Protokoll der Sitzung vom 23.04.2002

wenn in Niedersachsen oder von Niedersachsen aus extremistische Taten verübt werden, die bei rechtzeitigem konsequenten Einschreiten und jetzt endlich entschlossenem Handeln hätten verhindert

werden können. - Vielen Dank, meine Damen und Herren, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der SPD spricht Kollegin Frau Wörmer-Zimmermann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spätestens nach der ausführlichen Diskussion dieses Punktes im Ausschuss für innere Verwaltung am 6. Februar hätte die CDU-Fraktion diesen Antrag eigentlich zurückziehen müssen. Lieber Kollege Biallas, in der Beratung zeigte sich doch deutlich, dass es Ihrer Aufforderung zum Handeln an die Landesregierung nicht bedurfte; denn bereits seit vielen Jahren nimmt Niedersachsen bundesweit eine führende Rolle bei der Bekämpfung extremistischer Vereinigungen ein.

Niedersachsen hat sich frühzeitig für die Erweiterung der gesetzlichen Verbotsmöglichkeiten und deren konsequente Anwendung beim Kampf gegen islamistisch-extremistische Organisationen eingesetzt. Seit Anfang des Jahres sind mit dem InKraft-Treten des Terrorismusbekämpfungsgesetzes neue, erweiterte Verbotsgründe für extremistische Ausländervereine geschaffen worden. Diese bedeutsame Gesetzesänderung nehmen Sie anscheinend überhaupt nicht zur Kenntnis. Ich habe den Eindruck, dass Sie diesen Antrag, der bereits am 16. Januar geschrieben wurde, mit einer sehr heißen Nadel genäht haben.

Inzwischen müssten zumindest die CDU-Mitglieder des Ausschusses für innere Verwaltung bemerkt haben, dass Ihre Forderungen, die Sie in dem Antrag stellen, völlig unrealistisch und auch mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar sind. Sie wollen das Verbotsverfahren gegen alle extremistischen und islamistischen Vereinigungen. So steht es in der Überschrift und im Text. Nachdem Sie im Ausschuss bemerkt hatten, wie unmöglich Ihre Forderung ist, alle islamistischen Vereinigungen zu verbieten,

(Biallas [CDU]: Das ist doch ein Druckfehler!)

sollte das Wort „und“ in der Überschrift auf ihren Wunsch hin gestrichen werden. - Vom Text haben wir nicht geredet, Herr Biallas.

(Zuruf von Biallas [CDU])

- Doch. - Meine Damen und Herren, dadurch wird Ihr Antrag auch nicht besser. Es nützt nichts, nur das Wort „und“ zu streichen; Sie hätten den gesamten Text in den Papierkorb werfen sollen.

Sie fordern, dass vereinsrechtliche Verbotsverfahren für Organisationen durchgeführt werden, deren Tätigkeiten sich auf Niedersachsen beschränken, und bleiben auch dabei, obwohl es nach den bisherigen Erkenntnissen keine extremistisch-islamistischen Organisationen in Niedersachsen gibt, deren Tätigkeiten sich lediglich auf das Landesgebiet beschränken. Eigene landesweite Verbotsverfahren - Herr Biallas, Sie sollten mal zuhören, weil Sie das anscheinend nie kapieren - kommen nicht in Betracht, weil die meisten der im Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen international tätig sind. Diese Organisationen verfügen in Deutschland entweder über keine vereinsrechtlich tragbaren Strukturen, oder ihre Tätigkeiten berühren mehrere Bundesländer, sodass damit das Bundesministerium des Innern als Verbotsbehörde zuständig wird.

Wir haben bereits während der ersten Beratung von Minister Bartling gehört, dass Niedersachsen kein Schwerpunktland von Aktivitäten extremistisch-islamistischer Organisationen ist.

(Biallas [CDU]: Wir wollen aber nicht warten, bis das Gegenteil bewie- sen ist!)

Nachdem mit der Abschaffung des Religionsprivilegs im Dezember des letzten Jahres die gesetzlichen Voraussetzungen für Verbotsverfahren geschaffen wurden, hat Niedersachsen überprüft, welche Vereinigungen in ein Verbotsverfahren des Bundes mit einbezogen werden können. Wir haben gehört, dass inzwischen sechs Teilorganisationen der Vereinigung Kalifatsstaat in das Verbotsverfahren des Bundesministeriums einbezogen wurden und dass gegen eine weitere niedersächsische Teilorganisation Ermittlungen erfolgen.

