dann bitte ich um Ihr Handzeichen. - Vielen Dank, Sie haben so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 7: Zweite Beratung: Verbot extremistischer und islamistischer Vereinigungen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/3036 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für innere Verwaltung Drs. 14/3235

Der Antrag der Fraktion der CDU wurde in der 96. Sitzung am 25. Januar 2002 an den Ausschuss für innere Verwaltung zur federführenden Beratung und Berichterstattung überwiesen. Berichterstatter ist, wie Sie alle sehen - er hat schon Aufstellung genommen -, der Herr Kollege Lanclée.

Aber nur, um das nicht zu verzögern. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Beschlussempfehlung in der Drucksache 3235 empfiehlt Ihnen der Ausschuss für innere Verwaltung mit den Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der CDU, den Antrag abzulehnen. Der mitberatende Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen hat sich diesem Votum mit gleichem Stimmverhalten angeschlossen. Gleiches gilt für die Ausländerkommission in Abwesenheit des Vertreters der CDU-Fraktion.

Ich bitte Sie, der Beschlussempfehlung des Ausschusses für innere Verwaltung in der Drucksache 3235 zuzustimmen und damit den Antrag der Fraktion der CDU abzulehnen.

Im Übrigen gebe ich den Bericht zu Protokoll.

(Zu Protokoll:)

Der Ausschuss für innere Verwaltung hat sich mit dem Antrag in seiner 133. Sitzung am 6. Februar

2002 befasst. Ein Vertreter der antragstellenden CDU-Fraktion begründete den Antrag damit, dass auf der Grundlage des geänderten Vereinsgesetzes das Bundesinnenministerium im Dezember vergangenen Jahres ein Verbot der islamistischen und extremistischen Vereinigung „Kalifatsstaat“ verfügt und damit eine Auflösung sowie eine Vermögenseinziehung ermöglicht habe. Dieses Verbot betreffe jedoch lediglich etwas mehr als 1 000 der auf etwa 30 000 geschätzten islamistischen Extremisten in Deutschland. Demzufolge bleibe eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch verschiedene andere islamistische, extremistische Religionsgemeinschaften bestehen. Aus diesem Grund sei es erforderlich, die Strukturen dieser Vereinigungen zu zerschlagen und dem organisierten Extremismus durch Vermögenseinziehung die Existenzgrundlage zu entziehen. Demzufolge seien sowohl das Land als auch der Bund in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich gefordert, schnellstmöglich entsprechende Verbotsverfahren einzuleiten und durchzuführen. Schließlich gebe es den Vorstoß Bayerns, gegen die Vereinigung Milli Görüs, die zahlenmäßig größte in Deutschland, ein Verbotsverfahren anzustrengen. Dieses solle nach Auffassung der CDU-Fraktion vom Land Niedersachsen unterstützt werden.

Eine Vertreterin der Fraktion der SPD legte dar, zu der Forderung, gegen alle extremistischen und islamistischen Vereinigungen, deren Organisation und Tätigkeit auf das Gebiet des Landes Niedersachsen beschränkt sei, vereinsrechtliche Verbotsverfahren durchzuführen, sei auszuführen, dass insoweit bereits Prüfungen stattgefunden hätten. Nach der derzeitigen Einschätzung der zuständigen Behörden komme jedoch ein landeseigenes Vereinsverbot nicht infrage; denn man wisse bereits aus den Verfassungsschutzberichten, dass die meisten Gruppierungen deutschlandweit oder international tätig seien, sodass der Bundesinnenminister zuständig sei.

Außerdem werde unter Punkt 2 des Antrages gefordert, dass die Landesregierung auf die zuständigen Ausländerbehörden dahin gehend einwirken solle, dass bei allen Mitgliedern extremistischer und islamistischer Vereinigungen die Durchführung ausländerrechtlicher Ausweisungs- und Abschiebungsverfahren geprüft werde. Diese Forderung sei nach Auffassung der SPD-Fraktion nicht umzusetzen, denn es sei bereits aus dem Bereich des Verfassungsschutzes bekannt, dass es außerordentlich schwierig sei, jemanden, der ein verfestigtes Aufenthaltsrecht habe und bislang nicht

strafrechtlich belangt worden sei, auszuweisen. Jedoch sei es selbstverständlich, dass die Durchführung ausländerrechtlicher Ausweisungs- und Abschiebungsverfahren in diesem Zusammenhang immer geprüft werde.

