Protokoll der Sitzung vom 15.05.2002

bensbedingungen versehen sind, gefährden sie viele andere.“

Wir sind uns einig in der Ächtung von Gewalt. Das beginnt damit, dass wir einander achten und mehr aufeinander achten - wie Johannes Rau in Erfurt auf der Trauerfeier gesagt hat -, damit uns eine solche Heimsuchung - wie Bernhard Vogel so schön dieses Wort gefunden hat - nicht noch einmal widerfährt. Die Bewährung in diesem Wollen wird darin liegen, ob es auch uns Politikern, auch hier im Landtag, gelingt, die Beunruhigung, die uns seit dem 26. April umtreibt, in einen dauerhaften und fruchtbaren Dialog unter Einbeziehung anderer, z. B. auch Jugendlicher, zu verwandeln. Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Wulff, jetzt haben Sie um das Wort geben. Bitte schön!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Unser Mitgefühl gehört natürlich zuallererst den Angehörigen der Opfer, den Schülerinnen und Schülern, dem Lehrerkollegium am GutenbergGymnasium in Erfurt. Der Täter ist verantwortlich für das, was er getan hat, und erst einmal nicht die gesellschaftlichen Umstände.

Die CDU-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass wir in dieser notwendigen Ernsthaftigkeit über Strategien zur Gewaltvermeidung sprechen. Allerdings dürfen wir uns, meine ich, völlig unbescheiden den Hinweis erlauben: nicht zum ersten Mal und nicht erst seit Erfurt. Es gibt eine beeindruckende Abfolge von Tagungen, Anhörungen und Entschließungen zum Thema wachsender Gewalt in unserer Gesellschaft: in der Schule, im Sport, in den Familien, in den Medien und an vielen anderen Stellen. Es ist uns als Landtag in der Vergangenheit gelungen, gemeinsam Werte auszudrücken, Konsens zu demonstrieren und auch gemeinsam beispielsweise Einigkeit gegen Gewalt und Fremdenhass zu zeigen. Diese Einigkeit auch jetzt zu zeigen und daraus tief greifende, lang andauernde Konsequenzen zu ziehen, wäre ein wirklicher Beitrag, und wir würden unsere Vorbildfunktion wahrnehmen.

Wir sollten - da stimme ich Herrn Präsident Wernstedt ausdrücklich zu - jeden Anschein vermeiden, wir könnten als Politiker, als Parteien und Parlamente Probleme lösen, Entwicklungen verhindern, Ereignisse, Heimsuchungen wie in Erfurt verhindern. Wir würden uns als Politiker überfordern, würden wir diesen Anschein erwecken. Es darf keinen Aktionismus, keine vorschnellen Entschlüsse oder gar Vorverurteilungen bestimmter Gruppen geben. Aber es muss eine Auseinandersetzung über Gewalt in unserer Gesellschaft geben. Denn Gewalt von Jugendlichen entsteht nicht wie ein Blitz vom heiteren Himmel.

Die Ursachenproblematik ist vielfältig. Ich möchte meinerseits den Schwerpunkt auf den Bereich der Erziehung und den Umgang mit der Gewalt legen; denn der Auftrag unseres Grundgesetzes, wonach junge Menschen die Bedeutung der Achtung und der Würde des Menschen vermittelt bekommen müssen, richtet sich an alle - zuallererst an die Eltern, an die Familien. Wer gegen Gewalt antreten will, muss zuallererst bei den Eltern ansetzen.

Die große Mehrzahl der Eltern in unserem Land - darauf ist hingewiesen worden - erfüllt ihre Erziehungspflichten aufopferungsvoll und hervorragend. Wir haben auch eine hervorragende junge Generation. Das zeigen gerade die Verlautbarungen, die Äußerungen, die Einlassungen der Schülerinnen und Schüler in Erfurt nach dem schrecklichen Ereignis. Wir haben die Verpflichtung des Grundgesetzes, dass zur Pflege und Erziehung der Kinder zuvörderst die Eltern die ihnen obliegende Pflicht und das ihnen obliegende Recht haben.

Vor diesem Hintergrund sollte man sich am heutigen Internationalen Tag der Familie erst einmal darin einig sein, dass wir Benachteiligungen von allein Erziehenden und Eltern mit Kindern abbauen, Familienarbeit anerkennen, die Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit nachhaltig fördern und dies nicht nur erklären, sondern dem auch gemeinsam Taten folgen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, es kann daran keinen Zweifel geben: Wenn man Kindern die Chance eröffnet, positive Vorbilder in der Familie zu erleben, Vertrauen zu erfahren, dann werden sie auch Grundlagen haben, Konflikte gewaltfrei zu lösen sowie Toleranz und Rücksichtnahme zu üben.

