Protokoll der Sitzung vom 24.04.2002

Wir können auf die Frage, wie pflegebedürftig alte Menschen zukünftig überhaupt sein werden, großen Einfluss nehmen, wenn wir uns mit den Wohnangeboten auseinander setzen, die wir den alten Menschen zur Verfügung stellen. Wenn wir ihnen Angebote machen, die ihnen so lange wie möglich eine selbstständige Lebensführung ermöglichen und wenn sie weiterhin die Möglichkeit haben, Selbstständigkeit zu trainieren, dann werden sie auch nicht so früh auf Pflege angewiesen sein. Das setzt allerdings eine grundlegende Veränderung in der Altenpolitik insgesamt voraus. Von dieser grundlegenden Umorientierung kann ich noch nicht so viel erkennen. Dann müssten wir tatsächlich in anderer Weise als bisher auf den ambulanten Bereich setzen.

Ich will es noch einmal sagen, Frau Trauernicht, ohne dass ich hier penetrant wirken möchte: Ich habe aus Ihren Überlegungen, die Investitionskostenzuschüsse gerade für den ambulanten Bereich zur Disposition zu stellen, zumindest nicht den Eindruck gewinnen können, dass dies zukünftig Ihr Schwerpunkt sein wird.

(Groth [SPD]: Das kommt aber nicht von der Ministerin!)

- Na gut. Sagen wir mal, das ist das Ergebnis der Kabinettsberatungen zum Haushalt gewesen.

(Groth [SPD]: Das ist ein Unter- schied!)

- Dann lassen Sie es mich so sagen: Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass die Landesregierung zukünftig den Schwerpunkt auf den ambulanten Bereich legen wird und eine Abkehr vom stationären Bereich stattfindet.

(Zustimmung von Frau Schliepack [CDU])

Ich meine, wir müssen sehr viel mehr für den Bereich selbstständiges Wohnen tun. Wir müssen weg von den Bettenburgen und den Altenghettos.

Aber klar muss natürlich auch sein, dass wir damit den stationären Bereich nicht auf null drehen. Mit der Qualität der Pflege im stationären Bereich werden wir uns aber noch weiter auseinander setzen müssen. Dort wird es stärker darum gehen müssen, dass die Passivität, dass die Versorgungsmentalität, die es in diesen Institutionen gibt, selbst ein Problem darstellt. Es ist ja leider so, dass die Struktur der Pflegeversicherung diese Mentalität in gewisser Weise sogar herausfordert. Schließlich ist es für eine Einrichtung ökonomisch nicht interessant, einen Bewohner oder eine Bewohnerin von der Pflegestufe 3 auf die Pflegestufe 2 hin zu pflegen und zu aktivieren. Diese Struktur der Pflegeversicherung stellt ein grundlegendes Problem dar, das wir auf Dauer nicht werden hinnehmen können.

Jetzt noch einmal zu dem Schwerpunktthema Personalnotstand in der Pflege. Die in der Antwort der Landesregierung erwähnte Länderumfrage hat einen solchen Personalnotstand nicht festgestellt. Ich würde mich allerdings zunächst einmal der Einschätzung der Altenpflegeschulen anschließen. Die sagen, dieses Umfrageergebnis kann eigentlich nur auf Schätzungen beruhen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wo diese Erkenntnisse zusammenlaufen, da sagen alle, dass wir in dem Bereich die doppelte Anzahl von Absolventinnen und Absolventen brauchen. Die Zahl der Ausbildungsplätze in den Fachschulen kann zurzeit nicht ausgeweitet werden - Frau Schliepack hat darauf hingewiesen, Sie ja auch, Frau Ministerin -, weil die Praxisplätze in den Einrichtungen fehlen, insbesondere im ambulanten Bereich.

Ich will es hier ein bisschen detaillierter ausführen. Vier Schulen haben aus diesem Grund die Ausbildung für das neue Schuljahr bereits vollständig abgesagt. Von 46 Schulen erwarten 17, dass sie ihre Platzkapazität nicht voll belegen können. 25 Schulen - das sind immerhin 64 % - müssen mit einer Klassenstärke unter der Durchschnittsfrequenz beginnen.

Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir dafür auch die Einrichtungen verantwortlich machen müssen, die dann hinterher jammern, dass sie kein qualifiziertes Personal haben. D‘accord! Aber ich frage Sie vor diesem Hintergrund: Meinen Sie tatsächlich, dass die 200 zusätzlich zur Verfügung ge

stellten Ausbildungsplätze, die Sie als Landesregierung jetzt noch einmal genannt haben - -

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Besser als gar nichts!)

- Aber wenn wir für die keine Praktikumsplätze finden, dann findet diese Ausbildung schlicht nicht statt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen ist es ein Scheinangebot. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es sich dabei um Altenpflegehelferinnen handelt. Das heißt, darüber kann die Quote an Fachkräften nicht erhöht werden. Auch deswegen ist es für die Schulen und die Einrichtungen zusätzlich nicht interessant, das Angebot wahrzunehmen. Insofern ist der Beitrag, den Sie von sich aus noch einmal dargestellt haben, kein echter Beitrag zur Lösung des Problems.

Noch etwas zum Dialog Soziales Niedersachsen: Ich habe mich belehren lassen, dass die Unterarbeitsgruppe, von der in der Antwort auf die Große Anfrage gesagt wird, sie habe genau das gefordert, überhaupt noch nicht getagt hat und dass es die Geschäftsstelle, von der hier geredet wird, mindestens bis jetzt noch nicht gibt. Ich bin auch keine Freundin des Dialoges Soziales Niedersachsen. Ich lasse mich aber gerne überzeugen, allerdings weniger von Reden als mehr von tatsächlichen Taten.

(Zuruf von Möhrmann [SPD])

- Das kommt ja öfter vor.

Jetzt noch etwas zur Fachkraftquote: In der Antwort der Landesregierung wird, bezogen auf den Stichtag vom 15. Dezember 1999, von 33 500 Pflegekräften und fast 22 000 Pflegefachkräften berichtet. Frau Schliepack hat darauf hingewiesen, dass das 65 % wären.

(Frau Schliepack [CDU]: Die gibt es nicht!)

Da fragen wir uns wirklich: Wo sind die denn? Wer soll denn das sein? Was wird da eigentlich alles mit eingerechnet?

(Frau Schliepack [CDU]: Genau! So ist es!)

Werden auch diejenigen, die langjährig tätig gewesen sind, aber keine Ausbildung haben, mit eingerechnet? Zählen auch diejenigen dazu, die im

Grunde eine andere Profession haben und irgendwie in dem Funktionsdienst, in der Verwaltung oder was weiß ich wo sind? Es ist ja ein beliebtes Spiel der Einrichtungen, ihre Fachkraftquote hochzurechnen. Aber ich finde, wir sollten das doch nicht tun, weil wir das Spiel ein bisschen kennen. Wir sollten doch nicht ganz unkritisch auf diesen Leim gehen und das dann auch noch immer wiederholen.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich verstehe das gar nicht. Ist die Redezeit schon wieder um? Das ist bedauerlich.

(Heiterkeit)

Abschließend: Ein richtig schwieriges Problem werden wir im Bereich der Pflege noch bekommen, wenn die DRGs in den Krankenhäusern eingeführt worden sind. Dann werden wir noch Pflege in anderen Bereichen brauchen, Stichwort „Entlassung von blutigen Patientinnen und Patienten“. Wir werden da nur herauskommen, wenn wir auch eine andere Ausbildung einführen, die für den gesamten Bereich der Pflege gilt. Ich finde es bedauerlich, dass die Bundesregierung bis jetzt nur Modellversuche in diesem Bereich geschafft hat. In der nächsten Legislaturperiode brauchen wir da ein vernünftiges Gesetz. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der CDU und bei der SPD)