Soweit unter Punkt 3 des Antrages gefordert werde, dass sich die Landesregierung gegenüber dem Bundesinnenminister dafür einsetzen solle, Verbotsverfahren gegen extremistische und islamistische Vereinigungen durchzuführen, sei die Landesregierung bereits tätig geworden. Insoweit sei nur daran erinnert, dass sie im Bundesrat dem Terrorismusbekämpfungsgesetz zugestimmt und damit die Aufhebung des so genannten Religionsprivilegs im Vereinsgesetz ermöglicht habe. Aus den genannten Gründen werde die SPD-Fraktion den Antrag ablehnen.

Die Vertreterin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hielt es für nicht sachgerecht, wenn von den Parteien in der Öffentlichkeit Vereinigungen genannt würden, die verboten werden sollten, ohne zu wissen, ob dies überhaupt möglich sei. Ihrer Meinung nach sollte, wenn es Erkenntnisse über solche Organisationen gebe, die zu deren Verbot führen könnten, darüber keine öffentliche Debatte geführt werden. Denn damit könnte der Erfolg eines Verbotsverfahrens unterlaufen werden. Sie halte das Verbot der Vereinigung „Kalifatsstaat“ deshalb für richtig, weil es sehr viele Belege dafür gebe, dass ihre Mitglieder zu Gewalttaten in Deutschland und in der Türkei aufgefordert würden. Ein Verbotsverfahren gegen Milli Görüs werde ihre Fraktion jedoch nicht unterstützen.

Vertreter des Innenministeriums legten im Anschluss daran ausführlich dar, in welchem Umfang es in Niedersachsen Prüfungen im Zusammenhang mit eventuellen Verbotsverfahren gegeben habe. Danach sei davon auszugehen, dass es in Niedersachsen sechs Teilorganisationen gebe, die in das Verbotsverfahren des Bundesministeriums des Innern mit einbezogen werden könnten. Im Anschluss daran wurde ein Sachstandsbericht zum Verbotsverfahren der Vereinigung „Kalifatsstaat“ gegeben. Außerdem wurde aus ausländerrechtlicher Sicht ausführlich dargestellt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Ausweisungsverfügungen gegenüber Anhängern und Unterstützern der Vereinigung „Kalifatsstaat“ mit Erfolg durchgesetzt werden könnten. Dabei wurde besonders deutlich zum Ausdruck gebracht, dass in der Mehrzahl der Fälle eine Ausweisungsverfügung nicht mit Erfolg durchgesetzt werden könne, da die be

troffenen Personen entweder deutsche Staatsangehörige seien oder langjährig unbefristete Aufenthaltsrechte hätten und nicht straffällig geworden seien. Auch soweit lediglich befristete Aufenthaltsberechtigungen bestünden, könne eine Ausweisung nicht mit Erfolg durchgesetzt werden, nur weil eine Person Mitglied der Organisation „Kalifatsstaat“ sei, wenn diese nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sei.

Im Anschluss an diese Ausführungen von Vertretern des Niedersächsischen Innenministeriums ergab sich noch eine kurze Debatte zu der Frage, ob die im Ausländerrecht zugrunde gelegten Ausweisungstatbestände richtig seien oder ob gegebenenfalls der Gesetzgeber tätig werden müsse, um weitere Ausweisungstatbestände zu schaffen.

