Gerhard Schröder

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesweit hat sich nach dem Amoklauf eines Schülers in Erfurt der Protest gegen Waffen- und Militariabörsen verstärkt. Auch der NordrheinWestfälische Innenminister Dr. Fritz Behrens empfahl allen Bundesländern im August letzten Jahres, angesichts des Amoklaufes von Erfurt solche Waf
fenmessen grundsätzlich nicht mehr zu genehmigen.
Auf öffentlichen Veranstaltungen dieser Art werden „scharfe“, also erlaubnispflichtige Waffen wie Gewehre, Flinten, Revolver und Pistolen, aber auch so genannte freie Waffen - z. B. Gas- und Schreckschusspistolen, Luftgewehre, Schlagstöcke, Bajonette und Messer - ausgestellt und verkauft. Außerdem werden auf diesen Börsen auch so genannte Militaria angeboten, wie z. B. alte Stahlhelme, Koppel, Orden und Uniformteile der Wehrmacht oder der SS. Zutritt zu derartigen Veranstaltungen haben auch Kinder und Jugendliche.
Die Auseinandersetzung um eine ähnliche Veranstaltung in Dortmund im August 2002 hat gezeigt, dass durch eine konsequente Anwendung des neuen Waffenrechtes Waffenbörsen bereits im Vorfeld verhindert werden können.
Aktuell plant die KreMess Agentur mit Sitz in Krefeld für den 22. bis 24. Mai 2003 eine Waffenund Militariabörse in der gemeindeeigenen Burg Seevetal, Landkreis Harburg.
Wir fragen die Landesregierung:
Wie beurteilt die Landesregierung allgemein derartige „Waffen- und Militariabörsen“ und konkret die geplante Veranstaltung in der Burg Seevetal?
Wird sich die Landesregierung dafür einsetzen, die notwendige Ausnahmegenehmigung nicht zu erteilen, bzw. hat sie dieses bereits getan?
Teilt die Landesregierung die Empfehlung des Nordrhein-Westfälischen Innenministers Dr. Fritz Behrens an alle Bundesländer aus dem August letzten Jahres, angesichts des Amoklaufes von Erfurt solche Waffenmessen grundsätzlich nicht mehr zu genehmigen?
Herr Minister, Sie hatten schon angesprochen, dass diese Veranstaltung zweimal jährlich stattfindet, zuletzt passenderweise zum Weihnachtsfest 2002. Können Sie mir sagen, ob dort Waffen, sowohl erlaubnispflichtige als auch freie, verkauft wurden oder, wie von Ihnen beschrieben, nur Bestellungen angenommen wurden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bahnunglück in Bad Münder war nicht das erste dieser Art und ganz gewiss auch nicht das letzte. Vor wenigen Tagen kam es auf dem Bahnhof Seelze wiederum zu einer Beinahekatastrophe, ebenfalls mit ECH, Epichlorhydrin. Täglich rollen tödliche Frachten durch die Städte auf Zügen, die mit Bremssystemen ausgestattet sind, deren Prinzip schon mein Urgroßvater kannte. Er war Reichsbahner unter dem Kaiser.
Die Frankfurter Rundschau berichtete am 24. Oktober letzten Jahres über mangelhafte Bremsproben an Gefahrgutwaggons. Sie zitiert einen Bahnexperten mit den Worten: Technisch ist der Güterverkehr so weit wie vor 150 Jahren. - Bei der Bahn versagen offenbar nicht nur Bremsen oder Radreifen.
Meine Damen und Herren, in Bad Münder gab es eine Kette von Versäumnissen, Fehleinschätzungen und voreiligen Entwarnungen. Das Erden der Bahn dauerte zu lange. Das Fax mit den Angaben zum Gefahrstoff wurde verschlampt. Koordinierung und Zuständigkeiten zwischen BGS, Feuerwehr, Gesundheits- und Gefahrenabwehrbehörden waren unklar. Falsch war die Annahme, mit der Explosion sei alles verbrannt. Falsch war die Annahme schneller Verdünnung. Wir wissen jetzt, dass die Rauchwolke über Stunden bestimmte Gebiete der Stadt nicht verlassen hat. Diese Aufzählung könnte ich fortsetzen. Aber wie sagte unser Kollege Dr. Schultze bei der ersten Beratung? Die zuständigen Kräfte hatten die gesamte Entwicklung jederzeit im Griff. - Nein, Herr Dr. Schultze, Feuerwehr, Polizei und die Mitarbeiter von Stadt und Kreis haben ihr Bestmögliches gegeben, und dafür bin ich ihnen dankbar.
Aber sie hatten die Entwicklung nicht im Griff. Sie waren auf Chemieunfälle, auf Umwelt- und Gesundheitsrisiken dieser Größenordnung nicht vorbereitet. Da ist die Verantwortung des Landes gefordert.
Für Bad Münder ist die Sache noch lange nicht ausgestanden. Die Hamel ist auf 20 km biologisch tot. Das Grundwasser ist im Bereich der Unfallstelle immer noch hoch belastet. Hunderte von Polizisten, Feuerwehrleuten und Anwohnern waren dem Gift ausgesetzt. Es gibt weiterhin auffällige Leberwerte. Rund 1 000 Menschen sind in dem Biomonitoring-Programm, von dem wir noch nicht wissen, wer es auf Dauer bezahlt. Sie hoffen auf Blutuntersuchungen, die erst noch entwickelt und erprobt werden müssen. Die Angst vor Spätschäden, wie Krebs oder Missbildungen, ist sehr groß. Noch Ende November hat der Ministerpräsident angekündigt, er werde die Untersuchung persönlich in Bad Münder vorstellen. Davon ist heute keine Rede mehr.
Immerhin wurde unsere Forderung nach einer Task Force für Großschadensfälle aufgegriffen. Die Beschlussempfehlung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem weitere folgen müssen. Der Antragstext bleibt in diesem Punkt sehr allgemein und unverbindlich. Es fehlen die Konkretisierungen zu Aufgaben und Zielen einer Störfall-TaskForce auf Landesebene, zur Ausstattung mit Personal und Geräten und zur Kooperation mit anderen Einrichtungen und Institutionen. Es fehlen die konkreten Schritte zur Realisierung. Es fehlt auch der Zeit- und Finanzrahmen.
Aber der allgemeinen Zielsetzung werden wir heute zustimmen, Herr Bartling. Nach der Wahl wollen wir mit einem Sofortprogramm zur Schaffung eines vorläufigen Kompetenzzentrums dafür sorgen, dass diese Initiative nicht wie andere im bürokratischen Apparat des Innenministeriums versandet. Gerade die jüngsten Vorfälle wie jetzt in Seelze haben gezeigt, dass auch während der Zeit des Aufbaus einer solchen Störfall-Task-Force - ein Jahr bis anderthalb Jahre - jederzeit ein kompetentes und schnelles Handeln im Zusammenhang mit solchen Schadensereignissen möglich sein muss.
Unfälle wird es auch in Zukunft geben. Aber ein derartiger Fall von behördlichem Versagen wie in Bad Münder darf sich nicht wiederholen. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Biallas, Sie haben wieder einmal den Eindruck erweckt, man brauche nur härter durchzugreifen, um gegen Drogenkriminalität wirksam vorzugehen.
Mit diesem Ansatz sind schon ganz andere vor Ihnen gescheitert, in einer anderen Gewichtsklasse.
Sie haben in Ihrem Redebeitrag erneut bewiesen, dass Sie weder von dem Drogenproblem noch von der Polizeiarbeit irgendetwas verstehen. Ich kann nur hoffen, dass Sie diese Unkenntnis in den nächsten Monaten nicht auch noch praktisch unter Beweis stellen müssen.
Sie haben selbst die höheren Deliktzahlen in diesem Bereich benannt. Sie wissen, das ist Kontrollkriminalität. Es gibt keine Opfer, die Anzeigen erstatten. Diese höheren Zahlen sind ein Beleg für gute und erfolgreiche Arbeit der Polizei.
Sie wissen, Herr Biallas, dass das Gesamtproblem nicht mit Strafverfolgung zu lösen ist. Selbst nach großen Fahndungserfolgen ist eine reibungslose Versorgung der Konsumenten gewährleistet.
Bestenfalls treiben Sie, weil ja auch hier die Gesetze von Adam Smith, die Sie immer hoch halten, gelten, durch Angebot und Nachfrage den Preis so in die Höhe, dass wir alle einen politischen Preis durch erhöhte Beschaffungskriminalität und damit durch mehr Straßenkriminalität zu bezahlen haben. Ich will Ihnen das an einem Rechenbeispiel deutlich machen. Ein Süchtiger braucht am Tag 100 Euro. Für diese 100 Euro, die er am Tag braucht, muss er einen Kriminalitätsschaden von 500 bis 1 000 Euro täglich verursachen, denn beim Hehler kriegt er nur 10 bis 20 %. Wenn Sie den Preis auf 150 Euro hochtreiben, haben Sie einen Schaden von 750 Euro und mehr. Wird Konkurrenz durch Strafverfolgungsdruck ausgeschaltet, dann wird die frei gewordene Nische sofort wieder besetzt, denn die erzielbaren Gewinne in diesem Bereich der Organisierten Kriminalität sind irrsinnig hoch. Und wenn Sie ganz großes Pech haben, werden die Marktanteile auf den Straßen von Hannover ausgeschossen, so wie wir das 1997 und 1998 auch schon hatten.
Wir brauchen, Herr Kollege, sowohl eine konsequente Verfolgung der schweren Drogenkriminalität als auch Hilfen für Abhängige und Gefährdete.
Ihnen traue ich das notwendige Augenmaß nicht zu; das machen viele einzelne Äußerungen von Ihnen deutlich.
Zum Schluss will ich Ihnen, Herr Biallas, einen kleinen Rechenkurs mit auf den Weg geben: Im Jahr 2000 hatten wir in Deutschland 2 023 Drogentote. Das sind viel zu viele. Im selben Jahr hatten wir 42 000 Tote durch Alkohol und 111 000 Tote durch Nikotin. Sie erwecken hier den Eindruck, als wäre der Konsum illegaler Drogen eines der drängendsten Sicherheits- und Gesundheitsprobleme unserer Zeit.
Sie verschweigen aber die um den Faktor 10 oder den Faktor 100 größeren Zahlen von Opfern, von Toten und Schwerstkranken durch andere Formen von Drogenkonsum.
Deshalb ist es richtig, Herr Biallas: Sie wollen mit den Ängsten der Menschen Politik machen. Ich hoffe, das merken die Menschen vor dem 2. Februar. - Vielen Dank.
Herr Minister, da Sie vorhin erklärt haben, dass nur ein kleiner Teil von vier Personen bisher vorbestraft ist, frage ich erstens, ob diese eindrucksvolle Liste, die Sie verlesen haben, die Liste der Vorstrafen der Betreffenden war oder ob es sich dabei um Verdachtsgründe der Polizei handelt.
Die zweite Frage: Waren unter den von Ihnen Genannten, die kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten sind, auch deutsche Staatsangehörige?
Herr Minister, könnten Sie bitte einmal genauer erklären, worin eigentlich der Unterschied zwischen einem verdeckten Ermittler und einem Polizeibeamten in Zivil liegt, der sich einer Demonstrantengruppe anschließt und an ihren Aktionen teilnimmt?