Herr Kollege Groth, bitte schön! Sie nehmen zu der Großen Anfrage Stellung.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will einleitend kurz auf ein, zwei Gedanken eingehen, Frau Schliepack. Den Bericht des Medizinischen Dienstes haben Sie im Ergebnis zwar richtig beschrieben, aber in seinen Inhalten falsch. Der Medizinische Dienst hat ja - gerade das ist auch das Phänomen - festgestellt, dass es Pflegeeinrichtungen und -dienste gab, die personell ausgestattet waren, wie es erforderlich war, und dass es dennoch Pflegemängel gab. Dieser Bericht hat nicht an einer einzigen Stelle beschrieben, dass es in den Pflegeeinrichtungen personelle Unterbesetzungen oder Mängel gab. Das haben Sie unzutreffend dargestellt.

Sie fordern wie der Landkreistag, das Landespflegegesetz aufzuheben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir darüber noch einmal verhalten und lange nachdenken.

(Zuruf von der CDU: Aber lieber schnell nachdenken!)

- Das wollen Sie! Es ist gut, dass Sie es sagen. Damit machen Sie natürlich einige 10 000 Menschen in Niedersachsen zu Sozialhilfeempfängern, die jetzt ohne die Sozialhilfe mit dem Landespflegegeld im Grunde unabhängig von Sozialhilfe leben, auch ohne die Peinlichkeiten, die mit Sozialhilfe im Alter verbunden sind. Sie werben also dafür, dass wir diese Menschen zu Sozialhilfeempfängern machen sollen. Denn das ist die Konsequenz, wenn wir das Landespflegegesetz einstampfen. Ich weiß nicht, ob Sie sich das richtig überlegt haben. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie noch einmal in sich gehen würden.

Meine Damen und Herren, zum Thema selbst: Die derzeitige Personalenge in pflegerischen Lagen werde ich an dieser Stelle nicht bemänteln und werde sie auch nicht wegreden.

(Zustimmung von Frau Pothmer [GRÜNE] und von Frau Schliepack [CDU])

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich oft unter erheblichem Druck. Ich komme hier und da noch dazu, das zu erläutern. Aber einen Notstand sehe ich objektiv derzeit nicht.

Ich sehe Änderungsbedarfe. Aber das ist noch nicht ein Pflegepersonalnotstand, wie Sie ihn an die Wand malen. Es gibt Handlungsbedarfe. Die machen Sie allein bei der Landesregierung fest. Es sind natürlich andere originär zuständig, im Bundespflegeversicherungsgesetz genannt. Die Pflegekassen haben sicherzustellen, die Anbieter machen darüber Verträge und Rahmenverträge. In dieses Geschäft wollen Sie nun mit einer unzutreffenden Zuständigkeitsbehauptung das Land implementieren. Das Land ist an der Stelle nicht der maßgebliche Partner. Es kann bestenfalls hier und da moderieren. Aber die damalige Bundesregierung hat das im Bundespflegeversicherungsgesetz anders aufgebaut. Das wissen Sie auch. Verantwortlichkeiten, die Sie bei der Landesregierung einfordern, können Sie also bestenfalls bei den eigentlich Zuständigen einfordern. Das ist jedoch nicht die Landesregierung. Aber dennoch muss von denen gehandelt werden, die verantwortlich sind.

Einen weiteren Gedanken finde ich reizvoll, von dem Frau Pothmer gesprochen hat. Wir sind zu schnell dabei, über Personalmängel und Personalaufstockungen zu reden, also über das Kurative. Aber wir reden zu wenig darüber, was wir eigentlich präventiv vor der Pflege zur Vermeidung von Pflege tun können. Dafür haben wir im Landeshaushalt Geld bereitgestellt. Sie haben leider vergessen, das zu erwähnen. Da warten wir auf beispielhafte Projekte, Frau Pothmer. Aber ich finde die Ideen richtig.

