Meine Damen und Herren, der Kollege Wiesensee hat völlig Recht, wenn er auf die Konkurrenzsituation der Niederlande - man kann aber auch die anderen Benelux-Staaten dazurechnen - eingeht. Wer auf dem Küstenkanal von Papenburg bis Oldenburg fährt und sieht, wie wenig deutsche, aber wie viele niederländische Binnenmotorschiffe unterwegs sind, der weiß, wie wichtig es ist, zu handeln. Verstöße gegen EU-Recht, die befürchtet werden, sollten uns nicht dazu veranlassen, Ähnliches zu denken. Eine gemeinsame Allianz in Brüssel – das habe ich auch bei dem Kollegen Wiesensee herausgehört – ist nötig, um die Binnenschifffahrt generell zu stärken und zu unterstützen. Dem Kollegen Wiesensee danke ich für seinen Beitrag. Ich sehe eine gute Möglichkeit für eine gemeinsame Initiative im Ausschuss.
Meine Damen und Herren, jetzt sind mindestens 79 Abgeordnete im Plenarsaal anwesend. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.
Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Federführend soll sich der Ausschuss für Häfen und Schifffahrt mit dem Antrag befassen, mitberatend der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr sowie der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Antrag ist damit so, wie empfohlen, überwiesen.
Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung: Modellprojekt „Niedersachsen Schule 21 Selbständige Schule“ - Entwicklungsspielräume für lernende Schulen erweitern Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 14/3353
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Schulen brauchen mehr Selbständigkeit. Darüber scheint inzwischen fast Übereinstimmung zu herrschen; besonders seitdem sich herumgesprochen hat, dass die größere Selbständigkeit der Schulen eines der Erfolgsgeheimnisse der Länder ist, die bei PISA sehr viel besser abgeschnitten haben als Deutschland.
Nur selbständige Schulen können eine neue, eigene Lernkultur entwickeln, die Voraussetzung für bessere Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrerinnen und Lehrer ist. Deshalb waren sich kürzlich bei Maybrit Illner unser Ministerpräsident Gabriel und der saarländische CDU-Ministerpräsident Müller einig in der Forderung nach mehr Autonomie für die Schulen. Der Staat, so die beiden, müsse mit den Bildungseinrichtungen Zielvereinbarungen treffen, aber wie die Schulen die Lernprozesse organisieren, sei Sache der Pädagogen.
Wenn man sich aber die alltägliche Praxis unserer Kultusministerin ansieht, hat man den Eindruck, dass sie die Schulen doch lieber weiterhin an der kurzen Leine führen möchte. Zusätzliche Entscheidungsspielräume werden nur in sehr, sehr kleinen Schritten zugestanden.
Einzelne Schulen haben jetzt zwar ein eigenes Personalbudget, aber das reicht gerade mehr schlecht als recht, um den Vertretungsunterricht selbst zu organisieren – zu mehr nicht!
Zugleich schreibt die Ministerin z. B. den Lehrkräften noch immer exakt vor, an welchen Tagen sie in den Ferien in der Schule zu erscheinen haben, um ihren Unterricht zu planen oder ihren Lehrerausflug durchzuführen, egal, ob das sinnvoll ist oder nicht.
Es ist gut und richtig, dass das Kultusministerium jetzt endlich mit seinem Projekt „Qualitätsentwicklung in Netzwerken“ ein neues Qualitätssicherungssystem in den Schulen fördert. Aber ein neues Qualitätsmanagement läuft ins Leere, wenn den Schulen nicht zugleich wesentlich größere Entscheidungs- und Entwicklungsspielräume gegeben werden. Insgesamt ist die Arbeit der Schulen noch immer in außerordentlich bürokratische Strukturen eingezwängt. Initiativen zur Veränderung werden
Mit dem Modellprojekt „Selbständige Schule“ wollen wir frischen Wind in die Schullandschaft bringen. Wir wollen die Lehrerinnen und Lehrer, die Eltern, die Schülerinnen und Schüler ermuntern, ihre Schule ganz neu zu denken. Wir wollen den Schulen die Möglichkeit geben, sich so frei zu entwickeln, wie es bislang neben den freien Schulen nur wenige staatliche Schulen, wie die Laborschule in Bielefeld oder in Hannover die Glockseeschule, gekonnt und getan haben.