Herr Minister, wenn es so war, dass sich dieser in Zivilkleidung tätige BGS-Beamte mit dem Decknamen „Bruno Lohmann“ bereits am Abend dieser Gruppe angeschlossen hatte und an der Vorbereitung dieser Aktion beteiligt war, weshalb ist diese Aktion dann nicht unterbunden worden?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Dr. Pfeiffer, in Ihrer Pressemitteilung zu den 20 Sparvorschlägen haben Sie wörtlich erklärt:
„Sparen nach der RasenmäherMethode bringt uns nicht weiter. Pauschale Stellenkürzungen, Einstellungs- und Beförderungsstopps beeinträchtigen die Motivation unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
Herr Minister, das ist eine schonungslose Selbstkritik. Ich hätte es nicht treffender formulieren können.
Jetzt liegt uns eine Große Anfrage vor, die, wie ich finde, sehr umfangreich, materialreich und sehr gut beantwortet ist und einen umfassenden Überblick über die Situation in unserer Landesjustiz ermöglicht. Die Ergebnisse sind interessant und für mich zum Teil auch überraschend. Die Wirklichkeit in der Justiz, meine Damen und Herren, ist nämlich oft anders und differenzierter, als man das gemeinhin glaubt und als es sich in unseren Debatten mitunter so darstellt. Wenn man sich die Antworten im Detail ansieht - das ist jedenfalls mein Resultat -, dann zeigt sich sehr schnell, dass die 20 Vorschläge für kreatives Sparen in der Justiz nicht sehr neu, zum Teil auch nicht sehr originell und bei weitem nicht so effektiv sind, dass wir zu nennenswerten Entlastungen in den Bereichen kommen, in denen Entlastung notwendig ist. Es werden sogar ganze Problembereiche ausgeblendet.
Ich komme zunächst einmal zur Zivilgerichtsbarkeit. Da ist die Lage anders, als sie vom Kollegen Stratmann vorhin dargestellt worden ist. Bei den Zivilsachen sind im vergangenen Jahr bei den Amtsgerichten, bei den Landgerichten als Gericht erster Instanz und auch bei den Oberlandesgerichten ungefähr genauso viele Sachen eingegangen wie 1990. In Berufungssachen war das Landgericht sogar zu einem Viertel weniger tätig als 1990. Trotzdem ist es natürlich sinnvoll, über weitere Reduzierungen in diesem Bereich nachzudenken. Zunächst gibt es die Allzweckwaffe Mediation. Wir sind darüber einer Meinung: Natürlich ist es richtig und besser, die außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien zu fördern, als Konflikte vor Gericht auszutragen. Aber dieser Modellversuch knüpft ja gerade an dem Moment an, wenn die Parteien bereits vor Gericht stehen. Ich glaube, der Nachweis, dass dadurch in nennenswertem Umfang Verfahren vermieden werden, muss erst einmal erbracht werden.
Als zweiter Vorschlag wird das obligatorische Mahnverfahren genannt. Vor Erhebung jeder Zah
lungsklage soll zwingend ein Mahnverfahren vorgeschaltet werden, also auch dann, wenn von vornherein feststeht, dass der Gegner gegen einen Mahnbescheid Widerspruch erhebt und es in ein streitiges Verfahren übergeht. Die Folge wird in meinen Augen eine weitere Verfahrensverzögerung und eine zusätzliche Belastung der Mahnabteilung sein. Hinzu kommt, dass es nach Ihren Planungen ab 2005 ein zentrales Mahngericht in Hannover geben soll, wo nicht nur wie bisher Großkunden, sondern alle Mahnverfahren elektronisch abgewickelt werden. Diese müssen das Verfahren dann an das örtlich zuständige Prozessgericht abgeben. Auch das ist eine weitere Verfahrensverzögerung. Herr Minister, wir hätten uns im Übrigen sehr gewünscht, dass die Entscheidung für den Standort des zentralen Mahngerichts nicht wie sonst immer zugunsten Hannover gefallen wäre, sondern dass mal eines der kleineren Amtsgerichte in der Fläche, wie z. B. das Amtsgericht Dannenberg, davon profitiert hätte.
Bei den Familiengerichten gibt es in den zehn Jahren in der Tat eine dramatische Steigerung der Verfahrenszahl um 30 %. Weshalb wir zu Entlastungen kommen, wenn wir das Trennungsjahr für die einvernehmliche Ehescheidung auf sechs Monate verkürzen, habe ich aber noch nicht verstanden. Das können Sie ja vielleicht noch erläutern. Offen ist für mich auch die Frage, ob wir überhaupt einen Richter brauchen, um Ehen einvernehmlich zu scheiden, wenn alles geklärt und geregelt ist. Kann das nicht auch ein Notar machen oder ein Rechtspfleger, wenn das unbedingt bei den Gerichten bleiben muss? Die haben ja auch sonst zunehmend schwierige und konfliktträchtige Aufgaben zu bewältigen. Das ist ein Aufgabengebiet, das wir meiner Meinung nach durchaus von den Richtern wegdelegieren können.
Die Umsetzung des § 15 a EGZPO kommt spät und zögerlich. Wir hätten das, was jetzt für den Anfang der nächsten Wahlperiode angekündigt wird, bereits vor rund vier Jahren haben können. Damals wurde gesagt: Wir wollen abwarten, was die anderen Bundesländer machen. Es macht keinen Sinn, deren Versuche zu wiederholen. - Ich habe natürlich sehr gespannt gewartet und mich gefragt: Mit welchem originellen Vorschlag werden Sie denn jetzt kommen? Überraschung: die Schiedsämter. Ich habe nun wirklich nicht damit rechnen können, dass ausgerechnet dieser Vorschlag aus dem Hut gezaubert wird. Das hätten wir schon vor einer ganzen Weile haben können.
Insgesamt müssen wir aber feststellen: Die Urteile sind relativ schnell gefällt. Auch Titel im Mahnverfahren werden relativ schnell ausgestellt. Die Vollstreckung ist aber langwierig. Der Handwerker, der um seine Werklohnforderung streitet, braucht kein Urteil, der braucht das Geld. Im Bereich der Vollstreckung, insbesondere im Bereich der Gerichtsvollzieher, gibt es nach wie vor erhebliche Probleme durch lange Wartezeiten und eine hohe Belastung der Gerichtsvollzieher. Es ist mir unverständlich, weshalb Sie in der Antwort ausführen: Wir denken nicht über Reformen in der Ausbildung nach. Wir denken nicht darüber nach, wie wir den Gerichtsvollzieherdient noch stärker für Justizfremde öffnen oder ihn sogar aus der Justiz heraus verlagern können. - Es ist doch ein ganz entscheidender Punkt, dass Urteile vollstreckt, Forderungen beigetrieben und säumige Zahler zur Kasse gebeten werden können. Mit schnellen Urteilen ist den Betroffenen nicht geholfen.
Das zweite große Problemgebiet ist das Betreuungsrecht. Hier haben wir einen Anstieg von 66 000 Verfahren im Jahre 1992 auf über 100 000 Verfahren im Jahre 2001. Sie verweisen in Ihren Sparvorschlägen zunächst einmal auf die Möglichkeit einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis für Ehegatten. Das reicht nicht, Herr Minister, denn die zu Betreuenden sind in der Regel nicht verheiratet. Bei Verheirateten gibt es relativ wenig Probleme; das klappt irgendwie im Alltag. Es geht in der Regel um Alleinstehende. Sie müssen sehr viel gezielter für Vorsorge- und Betreuungsvollmachten werben, die auch zentral registriert und erfasst werden sollten. Sie müssen sehr viel intensiver als bisher die Betreuungsvereine fördern, weil wir nicht alles mit Berufsbetreuern abwickeln können. Und Sie müssen das Abrechnungswesen vereinfachen und dürfen es nicht weiter verkomplizieren, weil es unglaubliche Zeitressourcen sowohl bei den Betreuern und Betreuerinnen als auch bei den Gerichten bindet.
Kommen wir zur Strafjustiz. Bei der Strafjustiz ist festzustellen, dass es bei den Amtsgerichten knapp 3 % mehr Verfahren gibt als 1990. Bei den Bußgeldsachen sind es 41 % weniger. Die Urteilsquote beträgt hier ohnehin nur ein Viertel; der Rest erledigt sich anderweitig. Ich nenne weitere Zahlen: Landgericht, Strafsachen erste Instanz: ungefähr ein Fünftel weniger, Berufungen: 18 weniger. Oberlandesgericht, Strafsachen: ganze 64 % weniger Revisionen als 1990. Auch in Bußgeldsachen wird das OLG in 42 % weniger Fällen tätig als in der Vergangenheit.
Deswegen verstehe ich nicht, Herr Minister, weshalb Ihre Vorschläge darauf abzielen, das bewährte Rechtsmittelsystem bei Strafverfahren mit der Berufungsbegründungspflicht in Strafsachen, mit der Abschaffung der Revision gegen Urteile des Amtsgerichts und mit der im Ergebnis erfolgten Beschränkung von Bußgeldverfahren auf eine Instanz einschneidend zu verändern und zu verkürzen. Mit uns wird es weder hier noch in Berlin eine Verkürzung von Rechtsmitteln im Strafverfahren geben. Dieses System hat sich bewährt, es ist erfolgreich. Nur ungefähr 5 % der amtsgerichtlichen Urteile werden überhaupt angefochten, und dann ist auch nur die Hälfte der eingelegten Rechtsmittel erfolgreich, zumindest was das Strafmaß angeht.
Was die CDU angeht, werden wir genau dasselbe erleben wie bei der Reform des Zivilprozesses. Da hat die CDU jahrelang die so genannte Instanzenseligkeit unseres Rechtssystems beklagt, und als dann versucht wurde, ganz behutsame Korrekturen vorzunehmen, war das gleich der Untergang des Abendlandes.
Wie bereits gesagt: Mit uns wird es eine solche Verkürzung der Rechtsmittel nicht geben.
Die Zeit läuft mir davon. Ich will in zwei Sätzen noch einen Bereich ganz kurz ansprechen, in dem es ganz massive Probleme gibt. Das ist der Bereich der Bewährungshilfe. 75 bis 80 Probanden pro Bewährungshelfer sind eindeutig zu viel, zumal wir im Land eine Ungleichbehandlung zwischen dem Westen und dem Osten des Landes haben. Wir haben ein Nebeneinander der verschiedenen Hilfesysteme in der Justiz: Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Jugendbewährungshilfe, Führungsaufsicht. Wir werden zu Beginn der nächsten Wahlperiode - vielleicht machen wir das ja gemeinsam über eine Reform der sozialen Dienste in der Justiz sprechen müssen, damit wir wirkliche Strukturreformen einleiten können und nicht diese Reförmchen, die Sie hier vorgeschlagen haben. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind wieder einmal bei der, wie ich finde, arg einfallslosen Debatte, wer denn die meisten Gefängnisse baut. Richtig ist, dass die Zahl der Gefangenen in Niedersachsen von 1990 bis heute um 34 % gestiegen ist, also sehr viel stärker als die Zahl der Mitarbeiter im Vollzug - das trägt natürlich zu deren Belastung bei -, aber auch sehr viel stärker
als die Zahl der Verfahren, die wir vor den Gericht erleben. Es sind immer mehr Menschen immer länger in Haft, und die Zahl vorzeitiger Entlassungen sinkt. Ich hätte eigentlich von Ihnen, Herr Minister, in der Antwort auf die Anfrage der CDUFraktion auch ein paar Worte dazu erwartet, wo die Ursachen dafür gesehen werden und welche Möglichkeiten der Haftvermeidung und der Haftverkürzung Sie sehen, statt nur neue Gefängnisse zu bauen. Altbekannte Stichworte wie Sanktionenrecht, Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen und vieles andere mehr gehörten in diese Debatte mit hinein, auch die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten - beispielsweise der schlichte Konsum von Cannabis; damit könnte man vielleicht auch ein bisschen anders umgehen - oder die frühzeitige Verteidigung. Die Anwälte kommen in Ihrer Antwort ohnehin überhaupt nicht vor.
