Herr Wulff, ich weiß inzwischen auch nicht mehr, wer aus Ihrem Laden - Entschuldigung, dass ich das einmal so sage - eine Stellungnahme abgibt, auf die man sich verlassen kann, und wer dafür zuständig ist, eine Stellungnahme sozusagen wieder einzufangen. Was Sie machen, ist doch ein Wahlkampf der Murmeltiere: Sie gucken immer einmal kurz aus dem Loch, und wenn man Sie schnappen will, sind Sie wieder in Deckung gegangen. Das ist es doch, was Sie da organisieren.
Ich bin froh, dass Sie wenigstens den Mut haben, hierher zu kommen und zu sagen: 3 x 40 ist wirklich unser Ziel. Manchmal hat man ja Zweifel, ob das gilt. Herr Wulff, ich will Ihnen dann aber einmal eine Rechnung aufmachen. Allein eine Staatsquote von 40 % heißt Einsparungen von 170 Milliarden pro Jahr. Der ganze Bundeshaushalt hat nur 250 Milliarden. Was wollen Sie denn nun machen? Wollen Sie die Rentenkasse völlig plündern? Wollen Sie aus der Krankenversicherung aussteigen? Wollen Sie den Bundeshaushalt mehr als halbieren?
Sie versprechen den Leuten permanent Mehrausgaben, Familiengeld und vieles andere mehr. Sie versprechen auch den Kommunen vieles, wollen aber gleichzeitig die Steuern, Sozialabgaben usw. senken. Wer das macht, muss Mathe in der PISASchule gehabt haben!
Sie führen doch die Öffentlichkeit vor. Sie wissen doch, dass das nicht funktioniert. Wenn das Wahrheit würde, müsste jedes Bundesland - vermutlich sogar Bayern - Konkurs anmelden. Es ist doch das Problem, dass Sie den Leuten mehr versprechen, als jemals jemand halten kann. Daran werden wir Sie messen.
Als Nächstes lassen Sie Herrn Späth auf dem Bundesparteitag reden. Für ihn ist Deregulierung so etwas Ähnliches wie ein Breitbandantibiotikum gegen die Globalisierung: Weg mit dem Kündigungsschutz - mit all dem, was zu den Kündi
Sie sagen in einem Zeitungsinterview, dass Sie nicht mehr an die Lohnfortzahlung herangehen wollen. Wem sollen wir denn nun glauben? - Sie haben am Mittwoch einen Beweis dafür geliefert, dass man Ihnen beim Thema Arbeitnehmerschutz nicht über den Weg trauen kann.
Sie haben öffentlich erklärt: Wir wollen die Menschen schützen. Wir wollen dem Gesetzentwurf der Landesregierung und der SPD-Fraktion zustimmen.
- Nein, nein. Er hat den Leuten bei der IHK geschrieben: Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Das gibt es schriftlich. Aber was haben Sie gemacht? - Sie haben dagegen gestimmt, meine Damen und Herren! Das ist die Wahrheit Ihrer Politik.
Sie machen die Arbeitnehmer zu Schachbrettfiguren auf dem Schachbrett von Finanzinvestoren. Das ist das, was Sie wollen.
Sie schützen nicht die anständigen Handwerksmeister, die Sozialabgaben und Steuern zahlen und keine Leute illegal beschäftigen. Diese Handwerksmeister lassen Sie im Regen stehen. Sie haben aber wenige Wochen zuvor das Gegenteil behauptet. Das ist die Realität der Politik der CDU, wenn es darum geht, den Mittelstand zu schützen, meine Damen und Herren!
Ich fand es mutig, dass jemand wie Herr Schleyer, der wahrlich kein Sozialdemokrat ist und es in seinem Leben vermutlich auch nicht werden wird, der Hartz-Kommission und ihrem Bericht zugestimmt hat. Da saßen Vertreter des Mittelstandes, die gesagt haben: Das wollen wir machen, wir wollen einen Aufbruch in Deutschland wagen. Da haben Gewerkschafter gesessen, die gesagt haben: Wir springen über unseren Schatten und machen
etwas, was wir jahrelang nicht gewollt haben. Wir merken, wir kommen nicht weiter bei dem Thema. Jetzt probieren wir alles aus, auch wenn wir Zweifel haben.
Ich erwarte von Politikerinnen und Politikern - auch von Ihnen -, dass sie sagen: Leute, wir haben das nicht in den Griff gekriegt. Wir haben es in unserer Regierungszeit nicht geschafft, und ihr habt es auch nicht vernünftig hinbekommen. Deswegen gibt es jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung. Wir versuchen alles umzusetzen, aber wir diskreditieren uns nicht gegenseitig.
