Natürlich - auch das ist eben angesprochen worden - hat der Umgang mit Waffen eine Diskussion in unserem Land nach sich gezogen. Aber von einigen Änderungen abgesehen, so z. B. die Altersgrenze für den Erwerb und Gebrauch großkalibriger Waffen heraufzusetzen, meine ich, dass man hier eher davor warnen muss, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich möchte auch dazu zwei Anmerkungen machen.
Ich bin dagegen, dass wir jetzt über die Heraufsetzung der Volljährigkeit von derzeit 18 Jahren diskutieren, weil wir dann erst einmal unsere Widersprüchlichkeiten aufarbeiten müssten, die wir dazu an den Tag legen.
Wenn es gestern richtig war - wie von Einzelnen, nicht Unbedeutenden, vertreten wurde -, Kinder ab 14 Jahren bis zwölf Uhr in die Disko zu lassen und das Wahlrecht für alle Parlamente generell auf 16 Jahre abzusenken, dann ist es doch sehr widersprüchlich, wenige Tage später die Heraufsetzung der Volljährigkeit auf 21 Jahre ins Gespräch zu bringen.
Junge Leute sind ja ganz unterschiedlich. Es gibt manche 50-Jährige, die relativ jugendlich ungestüm sind, und es gibt manche 10- oder 15 –Jährige, die relativ alt sind. Auch in der Phase von 16 bis 21 Jahren gibt es ganz unterschiedliche Entwicklungen. Jede Pauschalierung einer Volljährigkeitsgrenze hat entsprechende Folgen. Ich würde die Debatte eher nach innen führen wollen, wie
unglaubwürdig manche Forderung war, als nach außen. Ich möchte auch gerne - das sage ich in aller Bedächtigkeit - eine allgemeine Frontstellung gegen die Schützenvereine vermieden sehen, weil ich glaube, dass in unserem Land insbesondere die Jugendfeuerwehren und die Schützenvereine eine ganz exzellente Jugendarbeit leisten.
Auch ein Schützenverein ist gegen Missbrauch dieses Vereins nicht gefeit. Es ist so, dass, wenn jemand Böses tun will, er immer in irgendeiner Weise dieses tun und sich einer Waffe bemächtigen kann.
Ich hoffe, dass die schrecklichen Morde von Erfurt unvergessen bleiben, dass die Fragen, die damit aufgeworfen wurden, diskutiert und beantwortet werden. Ich begrüße es ausdrücklich und außerordentlich, dass die Fraktionen mit der Landesregierung und unserem Niedersächsischen Ministerpräsidenten übereingekommen sind, dass wir mit Verbänden und gesellschaftlichen Einrichtungen Maßnahmen zur Ächtung von Gewalt erörtern, und zwar so, wie wir auch Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit mit durchaus beachtlichen gemeinsamen Aktionen und Erfolgen ergriffen haben. Wir sollten zeigen, dass wir Gewalt nicht akzeptieren, dass wir keine Alternative zum friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft sehen und insofern hier im wahrsten Sinne des Wortes unsere Pflicht erfüllen und unserer Verantwortung nachkommen. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion ist entsetzt, traurig und voll Mitleid. Uns wäre es allerdings lieber gewesen, heute keine Debatte hierzu zu führen. Uns wäre das stille Gedenken zu Erfurt, begleitet durch Worte des Landtagspräsidenten, als angemessen erschienen. Wir hätten sehr gern gesehen, wenn die Erklärungen aus allen politischen Lagern, es gäbe keine schlüssigen Antworten auf den Amoklauf von Erfurt, gehalten hätten, und wir hätten gern erlebt,
Aber es scheint, als wäre es nicht auszuhalten, keine Erklärung, keine Antwort zu haben. Ist es die Politik, die das nicht aushält, oder sind es die Medien, die Journalisten mit ihrem Redaktionsschluss oder den aktuellen Nachrichten, Brennpunkten zur Primetime, die die Politiker vor sich hertreiben? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Wäre Robert Steinhäuser nicht Amok gelaufen, wenn es kein Hollywood, keine Gewaltfilme, keine fiktiven Vorbilder, keinen Schwarzenegger, kein „Counter Strike“, keine Schulversager und keine Versagensangst, dafür aber ein anderes Schulgesetz, strengere oder sensiblere Lehrer, mehr Lehrer oder aufmerksamere Eltern etc. gegeben hätte? Ich kann auch diese Frage nicht beantworten.
Professionelle Verbrechensinterpreten haben derzeit Konjunktur. Schon am Abend nach den Morden an der Erfurter Schule wird ein anscheinend perfektes Bild des jungen Mannes Robert Steinhäuser nachgezeichnet. Alle wollen Antwort und Erklärung. Es gibt sie aber nicht. Weil es sie nicht gibt, werden Taten wie die in Erfurt auch nicht in jedem Fall zu verhindern sein. Meine Damen und Herren, nichts kränkt eine Gesellschaft wie unsere, die so viel über sich zu wissen meint, mehr als Ratlosigkeit. Das las ich nach Erfurt. Wir sind der Meinung, dass Ratlosigkeit nach Erfurt auf keinen Fall übertüncht werden darf.
