Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

Frau Stokar von Neuforn!

Ich frage: Was sind eigentlich nach Auffassung der Landesregierung „Ausländerkinder“, die Sie im gesamten Land Niedersachsen herumfahren wollen? Sprachdefizite haben auch eingebürgerte deutsche Kinder, insbesondere Aussiedlerkinder, die ja auch deutsch sind.

Ist klar.

Ich kann mit dieser Begrifflichkeit des Sigmar Gabriel, Ausländerkinder werden durch das Land gefahren, überhaupt nichts anfangen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Jürgens-Pieper!

Die von mir genannte Maßnahme, die morgen im Zusammenhang mit dem Schulgesetz eine Rolle spielen wird, bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf Kinder aus ausländischen Familien, sondern sie bezieht sich genauso auf deutsche Kinder mit Sprachdefiziten, und sie bezieht sich auch auf Aussiedlerkinder. Sie wissen, wir nennen das „Kinder mit Migrationshintergrund“. Wir haben also bei der Sprachfördermaßnahme durchaus auch deutsche Kinder im Blick. Deshalb haben wir bei der Berechnung der Finanzierung gesagt, es sind etwa 7 500 Kinder pro Jahrgang, die wahrscheinlich Sprachprobleme haben. Diesen Test führen wir ja erstmalig durch und werden dann sehen, ob die geschätzte, gesetzte Zahl hinkommt. Sie wissen, wir geben sowohl im Kindergarten als auch in der Schule künftig gegenüber der jetzigen Mipla 22 Millionen Euro mehr für die Sprachförderung aus. Ich meine, das ist dringend notwendig; das wird wohl niemand bestreiten.

Wir haben auch nicht vor, wie der Ministerpräsident sehr deutlich gemacht hat, jetzt schon Kinder mit Bussen durch die Gegend zu fahren. Verbreiten Sie bitte ein solches Gerücht nicht,

(Busemann [CDU]: Jetzt reicht es! - Frau Harms [GRÜNE]: Haben Sie das auch dem Ministerpräsidenten gesagt? - Weitere Zurufe von der CDU)

sondern wir haben zunächst einmal vor, Gespräche über die Problematik zu führen. Sie tun gut daran, aus der Bildungspolitik heraus deutlich Position dazu zu beziehen, welche schwierigen Probleme Schulen zu bewältigen haben, die z. B. mehr als 50 % Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund haben. Sie wissen, es ist dann pädagogisch schwer, den jungen Leuten Deutschkenntnisse zu vermitteln, wenn andere Sprachkenntnisse überwiegen. Denn dann besteht in vielen Bereichen ein deutliches Kommunikationsproblem.

(Zuruf von Fischer [CDU])

Das hat auch etwas mit Wohnungsbaupolitik zu tun, und das hat auch mit dem Zuschnitt von Schulbezirken zu tun. Diese Problematik wollen wir erörtern, wie ich Ihnen sehr deutlich gesagt habe. Wir werden sie auch nicht alleine beschließen, sondern wir werden sie mit denen beschließen, mit denen wir die Gespräche führen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Busemann! Danach Frau Litfin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, früher war es doch im Interesse einer besseren Unterrichtsversorgung, im Interesse von mehr Förderung üblich, z. B. Ausländerkinder in den Klassen schlichtweg doppelt zu zählen. Warum hat man diese Regelung abgeschafft?

Frau Jürgens-Pieper!

Herr Busemann, da haben wir wieder das Problem, dass Sie den Hintergrund der Veränderungen nicht

kennen. Wir haben uns vor ein paar Jahren darauf verständigt,

(Klare [CDU]: Mit wem? dass es nicht nur um Ausländerkinder, sondern auch um ausgesiedelte Schüler und um Kinder mit Sprachschwierigkeiten geht. (Frau Pawelski [CDU]: Müssen die nicht gefahren werden?)

Manchmal muss man einfach an bestimmte Maßnahmen erinnern, weil die Erinnerung in der Bildungspolitik offensichtlich nicht sehr weit reicht. Die Erinnerung bezieht sich oft nur auf kurze Zeiten, und es wird nur an der Oberfläche diskutiert.

Diese Problematik haben wir beim Förderbedarf aufgegriffen. Sie wissen, wir verwenden schon jetzt mehr als 30 000 Stunden, fast die Hälfte unseres gesamten Zusatzbedarfes, für Förderunterricht für die genannte Gruppe. Das sind etwa 900 Stellen. Für Kindergärten und für Schule, verzahnt mit der Einschulungsproblematik, legen wir jetzt noch 22 Millionen Euro drauf. Ich meine, das kann sich sehen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Litfin, zweite Frage! Dann Frau JanssenKucz.

Frau Ministerin, in anderen Ländern, insbesondere in den USA, gibt es ja Erfahrungen mit dem so genannten Bussing, die Sie sicherlich ausgewertet haben. Was können Sie dem hohen Haus darüber erzählen?

Frau Jürgens-Pieper!