Meine Damen und Herren, auf der Fachebene wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, an der auch Niedersachsen beteiligt ist. Diese Arbeitsgruppe prüft die Möglichkeiten des weiteren Verbotes anderer Organisationen. Herr Biallas, Sie tun so, als wenn nichts passiert. Es passiert eine ganze Menge.

Sie haben auch schon einmal davon gesprochen - ich erinnere mich schmerzhaft -, dass 29 000 gewaltbereite Mitglieder extremistisch-islamistischer Organisationen unbehelligt unter uns leben.

(Biallas [CDU]: Sie brauchen in der zweiten Beratung nicht das zu wie- derholen, was ich in der ersten Bera- tung gesagt habe!)

Sie haben sich heute ein wenig zurückgenommen. Darüber bin ich sehr froh. Denn mit dieser Behauptung stellen Sie viele ausländische Menschen unter Generalverdacht. Herr Biallas, Sie wecken mit solchen Unterstellungen und Bedrohungsszenarien Ängste, und zwar - das unterstelle ich Ihnen einmal - nicht aus Sorge um die Sicherheit in unserem Land, sondern aus reinem parteipolitischen Kalkül.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Wörmer-Zimmermann, der Kollege Biallas möchte Ihnen eine Frage stellen. Wollen Sie das zulassen?

Nein, Frau Präsidentin, ich möchte meine Redezeit nicht für die Beantwortung derartiger Fragen aufwenden.

(Zurufe von der CDU)

Kollege Biallas, ich möchte noch einmal an unsere Landtagsentschließung aus dem Oktober letzten Jahres erinnern. Dort haben wir alle als Reaktion auf das Geschehen in New York vom 11. September einstimmig u. a. beschlossen, dass eine erhöhte Wachsamkeit und ein entschlossenes und zugleich besonnenes Vorgehen gegenüber extremistischen, religiös-fanatischen und verfassungsfeindlichen Bestrebungen angebracht ist. Ich finde, Sie sollten bei weiteren Anträgen, die von Ihnen zu diesem Themenbereich kommen - ich bin sicher, die kommen -,

(Biallas [CDU]: Bei Untätigkeit müs- sen wir tätig werden!)

an die verabredete Besonnenheit denken. Wir sind uns einig darin, dass der Kampf gegen den Terrorismus konsequent geführt werden muss. Insbesondere - Sie haben es angesprochen - nach dem

schrecklichen Anschlag auf der Insel Djerba wurde uns allen wieder deutlich, dass alles getan werden muss, um sich gegen den Terrorismus zu wehren. Inzwischen hat die rot-grüne Bundesregierung auch die gesetzliche Grundlage für die Verfolgung der so genannten Schläfer geschaffen. Mit dem Antiterrorparagrafen 129 b werden die Unterstützung und Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrororganisation in Deutschland zukünftig strafbar sein. Diese Verschärfung des Gesetzes wird noch in dieser Woche in den Deutschen Bundestag eingebracht.

Meine Damen und Herren, wer allerdings strafrechtlich nicht auffällig geworden ist und ein verfestigtes Aufenthaltsrecht hat, der kann nicht ausgewiesen oder abgeschoben werden. Denn unser Rechtsstaat hat sich auch nach dem 11. September und dem Anschlag auf Djerba nicht in Luft aufgelöst. Selbstverständlich arbeiten die für Verfassungsschutz, Vereinsverbote und Ausländerrecht zuständigen Stellen in Bund und Land eng zusammen, um zu prüfen, ob Ausweisungen und Abschiebungen durchgeführt werden können. Aber hier sollte man keine überzogenen Erwartungen haben. Ich möchte die tatsächlichen Bedingungen am Beispiel des Kalifatsstaates schildern, für dessen Verbot sich Niedersachsen beim Bund mit Erfolg stark gemacht hat.

(Biallas [CDU]: Was?)

Bei 18 Personen, die bei Beschlagnahmung aufgrund des Vereinsverbotes angetroffen oder bekannt geworden sind, wurden ausländerrechtliche Überprüfungen eingeleitet. Dabei hat sich gezeigt, dass 17 von den 18 seit langem über ein verfestigtes Aufenthaltsrecht verfügen und strafrechtlich bisher nie auffällig geworden sind.

(Biallas [CDU]: Das ist das Besonde- re, dass sie nicht auffällig geworden sind!)