Für die Fraktion der CDU spricht der Herr Kollege Biallas.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das furchtbare Attentat von Djerba mit vielen Opfern hat uns vor Augen geführt, dass die Gefahr des internationalen Terrorismus nicht nur in Deutschland, sondern auch weit darüber hinaus bei weitem noch nicht eingedämmt ist. Viele Tote waren zu beklagen, und viele Schwerverletzte werden ihr Leben lang an den Folgen dieses terroristischen Anschlages zu leiden haben. Es ist daher davon auszugehen, dass es weiterhin in Deutschland eine massive Bedrohung durch islamistischextremistische Gruppen gibt. Dies wird inzwischen auch von Bundesinnenminister Otto Schily eingeräumt. Ich erlaube mir, hier zwei Zitate aus der Zeitung Die Welt vom 17. April vorzutragen. Dort heißt es:

„Bundesinnenminister Otto Schily wies erneut darauf hin, dass auch in Deutschland eine Bedrohung durch islamistische Terroristen bestehe. Es gebe intakte islamistische Netzwerke und ein daraus resultierendes Gefahrenpotenzial.“

Ein Stück weiter heißt es:

„Dass es im Vorfeld des mutmaßlichen Attentats auch Verbindungen in das in Deutschland etablierte islamistische Extremistenmilieu gegeben

hat, bestreitet inzwischen niemand mehr.“

Das ist der aktuelle Tatbestand. Meine Damen und Herren, wir haben keine Veranlassung, an dieser Lageeinschätzung zu zweifeln.

Inzwischen liegen dem bayerischen Innenministerium ernst zu nehmende Erkenntnisse vor, dass bisher noch nicht identifizierte Mittäter oder Unterstützer der Anschläge vom 11. September als Einzelpersonen oder in einem Netzwerk weitere Anschläge, die je nach Lage und Auftrag durchgeführt werden können, planen.

Meine Damen und Herren, ich trage das heute hier vor, weil sich leider die in unserem Antrag, den wir vor einigen Monaten eingebracht haben, vorgetragenen Befürchtungen in teilweise grauenhafter Weise bestätigt haben, wenn man allein an das Attentat von Djerba denkt. Meine Damen und Herren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen, umso unverständlicher ist es doch, dass Sie unseren Antrag, der genau diese Gefahrenlage aufnimmt, analysiert und dazu auffordert tätig zu werden, im Ausschuss abgelehnt haben. Es reicht eben offensichtlich nicht mehr aus, zu glauben, mit der Verbotsverfügung gegen die Vereinigung Kalifatsstaat und der Ausweisungsverfügung gegen deren Anführer im Rahmen der Bekämpfung des islamistischen Extremismus genug getan zu haben. Vielmehr fordern wir dazu auf, in dieser Lage nicht zur Tagesordnung überzugehen, sondern die Anstrengungen bei der Terrorismusbekämpfung nicht nur weiter fortzuführen, sondern deutlich zu verstärken. Insbesondere nach den Ereignissen und den aktuellen Erkenntnissen ist es, so meine ich, notwendig - insbesondere natürlich für die SPD -, noch einmal darüber nachzudenken, ob unserem Antrag unter diesen Umständen nicht doch zuzustimmen ist.

Ausweislich der Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder existieren verschiedene andere extremistische und islamistische Vereinigungen, deren Handeln gegen die verfassungsmäßige Ordnung unseres Landes gerichtet ist und die nach dem Verbot der Vereinigung Kalifatsstaat als Auffangbecken für deren abwandernde Mitglieder in Betracht kommen. Dies, meine Damen und Herren, gilt insbesondere für die auch in Niedersachsen existierende islamistische Gemeinschaft Milli Görus, deren Fernziel die weltweite Islamisierung im Sinne eines sehr doktrinären Islamverständnisses ist. Ich sage hier sehr deutlich, wenn mir je

mand kommt und sagt, die praktizierten nur ihre Religion: Das, was Milli Görus macht, das, was die wollen, hat mit Religionsausübung nicht das Geringste zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, man kann darüber streiten, ob man jetzt gleich ein Verbot beantragen will. Die Grünen haben gesagt, sie hielten das nicht für nötig. Darüber kann man streiten; wir sind da anderer Meinung. Bei der SPD war ein gewisses Zögern vorhanden. Der Innenminister hat beim letzten Mal erklärt, er sehe keinen Grund, einen Verbotsantrag zu stellen. Inzwischen habe ich gehört, dass der Herr Innenminister zu einem anderen Denken, zu einer anderen Einschätzung gekommen ist. Wenn das so wäre, dann müssten Sie eigentlich erst recht heute unserem Antrag zustimmen. Wenn Sie es nicht tun, müsste der Minister erklären, warum es diesen Widerspruch zwischen seiner Auffassung und der Haltung der SPD gibt.