Der Vergleich mit den USA ist für Deutschland etwas schwierig, weil wir andere Schulbezirksproblematiken haben. Sie wissen, wir haben jetzt eine Öffnung der Schulbezirke in der Sekundarstufe I, aber es gibt noch die Pflicht, Schulbezirke für die Grundschule festzulegen. Deshalb habe ich gesagt, dass es eine schwierige Problematik ist, wie Schulbezirke zukünftig geschnitten sein soll

ten. Sie wissen vielleicht, dass bestimmte Stadtteile mit ihren Schulbezirken deshalb so sortiert sind, weil eine bestimmte soziale Mischung in dem jeweiligen Schulbezirk vorhanden ist, die sich natürlich auch in der Schule widerspiegelt.

Aus den USA kann ich Ihnen sagen, dass sich das System bei den dortigen Verhältnissen nicht bewährt hat. Von daher ist mir nichts darüber bekannt, ob es weiter geführt worden ist. Vor diesem Hintergrund werden wir jedoch nicht nur die Busfrage diskutieren, sondern auch die Schulbezirksfrage.

Frau Janssen-Kucz! Dann Herr Klare.

Teilt die Landesregierung die Bewertung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder in der Sendung „Maischberger“, dass Herr Gabriel seinen Vorschlag sicherlich überzogen formuliert habe?

(Frau Harms [GRÜNE]: Das ist harm- los ausgedrückt!)

Frau Ministerin!

Ich habe die Sendung „Maischberger“ nicht gesehen und kann deshalb die Kommentare des Herrn Bundeskanzlers weder bestätigen noch zurückweisen.

(Wulf (Osnabrück) [CDU]: Aber es könnte so sein!)

Herr Klare!

Frau Ministerin, vor dem Hintergrund, dass auch ich wie viele andere Ihre Begründung für die Abschaffung der Ausländerquote nicht verstanden habe, frage ich Sie zu den Zahlen: Sie haben gesagt, dass heute noch 900 Lehrer Förderunterricht für ausländische und ausgesiedelte Kinder übernehmen. Ich frage Sie, warum Sie diese Zahl von 1 200 auf 900 gekürzt haben, uns jetzt aber erklä

ren wollen, dass Sie etwas für ausländische Kinder tun wollen.

Frau Jürgens-Pieper!

Ich kann Ihnen bestätigen, dass wir die Zusatzbedarfe gekürzt haben. Ich kann Ihnen aber nicht bestätigen, dass ich das getan habe, sondern es war mein Vorgänger.

(Zurufe von der CDU)

Vor einiger Zeit habe ich Ihnen deutlich gemacht, Herr Klare, dass wir den gesamten Zusatzbedarf, also nicht nur diesen Teil, in den 90er-Jahren gekürzt haben. Sie kennen auch die Gründe dafür. Wir hatten Probleme mit dem Landeshaushalt, und es mussten damals auch Stellen eingespart werden. Deshalb haben wir die sehr hohe Zuweisung, die es 1993 in dem betreffenden Erlass gegeben hat, in diesem Bereich etwas gekürzt. Es handelt sich übrigens bei dem jetzigen Erlass nicht um 900 Lehrer, sondern um 900 Stellen. Mit diesen Lehrerstunden sind wesentlich mehr Lehrer in den Schulen im Einsatz. Das muss einmal klargestellt werden.

(Zurufe von der CDU)

- Die Kurzschlüssigkeit von Ihnen, dass man mit mehr Stunden immer automatisch mehr Qualität erreicht, wird übrigens eindeutig durch die PISAStudie widerlegt.

(Beifall bei der SPD)

Einige Länder geben weniger Stunden, sind aber erfolgreicher als wir. Ich kann nur feststellen: Die Förderung mit dem von mir genannten Einsatz ist offensichtlich nicht effektiv genug. Sonst hätten wir das Lernergebnis von Schülerinnen und Schüler, das in der PISA-Studie dargestellt wird, und vielleicht auch das Ergebnis, das demnächst im Ländervergleich herauskommt, nicht. Deshalb werden wir Veränderungen vornehmen. Das haben wir rechtzeitig getan. Wir werden ja sehen, ob Sie dem morgen beim Schulgesetz zustimmen oder ob Sie dagegen sind.

Herr Schröder! Danach Herr Wenzel.

Frau Ministerin, nachdem der Ministerpräsident seine Vorstellungen für eine Ausländerquote an Grundschulen im Focus wie folgt präzisiert hat: „Mehr als 25 % Anteil von Schülern aus anderen kulturellen oder ethnischen Herkunftsgebieten in den Klassen sind zu vermeiden.“, frage ich, mit welchen Zwangsmaßnahmen Sie eine Umverteilung auch deutscher Schüler auf benachbarte Schulen durchsetzen wollen und welche Wege Sie für Kinder im Grundschulalter für zumutbar halten.

Frau Ministerin!

Ich kann verstehen, dass Sie als Oppositionsfraktion versuchen, irgendwelche Horrorgemälde darüber an die Wand zu malen, was denn in nächster Zeit passiert.

(Busemann [CDU]: Herr Gabriel hat Horrorgemälde gemalt!)

Ich habe Ihnen gesagt, was in nächster Zeit passieren wird: Wir werden ein neues Schulgesetz bekommen, und wir werden Sprachfördermaßnahmen durchführen. Alles andere wird konzeptionell erarbeitet, und zwar nur im Einvernehmen mit denjenigen, die es auch angeht. Das sind eindeutig die Schulträger. Natürlich werden wir auch die Eltern dazu hören.