Wir sind dazu bereit, das umzusetzen, was im Papier der Hartz-Kommission steht. Wir sind bereit, dort mitzumachen, wo wir immer Zweifel hatten, um der arbeitslosen Menschen willen. Es wäre gut, wenn Sie das gleiche tun würden. Es wäre ein Beitrag zur politischen Kultur, wenn wir akzeptieren würden, dass wir es 25 Jahre lang alle miteinander nicht geschafft haben und dass deshalb jeder Versuch unternommen werden muss, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Angenommen, Ihre Kritiker hätten Recht, und man könnte durch das Hartz-Papier nur 500 000 Arbeitslose in Lohn und Brot bringen. Sagen Sie mir einmal, was daran schlimm ist! Wieso muss man das dann diskreditieren, meine Damen und Herren?
Ich müsste mich sehr täuschen, wenn das Land Niedersachsen im Bundesrat gegen den hessischen Antrag gestimmt hätte. Ich hoffe, dass es nicht stimmt, was Sie sagen. Nach meinem Kenntnisstand haben wir gesagt, dass wir uns der Stimme enthalten werden, weil das hessische Modell nicht durchgerechnet ist. Wir haben die Hessen gebeten, das Thema weiter zu bearbeiten. Wir blockieren das nicht. Aber wir wollen auch nicht, dass die Blockade von Ihrer Seite kommt.
Ich verstehe, dass Sie hier eine Wahlkampfphilippika halten. Ich wollte Ihnen nur zeigen, dass wir das auch können.
- Meinen Sie, ich weiß nicht, dass ein paar Tage vor der Wahl nichts anderes mehr drin ist als Reden wie Ihre und meine? - Das weiß ich auch.
- Wissen Sie, was ich auch bin? - Ich bin jemand, der sich über intellektuelle Unredlichkeit aufregt.
Sie haben vorhin gesagt, wir würden uns politisch kastrieren. Es stimmt, Ihnen kann das nicht passieren. Man muss nämlich vorher zeugungsfähig sein, damit einem das unterlaufen kann.
- In der Tat. Ich bin relativ stolz darauf, dass ich auf einen groben Klotz auch einen groben Keil setzen kann. Das sage ich Ihnen.
Sie haben die Chance, es den Konservativen in der Hartz-Kommission gleich zu tun, die gesagt haben: Wir wollen zupacken. Wir wollen dieses Problem alle miteinander angehen. Wir wollen jeden Versuch unternehmen und ihn nicht diskreditieren. Sie können es den Gewerkschaften gleichtun. Ich wäre auch froh gewesen, wenn BDI und BDA so flexibel gewesen wären wie die deutschen Gewerkschaften in der Hartz-Kommission, meine Damen und Herren.
Sie gehen immer gegen Mitbestimmung vor. Ich kenne aber keinen Betrieb, der Pleite gegangen ist, weil er einen Betriebsrat hatte. Aber ich wäre manchmal froh, wenn die Eigentümer und Verantwortlichen für die Pleiten am Ende bereit wären, mit ihrem Immobilienvermögen zur Rettung des Betriebes beizutragen, wie das die Arbeitnehme
rinnen und Arbeitnehmer mit Zustimmung der Gewerkschaften durch Verzicht auf Urlaubsgeld, auf Weihnachtsgeld und auf tarifliche Leistungen immer wieder tun. Lassen Sie uns doch auch einmal an deren Verantwortung appellieren.
Hartz schreibt, dass wir es nicht schaffen werden, wenn wir in Deutschland dabei bleiben, dass auf Seite 1 die Politik für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuständig ist und auf Seite 10 beginnend diejenigen stehen, die für die Entlassungen in Deutschland zuständig sind. Es kann nicht sein, dass die Politik auf Seite 1 die Arbeitslosigkeit abschaffen soll und auf Seite 10 steht, wessen Vorstandsgehälter steigen, wenn er wieder 10 000 Leute entlassen hat, meine Damen und Herren. Das geht nicht!
Ich kenne eine Menge Mittelständler in Niedersachsen, die sich sehr schwer tun, auch nur einen einzigen Arbeitnehmer zu entlassen - nicht nur, weil sie ihn als Facharbeiter brauchen, sondern auch, weil sie der Familie, dessen Vater sie gerade arbeitslos gemacht haben, nicht auf dem Marktplatz begegnen wollen. Ich erwarte, dass sich die Vorstände der großen Unternehmen in Deutschland genauso benehmen wie diese Mittelständler.
Peter Hartz hilft in einem Unternehmen mit, damit es wirtschaftlich leistungsfähig ist und trotzdem soziale Verantwortung übernimmt. Das ist der Kern des Hartz-Papiers. Das hat Deutschland in 50 Jahren groß gemacht. Wir müssen nicht über neue soziale Marktwirtschaft reden. Wir müssen uns nur einmal an die alte halten, meine Damen und Herren!