Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

Meine Damen und Herren, guten Morgen!

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsi- dent!)

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 17, den Dringlichen Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.

Die heutige Sitzung soll gegen 19.50 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Von der Landesregierung hat sich Herr Justizminister Professor Dr. Pfeiffer - ab 11 Uhr - entschuldigt. Ferner haben sich entschuldigt von der Fraktion der SPD Herr Endlein und Herr Mientus sowie von der Fraktion der CDU die Herren Abgeordneten Koch - vormittags - und Meier.

Wir kommen damit zu

Tagesordnungspunkt 17: Dringliche Anfragen

Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor: a) Landesregierung drängt niedersächsische Kommunen in rechtswidrige Kassenkredite - Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 14/2557 - und b) Studie über Gesundheitsrisiken durch Massentierhaltung verschleppt? - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drucksache 14/2558.

Sie wissen, dass nach den Spielregeln jeder Abgeordnete bis zu zwei Zusatzfragen stellen darf; zu zählen sind die einzelnen Fragen. Die Zusatzfragen

sollen knapp sein, sie müssen zur Sache gehören und dürfen die Frage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Vor allem dürfen die Zusatzfragen nicht verlesen werden.

Ich rufe auf:

a) Landesregierung drängt niedersächsische Kommunen in rechtswidrige Kassenkredite - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/2557

Wer bringt die erste Dringliche Anfrage ein? - Herr Abgeordneter Schünemann!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit sieben Jahren kürzt die SPDLandesregierung die Finanzmasse des kommunalen Finanzausgleichs um jährlich rund 1 Milliarde DM im Vergleich zu dem bis 1990 geltenden Finanzausgleichsgesetz. In der Folge werden die niedersächsischen Kommunen seit Jahren gezwungen, massive Einsparungen zulasten der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger vor Ort vorzunehmen, durch einen rigiden Investitionsabbau die örtliche Wirtschaft zu schwächen und eigene Liegenschaften und Vermögen zu veräußern. Die Belastungsgrenze vieler Kommunen ist bereits überschritten. Diese Eingriffe in die kommunalen Kassen, die gleich zweimal für verfassungswidrig erklärt worden sind, haben im Ergebnis dazu geführt, dass die niedersächsischen Kommunen massiv dazu gedrängt werden, kommunale Kassenkredite aufzunehmen.

Der Anstieg der kommunalen Kassenkredite von 71 Millionen DM im Jahre 1991 auf 2,752 Milliarden DM im Jahre 2000 zeigt die enorme Finanznot der niedersächsischen Kommunen. Viele der niedersächsischen Kommunen sind nicht in der Lage, die in Anspruch genommenen Kassenkredite im Zeitraum von zwei Jahren zurückzuführen. Faktisch werden diese durch immer neue, höhere Kassenkredite ersetzt. Damit werden Kassenkredite rechtswidrig als langfristiges Verschuldungsinstrument in Anspruch genommen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie hoch war der Stand der Kassenkredite der niedersächsischen Kommunen zum 1. Juni 2001?

2. Wie viele niedersächsische Kommunen, deren Kassenkredite mehr als ein Sechstel des Volumens des Verwaltungshaushalts ausmachen, nehmen mit Stichtag 31. Dezember 2000 Kassenkredite seit mehr als zwei Jahren in Anspruch?

3. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Landesregierung kurzfristig zu ergreifen, um die faktisch rechtswidrige Inanspruchnahme von Kassenkrediten durch niedersächsische Kommunen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren zu beenden?

(Beifall bei der CDU)

Für die Landesregierung antwortet Herr Innenminister Bartling.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal darauf hinweisen - ich habe das auch schon bei der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage des Kollegen Eppers getan, meine Damen und Herren, die man durchaus nachlesen kann -, dass die Kassenkredite für die Beurteilung der finanziellen Situation einer Kommune nur eine eingeschränkte Aussagekraft haben.

(Frau Zachow [CDU]: Eine ganze Menge!)