Aus dieser eingestandenen Ratlosigkeit folgt für uns nicht Untätigkeit. Die aufgeregten Debatten über die Mängel des Schulsystems, über Medienpolitik und Kontrolle sowie über die Verschärfung des Waffengesetzes zeigen, dass viele von uns mit dem Bestehenden nicht zufrieden sind. Erfurt weckt das Bewusstsein für Unzulängliches, für Inkonsequenz oder auch für falsche politische Kompromisse. Die Schulpolitik, Politik für Kinder überhaupt, ist, so meine ich, das wichtigste Beispiel dafür, wie Erfurt schlechtes Gewissen in der Politik zutage fördert, dass wir nämlich nicht genug tun für unsere Kinder, und zwar weder beim Fördern noch beim Fordern, und dass die Kultur der Anerkennung für viele Kinder und Jugendliche, und zwar meistens aus den benachteiligten Familien, nicht Wirklichkeit, sondern schlicht Uto
pie ist. Schulangst sei weit verbreitet - das las ich nach Erfurt - und werde in der Regel medikamentös bekämpft.
So richtig die immer währende Forderung unseres Justizministers Christian Pfeiffer ist, der potenziellen Gewaltneigung junger Männer präventiv zu begegnen, wie soll das funktionieren, wenn unser Schulwesen im Widerspruch zu Ihrem Präventionsziel steht, Herr Minister? Wer nicht passt, muss gehen. In unserem Schulsystem ist die Demütigung der Schwächeren strukturell. Die Demütigung der Schwächeren zu verhindern, das wäre aber die eigentliche Vorbeugung gegen Gewalt.
Meine Damen und Herren von der CDU, Ihre Forderung, Ihre Linie in der aktuellen schulpolitischen Auseinandersetzung in Niedersachsen, zur Dreigliedrigkeit zurückzukehren, halte ich an dieser Stelle ausdrücklich für noch gefährlicher als die Schulstruktur, die die Landesregierung will.
Die verfrühte Auslese, die Unfähigkeit, mit individuellen Unterschieden von Jugendlichen aufbauend umzugehen, die unzulängliche Ausbildung von Lehrern, das sind drei der Tabus, die einer Kultur der Anerkennung an unseren Schulen im Wege stehen. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Das ist keine Schuldzuweisung an die Lehrer oder an die Schulen. Unsere Schulen sind Ergebnis unserer Politik, unserer gesellschaftlichen Verhältnisse und nicht zuletzt der Sparpolitik. Schüler und Lehrer arbeiten heute oft unter der Erfahrung der Vergeblichkeit ihres Tuns.
Meine Damen und Herren, das darf nicht so bleiben! Die Bearbeitung von PISA könnte für Verbesserungen entscheidend sein. PISA hat wieder gezeigt, dass Leistung in der Schule sehr eng mit der sozialen und familiären Herkunft zusammenhängt und dass die Schule die soziale Schichtung reproduziert, wenn nicht sogar verstärkt. Nach einem Jahrhundert der Schulreformen darf niemand von uns erwarten, dass sich das allein durch Schulreformen ändert. Der Beitrag des sozialen und kulturellen Kapitals, das von zu Hause kommt, kann nicht allein von Schule ersetzt werden. Deshalb müssen wir nicht nur unsere Schulen weiterentwickeln, Bildung muss auch zu Hause sein. Familienpolitik - so heißt es - muss auch Bildungspolitik sein. Dazu muss allerdings aus der Entfernung zwischen Schulen und Elternhaus, die in
Meine Damen und Herren, die Rufe, Gewalt aus den Medien effizient und für immer zu verbannen, rissen in den letzten Wochen nicht ab. Auch diese Forderung - hier hat Herr Wulff völlig Recht - ist eine wiederkehrende Forderung. Mit Verbotsforderungen werden an dieser Stelle meiner Meinung nach zunächst einmal nur populistische Reflexe bedient.
Im Internet wird eine Verbotsstrategie gegen Gewalt noch schwieriger als die Kontrolle des Fernsehens. Aufgrund von Jugendschutzbestimmungen, die bei uns in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch liegen, kommen viele Computerspiele in Deutschland entweder nur in entschärften Versionen in den Handel oder gleich auf den Index. Dann passiert es: Die zu schützenden Kinder sind aber in ihrem Spieltrieb dadurch kaum eingeschränkt. Sie holen sich die verbotenen Früchte aus dem Netz oder von Freunden. Manchem in Wirklichkeit nur sehr mittelmäßigem Spiel gelingt erst durch die Indizierung der Erfolg in den Kinderzimmern. Meine Damen und Herren, nicht, dass wir Spiel wie „Counter Strike“ oder „Doom“ oder die Partys, auf denen dieses Zeug nächtelang gespielt wird, gut finden, aber sie sind in der Welt. Die Jugendschützer treten vehement für eine aufklärende Betreuung und Auseinandersetzung mit Kindern und Jugendlichen und ihren Mediengewohnheiten ein, und zwar schon sehr lang und sehr konsequent.
