Protokoll der Sitzung vom 30.08.2002

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Um Vorreiter zu sein!)

Für diese 228 Beschäftigten ist das nicht erbärmlich, sondern Arbeit und Brot. Ich finde es unanständig, wie Sie das hier bewerten!

(Beifall bei der SPD - Frau Pawelski [CDU]: Das ist doch lächerlich! Das ist peinlich, was Sie hier abziehen! Das ist büttenreif!)

Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Die von Ihnen bei jeder Gelegenheit bekämpfte Steuerreform - vielleicht erinnern Sie sich einmal daran - ist nur deshalb zustande gekommen, weil CDU-geführte Bundesländer dieser im Bundesrat zugestimmt haben.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Leider! Herr Diepgen ist aber mittlerweile weg!)

Die haben ihr deshalb zugestimmt, weil denen die tatsächlichen Verbesserungen wichtiger waren als

Ihre unseriöse Wahlpropaganda, von der sie nämlich gar nichts hätten.

(Beifall bei der SPD)

Sie versprechen Steuererleichterungen in einer Größenordnung von 29 Milliarden Euro.

(Möllring [CDU]: Das ist doch schon etwas!)

Gleichzeitig wollen Sie Familiengeld in einer Größenordnung von 25 Milliarden Euro einführen. Ihr früherer Bundesfinanzminister sagt dazu:

„Jede Steuersenkung, auch wenn Sie noch so erwünscht ist, muss erwirtschaftet werden, entweder durch Ausgabenkürzungen oder durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.“

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Oder durch Wachstum!)

Das hat Herr Waigel am 8. Juli diesen Jahres gesagt. Da Sie Steuererhöhungen ausschließen, bleibt es bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Es steht auch zwischenzeitlich fest, wie Sie das machen wollen. Roland Koch sagte am 17. Juni: Wir machen das nach dem Vorbild der Petersberger Beschlüsse.

(Möllring [CDU]: Das ist richtig!)

Friedrich Merz sagte am 13. Juli: Wir werden uns in Richtung Petersberg bewegen. Und Herr Möllring sagte gerade: Das ist auch richtig so. Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, was u. a. in den Petersberger Beschlüssen steht: Kürzung der Arbeitnehmerpauschale, Kürzung des Arbeitnehmerpauschbetrages für Werbungskosten,

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sie haben doch den Haushaltsfreibetrag für allein Erziehende gekürzt! Die Schwester von Schröder klagt heute noch!)

Streichung der Steuerfreiheit für Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, Wegfall der Steuerfreiheit für Geburts- und Heiratsbeihilfen - das ist Ihnen natürlich unangenehm -, Einschränkung der Steuerfreiheit für Arbeitnehmerrabatte, Streichung von Lohnersatzleistungen mit 50 % und Kürzung des Arbeitslosengeldes, der Arbeitslosenhilfe, des Schlechtwettergeldes. Das alles haben

Sie in Deutschland schon einmal gemacht. Das Ergebnis waren 4,8 Millionen Arbeitslose, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe - das hat Ihnen der Ministerpräsident auch schon angeraten - noch einen Vorschlag für Ihr Kompetenzteam: Ich würde Altbundeskanzler Kohl als Finanzminister berufen, weil er meines Erachtens der einzige ist, der bei Ihnen in der Lage ist, Geld zu vermehren und gleichzeitig Steuern zu sparen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Auch Ihre Aussagen zur Sozialversicherung finde ich höchst interessant. Tatsache ist, dass der Rentenversicherungsbeitrag unter der rot-grünen Koalition von 20,3 % auf 19,1 % sank. Hätten Sie so weiter gemacht, wären allein die Rentenversicherungsbeiträge auf mehr als 28 % gestiegen.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Situation der Sozialversicherung blenden Sie immer gerne eines aus: Es war nicht die jetzige Bundesregierung, sondern die Kohl-Regierung, die der Sozialversicherung 100 Milliarden DM entzogen und damit den Aufbau Ost finanziert hat, meine Damen und Herren. Sie haben die doch Pleite gemacht, und jetzt beschweren Sie sich über das Ergebnis!

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie mir abschließend einen Hinweis zu Ihrer sozialpolitischen Kompetenz. Ich erlaube mir, mir ab und zu die Internetseite der CDU anzusehen. Das ist immer sehr aufschlussreich.

(Zuruf von der CDU: Da können Sie noch etwas lernen!)

