3. Bedeutet der Hinweis des Ministerpräsidenten auf den „Parallelfall Mehmet“, dass die Landesregierung nach bayerischem Vorbild die rechtswidrige Abschiebung von Kindern und Jugendlichen anstrebt?
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Mitte Juni 2002 ermitteln die Staatsanwaltschaft und die Polizeidirektion Hannover gegen einen inzwischen fast 16-jährigen Schüler, der in Verdacht steht, zwei weitere Schüler bedroht und erpresst zu haben. Im Zuge der Emittlungen wurde zunächst eine Wohnungsdurchsuche vorbereitet, die inzwischen auch durchgeführt worden ist.
Am 20. August 2002 erfuhren Staatsanwaltschaft und Polizei davon, dass der Beschuldigte einem der geschädigten Schüler damit gedroht habe, ihn und seine Familie abzustechen, falls er die gegen ihn bei der Polizei erstattete Strafanzeige nicht zurückziehe. Dieser Hinweis begründete erstmalig die Annahme einer Verdunkelungsgefahr als Grund für die Anordnung von Untersuchungshaft. Nachdem die Staatsanwaltschaft die zum Nachweis des erforderlichen Haftgrundes erforderlichen Vernehmungsprotokolle erhalten hatte, beantragte sie am selben Tag, am Vormittag des 22. August 2002 - also zwei Tage vor Erscheinen des in der Anfrage erwähnten Artikels in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung -, bei dem Amtsgericht Hannover den Erlass eines Haftbefehls.
Der zuständige Jugendrichter erließ den Haftbefehl gegen 16 Uhr desselben Tages. Er entschied jedoch, sich die zu seiner Erstreckung erforderlichen Ausfertigungen erst am Montag, dem 26. August 2002, zur Unterzeichnung vorlegen zu lassen. An diesem Tage wurde der Haftbefehl dann auch ausgefertigt, unterzeichnet und anschließend vollstreckt. Möglicherweise war dieses Vorgehen in der Tatsache begründet, dass die Ermittlungen am 22. August 2002 zu wichtigen Punkten noch nicht abgeschlossen waren. Die Einlassung des Beschuldigten gab Staatsanwaltschaft und Polizei jedenfalls Anlass, entlastenden Umständen nachzugehen. Unter anderem war die Behauptung des Beschuldigten zu überprüfen, einer der Geschädigten habe angeblich erpresstes Geld in Wahrheit für eigene Zwecke ausgegeben. Im Ergebnis haben die Ermittlungen den Tatverdacht zumindest in großen Teilen bestätigt. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb inzwischen Anklage erhoben.
Zu 1: Die Geschäftsabläufe des Amtsgerichts hätten eine Unterzeichnung der Haftbefehlsausfertigungen frühestens am 22., spätestens am 23. August 2002 zugelassen. In dem konkreten Fall beruhte jedoch der Zeitpunkt der Vorlage der unterzeichnungsbereiten Haftbefehlsausfertigungen an den zuständigen Richter auf dessen bewusster Entscheidung. Diese hat die Landesregierung mit Rücksicht auf die verfassungsrechtlich geschützte Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht zu kommentieren.
Zu 2: Der Ministerpräsident hat sich eingehend über den in Rede stehenden Fall und die justizinternen Abläufe unterrichten lassen. Zu einer Einflussnahme auf den erkennenden Richter ist es zu keiner Zeit gekommen. Schon deshalb bestand kein Anlass, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung innerhalb der Landesregierung zu thematisieren.
Zu 3: Die Landesregierung wird auch weiterhin aufenthaltsbeendende Maßnahmen - auch gegenüber minderjährigen ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern - nur unter Beachtung der geltenden Rechtslage des Ausländergesetzes vollziehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die in letzter Zeit vermehrt auftretenden Hochwässer im Elbe-Weser-Gebiet sind wiederholt große Schäden in den tiefer liegenden Ortschaften und in den landwirtschaftlichen Kulturen aufgetreten. So ist im Bereich der Gemeinde Gnarrenburg innerhalb eines Jahres im Einzugsgebiet der Wörpe zweimal ein derartiges Hochwasser aufgetreten, dass ganze Ortsteile unter Wasser standen und nun wohl auch im zweiten Jahr hintereinander die Ernte der „Moorsieglinde-Kartoffeln“ regelrecht ins Wasser fällt.