Mit diesem Antrag folgen wir dem Vorbild eines Projektes, das die rot-grüne Koalition, vor allem natürlich der grüne Teil der Koalition, in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht hat. Vor allem sollen die Schulen mehr Freiräume für die Entwicklung einer neuen und, wie ich meine, eminent wichtigen Lernkultur bekommen. Die Wochenstundentafel mit dem 45-Stunden-Rhythmus
- 45-Minuten-Rhythmus, vielen Dank, Astrid Vockert; 45 Stunden wären eine Überforderung - soll durch Projekt-, Epochen- oder Werkstattunterricht ersetzt werden können.
Die Größe der Lerngruppen soll sich nach den Lernbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler und nach den Erfordernissen der Lerngegenstände richten. Die Lehrpläne sollen jeder Schule genügend Spielraum lassen, um ein eigenes Curriculum zu entwickeln. Bei der Leistungsbewertung sollen Kreativität der Lösungswege und Kompetenzzuwächse bei Schülerinnen und Schülern stärker berücksichtigt und ihnen bescheinigt werden. Zum Beispiel könnten Lernjournale an die Stelle von Ziffernzeugnissen treten. Für das Wiederkäuen von Auswendiggelerntem, das nur allzu schnell wieder vergessen wird, darf es an den Schulen zukünftig keinen Raum mehr geben.
Natürlich sollen die Schulen – sie sind und bleiben schließlich staatliche Institutionen - an Rahmenvorgaben und Ziele gebunden sein. Aber wie sie diese erreichen, sollen sie selbst entscheiden können. Damit die Schulen neue pädagogische Konzepte entwickeln können, brauchen sie größere organisatorische Handlungsmöglichkeiten. Solange die Arbeitszeit der Lehrkräfte in Unterrichtsstunden von 45 Minuten Dauer berechnet wird, lässt sich der Unterricht nur schwer anders als in diesem Rhythmus organisieren. Solange den Schulen nur
feste Stellen zugewiesen werden, ist es kaum möglich, externe Expertinnen und Experten in den Unterricht einzubeziehen.
Wir wollen den Schulen deshalb ein eigenes Personalmittelbudget geben, mit dem sie über ihre Stellenpläne selbst entscheiden können, mit dem sie diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen können, die zu ihrem pädagogischen Konzept passen.
Die selbständige Schule muss eine demokratisch verfasste Schule sein. Auch die Schülerinnen und Schüler und die Eltern sollen sich an der Entwicklung der Schule beteiligen. Nur so werden selbstbestimmte Lernprozesse ermöglicht, und nur so wird die Schule effektiver arbeiten können, als es ihr heute möglich ist.
Selbständigkeit darf natürlich nicht zu Beliebigkeit führen. Deshalb soll es nicht nur Rahmenvorgaben und Zielvereinbarungen geben. Die Schulen sollen auch zu einem neuen Qualitätsmanagement und zur Rechenschaftslegung verpflichtet werden. Freiheit und Verantwortung der Schulen gehören für uns zusammen. Das eine macht ohne das andere keinen Sinn.
Wir wissen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer einer größeren Selbständigkeit der Schulen mit einer gewissen Skepsis gegenüberstehen. Das ist nicht nur Angst vor dem Neuen, Ungewohnten, das ist auch die Befürchtung, mit der größeren Selbständigkeit vor allem Mangelverwaltung zugeschoben zu bekommen und mit den neuen Aufgaben alleingelassen zu werden. Diese Befürchtungen nehmen wir sehr ernst. Die Vergrößerung der Selbständigkeit darf auf keinen Fall mit einer weiteren Reduzierung der Ressourcen einhergehen. Die Schulen, die sich auf mehr Eigenständigkeit einlassen, müssen die Sicherheit haben, dass zumindest der Status quo bei der Unterrichtsversorgung und den kommunalen Zuwendungen garantiert ist und dass für zusätzliche Aufgaben auch zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Die Rahmenbedingungen, unter denen die Schulen arbeiten können, müssen klar und verlässlich sein. An diesem Punkt kann das Modellprojekt nur gelingen, wenn es auch von den Schulträgern mitgetragen wird. Den Schulen muss – das ist unverzichtbar – ein professionelles Unterstützungs- und Beratungsangebot zur Verfügung stehen, auf das sie sowohl bei der Entwicklung und Erprobung
neuer pädagogischer Konzepte als auch bei der Bewältigung ihrer neuen organisatorischen Aufgaben zurückgreifen können.
Meine Damen und Herren, die Schulleitungen haben unbestreitbar eine herausragende Rolle für die Weiterentwicklung der Schulen. Gleichwohl muss eine neue Balance für die Mitentscheidungsrechte der verschiedenen beteiligten Gruppen gefunden werden. Wir müssen berücksichtigen, dass viele unserer Schulleiterinnen und Schulleiter nicht so professionalisiert sind, wie wir uns das für die Zukunft insbesondere im Zusammenhang mit der Personalführung vorstellen.