Ich muss einmal hervorheben: Jeden Tag sind in Niedersachsen so viele Menschen in Haft, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen können, wie die neue Anstalt in Göttingen Plätze haben wird. Das kann doch so nicht weitergehen.
Ganz erstaunlich ist es dann, wenn ich in der Antwort feststellen muss, dass es zur Abschiebehaft, die uns ja zusätzlich belastet, überhaupt keine Angaben gibt. Es ist noch nicht einmal statistisch erhoben worden, wie oft denn Abschiebehaft in Niedersachsen verhängt und vollzogen wird.
Wir sprechen ja auch bei diesem Tagesordnungspunkt über das Thema elektronische Fußfessel. Wir sind dagegen, sie additiv als zusätzliche Bewährungsauflage zu benutzen. Wir meinen aber, wir müssen darüber nachdenken, ob wir mit solchen Instrumenten nicht auch Haft vermeiden oder verkürzen können. Ich hätte mir schon vorgestellt, dass wir genauer hinschauen, ob denn die Erfolge des Modellversuchs in Hessen auf die traumhafte Betreuungsquote von drei Probanden auf einen Sozialarbeiter zurückzuführen sind - davon träumt ja die Bewährungshilfe - oder ob dazu die Technik ihren Beitrag geleistet hat und ob es vielleicht Anwendungsbereiche geben kann, die Haft vermeiden und die preiswerter sind, als nur schlicht neue Gefängnisse zu bauen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich an der CDU-Fraktion wirklich schätze, Herr Kollege Stratmann, sind ihre Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Bei der SPD-Fraktion ist das leider nicht immer so. Aber auf Sie ist wirklich Verlass. Ich habe mich im Vorfeld der Plenarsitzung gefragt: Womit werden sie diesmal kommen? Mit Brechmittel oder mit Kinderschändern oder mit Graffitischmierereien? - Bingo, diesmal ist die Sprühdose wieder dran.
Ich kann ja verstehen, dass Sie in einem Land der Eigenheimbesitzer - wir haben ja Gott sei Dank eine relativ hohe Eigentumsquote in Niedersachsen - auf Stimmenfang gehen wollen. Ich kann ein Stück weit auch Ihre Argumente nachvollziehen. Wenn jemand mein Haus beschmiert, ärgere ich
mich erstens und will ich zweitens, dass der Betreffende gefasst und die Tat geahndet werden und dass er den Schaden ersetzen muss. In der Regel passiert das auch.
Bei Ihrem letzten Antrag hatten wir uns im Rechtsausschuss über eine Fassung des Gesetzes unterhalten. Nach dieser Fassung würde bestraft werden, wer mit Kreide auf dem Pflaster malt oder wer in einem Hotelzimmer mit Lippenstift einen Gruß auf dem Spiegel hinterlässt, weil das alles ein Verändern des äußeren Erscheinungsbildes einer Sache gewesen wäre. Sie sind offenbar bestrebt, jede nur denkbare und noch so exotische Fallgestaltung unter Strafandrohung zu stellen, und das in einer Zeit, in der wir uns eigentlich überlegen, wie wir Gesetze einfacher und klarer machen, statt noch zusätzlich draufzusatteln.
Bevor Sie sich zu Wort melden, möchte ich noch etwas sagen. Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, Herr Kollege Stratmann, weil Weihnachten ist: Deko-Goldspray. Tun Sie es endlich mal! Bitte, tun Sie es endlich mal! Wenn Sie nach wie vor der Überzeugung sind, dass Graffitischmierereien in Niedersachsen nicht bestraft werden, nehmen Sie sich diese Dose, suchen Sie sich eine passende Wand, und probieren Sie es einmal aus. Sie müssen übrigens zwei Minuten schütteln, vorher geht es nicht.
Ich lege noch etwas drauf, Herr Kollege: Ich werde Sie kostenlos verteidigen,
weil ich nämlich mit einer Kostenerstattung aus der Staatskasse nicht rechnen kann. Ich werde aus der Staatskasse dafür nichts kriegen. Das passiert nämlich nur bei Freispruch. Aber Sie werden verurteilt werden. Probieren Sie es aus. Tun Sie es endlich einmal. Dann sprechen wir weiter. Sie werden erfahren, dass Graffitis auch in Niedersachsen geahndet und bestraft werden.
Sehr gern.
Herr Kollege, bisher nicht, aber das wäre die Folge gewesen, wenn Ihrem Formulierungsvorschlag damals stattgegeben worden wäre - so die Auskunft des GBD.
Was die Frage der Aufforderung zu Straftaten angeht: Sie stellen sich hier hin und behaupten, es werde nicht ausreichend geahndet, Rot-Grün verhindere die Graffitibekämpfung. Wenn Sie das ernsthaft glauben, probieren Sie es aus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt das Geheimnis der SPD-Fraktion und der Landesregierung, warum sie meinen, diesen Weg mitgehen zu müssen, das Gesetz zu ändern, obwohl sie von diesem Pult aus erstens erklären, es gebe diese Strafbarkeitslücke nicht, und zweitens, es gehe um 0,2 % der Fälle. Genau diese Auslegungs- und Anwendungsprobleme gibt es auch bei jedem anderen Tatbestand im Strafgesetzbuch. Sie können nicht ernsthaft anstreben, die Gesetze so lange zu ändern, bis Sie zu einer hundertprozentigen Sicherheit in der Rechtsanwendung kommen. Dann bräuchten Sie nämlich auch keine Richter mehr.
Es ist mir nicht begreiflich, dass Sie auf diesem Brett mitfahren. Wir haben oft über dieses Thema gesprochen und festgestellt: Es ist strafbar, und wenn die Leute erwischt werden, werden sie belangt, übrigens nicht nur durch Strafen, sondern auch durch Schadenersatz.
Was hier passiert, ist eine absolute Scheindebatte zu Wahlzwecken. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der größte und mächtigste Geheimdienst der Welt war nicht in der Lage, die schrecklichen Taten des 11. September zu erkennen, geschweige denn, sie zu verhindern, obwohl doch eigentlich aus früheren Zeiten recht enge Kontakte zu bin Laden und seiner Anhängerschaft bestanden haben. Da können Sie, Herr Schünemann, doch den Menschen in Niedersachsen nicht weismachen wollen, ihre Sicherheit hänge von ein paar Nasen im Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen ab.
Richtig ist aber - darin sind wir uns völlig einig -, dass die personellen Ressourcen im Bereich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus verstärkt werden müssen, dass es da neue Aufgaben gibt und dass darin auch ein neuer Arbeitsschwerpunkt für diese Behörde liegt. Aber es kann ja nicht sein, Herr Kollege Schünemann, dass überall draufgesattelt wird.
Sie wollen 1 000 neue Polizistinnen und Polizisten, Sie wollen 2 500 neue Lehrerinnen und Lehrer, Sie wollen - wie Sie sagen - keinen Sparzwang beim Verfassungsschutz, Sie verraten uns aber nicht, wie Sie dies alles kurzfristig finanzieren können. Es kann ja nicht so sein, dass Sie überall sagen: Da
brauchen wir mehr. Sie haben ja zu jeder Plenarsitzung neue Anträge vorgelegt, wie Menschen mehr und länger in Haft kommen sollen, wahre Arbeitsbeschaffungsprogramme für die Justiz. Aber auch da verraten Sie uns nicht - vielleicht tun Sie es ja morgen in der justizpolitischen Debatte -, woher denn die dafür benötigten Richterinnen und Richter sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vollzugs kommen sollen. Überall sagen Sie: Wir wollen es wie die SPD, aber plus 15 % müssen es schon sein!
Nein, Herr Kollege Schünemann, anders wird ein Schuh daraus. Wir müssen nachdenken, wie sich eigentlich die politische Landschaft, wie sich die Bedrohungslage für unsere Freiheit in den letzten Jahren verändert hat. So müssen wir auch bei so einer Aufgabenkritik den Behördenaufbau verändern. Wir schreiben eben nicht mehr das Jahr 1990. Die Jahre des Kalten Krieges, die den Verfassungsschutz maßgeblich geprägt haben, sind vorbei. Ich verrate Ihnen etwas: Der eiserne Zaun ist gefallen. Da hat sich etwas verändert. Deswegen ist es auch richtig gewesen, bei den 400 Beschäftigten, die es im Jahre 1990 gab, einen deutlichen Personalabbau vorzunehmen, weil eben diese entscheidende Situation - Niedersachsen an der Nahtstelle zweier Weltsysteme, des Ost-West-Konflikts - an unserer langen Landesgrenze weggefallen ist. Es muss doch auch bei Ihnen einmal angekommen sein, dass sich hier viel verändert hat.
- Jetzt haben wir eine andere Bedrohungslage; auf die gilt es einzugehen, aber richtig muss doch sein, dass man dann auch einmal selbstkritisch überprüft, Herr Schünemann: Gibt es Veränderungen, auf die wir reagieren müssen, und das heißt eben auch, gibt es Aufgaben, auf die wir verzichten können? Nach wie vor gilt für den Verfassungsschutz, dass derjenige, der einmal Beobachtungsobjekt geworden ist, dies auf Dauer bleibt, auch wenn es sich um noch so lächerliche und unbedeutende Politsekten handelt, die aus den 70erJahren übrig geblieben sind, MLPD oder wie sie alle heißen mögen mit 55,5 Anhängerinnen in Niedersachsen oder die eben, wie beispielsweise die PDS in Niedersachsen, offenbar ihre Zukunft auch schon hinter sich haben. Darüber muss doch zu sprechen sein, dass dies gewissermaßen ein verzichtbarer Aufgabenbestand ist.
Ferner müssen wir doch darüber nachdenken, ob es Sinn macht, den Verfassungsschutz weiterhin so föderal zu gliedern, dass wir die völlig irren Ergebnisse erleben, dass eine Beamtin des Verfassungsschutzes in den AStA Hannover eingeschleust wird, den CASTOR-Widerstand beobachtet und andere Verfassungsschützer dann sozusagen Beobachtungsprotokolle schreiben oder dass verdeckte Zuträger verschiedener Verfassungsschutzbehörden in der NPD an einem Tische sitzen und über sich gegenseitig Vermerke schreiben. Das ist doch ein Irrsinn, was in diesem Bereich passiert. Das sind unglaubliche Personalressourcen, die wir dann doch zielgerichtet für die Bekämpfung der wirklichen Bedrohungen unserer Freiheit einsetzen könnten.