- Ja, da kann ich etwas lernen. Ich sage Ihnen auch gleich, was ich dort gelernt habe. Ich habe mir vorgestern die Homepage angesehen und wollte wissen, welche Beiträge Sie zum Sozialstaat liefern. Um das nicht ganz so peinlich für Sie zu gestalten, habe ich nur die Rubrik „Beiträge im CDU-Forum zur Zukunft des Sozialstaates in den letzten 100 Tagen“ aufgerufen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das Forum ist geschlossen! Haben Sie das nicht gesehen?)

Wissen Sie, was dort stand? - Nichts! Null Beiträge sind dort enthalten. Das ist ja auch völlig klar: Weil Sie nichts mehr zu sagen haben. Seit 100 Tagen herrscht bei Ihnen auf dem Gebiet der Sozialpolitik Funkstille!

(Starker Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Die Frau Kollegin Pothmer hat um zusätzliche Redezeit gebeten. – Bis zu drei Minuten!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage Sie hier im Hause: Was ist hier eigentlich passiert? Was hat hier heute eigentlich stattgefunden? Über die Sache ist jedenfalls nicht diskutiert worden. Hier sind Wahlkampfreden gehalten worden, die sich nicht einmal an die Wählerinnen und Wähler draußen gerichtet haben, die sich schon gar nicht an die betroffenen Arbeitslosen gerichtet haben. Hier sind Wahlkampfreden gehalten worden, die sich nur noch an die eigenen Leute gerichtet haben. Die eigenen Leute sollen für die letzten drei Wochen des Wahlkampfes fit gemacht werden.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Das finde ich in der Sache absolut unangemessen, ich finde es in Bezug auf das Problem, über das Sie zu reden vorgeben, absolut unangemessen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Wulff (Osnabrück) [CDU])

Meine Damen und Herren und Herr Wulff, wissen Sie eigentlich, was Ihr Problem ist? - Ihr Problem ist doch, dass sich die Mitglieder der HartzKommission, insbesondere die aus dem Arbeitgeberlager, im Laufe des Prozesses aus der reinen Lobbyistenfunktion für Ihre Truppen verabschiedet haben. Sie wollten nicht mehr länger einfach nur der verlängerte Arm ihres jeweiligen politischen Lagers sein. Sie haben sich tatsächlich an die Arbeit gemacht, Sie haben versucht, das Problem zu bearbeiten. Ihr Problem ist, dass Sie jetzt versuchen, das wieder zurückzudrehen.

In der Vergangenheit wurde in den politischen Kommentaren, wie ich finde, zu Recht der Vorwurf erhoben, dass zwar die Hartz-Kommission genau das Problem bearbeitet hat, dass aber die

politischen Parteien jetzt im Wahlkampf Gefahr laufen, dies jeweils für sich zu funktionalisieren. Das, was heute hier stattgefunden hat, ist weit über das hinausgegangen, was in der Vergangenheit in den Kommentaren geschrieben worden ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Das jedenfalls macht keinen Arbeitslosen und keine Arbeitslose satt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass wir die Anträge der Tagesordnungspunkte 38, 39 und 40 in die Ausschüsse überweisen können.

Tagesordnungspunkt 38: Diesen Antrag soll federführend der Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen beraten. Mitberaten sollen der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, der Ausschuss für Haushalt und Finanzen und der Ausschuss für Gleichberechtigung und Frauenfragen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann machen wir das so.

Tagesordnungspunkt 39: Auch diesen Antrag soll federführend der Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen beraten. Mitberaten sollen hier die Ausschüsse für Wirtschaft und Verkehr, für Haushalt und Finanzen, für innere Verwaltung, für Städtebau und Wohnungswesen, für Verwaltungsreform und öffentliches Dienstrecht, für Wissenschaft und Kultur und für Bundes- und Europaangelegenheiten. - Auch diesbezüglich besteht Einigkeit. Dann haben wir so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 40: Für diese Beratung soll der Ausschuss für Gesundheitswesen federführend zuständig sein, und mitberaten sollen die Ausschüsse für Wirtschaft und Verkehr und für Haushalt und Finanzen. - Auch das möchten Sie so haben.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 41: Norddeutsche Lösung bei den Verkaufsverhandlungen über TV-Kabelnetze berücksichtigen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 14/3602

Die Fraktionen sind übereingekommen, dass dieser Antrag direkt in den Ausschuss überwiesen werden soll. Beraten soll, und zwar allein, der Ausschuss

für Medienfragen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann haben Sie so beschlossen.

Nunmehr können wir in die Mittagspause eintreten. Wir setzen unsere Beratungen planmäßig um 14.30 Uhr fort.

Unterbrechung: 13.14 Uhr.