Unsere Landesbischöfin Margot Käßmann hat in ihrem Buch „Erziehung als Herausforderung“ sehr

überzeugend, meine ich, beschrieben, dass wir uns immer wieder fragen müssen, was Eltern ihren Kindern mitgeben können. Margot Käßmann antwortet: offene Ohren, offene Türen, offene Sinne. So entstünden starke Persönlichkeiten mit Rückgrat, Bindungsfähigkeit, Orientierung, Vorbeugung gegen Einsamkeit.

Zweifelsfrei war es noch niemals so einfach wie heute, jemanden kennen zu lernen, aber noch niemals so schwer, jemanden richtig kennen zu lernen. Die Oberflächlichkeit vieler Kontakte in unserer Gesellschaft erschwert das Entstehen von Vertrauen und Zutrauen. Gerade Kinder - darauf weist Margot Käßmann hin - haben ein sehr feines Gespür für Nähe und Distanz, die Verlässlichkeit in Beziehungen und damit auch das Entstehen von Bindungen.

Es steigt - das ist ein Problem, mit dem wir uns vor allem in den Schulen auseinander zu setzen haben die Zahl der Eltern, die sich entweder aus ihrer Verantwortung verabschieden oder bei der Aufgabe der Erziehung der nächsten Generation schlichtweg überfordert fühlen. Da ist Schule kein Raum, in dem etwas anders ist als in der Gesamtgesellschaft. Das ist keine friedliche Insel in einer ansonsten von Konflikten gekennzeichneten Welt, sondern das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wer wissen will, wie es um unsere Gesellschaft bestellt ist, muss in unsere Schulen schauen.

Wenn Lehrerverbände auf ihren Tagungen Hilfe suchend sagen „Wir haben ein paar Grundforderungen an die Eltern im Zusammenwirken der Erziehungspartnerschaft von Elternhaus und Schule“, dann hört sich das eigentlich selbstverständlich an: feste Arbeits- und Lerngewohnheiten, Vorrang der Schule vor Freizeit, gesunde Lebensgewohnheiten, regelmäßiger Kontakt zur Schule, ernst zu nehmen, was in der Schule passiert. Dazu gehört für mich auch als Konsequenz aus Erfurt die Diskussion darüber, dass Eltern auch bei volljährigen Schülern die Gelegenheit bekommen und haben sollten, informiert zu werden, wenn es Probleme gibt. Darüber wird beispielsweise im Kultusausschuss zu reden sein.

(Beifall bei der CDU)

Wer Schülerinnen und Schüler gegen Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung stark machen will, braucht engagierte und qualifizierte Lehrkräfte, braucht Lehrerinnen und Lehrer, die sich anerkannt, motiviert und auch gestärkt fühlen. Frau

Käßmann weist in ihrem Buch darauf hin, dass es hier schon um die Sprache geht, wie man in der Familie über Lehrerinnen und Lehrer und deren Arbeit spricht, wie die Eltern, die Erwachsenen, die Umgebung sprechen und wie wir uns zu den Lehrern einstellen. Gestern Abend hat unsere Fraktion 60 engagierte Lehrerinnen und Lehrer aus Niedersachsen für ihr Engagement ausgezeichnet. Man sieht dann immer wieder, wie wenig diese Art Anerkennung in unserem Lande üblich ist.

1788 hat Freiherr von Knigge gesagt - Herr Aller und andere mögen das nachsehen; aber ich glaube, dieses Zitat gibt zum Nachdenken Anlass -: Der geringste Dorfschulmeister, wenn er seine Pflicht treulich erfüllt, ist eine wichtigere und nützlichere Person im Staate als der Finanzminister. Karl Jaspers hat 200 Jahre später gesagt, es sei das Schicksal des Volkes, welche Lehrer es hervorbringe und wie es seine Lehrer achte.

Wenn die Diskussion zur Folge hätte, sich in die Lage der Schülerschaften, die vor ihnen sitzen, hineinzuversetzen - da heißt es immer „Die Klassen sind kleiner geworden“ usw., aber die Schülerschaft ist heute heterogener, ist anders geworden, setzt sich heute ganz anders zusammen -, dann wäre das etwas, was wir den Lehrern mehr als schuldig sind.