Mit unserem Schulgesetzentwurf haben wir deshalb für eine Schulkonferenz geworben. Wenn Personalentscheidungen auf die Ebene der Schulen verlagert werden, müssen auch die Personalvertretungsrechte, muss die Beteiligung der Kollegien gesichert sein. Das Projekt „Selbständige Schule“ kann nur gelingen, wenn es an den Schulen selbst mit allen an Schule Beteiligten entwickelt wird.
Dass ein Projekt „Selbständige Schule“ bei allen Problemen, die damit verbunden sein werden, bei all der zusätzlichen Arbeit, die auf die Kollegien, auf die Eltern und wahrscheinlich auch auf die Schülerinnen und Schüler zukommen wird, erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel NordrheinWestfalen. Dort haben sich mehr als 400 Schulen um eine Teilnahme beworben.
In Niedersachsen wollen wir - bescheiden, wie wir sind - mit 100 Schulen beginnen. Mit dem Innovationsfonds von 5 Millionen Euro pro Jahr wollen wir dafür sorgen, dass diese Schulen ausreichend unterstützt werden. Aus diesem Fonds soll auch wissenschaftliche Begleitung finanziert werden, damit Erfahrungen aus diesem Projekt auf die anderen Schulen übertragen werden können.
Unser ehrgeiziges Ziel ist es, dass unsere Schulen nach einem Reformprozess von 10 bis 15 Jahren an den Standard von Ländern wie Finnland, Kanada und Schweden anschließen können. 10 bis 15 Jahre sind sicherlich ein sehr, sehr kurzer Zeitraum, in dem wir meinen, dass sich Schulen entwickeln müssen. Aber wir haben in den letzten Jahren schon viel zu viel Zeit vertan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Litfin, meinen Sie wirklich, dass Sie mit 100 Schulen in 10 bis 15 Jahren den großen Innovationsimpuls geben? Ich habe manchmal das Gefühl, Sie nehmen gar nicht wahr, was bereits alles gemacht worden ist, und zwar auch mit Ihnen gemeinsam. Von daher wundere ich mich über diesen Antrag. Aber im Prinzip geht er in die richtige Richtung; das kann ich nicht anders sagen. In der Zielsetzung, die Sie in Ihrem Antrag beschreiben - Qualitätsentwicklung und Gestaltungs- und Verantwortungsfreiräume für die Schulen -, sind wir uns einig.
Nun haben Sie zwar offensichtlich den Anschluss an Nordrhein-Westfalen geschafft, nicht aber den an Niedersachsen. Das war bei der Schulgesetznovelle auch schon so, allerdings in Bezug auf Bremen. In Niedersachsen sind wir in der Entwicklung ein ganzes Stück weiter, als Sie es hier beschreiben, Frau Litfin. Dass das Projekt in NordrheinWestfalen so große Resonanz gefunden hat, liegt daran, dass man dort gerade erst angefangen hat. Uns hingegen liegen bereits Bewerbungen im Hinblick auf Budgetierung usw. - ich werde das gleich darstellen - vor. Also, wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern sollten mit diesem Antrag - das wird dann im Kultusausschuss notwendig sein - dort anschließen, wo wir stehen. Und da sind wir ein ganzes Stück weiter, als Sie es hier beschrieben haben.
Ich möchte kurz daran erinnern, dass wir seit 1998 an allen Schulen Schulprogramme erproben. Das geht in die Richtung, die Sie wollen. Es müssen ja zunächst einmal Ziele formuliert werden. Mit der nächsten Novelle wollen wir diese Schulprogramme dann verpflichtend einführen - auch darin sind wir uns einig -, um das zu machen, was in dem zweiten, in dem BLK-Programm erprobt wird, nämlich die Evaluation zur Qualitätsverbesserung in Schulen und Schulsystemen. Die Schulprogramme sind die Grundlage für externe und interne Evaluation. An dem BLK-Programm beteiligen sich im Augenblick immerhin 46 Schulen. Aber das haben Sie offensichtlich nicht wahrgenommen.
Nächster Punkt: Landesprojekt Qualitätsentwicklung in Netzwerken. Die haben Sie wahrgenommen. Das sind immerhin schon 60 Schulen.