Sie sind in der Sache strukturkonservativ und wollen immer nur den Stand halten und noch drauflegen. Was wir brauchen, ist ein moderner Verfassungsschutz, der taggenau erkennt, was die Abwehr- und Bedrohungslage ist, und nach ein paar Jahren sagt: „Darauf können wir verzichten; das sind ein paar Verrückte, von denen geht keine Gefahr aus. Wir wenden uns anderen, näher liegenden Gefahren zu.“ Das wäre ein modernes Konzept, nicht aber ein Modell des Immer-Mehr, Immer-Mehr. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten uns mit unserem Einsetzungsbeschluss ein ehrgeiziges Arbeitsprogramm vorgenommen. Es reicht vom Verfahren im Ausschuss bis hin zur Kompetenzordnung auf der Ebene der Europäischen Union. Der seinerzeit vorgesehene Zeitplan, um dies alles abzuarbeiten, kann im Nachhinein eigentlich nur als aberwitzig bezeichnet werden. Dennoch ist das Ergebnis sehr vorzeigbar, auch wenn wir nicht alle Themen mit der gleichen Tiefe bearbeiten konnten. Dies verdanken wir in besonderer Weise den Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, denen auch ich an dieser Stelle ausdrücklich danken will.
Das Arbeitsklima in der Kommission empfand ich als angenehm. Angenehm war insbesondere, dass die Diskussionen weniger von den Fraktionen vorgeprägt waren, als wir es sonst aus den Ausschüssen kennen. Dazu haben ganz wesentlich die Sachverständigen beigetragen. Die sind zwar von den Fraktionen benannt worden, haben sich aber sehr schnell von ihnen emanzipiert. Diese Sachverständigen waren in mehreren Situationen der eigentliche Motor für weitergehende Reformdiskussionen, wenn wir Abgeordneten vielleicht doch zu stark von unserer eigenen Binnensicht gefangen waren. Auch dafür will ich ausdrücklich allen externen Mitgliedern der Enquete-Kommission danken.
Ich komme nun zu den Ergebnissen der Arbeit. Nur kurz will ich auf die Stellung der Landesparlamente im Bundesstaat und im Verhältnis zur Europäischen Union eingehen. Wir haben als Kommission der Versuchung widerstanden, die hundertste Wiederaufführung der Föderalismusdebatte zu inszenieren. Diese Debatte wird seit Jahren geführt, viele Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch, nur, politische Durchsetzungskraft hatten sie bisher alle nicht. Die Niedersachsen gelten ja als eher bodenständig und pragmatisch, und deswegen haben wir uns auf die praktische Seite dieses Problems konzentriert. Im nächsten Frühjahr wird der erste Konvent der deutschen Landesparlamente zusammentreten. Auch das ist ein erster Erfolg unserer Arbeit. Aber bei der Verabschiedung einer gemeinsamen Resolution - ähnliche gab es bereits von der Konferenz der Landtagspräsidenten - darf es diesmal nicht bleiben.
Meine Damen und Herren, die Gesetze kommen aus Brüssel und Berlin, den Rest macht der Ministerpräsident, das Kommissionswesen blüht, das
Parlament verkümmert. Wir haben uns deshalb gefragt, wie dem Bedeutungsverlust des Parlaments durch Staatsverträge, durch die Verlagerung von politischen Entscheidungsprozessen in Kommissionen, an Runde Tische, in Ministerkonferenzen sowie durch neue Modelle der Haushaltsplanung und –bewirtschaftung - Budgetierung, Globalhaushalte und Stiftungsmodelle - begegnet werden kann. Die Antwort war insgesamt ernüchternd: Es liegt hauptsächlich an uns selbst, ob wir uns nachsagen lassen müssen, im Wesentlichen nur mit dem Schutz von Kormoranen und der Gestaltung von parlamentarischen Abenden befasst zu sein, ob wir uns als Entschließungs- und Anfrageparlament verstehen und ansonsten die Musik eben nicht beim Parlament, sondern bei der Exekutive spielt.
In der Verfassungswirklichkeit geht es eben nicht um das Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive, sondern um das Wechselspiel zwischen Regierung und der sie tragenden - manchmal auch ertragenden - Landtagsmehrheit einerseits und der Opposition andererseits. Sehr konkret geht es deshalb um die Frage, wie wir künftig im Plenum und in den Ausschüssen arbeiten wollen, wie wir Minderheitenrechte ausgestalten, wie wir die Arbeit des Landtages aktueller, lebendiger, aber auch für die Öffentlichkeit interessanter und transparenter machen. Deutlich wird dies vielleicht am Vergleich unseres jetzigen Plenums mit den Vorstellungen für eine Neugestaltung des Plenums.
Statt wie jetzt an drei Tagen mit über 50 Tagesordnungspunkten wollen wir kürzer und öfter tagen, alle drei Wochen zwei Tage. Die Tagesordnung für den heutigen Vormittag sah ursprünglich vor: Wattenmeer, Verbraucherschutz, Kabelnetze, Forderungen von Polizeidirektoren aus jedem Dorf ein Hund -, und diese bizarre Mischung geht am Nachmittag so weiter. Wir wollen eine stärkere thematische Strukturierung der Tagesordnung. Es sollen inhaltlich zusammenhängende Punkte zusammenhängend beraten werden, unabhängig davon, ob sie in erster oder zweiter Beratung verhandelt werden.
Sie haben vorhin wieder einmal das Spiel der Dringlichen Anfrage erlebt. Sie kennen diese Fragen, die eingeleitet werden mit „vor dem Hintergrund“,
und dann tritt das Phänomen ein, dass jeder versucht, seine Meinung deutlich zu machen, obwohl
nur eine Frage zugelassen ist. Dies soll durch die Bemerkung oder Kurzintervention ersetzt werden, sodass man wahlweise eine kurze, knappe Frage stellt oder aber seinen Meinungsbeitrag leistet. Damit wären derartige sprachliche Verrenkungen, wie wir sie immer wieder erleben, nicht mehr notwendig.
Morgen in der Fragestunde werden drei bis fünf, und zwar die ältesten, Fragen behandelt. Die Kommission schlägt Ihnen ein Modell vor, in dem sich die Fraktionen darauf verständigen, welche Frage so interessant ist, dass sie mündlich, durch Nachfragen vertieft, behandelt wird. Trotzdem soll das Fragerecht der einzelnen Abgeordneten nicht zu kurz kommen. Es gibt immer wieder Beschwerden darüber, dass die Landesregierung ihr unangenehme Fragen unerträglich verschleppt und verzögert. Wir schlagen ein Modell vor, das eine 14-tägige Beantwortungsfrist vorsieht. Oft ist es besser, schnell eine Antwort zu haben, als eine wissenschaftliche Expertise ein halbes Jahr später.
Die bisherige Tagesordnung sieht vor, dass die wichtigen und die vielleicht auch weniger wichtigen Themen über den gleichen zeitlichen Leisten geschlagen werden und dass wir hier im 35-Minuten-Rhythmus einen Schichtwechsel der Fachabgeordneten haben. Wenn beispielsweise das Thema Innenpolitik durch ist, gehen die betreffenden Abgeordneten hinaus, und dann kommen die nächsten, um ein sozialpolitisches Thema zu verhandeln. Wir schlagen einstimmig vor, auf Redezeitregulierungen zu verzichten. Das ermöglicht es auch, zu einem Thema mehrere Redner zu Wort kommen zu lassen, damit auch verschiedene Sichtweisen in den Fraktionen deutlich zu machen und verschiedene Aspekte ein und desselben Themas anzusprechen.
Das soll kein Freibrief für Dauerredner sein. Leider können wir keine Regelungen für die Landesregierung treffen. Sie alle kennen dieses Phänomen, dass eine Kleine Anfrage zu einer 20-minütigen Regierungserklärung umgestaltet wird und es dann heißt: Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen mit Ja, Nein, Entfällt. Leider lässt sich das nicht ganz ausschließen. Dennoch erhoffen wir uns mit diesen Vorschlägen eine Wiederbelebung unserer Debattenkultur. Der erwünschte Nebeneffekt ist, dass vielleicht häufiger deutlich wird, dass dem
Landtag nicht 30, sondern 157 Abgeordnete angehören.
Wir wollen gemeinsam eine Reduzierung der Ausschüsse, im Wesentlichen zugeschnitten auf die Ministerien der Landesregierung, wobei klar sein muss, dass es für Sonderthemen Ad-hocAusschüsse geben muss oder dass wir auch die Möglichkeit behalten müssen, für Querschnittsfragen einen Ausschuss einzurichten. Die Ausschusssitzungen sollen im Normalfall öffentlich stattfinden. Wir wollen außerdem ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse, also die Möglichkeit, dass sich die Ausschüsse auch selbst ein Thema setzen können, ohne dass es ein überwiesener Beratungsgegenstand ist.
Die gestrige Sonderunterrichtung des Rechtsausschusses war eigentlich schon an der Grenze dessen, was die Geschäftsordnung zulässt. Wir wollen, dass die Ausschüsse selbstverständlich in der Lage sind, sich ihre Themen selbst vorzugeben.
Die Grenzen der Gemeinsamkeiten wurden sehr schnell deutlich, als es um die Minderheitenrechte ging. Hier geht es ja gar nicht um die Weitergeltung des Mehrheitsprinzips - natürlich müssen alle Entscheidungen durch eine Mehrheit legitimiert sein -, sondern es geht um Gestaltungs- und Initiativrechte der Landtagsminderheit, beispielsweise das Zitierrecht in den Ausschüssen, die Möglichkeit, eine Ausschusssitzung einzuberufen, oder auch darum, gegen den Willen der Mehrheit eine Anhörung zu einem Thema durchzusetzen. Das wollte die SPD-Fraktion leider nicht mitmachen.
Besonders umstritten war die Einrichtung eines Petitionsausschusses. Ich weiß, die Meinungen gehen quer durch die Fraktionen, und es gibt auch für unser bisheriges Verfahren nachvollziehbare Argumente. Aber ausschlaggebend war für mich, dass wir nicht die besseren Ministerialbeamten sind, die rein sachorientiert im jeweiligen Fachausschuss eine Petition behandeln. Unsere Stärke liegt in der Vermittlung zwischen Bürgerinnen und Bürgern einerseits und der Verwaltung andererseits. Das machen wir ohnehin ständig, auch jenseits einer eigentlichen Eingabe. Uns steht es gut an, genau diese Kompetenz stärker zu betonen und stärker herausstellen. Das gelingt mit einem Petitionsausschuss. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns. Seit Jahren erreichen uns Briefe, die an den nicht existenten Ausschuss gerichtet
sind. Die Wahrnehmung dieses Grundrechtes auf Petition ist eben die deutsche Realität. Ein Petitionsausschuss erleichtert es uns auch, diese Arbeit nach außen deutlicher zu machen, beispielsweise in Form eines jährlichen Petitionsberichtes, in dem wir zeigen können, wo es uns als Parlament gelungen ist, zwischen den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und dem, was der Staat leisten kann oder leisten muss, zu vermitteln.