(Beifall bei der CDU)

Zu Erziehungsberufen zu motivieren, sie zu stärken, Autoritäten anzuerkennen, setzt auch voraus, dass Lehrerinnen und Lehrer selber Vorbild sein sollen, dass sie die Notwendigkeit erkennen, Fehlverhalten bereits im Entstehen erzieherisch aufzugreifen und Werte durchzusetzen. Dazu gehört auch die Lehrerfortbildung mit neuen soziologischen, soziokulturellen Erkenntnissen. Aber dann muss man auch seitens des Landtages gemeinsam übereinkommen, dass wir diesem Bereich entsprechende Priorität einräumen.

Natürlich müssen wir auch über die Medien als unkontrollierte Erzieher sprechen. So manches Kind mit 16 Jahren hat mehr Zeit vor dem Fernsehgerät als in der Schule verbracht. Ein Zusammenwirken von Verlust gemeinsamer Wertvorstellungen, dem Zerfall von Familie, der Häufung sozialer Brennpunkte und allgemeiner Zukunftslosigkeit Einzelner ist der Nährboden, auf dem Vereinzelung und Einsamkeit entsteht.

Vor acht Jahren ist hier im Landtag ein Entschließungsantrag zur Gewalt in den Medien und ihren

Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche einstimmig angenommen worden. Damals haben verschiedene Fraktionen zusammengewirkt, um diesem Thema große Aufmerksamkeit zu geben, sodass ich mir den einzigen Widerspruch zu der eben gehörten Rede erlaube: Dem „Erst jetzt“ und „Es bedurfte Erfurt, um darüber zu reden“ möchte ich widersprechen. Ich glaube, dass wir hier unser Licht nicht unter den Scheffel stellen sollten, sondern dass die Frage „Wie kann man das eingrenzen, und wie kann man Kinder schützen?“ ein großes Thema war, ist und bleiben muss.

Die Menschen sind heute offensichtlich schneller bereit, Gewalt anzuwenden, und es gibt offensichtlich bereits Defizite bei den ganz Kleinen in unserem Land. In der Lebensphase unter drei Jahren sind Aufmerksamkeit und Liebe gefordert, vielleicht auch tatsächlich das Bekenntnis, dass wir die Begriffe mit dem Anfangsbuchstaben Z aufwerten sollten. Ich habe bei anderer Gelegenheit hier gesagt: Ich bin davon überzeugt, dass es die Mitmenschlichkeit in unserem Lande erhöhen würde, wenn wir den Themen Zuwendung, Zeit, Zutrauen, Zuneigung, Zukunft, Zuversicht und Zivilcourage größere Bedeutung einräumten. Ich möchte sogar weitergehend fordern, dass wir nicht nur den Umweltschutz - den Schutz der äußeren Umwelt thematisieren, sondern auch den Schutz der Innenwelt von Kindern.

(Beifall bei der CDU)

Denn Kinder sind heute anderen Verführungen und Verführern ausgesetzt. Es ist heute schwieriger, seelisches Gleichgewicht zu halten. Es gibt heute mehr Probleme bereits bei Kindern in der ersten Klasse, die ihre Aggressionen zum Teil nur bewältigen können, wenn sie die Schule unter Medikamenteneinfluss besuchen. Seitdem dies vor Wochen thematisiert worden ist, gibt es erhebliche Probleme in unseren Grundschulen, zum Teil auch wegen der Nichtverschreibung dieser Medikamente, auf die die Kinder angewiesen sind. Entsprechende Initiativen werben ja schon für die Akzeptanz dieser medikamentösen Einflüsse.

Ich glaube, es wäre gut, wir würden über das, was uns Kindermediziner und Kinderpsychologen sagen, häufiger ernsthafte Debatten führen, Debatten über die musische Früherziehung, über Sport und andere außerschulische Aktivitäten, über kreative Kompetenzen. Denn Kinder und Jugendliche, die beispielsweise musizieren, haben ein anderes Sozialverhalten, schöpfen ihre Fähigkeiten besser aus.

Wir sehen das bei Tagen des Ehrenamtes, Tagen der Niedersachsen oder bei anderen Gelegenheiten, wie die junge Generation hier ganz vernünftig in unsere Gesellschaft integriert wird, selbstbewusst wird, sich etwas zutraut und mit Enttäuschungen, auch mit Schulversagen, leichter und besser fertig wird.