Erforderlich ist in jedem Einzelfall der Nachweis, dass der Ausländer selbst die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet hat oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft. Ein solcher Nachweis ist nicht einfach zu führen. Noch schwieriger wird es, wenn sich die Ausländer nach dem Vereinsverbot völlig von der Organisation distanzieren und ihre bisherigen Aktivitäten einstellen. Ich erinnere in diesem

Zusammenhang an die Diskussion im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zur CDUEntschließung „Verschärfung des Ausländerrechts - Konsequente Ausweisung extremistischer Ausländer“. Das Thema hatten wir ja schon öfter. Hier hat der Vertreter des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes die Rechtslage ausführlich erläutert und deutlich gemacht, wie problematisch die Aufhebung des Abschiebungsverbotes für politisch Verfolgte nach der einschlägigen Rechtsprechung ist und dass es mit der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar ist.

(Biallas [CDU]: Dazu habe ich doch gerade geredet!)

Meine Damen und Herren, auch in Wahlkampfzeiten - das gilt insbesondere für Sie, Herr Biallas sollten wir öffentliche Diskussionen über mögliche Verbote einzelner namentlich benannter Organisationen nicht führen, wie Sie das heute wieder gemacht haben. Es kann nicht in unserem Interesse sein, durch öffentliche Beratung im Landtag Verbotsanträge zu erschweren. Aus den Erfahrungen mit dem NPD-Verbot wissen wir alle,

(Biallas [CDU]: Da waren Sie doch erfolgreich! Das habe ich in der Bux- tehuder Zeitung gelesen!)

wie sensibel wir mit derartigen Verbotsanträgen umgehen müssen.

Ich finde, ich habe Ihnen hinlänglich begründet, warum wir Ihre Entschließung für überflüssig ansehen, wobei Sie natürlich meiner Fraktion mit solchen Anträgen immer wieder die Möglichkeit geben, darauf hinzuweisen, dass die sozialdemokratischen Regierungen in Bund und Land mit den notwendigen Gesetzen auf die Terroranschläge reagiert haben. Sie haben Ihren Antrag leider nicht zurückgezogen. Wir werden gleich zur Abstimmung kommen. Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, es wird Sie nicht verwundern - wir haben es auch schon vom Berichterstatter gehört -, wir werden den Antrag ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Biallas [CDU]: Das enttäuscht mich!)

Die Kollegin Frau Stokar von Neuforn spricht für die Fraktion der Grünen.

(Biallas [CDU]: Jetzt erzählt uns Frau Stokar, dass sie Ehrenmitglied bei Milli Görüs geworden ist! - Gegenruf von Frau Harms [GRÜNE]: Herr Bi- allas, was soll das eigentlich?)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An dem Zwischenruf von Herrn Kollegen Biallas, bevor ich überhaupt eine Chance hatte, etwas zu sagen, wird deutlich, worum es der CDU geht.

Meine Damen und Herren von der CDU - ich spreche Sie alle an -, niemand ist nach so einem Anschlag, wie er in Djerba passiert ist, als deutsche und französische Touristen durch einen brutalen Feueranschlag ums Leben gekommen sind, zur Tagesordnung übergegangen. Meine Damen und Herren von der CDU, vielleicht hätten Sie sich auch einmal informieren sollen, mit welcher Intensität das BKA ermittelt hat und wie viele Überstunden die Beamten dort gemacht haben. Sie haben sicherlich verfolgt, dass Bundesinnenminister Schily nach Tunesien gefahren ist. Das ist etwas, was unter Ihrer Regierung nie erfolgt ist, sich nämlich vor Ort über den Ermittlungsstand zu informieren.

Meine Damen und Herren, ich warne davor, in Wahlkampfzeiten - trotz Nervosität der großen Volksparteien - so etwas zu machen, wie solch einen Anschlag auf Djerba zu funktionalisieren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Biest- mann [CDU]: Das haben wir nicht gemacht!)

- Das haben Sie gemacht. - Meine Damen und Herren, viele Bundesbürger - und ich gehöre auch dazu, denn Djerba ist eine meiner Lieblingsinseln, und diese Synagoge habe ich mehrfach besucht sind dorthin gefahren. Sie haben Ängste, und zwar zu Recht. Ich halte es für politisch verheerend, wenn Sie meinen, Sie müssten diese Ängste jetzt noch weiter schüren.

(Ontjid [CDU]: Das ist eine Frech- heit!)

Meine Damen und Herren, ich möchte etwas zu den Inhalten Ihres Antrages sagen.

(Unruhe bei der CDU - Glocke der Präsidentin)

Sie haben eben ja schon gesagt, dass ich Ehrenmitglied von Milli Görüs wäre.

(Biallas [CDU]: Das habe ich nicht gemacht! - Gegenruf von Frau Harms [GRÜNE]: Das haben Sie gesagt! Sie sollten sich entschuldigen! Sie haben kein Rückgrat)