Jetzt sind wir schon bei über 100 Schulen, die in diesem Bereich arbeiten. Sie fordern 100 - ich bin bereits bei 106. Hier haben wir Netzwerke aus 60 Schulen gegründet. Dort haben sich sehr viele Schulen beworben; Sie wissen das.
Im Übrigen machen wir das auch viel schneller, als Sie es wollen. Die sollen in drei Jahren diese Fragen weiterentwickeln, damit wir dann flächendeckend an alle Schulen herantreten können. Wir arbeiten nicht mehr nur mit Modellprojekten, weil wir meinen, dass sich jede Schulen mit der Frage auseinander setzen soll, wie die Unterrichtsqualität zu verbessern ist. Es nützt nichts, wenn das 100 von 3 400 machen, sondern wir wollen relativ zügig - allerdings schrittweise - mit allen Schulen in diese Selbständigkeit einsteigen.
Wir haben das Projekt „Region des Lernens“, um Veränderungen vorzunehmen. An diesem Projekt beteiligen sich 150 Schulen. Es wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert. - Jetzt sind es, wenn Sie mitgezählt haben, schon über 200 Schulen.
In unserem nächsten Programm, das zu Beginn des neuen Schuljahres startet, werden wir die nötige Unterstützung liefern. Wir haben mit der Universität Oldenburg und Herrn Dr. Klippert vereinbart, dass dort Trainermodelle entwickelt werden. 84 Trainer werden ausgebildet, um die Unterrichtsentwicklung in den Schulen voranzubringen. Sie sehen, unser System ist darauf ausgelegt, flächendeckend an die Schulen heranzutreten und ihnen diese Möglichkeit zu bieten.
Darüber hinaus wird gerade für alle Schulen eine Profilkarte entwickelt, mit der sie ihre qualitativen Veränderungen und Profilierungen darstellen können, mit der sie harte Daten aufzeigen können, um für die Eltern und die, die sich für sie interessieren, Transparenz zu schaffen.
Selbstverständlich wollen wir auch noch weitergehen und dort, wo es geht, Verwaltungsvorschriften lockern. Der Landtag selbst hat das am 15. Dezember 2000 beschlossen, als er in das Schulgesetz eine Experimentierklausel in das Schulgesetz aufgenommen hat. Was Sie beklagen, ist längst möglich: Schulen können sich aus dem 45-MinutenRhythmus entfernen. Es ist offensichtlich schwer für sie, sich dorthin zu bewegen. Aber die Möglichkeit dazu hat der Landtag selbst im Schulgesetz
geschaffen, und zwar mit § 113 a zur Erprobung von Modellen zur eigenverantwortlichen Steuerung von Schulen. Darüber hinaus verweisen wir auch in § 22 darauf, dass Schulversuche möglich sind.
Das Problem ist, Frau Litfin, dass sich die Gesamtkonferenzen darüber einig sein müssen, dass es dort aber offensichtlich eine große Sorge gibt. Das merken wir im Übrigen auch bei unserem neuen Antrag zu den berufsbildenden Schulen. Viele Gesamtkonferenzen sind einfach noch nicht so weit, diese Einigkeit herzustellen. Die Schulleiter sagen uns, dass sie das gern wollen. Aber sie haben das Problem, die Kollegien mitzunehmen. Aber dieses Problem werden wir nicht mit 100 Schulen lösen können, sondern hier werden kleine Schritte an allen Schulen notwendig sein.
Das haben wir im Übrigen auch bei den Bewerbungen um die Personalkostenbudgetierung gesehen. Die 30 Schulen, die das machen, haben Sie offensichtlich auch nicht wahrgenommen. Hier gab es die Möglichkeit, sich zu bewerben. Aber es hat nicht sehr viele Bewerbungen gegeben, weil Sorgen bestehen, etwa mit dem Geld selbst umgehen und Verträge selbst abschließen zu müssen. Hier - da haben Sie Recht - werden wahrscheinlich noch mehr Unterstützungssysteme notwendig sein und muss noch mehr Verwaltungs-Know-how in die Schule gebracht werden, um mehr Interesse zu wecken.
§ 113 a ist aber auch Grundlage für den vom Landtag am 17. September 2001 beschlossenen fünfjährigen Schulversuch. Auch hier sind wir ein ganzes Stück weiter; das wissen Sie. Berufsbildende Schulen in Niedersachsen als regionale Kompetenzzentren - das wird gerade vorgelegt. Wir werden die Ausschreibung in nächster Zeit machen und dann sehen, wie viele der 140 berufsbildenden Schulen sich dazu entschließen.