Wie geht es weiter? - Wir können dem nächsten Landtag nur Empfehlungen vorlegen. Viele von uns werden dem nächsten Landtag gar nicht angehören. Bei aller Zuversicht, die jeder von uns hinsichtlich des Wahlausgangs hat, wissen wir alle nicht, wie die genaue Zusammensetzung des nächsten Landtages aussieht, wie die Mehrheiten aussehen. Wir wollen aber nicht, dass diese Kommissionsvorschläge ein Begräbnis erster Klasse erfahren.
Vielen Dank, Herr Präsident. Genau das ist das Problem. Aber ich komme jetzt zum Schluss.
Der erste entscheidende Lackmustest wird die nächste konstituierende Sitzung sein. Wenn dann die Ausschüsse in bisheriger Zahl eingesetzt werden, wird es praktisch unmöglich sein, noch eine Reform zu erreichen. Keiner wird im Laufe der Wahlperiode Ausschüsse abschaffen können. Hier werden die Weichen gestellt. In den nächsten Wochen und Monaten sollten wir klären, was wir gemeinsam schon zu Beginn der nächsten Wahlperiode umsetzen können. An genau diesen Fragen sollten wir arbeiten. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Beschlussempfehlung in der Drucksache 3851 empfiehlt Ihnen der Ausschuss für innere Verwaltung mit den Stimmen der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion der CDU und bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den Antrag abzulehnen. Der mitberatende Ausschuss für Haushalt und Finanzen hat sich diesem Votum mit gleichem Stimmverhalten angeschlossen. Im Übrigen gebe ich den Bericht zu Protokoll. - Vielen Dank.
Dem Entschließungsantrag geht eine Vorgeschichte voraus, die zum Verständnis des Beratungsablaufs erforderlich ist. So hatte auf Antrag der SPD-Fraktion in der 150./151. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 13. bzw. 14. August 2002 eine Unterrichtung durch die Landesregierung über die so genannte Denkschrift der Polizeidirektoren stattgefunden. Bereits in diesen Sitzungen hatte die CDU-Fraktion ausdrücklich den Wunsch geäußert, dieses Papier - das der Öffentlichkeit ohnehin zugänglich gemacht worden sei - vom Innenministerium zu erhalten, um auf dieser Grundlage eine inhaltliche Diskussion mit dem Innenministerium führen zu können. Ein Vertreter des Innenministeriums hatte daraufhin zugesagt, diese so genannte Denkschrift dem Ausschuss zur Verfügung stellen zu wollen.
In der 155. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 10. September 2002 war das Thema erneut Gegenstand der Beratungen im Ausschuss, nachdem das Niedersächsische Innenministerium mit Schreiben vom 6. September 2002
mitgeteilt hatte, das Arbeitspapier auch zu dieser Sitzung nicht vorlegen zu können und unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die grundsätzliche Frage zu prüfen, ob interne Arbeitspapiere der Landesregierung einem Parlamentsausschuss zugänglich gemacht werden könnten.
Daraufhin wurde von der CDU-Fraktion der oben genannte Entschließungsantrag eingebracht, der zunächst in der 158. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 9. Oktober 2002 von der Tagesordnung abgesetzt wurde, nachdem das Niedersächsische Innenministerium mit Schreiben vom 7. Oktober 2002 mitgeteilt hatte, dass es sich aus grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Erwägungen daran gehindert sehe, dem Ausschuss dieses interne Papier zur Verfügung zu stellen, zu einer Erörterung dieser Problematik im Ausschuss aber selbstverständlich zur Verfügung stehe. Diese Erörterung hat dann in der 161. Sitzung am 30. Oktober 2002 stattgefunden.
Zu Beginn trug ein Vertreter der Landesregierung vor, aus welchen Gründen im Detail die Landesregierung dieses interne Arbeitspapier dem Ausschuss nicht zur Verfügung stellen könne, insbesondere um keinen Präzedenzfall für ähnliche Fälle in der Zukunft zu schaffen.
Ein Vertreter der CDU-Fraktion äußerte demgegenüber sein Unverständnis, dass dieses Papier dem Ausschuss nicht vorgelegt werde. Wenn es sich dabei tatsächlich um eine interne Arbeitsgrundlage handele, hätte der Ausschuss seines Erachtens über den Inhalt dieser Arbeitsgrundlage auch nicht unterrichtet werden dürfen. Zu den inhaltlichen Aspekten meinte der Vertreter der CDU-Fraktion, zwar habe das Innenministerium inzwischen deutlich gemacht, dass das Papier der Polizeidirektoren nicht mehr aktuell sei und als erledigt betrachtet werden könne, weil die Landesregierung bereits entschieden habe, 500 zusätzliche Stellen zu besetzen. Dem könne sich die CDUFraktion jedoch nicht anschließen. Denn das Arbeitspapier der Polizeidirektoren beschäftige sich nicht nur mit der Personalsituation der Polizei, sondern es schildere auch eine Reihe von anderen Themen, die das Innenministerium, insbesondere dessen politische Führung, interessieren müssten. Als Beispiele führte er an, dass die Polizeidirektoren Berechnungsmodelle angemahnt hätten, die die Sollstärke für eine sachgerechte sowie effektive und effiziente polizeiliche Aufgabenwahrnehmung bestimmten und einen Ausgleich zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Räumen gewähr
leisteten. Außerdem sei in diesem Arbeitspapier die Frage der Polizeidichte thematisiert worden. Daneben sei seitens der Landesregierung immer wieder mitgeteilt worden, dass in den nächsten 15 Jahren rund 6 000 Polizeibedienstete in den Ruhestand treten würden. Die Polizeidirektoren wiesen in ihrer Denkschrift jedoch darauf hin, dass in den nächsten 14 Jahren fast die Hälfte des polizeilichen Exekutivpersonals, nämlich 9 442 Bedienstete, in den Ruhestand versetzt würden. Da sei es von Interesse, zu erfahren, welche der genannten Zahlen nun zuträfen. Schließlich seien Fragen nach der Dienststärke sowie nach der Aufklärungsquote bei bestimmten Delikten aufgeworfen worden. Ferner sei darauf hingewiesen worden, dass für den extremen Anstieg der Fallzahlen bei Gewalt-, Wirtschafts- und Vermögensdelikten nicht genügend Personal zur Verfügung stehe. Weitere Aspekte seien das Thema Aufgabenkritik, das so genannte LEO-Leine-Konzept zur Aufstellung von Bereitschaftspolizeieinheiten sowie die Frage des Sicherheitsgefühls der Bürgerinnen und Bürger.
Ein Vertreter der Landesregierung entgegnete, bei dem Arbeitspapier habe es sich um den Beginn einer Meinungs- und Willensbildung gehandelt, es dokumentiere damit weniger einen tatsächlichen Sachverhalt als vielmehr eine subjektive Sichtweise. Zwar sei diese Sichtweise durchaus nicht aus der Luft gegriffen, es müsse jedoch darauf hingewiesen werden, dass sich die Beurteilungsgrundlagen in der Zwischenzeit geändert hätten. Worauf der Ausschuss einen Anspruch habe, seien verlässliche Auskünfte über den derzeitigen Zustand der Landespolizei und über die künftigen Absichten der Landesregierung. Entsprechende Auskünfte seien dem Ausschuss jedoch bereits gegeben worden. Als Beispiel sei der Sicherheitsbericht genannt, den der Innenminister den Ausschussmitgliedern übersandt habe.
Der Vertreter der Landesregierung erläuterte dann weiter, dass der Anstieg der Fallzahlen kein Beweis dafür sei, dass es zu wenig Polizeibeamte gebe. Außerdem gebe es bislang keine Hinweise darauf, dass sich die Sicherheitslage im Lande aufgrund einer mangelnden Personalstärke bei der Polizei verschlechtert habe. Daher seien die Kriterien Polizeidichte und Anzahl der Polizeibeamten nicht geeignet, eine inhaltliche Diskussion über die subjektive und objektive Sicherheitslage in Niedersachsen zu führen. Konkrete Überlegungen über den künftigen Umfang der Bereitschaftspolizei stelle das Ministerium derzeit nicht an. Schließlich
habe er den Eindruck, dass in den Polizeiinspektionen wesentlich intensiver über die Aufgabenkritik diskutiert und wesentlich mehr Präventionsarbeit, die ja auch eine ganz konkrete Ausformung der Aufgabenkritik sei, betrieben werde, als in dem Papier der Polizeidirektoren zum Ausdruck komme.
Ein Vertreter der CDU-Fraktion hob erneut hervor, er sei enttäuscht über die Art und Weise, wie mit dem in Rede stehenden Problem umgegangen werde. Schließlich handele es sich nicht um irgendein Papier, sondern um ein zwischen allen Polizeidirektoren abgestimmtes Arbeitspapier. Außerdem solle sich das Ministerium einmal mit der Frage auseinander setzen, warum die Polizeidichte in den Ländern Hessen und NordhreinWestfalen, in denen die zweigeteilte Laufbahn bereits eingeführt worden sei, größer sei als in Niedersachsen. Im Übrigen habe die gegenüber anderen Bundesländern geringere Polizeidichte zur Folge, dass die Einsatzstärken in Niedersachsen vielfach unverantwortlich niedrig seien. Im Ergebnis dauere es manchmal bis zu 30 Minuten, bevor ein Streifenwagen vor Ort erscheinen könne.
Der Vertreter der Landesregierung hob erneut hervor, dass das Papier der Polizeidirektoren erstens nicht die Meinung der Landesregierung wiedergebe und zweitens nahezu zwei Jahre alt sei. Er wolle darauf hinweisen, dass die Landesregierung nicht untätig geblieben sei, wie die Diskussionen der letzten drei bis vier Monate gezeigt hätten. Der Bedarf an Beamtinnen und Beamten werde aber immer größer sein als die Zahl der zur Verfügung stehenden Stellen. Deshalb sei nicht die Frage der Polizeidichte von Bedeutung, sondern viel wichtiger seien die Zugriffs- bzw. die Reaktionszeiten oder die Zahl der bearbeiteten Fälle. Im Übrigen habe die unterschiedliche Versorgung der Landesteile mit Polizeikräften dazu geführt, dass die Landesregierung vor etwa drei Jahren einen neuen Verteilungsmaßstab zugrunde gelegt habe, der einer ständigen Überprüfung unterliege. Außerdem habe die Landesregierung 500 neue Stellen für den Polizeidienst geschaffen, von denen 200 inzwischen besetzt worden seien. Ab den Jahren 2004/2005 würden im Übrigen auch diejenigen 450 Beamtinnen und Beamten wieder in vollem Umfang zur Verfügung stehen, die derzeit noch an den im Zusammenhang mit der Einführung der zweigeteilten Laufbahn durchzuführenden Qualifikationslehrgängen für den gehobenen Dienst teilnähmen. Darüber hinaus werde die Einführung des NIVADIS-Systems zu einer um 600 Beamte verbes
serten Präsenz im Lande Niedersachsen führen. Schließlich treffe es nicht zu, dass die Polizei in den ländlichen Bereichen nicht leistungsfähig sei.
Auf eine erneute präzise Nachfrage der CDUFraktion machten Vertreter der Landesregierung dann noch präzise Ausführungen zu einzelnen Detailfragen. Diese betrafen die Frage, wie viele Beamte altersbedingt in den Ruhestand träten, in welcher Form die Landesregierung auf die Kriminalitätsentwicklung reagiere und wie der Verteilungsmaßstab für die Sollstärke der Polizei berechnet werde. Zu den Pensionierungszahlen sei darauf hinzuweisen, dass der Vierzehnjahreszeitraum, der von den Polizeidirektoren genannt werde, erst ab dem Jahr 2012 beginnen würde, während bis zum Jahre 2012 nur rund 3 600 Polizeibeamte in den Ruhestand treten würden.