Ein besonderes Augenmerk haben wir vor einigen Jahren mit einem Antrag auf die wachsende Männergewalt, vor allem auf die Gewalt von Männern in Familien, gerichtet. Es muss schon traurig stimmen, dass es fast immer junge Männer sind, die gewalttätig auffallen. Ich finde, es lohnt sich, darüber nachzudenken, wodurch das entsteht, ob das verhindert werden kann, ob es vielleicht gerade Jungen schwer gemacht wird - wie es heißt -, „uncooler“ zu sein oder Gefühle zu zeigen, ob manche Rollenerwartungen an starke Männer, an die Vorbilder der Rambo-Filme, vielleicht von manchen gerade nicht erfüllt werden wollen, was man begrüßen sollte und nicht etwa als Problem deklarieren darf.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Insoweit Aggressionen aufzugreifen, wäre ein lohnenswertes Ziel. Dazu sind in diesem Hause auch verschiedentlich schon Beiträge geleistet worden. Es geht also nicht nur darum, rationale Intelligenz zu entwickeln, sondern auch emotionale Kompetenz. Denn was nützt ein hoher Intelligenzquotient, wenn man ein emotionaler Trottel ist? Das hat Frau Professor Höhler in ihrem Buch zum Thema Erziehung geschrieben.

Ich möchte, ohne das zu verklären, auch sagen - es soll ja unter Umständen auch einige Unterschiede geben, an denen wir uns in den nächsten Jahren reiben müssen, wenn wir das Thema wirklich ernst nehmen -: Solche Ereignisse zeigen auch, dass dem Religionsunterricht in allen Schulformen eine besondere Bedeutung zukommt, weil das christliche Menschenbild gegen eine Reduzierung des Menschen auf seine Nützlichkeit steht, gegen die Anwendung von Gewalt, für den Schutz der Menschenwürde auch in Grenzsituation des Lebens, weil dies das gelebte Solidarisch-Sein, die Anteilnahme, das Sich-Kümmern um den Mitmenschen impliziert und auch das Tröstliche beinhaltet, dass es Grenzen und Fehlerhaftigkeiten gibt.

Ich bin davon überzeugt, dass es dem Mörder von Erfurt in seiner Situation gerade an jemandem

gefehlt hat, der ihm auch bei Schwierigkeiten beistand, der klarmachte, dass er gebraucht wird, unabhängig von formalen Bildungsabschlüssen. Der Mensch ist mehr, als er leistet. Wir müssen aus Erfurt auch die Konsequenz ziehen, dass überall hingeschaut wird, dass auf Auffälligkeiten und Warnsignale geachtet wird. Wir müssen aber auch feststellen, dass wir relativ machtlos sind, wenn es an diesen Warnsignalen fehlt. Gerade davon berichten ja alle aus der Umgebung des Erfurter Mörders. Insoweit wird auch darüber zu reden sein, wie man diesbezüglich zu besseren Ergebnissen, zu besseren Leistungen in den Schulen und in den Familien kommt.

Kindern beizustehen in guten und in schlechten Zeiten - darauf hat Frau Käßmann in ihrem Buch hingewiesen -, ist eben etwas sehr Umfassendes. Für alle Erwachsenen, für alle Erziehenden gilt es, Geduld zu haben mit Kindern und Jugendlichen, Geduld zu haben mit der Angst vor Dunkelheit, vor Gewitter, vor Versagen, auch in der Schule, Geduld und Gelassenheit zu haben im Umgang mit dem Erwachsenwerden. Dies sollten wir gerade in der Bildungspolitik und in der Familienpolitik häufiger und ernsthafter diskutieren als manches, was wir - bei aller Notwendigkeit - hier sonst noch diskutieren.

Es gab ja auch Ergebnisse auf diesem Weg, Menschen ganzheitlicher zu beurteilen, und zwar mit den Kopfnoten, die wir eingeführt haben, oder auch beim Bekämpfen des Schuleschwänzens, um gerade nicht zuzulassen, dass sich jemand dieser Autoritäten entzieht und sich der Vermittlung von Wissen und Werten entledigt. Ich glaube, der Kompromiss, den wir hier gefunden hatten, dass es nicht monatelang möglich ist, die Schule zu schwänzen, ohne dass es auffällt, ist ein gutes Ergebnis unserer Beratungen hier im Landtag gewesen.