Zum Dialog Soziales Niedersachsen sollten wir das eine oder andere Stichwort in dieser Debatte sagen. Ich fände es gut, wenn wir die Kliniken, die Abteilungen Inneres und Chirurgie, mehr geriatrisieren würden, wenn dort mehr Rehabilitation neben der akuten Behandlung mit späteren potenziellen Pflegefällen stattfände, wenn endlich der Auftrag aus dem Pflegeversicherungsgesetz „Reha vor Pflege“ mehr stattfände und die Medizinischen Dienste an der Stelle intensiver insistieren würden, dass Reha auch stattfindet. Da gibt es Mängel. Pflege wird zu oft hingenommen, wo sie vielleicht vermieden werden könnte. Ich bin auch der Meinung, dass wir die offene Altenhilfe in den Kommunen noch mehr als bisher auf medizinische Prävention und Vorsorge ein- und ausrichten müssen, damit Pflege mehr verhindert wird. Die MHH macht eine beachtliche Umfrage dazu, was stattfindet und was eventuell noch angereichert werden muss.

Ich bin auch der Meinung, dass wir uns mit Pflegemethoden befassen sollten - ich kann Ihnen mit Stichworten sagen, dass es in den USA die so genannte Substraktionspflege gibt -, dass sehr intensiv im Pflegefeld nachgedacht werden muss, was man unbedingt machen muss. Dabei ist es verpönt, in der Pflege Dinge zu tun, die nicht unbedingt für die Person getan werden müssen, um nicht deren Selbständigkeit zu reduzieren, also ihren Pflegezustand letztlich zu erhöhen.

Das sind Pflegemodelle, die wir mehr diskutieren und vielleicht auch mehr im Lande erproben müssen, um Pflege zu vermeiden. Strukturen mit Wohnangeboten und Notdiensten gehören dann noch dazu, damit Ältere lange selbständig bleiben können.

Meine Damen und Herren, ich habe in der Anfrage auch vermisst, dass Sie einmal die drei Standbeine der Pflege hinterfragen: Haben wir nicht dieselbe Lage, die Sie hier diskutiert haben, in der Behin

dertenhilfe? Zu der Heilerziehungspflege haben Sie an keiner Stelle gefragt. Sie funktioniert in ihrer ganzheitlichen Ausbildung wahrscheinlich im Land am besten und ist bedarfsgerecht ausgestattet. Ich will das der Vollständigkeit halber hier erwähnen.

Ich möchte wenige Bemerkungen zur Krankenpflege machen, weil gerade auch Frau Pothmer dahin übergeleitet hat. Es ist ja richtig: Pflegeeinrichtungen müssen mehr als bisher Verträge mit den Kliniken machen; denn die Betroffenen werden kürzere Zeiten in den Kliniken verbleiben und früher verlässlich in Pflegedienste überführt werden. Das gibt neue Fragestellungen in den nächsten drei, vier, fünf Jahren.

Wir hatten aber in der Altenpflege, über die Sie ja schwerpunktmäßig gesprochen haben, auch immer eine hohe Fachkräftequote aus der Krankenpflege. Kinderkrankenpfleger, allgemeine Krankenpfleger und Krankenschwestern waren immer zu einem großen Anteil auch in der Altenpflege neben den Altenpflegerinnen und Altenpflegern tätig. Wir haben auch dort meines Erachtens zwar noch keinen Notstand. Aber es ist erkennbar, dass Kapazitäten der Ausbildung an Krankenpflegeschulen nicht mehr ausgenutzt werden, weil die Krankenpflegeschulen nicht wissen, ob sie nach dem DRGGesetz die Zulage für die Ausbildung haben werden und ob ihre Planungssicherheit in Kürze hergestellt wird. Ich kann von dieser Stelle aus nur fordern, dass sich die Selbstverwaltungen in diesem Bereich - also die Krankenkassen und die Krankenhäuser - nun eiligst auf die dauerhafte Finanzierung der Krankenpflegeausbildung nach Einführung der DRGs einigen.

(Zustimmung von Frau Elsner-Solar [SPD])