Ein Vertreter der SPD-Fraktion brachte nach diesen Ausführungen der Landesregierung zum Ausdruck, dass seine Fraktion den Antrag ablehnen werde.
Damit schließe ich meinen Bericht und bitte Sie, der Beschlussempfehlung des Ausschusses für innere Verwaltung in der Drucksache 3851 zuzustimmen und damit den Antrag der Fraktion der CDU abzulehnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal zweifle ich am Sinn meiner Tätigkeit. Der Kollege Biallas schafft es immer wieder, diese Zweifel bei mir auszulösen und zu verstärken. Herr Kollege Biallas, gestern Abend habe ich Ihnen unter Hinweis auf den Sicherheitsbericht, der Ihnen auch vorliegt, den Sie vielleicht auch einmal angeschaut haben könnten, dargestellt, wie sich die Alltagskriminalität und die Aufklärungsquote in den wichtigsten, die Allgemeinheit beunruhigenden Straftaten entwickelt haben. Sie stellen sich hin und wiederholen glatt wieder das Gegenteil.
Sie haben natürlich Recht mit dem Hinweis auf die Kontrolldelikte: Wenn ich keinen auf die Straße schicke, stelle ich auch keine Straftaten fest. Aber auch das Gegenteil ist richtig, Herr Kollege Biallas: Wenn wir die vielen tausend zusätzlichen Polizeibeamten einstellen würden, die Sie gerne hätten und die keiner bezahlen kann, dann würden Sie steigende Qualitätszahlen im Bereich der Kontrolldelikte verzeichnen. So herum wird also auch ein Schuh daraus.
Aber entscheidend ist, dass Niedersachsen ein vergleichsweise sicheres Land ist.
Das Arbeitspapier der Polizeidirektoren ist in der Sache überholt. Es wurde zurückgezogen. Es hatte wahrscheinlich eine bestimmte politische Funktion in einer bestimmten Situation, die sich seitdem verändert hat, und es ist daher für die eigentliche Debatte inhaltlich irrelevant. Es ist nach meiner Überzeugung für die CDU lediglich der äußere Anlass, ihre bekannte Litanei über die zunehmende Verelendung der niedersächsischen Polizei anzustimmen.
Deutlicher Beleg dafür ist der von Ihnen beharrlich wiederholte Hinweis auf die geringe Polizeidichte. Es ist richtig, sie ist gering. Aber Ihr Hinweis zeigt
auch, dass Sie bis heute nicht das Konzept der Polizeistrukturreform „Mehr Klasse statt Masse“ verstanden, geschweige denn akzeptiert haben.
Es war, Herr Kollege Schünemann, eine lange nicht abreißen wollende Kette von Polizeiskandalen, von Verfassungsschutzskandalen, als RotGrün gleich zu Beginn der Regierungszeit eine Polizeistrukturreform eingeleitet hat, in deren Rahmen die zweigeteilte Laufbahn geschaffen worden ist. Da waren wir führend in Deutschland.
Nachdem dies bekannt wurde, stand in der BildZeitung die große Schlagzeile: „Es macht wieder Spaß, Polizist zu sein!“ - und das, nachdem die Polizei viele Jahre unter Ihrer Regierungsverantwortung wirklich zu Schanden gebracht wurde.
Diese Arbeitszufriedenheit konnte in den letzten Jahren gehalten werden, trotz der Arbeitsbelastung und trotz der sozialen Einschnitte, die es auch bei den Polizeibeamtinnen und -beamten in den letzten Jahren leider gegeben hat.
Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, aus dem Papier der Polizeidirektoren ein kohärentes Konzept für Ihre eigene Politik zu entwickeln. In dem Papier wird deutlich auf die enorme Arbeitsbelastung für die Polizei durch die Gen-Datei hingewiesen. Sie stellen sich aber fröhlich hin, lieber Kollege Schünemann, und sagen: Wir wollen jetzt aber auch die Ladendiebe und die Promillesünder in der Gen-Datei erfassen! Wie Sie das mit den vorhandenen Polizeibeamten schaffen wollen, das erklären Sie leider dem interessierten Publikum auch nicht.
- Das machen wir bei anderer Gelegenheit, Herr Schünemann. - Werte Kolleginnen und Kollegen
von der CDU, inhaltlich kommen wir da nicht zusammen.
Aber ich möchte einen Grund nennen, weshalb wir uns nicht in der Lage sehen, in diesem Punkt mit der SPD zu stimmen. Was uns geärgert hat, war der Umgang der Landesregierung mit dem Parlament,
war die überhaupt nicht verständliche und durch nichts nachvollziehbare Weigerung, ein Papier, das öffentlich landauf, landab diskutiert wurde, den Mitgliedern des Ausschusses zur Verfügung zu stellen.
Wir haben - auch das ist ein Ergebnis aus der ersten Hälfte der 90er-Jahre - eine neue Landesverfassung, die die Informations- und Akteneinsichtsrechte des Parlamentes deutlich gestärkt hat. Grundsätzlich sind wir als Abgeordnete nach Artikel 24 berechtigt, Aktenvorlage zu verlangen, und die Einschränkung, die in der Verfassung vorgesehen ist, ist relativ eng. Danach braucht die Landesregierung einem solchen Verlangen nicht zu entsprechen, soweit dadurch die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Landesregierung wesentlich beeinträchtigt würde.
Der Staatsgerichtshof hat in seinem Jadekost-Urteil - Sie werden sich vielleicht daran erinnern - genau diese Grundsätze nochmals bestätigt. Und dann wollen Sie uns weismachen, dieses Arbeitspapier - wie der Kollege Harden sagte - habe eine solche Bedeutung, dass die Eigenverantwortung und Funktionsfähigkeit der Landesregierung erheblich beeinträchtigt würden? - Das glauben Sie doch selber nicht! Das glaubt niemand, höchstens jemand, der die Hose mit der Kneifzange anzieht. Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Lüneburg hat sich der schlimmste aller denkbaren Fälle in der Justizpolitik ereignet: Genau heute vor einer Woche wurde eine Frau von ihrem Lebensgefährten erwürgt, der wegen Mordes und versuchter Vergewaltigung 18 Jahre in Haft saß. Er war zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden und war auf Bewährung draußen. Gegen ihn hatte es bereits seit Anfang dieses Jahres Ermittlungsverfahren wegen erneuter Vergewaltigungen gegeben. Er saß in Untersuchungshaft und wurde aus verfahrensrechtlichen Gründen aus der Haft entlassen. Die Frau selber hatte gegen ihn Anzeige erstattet mit der Folge, dass kurzzeitig wieder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Sie hat ihre Aussage dann - vermutlich unter Druck - zurückgezogen. Diese Situation ist für mich unerträglich; denn das bedeutet, dass die Justiz durch ihr Verfahren, durch Versäumnisse und Fehler mit dazu beigetragen hat, dass ein Mensch ums Leben gekommen ist.
- Ich versuche es. - Dieser Gedanke ist, wie gesagt, unerträglich. Denn er bedeutet, dass die Justiz durch Verfahrensverzögerungen und Mängel im Verfahren dazu beigetragen hat, dass ein Mensch ums Leben gekommen ist. Das sind Verfahrensverzögerungen, die das Oberlandesgericht Celle in seinem Beschluss, meine ich, eindeutig festgehalten hat. Es hat nämlich festgestellt, dass das Verfahren um etwa vier bis sechs Wochen vermeidbar verzögert wurde, weil die Anklage schon vorher hätte bearbeitet werden können und weil mehr
Druck auf die Einholung des Gutachtens hätte gemacht werden müssen.
Jede Entscheidung nach § 121 Strafprozessordnung, die U-Haft nach einem halben Jahr aufzuheben, ist eine Ohrfeige für den Justizminister. Denn Sie wissen, meine Damen und Herren, dass die U-Haft in vielen Fällen länger als sechs Monate dauert. Sie wird aufgehoben, wenn es vermeidbare Verfahrensverzögerungen gab. Das ist jedoch nur in wenigen, krassen Ausnahmefällen der Fall. Sie wissen auch, meine Damen und Herren, dass Herr des Ermittlungsverfahrens die Staatsanwaltschaft ist, und Herr über die Staatsanwälte ist der Justizminister. Er trägt die organisatorische und politische Verantwortung für diese Verfahrensverzögerungen. Herr Dr. Pfeiffer, Sie tragen Mitverantwortung dafür, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz und in die Fähigkeit der Justiz zum Schutz der Opfer gelitten hat.
Ich halte nichts davon, vorschnell Rücktritte zu fordern. Das ist in diesem Hause ein abgegriffenes Ritual. Ich meine aber, dass dieses Ereignis tiefgreifende Konsequenzen haben muss.
Wir brauchen in der Justiz ein Frühwarnsystem, für das Sie verantwortlich sind, Herr Pfeiffer, welches es ermöglicht, zielgenau nachzufassen, wenn ein Fall in den Bereich dieser Sechsmonatsfrist gerät. Wir brauchen Instrumente - die eigentlich da sein müssten - wie Berichts- oder Aktenvorlagepflichten beispielsweise an den Generalstaatsanwalt. Ich verstehe bis heute nicht, warum das nicht funktioniert hat. Wir brauchen eine Aufklärung, ob es in diesem Verfahren disziplinarisch zu ahndende Versäumnisse gegeben hat.
Außerdem brauchen wir - ich meine, das ist das Wichtigste - eindeutige Prioritäten in der Justiz. Wir können nicht, wie es die CDU-Fraktion verlangt, noch mehr Richter und Staatsanwälte einstellen. Wir müssen die Ressourcen zielgerichtet einsetzen. Zielgerichtet heißt für mich, dass der Schutz von Leben, Gesundheit und sexueller Selbstbestimmung absoluten Vorrang haben muss, dass es eben nicht geht, derartige Personalressourcen für die Verfolgung von Gelegenheitskiffern, von Ladendieben und der vielen Bagatelldelikte zu binden, sondern dass wir in den Bereichen und Dezernaten für Kapitalverbrechen personelle Verstärkung brauchen. Herr Minister, wenn eine Frau Anfang des Jahres gegen ihren Vergewaltiger An
zeige erstattet, dann darf es nicht bis zum August dauern, bis Anklage erhoben wird,
obwohl das OLG sagt, dass es kein besonders schwieriger und besonders umfangreicher Fall war. Noch nicht mal im Oktober hat ein Hauptverhandlungstermin stattgefunden. Solche Verfahren müssen zügig und mit klarer Priorität abgewickelt werden.
Sie werden natürlich immer wieder betonen: Wir sind ja schon spitze, in Niedersachsen läuft es schnell. Die tägliche Beobachtung ist eine andere. Es gibt immer wieder diese krassen Ausreißer, bei denen man sich fragt: Warum war das eigentlich denkbar und möglich? Gerade in diesen Fällen leidet das Vertrauen der Bevölkerung, dass diese elementaren Rechtsgüter von Ihnen sachgerecht wahrgenommen werden.