Deshalb, Herr Innenminister, ist es auch an der Zeit, dass sich Niedersachsen schleunigst dem Antrag Bayerns im Bundesrat anschließt, endlich gegen Milli Görus ein Verbotsverfahren durchzuführen. Das ist allerhöchste Eisenbahn - nicht nur aus unserer Sicht.

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen, Herr Innenminister, ist die Terrorismusbekämpfung in Deutschland entgegen der mannigfach aus Ihrem Hause verbreiteten Auffassung nicht allein Sache des Bundes, sondern auch die der Länder. Das gilt insbesondere dann, wenn sich Erkenntnisse ergeben, dass Gruppen mit extremistischen Bestrebungen schwerpunktmäßig in Niedersachsen operieren oder von Niedersachsen aus kriminell tätig werden. Dann ist Niedersachsen auch zuständig, und dann ist Niedersachsen auch verantwortlich, wenn nicht genügend ermittelt und gehandelt wird. Das wollen wir hier auch festhalten.

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist es dringend erforderlich, dass gegen identifizierte Mitglieder islamistisch-extremistischer Gruppen verstärkt Ausweisungsverfügungen nach dem Ausländergesetz erlassen werden. Das ist jetzt aufgrund der Rechtslage möglich. Wo diese Ausweisungsverfügungen bestandskräftig sind, muss auch tatsächlich unverzüglich die Abschiebung der betref

fenden Person erfolgen. Es hat in der Bevölkerung niemand Verständnis dafür, dass Ausweisungsverfügungen bestandskräftig sind, es aber immer noch rechtliche Hürden gibt, die wir angeblich nicht ausräumen können, und dass Leute, die des Landes verwiesen gehören, tatsächlich nicht abgeschoben werden. Das ist ein Skandal,

(Beifall bei der CDU)

und das wird in der Bevölkerung nicht verstanden.

Meine Damen und Herren, wenn sich herausstellen sollte, dass es wie im Fall Kaplan, dem Anführer der Vereinigung Kalifatsstaat, rechtliche Hindernisse gibt, die wir durch Beratung in Parlamenten, die wir durch Gerichtsurteil nicht ausräumen können, dann, so muss ich sagen, ist der Gesetzgeber gefordert. Dann müssen wir das Ausländerrecht entsprechend verschärfen. Das haben wir verschiedentlich gefordert. Da hat man gesagt, das sei alles nicht möglich. Aber es zeigt sich schon im Fall Kaplan, dass es dringend notwendig ist, endlich zu handeln.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, aus dem von mir Vorgetragenen ist hoffentlich noch einmal der Ernst der gegenwärtigen Lage deutlich geworden. Wir erwarten in der Tat, meine Damen und Herren von der SPD, dass Sie unter diesen Umständen, die wir zugegebenermaßen vorher auch nicht gekannt haben, noch einmal darüber nachdenken. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Weil wir wussten, dass es diese Bestrebungen gibt, und weil wir durchaus befürchten mussten, dass es weitere terroristische Aktivitäten gibt, meinen wir, dass eine Vorsorgepolitik notwendig ist, die es uns möglich macht, uns derjenigen in diesem Lande zu entledigen, die die Bürgerinnen und Bürger durch Gewalttaten bedrohen. Das ist unsere Aufgabe in diesem Parlament.

(Beifall bei der CDU)

Mein letzter Satz: Wenn Sie heute nicht zustimmen, müssen wir Sie politisch in Haftung nehmen,

(Lanclée [SPD]: Wider besseres Wis- sen, Herr Biallas)

wenn in Niedersachsen oder von Niedersachsen aus extremistische Taten verübt werden, die bei rechtzeitigem konsequenten Einschreiten und jetzt endlich entschlossenem Handeln hätten verhindert