- Vielleicht lassen Sie mich das einmal kurz erläutern; dann können wir gern darüber diskutieren. Sie drücken lediglich aus, meine Damen und Herren - das wollte ich gern noch einmal deutlich machen -, in welchem Maße die bis zum Stichtag kassenmäßig eingegangenen Einnahmen nicht dem gegenwärtigen Liquiditätsbedarf entsprechen. Sie bieten allerdings keine Aussage über den Haushaltsausgleich in der Jahresrechnung. Unberücksichtigt bleiben dabei nämlich wichtige Kennzahlen, beispielsweise die noch nicht aufgenommenen Investitionskredite und die Außenstände wie auch die nicht in den Kassenbestand einbezogenen Rücklagen. Ebenso bleiben die noch anstehenden Ausgabeverpflichtungen außer Betracht. Daran wird deutlich, dass ein Kassenkredit durchaus hoch erscheinen kann, obwohl es der Gemeinde möglicherweise gut geht. Umgekehrt kann der Kassenkredit niedrig ausfallen, obwohl die Gemeinde in Wirklichkeit große finanzwirtschaftliche Schwierigkeiten hat.

Das wäre - wenn ich mir diesen Vergleich einmal erlauben darf, meine Damen und Herren - so, als wenn ich Sie bitten würde, in Ihr Portemonnaie zu schauen und per Handy Ihren Kontostand abzufragen, und ich dann das, was Sie dann vorfinden oder nicht vorfinden, zum Maßstab Ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit machte.

(Heiterkeit)

Sie würden mir sofort vorhalten, dass ich noch an ganz andere Dinge zu denken hätte, wenn ich Ihre finanzielle Situation richtig einschätzen wollte. Es wäre also zu kurz gedacht, wenn ich dies zur Grundlage der Beurteilung machen würde.

Der ausschließliche Blick auf die Kassenkredite lässt eine seriöse Einschätzung der kommunalen Finanzsituation, die auch nicht auf eine bloße Addition von Liquiditätsengpässen reduziert werden darf, nicht zu. Die Kommunalaufsichtsbehörden würden also leichtfertig handeln, beurteilten sie die Finanzlage einer Kommune nur nach der Höhe der Kassenkredite. Maßgeblich ist vielmehr die dauernde Leistungsfähigkeit der Kommunen unter Berücksichtigung noch nicht abgedeckter Sollfehlbeträge aus Vorjahren, verbunden mit einer Prognose über die tatsächlichen und zeitlichen Möglichkeiten zum Haushaltsausgleich durch Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen.

Sie behaupten in dem Text Ihrer Anfrage, meine Damen und Herren, Kassenkredite als langfristiges Finanzierungsinstrument seien rechtswidrig. Zunächst einmal ist ein Kassenkredit als rechtswidrig einzustufen, der einen in der Haushaltssatzung festgesetzten Kassenkredithöchstbetrag überschreitet. Solche Sachverhalte hat die Fraktion der CDU in der Dringlichen Anfrage weder dargestellt noch belegt. Die Kommunen, die Kassenkredite in Anspruch nehmen müssen, tun das also aufgrund einer rechtsgültigen Haushaltssatzung, die von der Kommunalaufsichtsbehörde genehmigt worden ist. Werden alte Kassenkredite nach Ablauf der dafür vorgesehenen kurzen Fristen mit neuen Kassenkrediten zurückgezahlt, so ergibt sich daraus keine Rechtswidrigkeit. Ein solches Verhalten beansprucht aber besondere Aufmerksamkeit und muss in die Betrachtung und Bewertung des mittel- bis langfristigen Schuldenstandes der Kommune einbezogen werden.

Meine Damen und Herren, maßgeblich für das Einnahme- und Ausgabeverhalten der Kommune sind die Einnahme- und Ausgabenansätze des

rechtsgültigen Haushaltsplans. Nur daraus ergeben sich die kassenmäßigen Ausgabeverpflichtungen und Einnahmeforderungen. Entsteht aus den Haushaltsveranschlagungen am Jahresende ein Sollfehlbetrag, so ist er spätestens nach zwei Jahren - wenn das nicht gelingt, im Rahmen einer planmäßigen Haushaltskonsolidierung aus dem Haushalt durch Mehreinnahmen oder Minderausgaben - abzudecken. In diesem Maße vermindern sich dann auch Kassenkreditbedarfe.