Ich glaube nicht, dass es viel hilft, symbolisch an der Spitze einen Kopf zu wechseln. Wir brauchen Veränderungen in der Justiz. Das, was Sie vorhaben, Herr Pfeiffer, führt nach meiner Einschätzung in die falsche Richtung. Es nützt nichts, den Ball in Richtung Berlin zu spielen. Sie müssen im eigenen Laden arbeiten und aufräumen. Da erwarte ich von Ihnen Ergebnisse. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Gabriel, wenn Sie sich noch etwas mehr als Hobbyjurist betätigt und auf der CD weiter herumgesurft hätten, hätten Sie vielleicht noch zwei weitere Feststellungen machen können.
Erstens. Die beschleunigte Bearbeitung von Haftsachen folgt aus unserer Verfassung und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das heißt, so einfach ist es gar nicht, hier noch ein paar Monate anzuhängen.
Zweitens. Diese Regelung schützt nicht nur Täter, sondern sie ist auch im Interesse der Opfer, die dann eben nicht viele Monate auf die Verhandlung oder auf den Zeitpunkt, an dem sie als Zeuge gebraucht werden und ihre Aussage machen, warten müssen.
Die Justiz braucht den Druck des § 121, dass im Normalfall ein solches Verfahren in einem halben Jahr vernünftig abgearbeitet werden kann. Da, wo das nicht geht, ist ja heute schon in hunderten von Fällen die Untersuchungshaft über diese sechs Monate hinaus verlängert worden.
Der zweite Unterschied, Herr Gabriel: Es stimmt, es gibt bundesweit hunderte von Aufhebungen. Nur, in Niedersachsen gibt es eine Besonderheit: Wir haben eine Tote infolge dieser Aussetzung.
Das hat es bisher, soviel ich weiß, in der deutschen Justiz noch nicht gegeben.
Sie haben ausschnittweise Etappen des Verfahrens dargestellt. Ich glaube, Herr Ministerpräsident, Ihre Darstellung war etwas unvollständig. Sie haben darauf hingewiesen, dass der Haftbefehl Mitte April außer Vollzug gesetzt worden ist. Aber er ist schon relativ kurze Zeit später durch eine einstweilige Unterbringung wieder abgelöst worden. Es gab dann eine Invollzugsetzung des Haftbefehls. Es bleibt die Kritik der Richter am OLG - die es sich mit dieser Entscheidung wahrscheinlich nicht leicht gemacht haben -, dass hier zügiger und schneller hätte gearbeitet und beispielsweise die Anklage schon hätte vorbereitet werden können.
In einem Punkt haben Sie, Herr Gabriel, allerdings Recht: Ein Justizminister der CDU ist keine Garantie dafür, dass Derartiges nicht passiert.
In Hamburg wurde Ende Februar dieses Jahres ein mutmaßlicher Kinderschänder, der sich an zwei achtjährigen Jungen vergangen hatte, nach sechsmonatiger U-Haft freigelassen, weil auch dort vermeidbare Verfahrensfehler vorgekommen sind. Sie wissen, wer in Hamburg Justizsenator ist und welche rechts- und innenpolitische Linie der Hamburger Senat fährt.
Das ist keine Garantie. Aber eines, Herr Pfeiffer, geht nicht - bei aller kritischen Sympathie und Unterstützung, die wir Ihnen in vielen Fragen entgegengebracht haben; ich habe Ihnen das schon im letzten Plenum gesagt -: Es geht nicht, Herr Pfeiffer, dass immer wieder die anderen schuld sind.
Als die sächsische Stadt Sebnitz wegen des Todes des sechsjährigen Josef Abdullah in Verruf geriet, waren die Medien schuld - nicht ein uns gut bekannter Kriminologe und Wissenschaftler. Als Sie Ihre Auftritte in Stadthagen hatten, waren es die
Lehrer, die bei prügelnden Schülern wegschauen, da war es die Stadt, die Kinder in Nachmittagsgruppen abdrängt und die Sprachförderung nicht so betreibt, wie es zu erwarten ist, und da waren es türkische Eltern mit ihrem Machoverhalten, aber nicht das Land, nicht die Justiz. Auch hier beim Beispiel Lüneburg ist es so. Da sagen Sie: Erstens. Das OLG hat falsch entschieden. Ich darf das als Minister zwar nicht so laut sagen, aber die Entscheidung ist falsch. Die hätten anders entscheiden können und entscheiden sollen.
Zweitens. Der Täter ist schuld, dass er auf freien Fuß gekommen ist. Hätte er mitgemacht, dann wäre er in der Zelle geblieben. - Das ist eine absurde Vorstellung, Herr Minister.
Drittens. Schuld hat die Gesetzeslage, dann müssen die in Berlin das ändern.
So geht es nicht. Ich habe aber trotzdem Vertrauen in Ihre Lernfähigkeit, Herr Minister. Ich will nicht, dass Sie Ihr Amt vorläufig niederlegen und Urlaub machen. Ich will auch nicht, dass Sie nach einem Ausflug in die Politik wieder in Ihr Institut zurückkehren. Ich habe, ehrlich gesagt, zwei Erwartungen an Sie: dass Sie erstens deutlich sagen - das haben Sie in den letzten Tagen nicht getan - „In der Justiz des Landes Niedersachsen ist ein schwerer Fehler passiert, und ich fühle mich dafür auch persönlich verantwortlich“,
und dass Sie zweitens deutlich sagen „Ich, Minister Pfeiffer, werde alles dafür tun, dass sich so etwas wie in Lüneburg nicht wiederholt; ich will jetzt nicht weiter kommentieren, ich will auch nicht das Thema nach Berlin abgeben, sondern ich will selber die Justiz so reformieren, dass so etwas nicht passieren kann“.
Wenn Sie auf ein Frühwarnsystem hinweisen, dann muss ich Ihnen sagen: Das mag es ja geben, aber offenbar hat es, wenn man das Resultat nach dem Ereignis betrachtet, nicht funktioniert. Das ist nun einmal der Fakt.
Herr Minister, Sie sind ja ein belesener Mann. Sie kennen die elfte Feuerbach-These, es komme nicht darauf an, die Welt immer nur verschieden zu interpretieren - wir alle neigen ein bisschen dazu -, sondern sie zu verändern. Genau diese Erwartung haben wir an Sie, dass Sie dies tun und diese Konsequenzen aus dem Ereignis ziehen. Aus diesen Gründen werden wir dem Antrag der CDUFraktion an diesem Punkt nicht zustimmen können, weil die CDU-Fraktion ihre gesammelten justizpolitischen Forderungen in diesem Bereich, die in vielen Punkten nichts, aber auch gar nichts mit diesem Fall zu tun haben, zusammengerührt hat. Dem können wir unsere Stimme nicht geben. Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alles wird immer schlimmer, und es muss endlich etwas grundlegend Wirksames geschehen. Die Polizei kommt mit dem zunehmenden Verbrechen nicht mehr zurecht. Die Justiz ist lasch; sie lässt die Polizei im Regen stehen. Die Polizei wird durch überflüssige, enge Gesetzesregelungen in ihrer Wirksamkeit gehindert. Kein anständiger Mensch kann sich nachts mehr auf die Straße trauen, ohne Angst zu haben, angepöbelt, überfallen oder gar ermordet zu werden. Keine deutsche Frau kann abends aus dem Haus gehen, vor allen Dingen in Großstädten, wenn sie sicher sein will, einer Vergewaltigung zu entgehen. Schuld daran sind offenbar Alt-68er, Gutmenschen, Bedenkenträger und Jürgen Trittin, schuld sind vor allem die SPD-Fraktion in Hannover und Rot-Grün in Berlin.
Worum handelt es sich? - In der klinischen Psychiatrie, Herr Biallas, hat man für ähnliche Weltbilder ziemlich eindeutige Diagnosen, die ich mit Rücksicht auf die Ordnung dieses Hauses nicht wiederholen will.
In der klinischen Psychiatrie ist kennzeichnend, dass man diesen Menschen leider nicht mit Fakten beikommen kann, weil sie alles, aber auch wirklich alles in dieses geschlossene Weltbild integrieren. Wer das infrage stellt, ist eben Teil dieser Verschwörung.
Sie schreiben in Ihrem Aktionsprogramm - nur als ein Beispiel -: Es ist alarmierend, dass gerade in Bereichen, die den persönlichen Sicherheitsbereich der Bevölkerung besonders betreffen, die Zahl der Straftaten gestiegen ist. - Dann schauen wir einmal in den Bericht über die innere Sicherheit, der sehr detailliert die Sicherheitslage im Land über mehrere Jahre hinweg darstellt. Wenn Sie da einmal hineingeschaut hätten, Herr Kollege Biallas, dann hätten Sie, im Gegensatz zu den Feststellungen in
Ihrem Antrag, interessante Beobachtungen gemacht.
Der sexuelle Kindesmissbrauch ist seit 1992 rückläufig, die Aufklärungsquote konnte von 65 auf 81 % gesteigert werden. Der Handtaschenraub hat sich von 1993 mit 801 Fällen bis 2001 mit 405 Fällen halbiert. Die Straftaten gegen das Leben sind auf gleich bleibend niedrigem Niveau geblieben, nämlich bei 0,07 %.
Diebstähle aus Wohnungen von 1993 bis 2001 minus 40 %; Wohnungseinbrüche am Tage von 1996 bis 2001 minus 50 %. Die Diebstahlsdelikte insgesamt sind seit 1992 kontinuierlich rückläufig.
Fazit für uns: Niedersachsen ist ganz überwiegend ein sicheres Land. Es gibt, Herr Kollege Biallas, nach wie vor bei uns im Lande Gegenden, in denen Sie tagsüber nicht verschlossene Häuser finden. Niedersachsen ist ein Land, in dem Polizei und Justiz - bei aller Kritik, die man im Einzelfall üben kann - ganz überwiegend gute Arbeit leisten. Die Vorschläge, die Sie in Ihrem Aktionsprogramm vorgelegt haben, von dem ich den Eindruck habe, dass Sie - das ist vielleicht ganz praktisch – Ihr Wahlprogramm als Entschließungsantrag zur inneren Sicherheit dem Landtag vorlegen, machen in der Summe Niedersachsen nicht sicherer, aber unfreier und weniger finanzierbar.
Ich will versuchen, das an einigen Beispielen kurz deutlich zu machen:
Sie wollen 1 000 zusätzliche Polizeibeamte einstellen und verraten uns nicht, wie Sie diese bezahlen wollen. Sie wollen ein EDV-Netzwerk zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Von einem Trennungsgebot und von dem Sinn, den es vielleicht haben könnte, diese beiden Bereiche zu trennen, haben Sie offenbar bisher nichts gehört. Und die Erfahrungen, die wir in Deutschland mit der Kombination von Nachrichtendienst und Polizei auch schon einmal gemacht haben, haben Sie offenbar auch völlig vergessen.
Sie wollen dem Verfassungsschutz klassische Polizeiaufgaben zuweisen, nämlich die Vorfeldaufklärung bei der organisierten Kriminalität.