Aus den Augen, aus dem Sinn - das ist die simple Logik derer, die verbieten wollen. Es ist aber ein sehr schlichter Denkansatz, mit den Bildern die Taten bannen zu wollen. Zensur und Aufklärung sind für mich an der Stelle ein Gegensatzpaar. Von Alexander Kluge las ich in den letzten Tagen: Wenn in den Seelen kein Bedürfnis nach Computerspielen wäre, würde die Industrie sie nicht herstellen. Und wenn die Industrie sie nicht mehr herstellen darf, suchen sich die Menschen andere Vehikel.
Meine Damen und Herren, selten ist eine Debatte so unehrlich verlaufen, wie die Debatte um das Waffengesetz nach dem Amoklauf in Erfurt. Meine Kollegen von der CDU, Sie sollten heute so ehrlich sein zuzugeben, dass Sie im März nicht nur einen falschen Antrag eingebracht haben, sondern dass dazu auch eine falsche Rede gehalten worden ist.
„99,9 % der legalen Waffenbesitzer in Deutschland sind ehrliche Bürgerinnen und Bürger, die sich stets an Recht und Gesetz halten.“
„Die Kriminalstatistik macht deutlich, dass von legalen Waffenbesitzern in Deutschland kaum Gefahren ausgehen.“
Wir mussten allerdings erfahren, dass eine Waffe in der falschen Hand zu einem entsetzlichen Blutbad führen kann.
Die Entwaffnung der Gesellschaft ziehen wir für uns als Konsequenz. Waffen haben im Wohnzimmer und erst recht im Kinderzimmer nichts zu suchen!
Für uns gibt es kein Bürgerrecht auf Gewehre. Meine Damen und Herren, diese Auffassung ist mit dem Wunsch, das Schießen weiterhin als Sportart betreiben zu können, ausdrücklich zu vereinbaren.
Zum Schluss noch ein paar Worte dazu, wie wir im Landtag gemeinsam weiter vorgehen sollten. Uns liegt sehr viel daran, dass das im Ältestenrat verabredete Jugendforum tatsächlich Einfluss auf die weiteren Beratungen nehmen kann. Wir sind deshalb dafür, dass Juni-Plenum dazu zu nutzen, in Anwesenheit aller Abgeordneten Schüler, Lehrer und Eltern zu den in dieser Debatte und zu den in den letzten Wochen immer wieder gestellten Fragen zu hören: Wie kann eine Schule aussehen, die Schülern Anerkennung zollt und sie besser auf das Leben vorbereitet? Ist das Versagen an der Schule auf die Vorliebe für eine rechtslastige HeavymetalBand und „Counter Strike“ zurückzuführen? Ist das die Erklärung dafür, dass sich ein Jugendlicher in einen Amokläufer verwandelt? Ist das Verbrechen von Erfurt ein Hinweis auf die Brutalisierung
Meine Damen und Herren, die Lösung gesellschaftlicher Probleme in dieser Dimension, wie sie uns Erfurt offenbart, steht für mich nur in Aussicht, wenn nicht stellvertretend Politik agiert, sondern wenn Bürger gemeinsam an dieser Lösung arbeiten: Lehrer, Schüler und Eltern können mit ihren Erfahrungen, Ängsten, Vorschlägen und Forderungen an die Politik gerade in einer solchen Situation die allerbesten Berater sein.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach dem Amoklauf von Erfurt lautet die zentrale Frage an die Politik: Können wir durch staatliche Maßnahmen das Risiko solcher Taten verringern?
Die Menschen im Lande fragen: Wie müssen wir mit unseren Kindern umgehen, damit wir eines Tages plötzlich nicht so dastehen wie die Eltern von Robert Steinhäuser?
Antworten auf beide Fragen setzen eigentlich voraus, dass wir gründlich analysieren, wie solche Taten entstehen. Das aber ist weltweit bisher kaum geschehen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Weil sich die Amokläufer im Anschluss an ihre Tat meistens töten, gibt es keinen Strafprozess. Damit entfallen alle gründlichen Recherchen, die wir ansonsten durchführen können, wenn wir Mörder vor Gericht bringen. Weil das weltweit so gelaufen ist, wissen wir über Amokläufer weitaus weniger als etwa über jemanden, der einen Menschen aus Eifersucht heraus tötet. Aber ist das wirklich richtig so? Sind wir es den Opfern nicht schuldig, dass wir die Entstehungsbedingungen solcher Taten mit derselben Gründlichkeit erforschen, wie wir das sonst in Gerichtsverfahren gegen Mörder tun?
Damit will ich freilich nicht behaupten, dass uns gar keine Erkenntnisse vorlägen. Wir wissen – darauf ist bereits hingewiesen worden -, dass Amokläufer fast durchweg Männer sind. Ferner wissen wir, dass es sich bei ihnen um isolierte Einzelgänger handelt, die zudem häufig keiner regulären Beschäftigung nachgehen. Sie vertrauen sich nur