Wir müssen Schulen auch materiell und personell in die Lage versetzen, Werte, Verhaltensregeln und Konfliktvermeidungsstrategien zu vermitteln. Wir brauchen auch Zukunftsperspektiven, spezielle Eingliederungshilfen und Ausbildungsangebote für benachteiligte und beeinträchtigte Jugendliche. Es sollte ein Ziel sein, die Zahl der Schulabbrecher, also die Zahl derer, die ohne Schulabschluss ins Leben entlassen werden - leider sind dies auch in Niedersachsen nahezu 10 % -, in einem überschaubaren Zeitraum von fünf Jahren mindestens zu halbieren, damit diese Kinder und Jugendlichen

eben eine andere Form der Anerkennung nach vorheriger Förderung erfahren.

Ich möchte, da wir heute darüber diskutieren, der Einschätzung, die immer wieder gegeben wird, widersprechen, dass die Jugendkriminalität zurückgehe. Dies ist meines Erachtens nicht haltbar. Denn seit 1984 hat sich die polizeilich registrierte Gewaltkriminalität bei Jugendlichen in Westdeutschland mehr als verdreifacht. Mehr als 30 % aller Tatverdächtigen in der Bundesrepublik sind jünger als 21 Jahre, und unser Landesamt für Statistik weist aus, dass die Zahl der verurteilten jugendlichen und heranwachsenden Straftäter im Jahr 2000 eine Rekordhöhe erreicht hatte, was sich im Jahr 2001 in der Tendenz fortgesetzt hat.

Zwei Tendenzen jenseits der nackten Zahlen finde ich beunruhigend, nämlich einerseits, dass die Täter immer jünger werden, und zweitens dass die Täter, wie Grundschulleiter, wenn sie seit 20 oder 30 Jahren an Grundschulen tätig sind, berichten, immer brutaler werden und bereits in den Schulen mit der verbalen Gewalt, mit Begrifflichkeiten, beginnen. Dies geht bis hin zu körperlicher Gewalt bei Kindern und Jugendlichen. Dies muss uns herausfordern, über alles nachzudenken: das Jugendstrafrecht, den Medienschutz, die Medienkompetenz, das Verbot von Gewaltvideos. Ein solches Verbot wurde bereits 1993 hier beantragt. Das ist bald zehn Jahre her. Wir haben dann im weiteren Fortgang gesehen, wie schwierig es ist, in einer freiheitlichen Demokratie mit Verboten zu operieren. Zu Fragen ist daher, ob es nicht eher so sein muss, dass man die Menschen so stark macht, dass sie einen Schutzmantel um sich herum haben, um bestimmte Dinge nicht an sich herankommen zu lassen.

Die Erziehungswissenschaftlerin Professor Dr. Hildegard Müller-Kohlenberg hat ja über den Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und Gewaltbereitschaft gearbeitet. Sie hat vor allem angeprangert - ich mache mir das zu Eigen -, dass Kinder durch Zeichentrickfilme bereits lernten, Gewalt als etwas Belustigendes anzusehen.

(Beifall bei der CDU und von Frau Seeler [SPD])

Eine Abrüstung auf den Bildschirmen im Fernsehund Internetbereich täte uns gut. Es täte uns vor allem gut, darüber zu sprechen, welche Wirkungen welches Programm haben kann, ob nicht Verdich

tung, Verstärkung, ob nicht Gewöhnungseffekte und Abstumpfungseffekte eintreten.

Viele junge Zuschauer erhalten den Eindruck, Gewalt gehöre zu den ganz normalen und legitimen Mitteln der Problem- und Konfliktbewältigung. Das ist mitnichten der Fall. Wenn wir hier so diskutieren, wie wir diskutieren, dann zeigen wir, dass man auch in anderer Weise übereinkommen kann.

Ich würde mir wünschen, dass der Staatsvertrag zum Jugendmedienschutz zügig auf den Weg gebracht würde und effektiver Jugendschutz unser aller Anliegen bliebe. Über den Jugendmedienschutz gab es in diesem Hause wenig Streit. Ich habe immer große Gemeinsamkeiten gesehen, auch was das Erreichen des Zieles der Medienkompetenz angeht.

Natürlich - auch das ist eben angesprochen worden - hat der Umgang mit Waffen eine Diskussion in unserem Land nach sich gezogen. Aber von einigen Änderungen abgesehen, so z. B. die Altersgrenze für den Erwerb und Gebrauch großkalibriger Waffen heraufzusetzen, meine ich, dass man hier eher davor warnen muss, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich möchte auch dazu zwei Anmerkungen machen.