Sie haben blindes Vertrauen in die Technik. Sie setzen auf biometrische Gesichtsfelderkennung,
ein Verfahren, das erstens gar nicht funktioniert, zweitens sehr aufwändig ist und drittens Straftaten von erheblicher Bedeutung nicht verhindert. Mohamed Atta, um ein Beispiel zu nennen, hatte einen gültigen ägyptischen Pass und stand auf keiner einzigen Fahndungsliste. Da hilft Ihnen auch der Gesichtsfelderkenner am Flughafen nichts.
Sie wollen Ihre Dauerbrenner geschlossene Heimunterbringung für Kinder und Jugendliche, nachträgliche Sicherungsverwahrung - all das, was wir in den vergangenen Plenarsitzungen immer wieder diskutiert haben.
Ich probiere es noch einmal. Vielleicht ist es so besser.
Sie wollen offenbar die DNA-Analyse für Ladendiebe, Schwarzfahrer, Cannabiskonsumenten sowie Alkoholsünder und erwarten - geradezu hellseherische Fähigkeiten -, dass solche Menschen erhebliche Straftaten begehen werden. Ein teurer und im Ergebnis kontraproduktiven Datenmüll! Sie wollen Menschen abschieben bei Freiheitsstrafen von einem Jahr
- über einem Jahr, also meinetwegen einem Jahr und einem Monat -, die vielleicht ihr ganzes Leben hier verbracht haben, deren Eltern schon hier gelebt haben, die ihre gesamte Familie hier haben.
Sie wollen Mitglieder islamistischer Vereinigungen abschieben ohne Rücksicht darauf, ob ihnen konkrete Gewalttaten nachgewiesen werden können. Was ist eigentlich, Herr Kollege Möllring, wenn diese Mitglieder nicht Ausländer, sondern Inländer sind? Schieben Sie die auch ab?
Was ist eigentlich mit denen, die vielleicht islamistischen Überzeugungen anhängen, aber bisher in keiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten sind? Wollen Sie die auch abschieben? Wollen Sie eigentlich, Herr Möllring, diese Menschen auch in Länder abschieben, in denen ihnen Verfolgung und Folter drohen?
Sie wollen außerdem im Bereich der Drogenpolitik die flächendeckende Ausgabe von Brechmitteln gegen Drogendealer - eine Maßnahme, die außerhalb von Osnabrück bis heute kein niedersächsischer Polizeipräsident vermisst hat, weder in Braunschweig noch in Lüneburg noch in Hannover oder in Oldenburg.
Sie wollen noch mehr Telefonüberwachungen in einem Land, das ohnehin im internationalen Vergleich in der Zahl und Häufigkeit von Telefonüberwachungen schon Spitze ist.
Im Polizeirecht, Herr Kollege Biallas, verharren Sie auf den Diskussionen der 80er-Jahre. Da geht es schon wieder - wie seit vielen Jahrzehnten - um das angebliche Fehlen des finalen Rettungsschusses im Polizeigesetz.
- Es hat bisher keiner in Niedersachsen diese Regelung vermisst. Es gibt dazu eine ausreichende Rechtslage. - Sie wollen die Rückkehr zum überholten Ordnungsbegriff. Aber wenn man in der Ausschusssitzung fragt, ob Sie ein praktisches Beispiel wissen, wo der Ordnungsbegriff wirklich
gebraucht worden wäre, dann fällt Ihnen nichts ein. Da verweisen Sie auf Situationen und Tatbestände, die in Niedersachsen wirklich längst alle geregelt sind - eine Regelungsflut, die Sie bei anderer Gelegenheit immer wieder beklagen. Sie haben sich vielleicht - -
Vielleicht versucht Herr Schünemann, sich für den Sheriffstern zu qualifizieren. Aber sicherer wird dieses Land mit diesem Mischmasch, diesem Sammelsurium von „ollen Kamellen“ und von Sicherheitsfantasien weiß Gott nicht. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede dieser schrecklichen Taten ist genau eine Tat zu viel. In diesem Punkt sind wir uns alle einig. Aber, Herr Wulff, wir sind es den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, dieses Thema redlich zu diskutieren und nicht etwa von Opferschutz zu reden und an Wählerstimmen zu denken. Und genau diese Redlichkeit, Herr Wulff, habe ich in Ihrem Beitrag vermisst. Ich kann das auch an einigen Punkten deutlich machen.
Herr Wulff, Sie haben in Ihrem Beitrag verschwiegen, dass die Zahl der Sexualmorde an Kindern und Jugendlichen seit Jahren stark rückläufig ist.
Sie haben in Ihrem Beitrag nicht deutlich gemacht, dass die Rückfalltäter, die Sie angesprochen haben, nach der Gesetzeslage, die Rot-Grün geschaffen hat, in Sicherungsverwahrung wären. Es war die CDU, die jahrelang keinen Handlungsbedarf gesehen hat, selbst zu Zeiten, als die Täterzahlen noch deutlich höher waren.
Sie haben in Ihrem Beitrag verschwiegen - obwohl Sie es eigentlich besser wissen müssten, da Sie ja Berufskollege sind -, dass Ihr Modell der nachträglichen Sicherungsverwahrung ohne jeden Vorbehalt schwierige Fragen im Bereich der Doppelbestrafung und des Rückwirkungsverbotes aufwirft, und Sie haben in Ihrem Beitrag mit Ihrer Forderung, den sexuellen Missbrauch von Kindern als Verbrechen einzustufen, nicht deutlich gemacht, dass alle Fälle, die uns praktisch vor Augen stehen, ohnehin schon als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern als Verbrechen unter Strafe gestellt sind und der kleine Restbereich, der da noch bleibt, beispielsweise auch einverständliche Liebesbeziehungen zwischen 13- und 15-Jährigen erfasst.
Herr Wulff, Sie haben in Ihrem Beitrag auch verschwiegen, dass es die rot-grüne Regierung war, die die Telefonüberwachung bei schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern eingeführt hat. Die CDU/FDP hat jahrelang nichts getan und keinen Handlungsbedarf gesehen.
Sie haben in Ihrem Beitrag auch nicht deutlich gemacht, Herr Wulff, dass der genetische Fingerabdruck zur Aufklärung von Straftaten ohnehin in jedem Verfahren möglich ist und wir nur über den Kreis derer sprechen, die präventiv in die Gendatei mit einbezogen werden. Da bewegt sich die Gesetzesfassung heute schon am Rande dessen, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung noch für verfassungskonform erklärt hat. In der Gesamtzahl ist die Erfassung von 800 000 Tätern möglich. Mitte 2001 waren erst 125 000 erfasst. Das heißt, das Gesetz lässt schon sehr viel mehr zu. Es liegt an den Ländern, dieses Gesetz auszufüllen.
In Ihrem Beitrag haben Sie auch nicht deutlich gemacht, Herr Wulff, dass der Fall aus BadenWürttemberg, den Sie geschildert haben, in der Tat ein Beispiel dafür ist, dass Gerichte und nicht Politiker Urteile sprechen. Das Gericht in BadenWürttemberg hat damals offenbar gute Gründe gesehen, diesen dreifachen Mörder nach Jugendstrafrecht und eben nicht nach Erwachsenenstrafrecht abzuurteilen.
Sie haben in Ihrem Beitrag auch nicht deutlich gemacht, Herr Wulff, dass wir bei der lebenslangen Freiheitsstrafe von einer Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren sprechen. Das Gesetz hindert niemanden daran, die Strafe länger zu vollstrecken. Auch das sind Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Sie wissen das alles. Das ist ja das Problem, Herr Wulff. Sie haben genau dieselben Vorlesungen wie ich gehört. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - irgendwie müsste es da bei Ihnen klicken - müssen auch Mörder in Haft eine Perspektive haben. Das verlangt die Ordnung unseres Grundgesetzes.
Wir haben gestern schon über das Heranwachsendenstrafrecht gesprochen. Ich will das an dieser Stelle nicht wiederholen, Herr Wulff. Ich schenke Ihnen eine Freikarte für den nächsten Deutschen Juristentag. Es kann ja sein, dass Sie genauso wie ich ab März als Anwalt arbeiten müssen. Das ist ein wunderschöner Beruf. Aber ich glaube, dafür müssen Sie noch etwas tun. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit nur einem Satz auf das Argument des Kollegen Stratmann eingehen. Wir sind uns ja darüber einig, lieber Kollege, dass jede Straftat eine Straftat zu viel ist. Ganz eindeutig. Welchen Schluss aber ziehen wir daraus, dass die Zahl der
Taten in den letzten Jahren stark rückläufig ist? Waren die bisherigen Strategien im Umgang mit diesem Täterkreis erfolgreich oder nicht? - Mein Schluss ist: Das, was passiert ist, war offensichtlich nicht ganz falsch. Rot-Grün hat die notwendigen Nachbesserungen vorgenommen. Wir haben es im Einzelnen dargelegt. Was Sie wollen, leuchtet mir aber nicht ein. Es ist auch durch Ihren Beitrag nicht einleuchtender geworden. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bewertet die Landesregierung die Erklärung des Kollegen Reckmann, es gebe u. a. deshalb rein deutsche Kindergartengruppen in Stadthagen, weil die Orte, die auch von Herrn Pfeiffer genannt worden sind, überwiegend von Deutschen bewohnt werden - wie Obernwöhren und Wendthagen -, sodass es nicht verwundert, dass dort kaum ausländische Kinder sind?
Frau Ministerin, bekanntlich sieht das Sprachförderungskonzept nach dem Zuwanderungsgesetz vor, dass das Land für die Finanzierung der 300 Aufbaustunden zuständig ist. Nun sollen diese 300 Stunden vollständig und ohne jede Mittelerhöhung aus dem bisherigen Ansatz für die Erwachsenenbildung finanziert werden. Ich frage: Welche Auswirkungen hat das auf die Träger der Erwachsenenbildung und auf ihr bisheriges Angebot?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Entschließungsantrag fordert die CDUFraktion eine Gegenreform zu einem Jugendstrafverfahren, das sie selbst jahrzehntelang gestaltet und mitverantwortet hat und zu dem sie bis 1998 keinen größeren Änderungsbedarf gesehen hat. Sie, Herr Kollege Biester, müssen mir einmal erklären, was sich seit 1998 geändert hat außer der Tatsache, dass die Jugendkriminalität nicht weiter angestiegen ist und Sie in Bonn bzw. Berlin verdientermaßen in die Opposition geschickt worden sind.
Meine Damen und Herren, der Rechtsausschuss hat zu diesem Antrag eine umfassende Anhörung von Praktikern und Wissenschaftlern durchgeführt. Nach dieser Anhörung hatte ich eigentlich erwartet, dass die CDU-Fraktion ihren Antrag zurückzieht; so allein stand sie da mit ihren Forderungen. Sie, Herr Kollege Biester, müssen wohl aber bei einer anderen Anhörung gewesen sein; denn Sie haben hier eben erklärt: Mag ja sein, dass die Theoretiker mit ihrem 68er-Gerede an alten Illusionen eines Reformjugendstrafrechts festhalten, aber die Praktiker. Wir haben z. B Frau Oberstaatsanwältin Hopf - Leiterin der Abteilung Ju
gend bei der Staatsanwaltschaft Hannover - angehört, die die Forderung der CDU-Fraktion nach Abschaffung des Heranwachsendenstrafrechts und die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf junge Menschen zwischen 18 und 21 Jahren entschieden abgelehnt hat. Ist das eine Theoretikerin, Herr Kollege Biester?