Bei Prüfung der Genehmigungsfähigkeit eines Kassenkredithöchstbetrags ist einzubeziehen, dass die Kommune in der Lage bleiben muss, die finanziellen Verpflichtungen aus ihren Pflichtaufgaben erfüllen zu können, auch wenn die Kassenkreditzinsen den Haushaltsfehlbetrag belasten und auch wenn die dauernde finanzielle Leistungsfähigkeit nicht mehr als gegeben angesehen werden kann. Es ist Pflicht des Landes, die Kommunen nicht bei ihrer kommunalen Aufgabenerfüllung, zu der auch die kassenmäßigen Konsequenzen gehören, zu behindern. Folgerichtig sind allerdings äußerste Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage der Fraktion der CDU namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Der Landesregierung liegt kein statistisches Material vor, aus dem der Stand der Kassenkredite der niedersächsischen Kommunen zum 1. Juli 2001 zu erkennen ist. Die letzte statistische Zahl aus der vierteljährlichen Kassenstatistik datiert vom 31. März 2001. Demnach betrugen die Kassenkredite 3,497 Milliarden DM.

(Oh! bei der CDU)

Allerdings muss hierzu bemerkt werden, dass am Ende des ersten Vierteljahres, zu dem gewöhnlich nicht alle die Kassenlage verbessernden Investitionskredite aufgenommen wurden, noch keine sichere Tendenzaussage für das Jahresende möglich ist.

Zu Frage 2: Die Landesregierung verfügt über keine regelmäßig und zeitnah erhobenen Erkenntnisse darüber, wie viele niedersächsische Kommunen in ihren Haushaltssatzungen Kassenkredithöchstbeträge festgesetzt haben, die mehr als ein Sechstel des Volumens des Verwaltungshaushaltes ausmachen. Deshalb könnte diese Frage nur nach einer verwaltungsaufwendigen Sondererhebung beantwortet werden, die kurzfristig nicht durchführbar ist.

Zu Frage 3: Ich habe bereits ausgeführt, meine Damen und Herren, dass ich weder rechtlich noch faktisch rechtswidrige Inanspruchnahmen von Kassenkrediten durch die niedersächsischen Kommunen sehe. Sehr ernst zu nehmen sind allerdings die Schwierigkeiten der Kommunen, die anerkanntermaßen seit langem als besonders strukturschwach gelten und infolgedessen auf Dauer auf Bedarfszuweisungen angewiesen sind und deren finanzielle Leistungsfähigkeit durch Kassenkreditzinsen noch mehr erschwert wird.

Im Rahmen des Sanierungsprogramms für die Oberharzer Fremdenverkehrsgemeinden unter dem Stichwort „Harz-Strukturkonferenz“ wird versucht, langfristig unter Einbeziehung aller Beteiligten die dauerhafte finanzielle Leistungsfähigkeit betroffener Kommunen wieder herzustellen und die Aufsichtspraxis noch stärker auf eine planmäßige und kontrollierte Haushaltskonsolidierung zu konzentrieren. – Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Zu einer Zusatzfrage hat sich der Abgeordnete Biallas gemeldet. - Dann Herr Althusmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass Sie eben vorgetragen haben, dass es Kommunen geben soll - die mir nicht bekannt sind, aber Ihnen vielleicht -, die Kassenkredite aufnehmen, aber gleichzeitig wohlhabend sind, wäre eigentlich der Tatbestand erfüllt, dass die laufenden gesetzlichen Aufgaben nicht erfüllt werden können und deshalb Kassenkredite aufgenommen werden. Von daher wäre es sehr interessant, wenn Sie uns diese Kommunen einmal nennen würden; denn es kann sich nicht um viele handeln.

Herr Bartling!

Herr Biallas, die Frage kann ich Ihnen momentan nicht aus dem Stegreif beantworten, aber der von Ihnen geschilderte Tatbestand ist durchaus möglich.

(Frau Zachow [CDU]: Den haben Sie geschaffen, den Tatbestand!)

Eine wohlhabende Kommune, die in einen Liquiditätsengpass gerät und einen Kassenkredit aufnimmt – das gibt es durchaus. Ich gebe aber gerne zu, dass es in Niedersachsen nicht sehr viele wohlhabende Kommunen gibt.

Herr Althusmann! - Danach Herr Eveslage.

Herr Minister Bartling, wollen Sie allen Ernstes bestreiten, dass den niedersächsischen Kommunen das Wasser bis zum Hals steht, dass insbesondere das Ansteigen des Kassenkreditvolumens ein Hinweis darauf ist und dass dies vor allem deshalb der Fall ist, weil die kommunalen Prüfungsämter insbesondere das Kassenkreditvolumen zu einer Grundlage der Prüfung machen?

(Zuruf von der SPD: Was prüfen sie denn?)