Der Wasser- und Bodenverband Teufelsmoor ist für den geordneten Wasserabfluss zuständig, sieht sich aber aufgrund von Einschränkungen bei der Räumung der Gewässer nicht in der Lage, diese Überschwemmungen abzuwehren. Zum einen sind es durch Natur- und Landschaftsschutz vorgegebene zeitliche Räumbeschränkungen, zum anderen ist festgestellt worden, dass die „Unterlieger“ im Bereich der Wümme, im niedersächsisch-bremischen Gebiet, seit längerer Zeit keine ordnungsgemäße Räumung durchführen. Die normale Abflusskapazität der Wörpe beträgt an der Mündung in die Wümme, im Bereich Lilienthal/Bremen-Borgfeld über 10 m3/sec. Der Rückstau aus der Wümme hat sich in den vergangenen Jahren wie folgt aufgebaut:
1. Wann und wie gedenkt das Land Niedersachsen, den Bund und das Land Bremen in die Pflicht zu nehmen, damit eine ordnungsgemäße Räumung der Wümme vorgenommen wird?
2. Was gedenkt die Landesregierung zu tun, um angesichts häufiger auftretender Hochwässer den Wasserabfluss in den niedersächsischen Flüssen zu gewährleisten, die im derzeitigen Zustand diese Aufgabe nicht mehr erfüllen?
3. Wer trägt die Schäden, die an und in Gebäuden, im Gewerbe und in der Landwirtschaft auftreten, wenn die Räumpflicht vernachlässigt wird?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Außergewöhnliche Niederschläge im letzten und in diesem Jahr haben auch im Gebiet der Hamme und der Wümme zu Überschwemmungen geführt. Der starke Regen hat die landwirtschaftlichen Nutzflächen erheblich vernässt. Die Entwässerung der Flächen wurde durch die hohen Wasserstände in den Gewässern zusätzlich eingeschränkt. Die Vorflutverhältnisse in der Hamme und der Wümme werden außerdem durch das Tidegeschehen bestimmt. Der Tidenhub in der Wümme hat sich nach Angaben Bremens in den letzten 20 Jahren deutlich erhöht. Außerdem sind Versandungen der Wümme unterhalb von Borgfeld festgestellt worden.
Die Gewässerunterhaltung ist für den wirksamen Hochwasserschutz eine wichtige Voraussetzung. Im Interesse des Natur- und Landschaftsschutzes bestehen zeitliche Beschränkungen für die Räumung der Gewässer. Sie behindern die Gewässerunterhaltung aber nicht, weil Ausnahmen von der Räumungsbeschränkung möglich sind, wenn wasserwirtschaftliche oder andere öffentliche Belange dies erfordern.
Zu Frage 1: Die Universität Hannover soll durch ein hydronummerisches Modell untersuchen, welche Gegebenheiten an den Gewässern Lesum und der unteren Wümme für die Vorflutbeein
trächtigung ursächlich und welche Verbesserungen im Hinblick auf den Hochwasserschutz möglich sind. Darüber sind sich die Länder Bremen und Niedersachsen einig. Der Bremische Deichverband am rechten Weserufer hat diese Untersuchungen bereits in Auftrag gegeben.
Zu Frage 2: Nach dem Niedersächsischen Wassergesetz sind die Eigentümer beziehungsweise die Unterhaltungsverbände verpflichtet, an den Gewässern einen ordnungsmäßigen Wasserabfluss zu gewährleisten. Die zuständigen Wasserbehörden überprüfen durch Gewässerschauen, ob die oberirdischen Gewässer ordnungsgemäß unterhalten werden.
Unabhängig davon hat die jüngste Hochwasserkatastrophe gezeigt, dass Gewässer und ihre Einzugsgebiete in einer Gesamtschau zu betrachten sind und ein wirksamer Hochwasserschutz nicht auf einzelne Aspekte, wie zum Beispiel den Wasserabfluss, reduziert werden kann. Vielmehr sind auch die Erhaltung und Beschaffung von Retentionsräumen, die Wasserrückhaltung in der Landschaft und die Freihaltung von Überschwemmungsgebieten einzubeziehen. Die Landesregierung unterstützt diesen ganzheitlichen Ansatz.
Zu Frage 3: Wird einem Unterhaltungspflichtigen die unsachgemäße oder vernachlässigte Gewässerunterhaltung nachgewiesen, so haftet dieser für die dadurch an Gebäuden, dem Gewerbe und in der Landwirtschaft entstandenen Schäden.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann können wir sogar noch die Frage des Abgeordneten Ontijd behandeln. Ich rufe auf
Frage 8: Anbindung Kreisstadt und Mittelzentrum Aurich an öffentliches Schienennetz; hier: Bahnstrecke Aurich - Abelitz - Emden
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Presseverlautbarungen vom 23. und 24. Juli 2002 hat die Niedersächsische Ministerin für Wirtschaft, Technologie und Verkehr, Frau Dr. Knorre, erklärt, dass sie einer Reaktivierung der
Bahnstrecke Aurich - Abelitz - Emden wenig Überlebenschancen einräumt. Stattdessen setze sie auf den Ausbau der Bundesstraße 72 im Bereich Moordorf (Gemeinde Südbrookmerland).
In einer Gesprächsrunde am 19. Juni 2002 im Auricher Rathaus, an der alle relevanten Einrichtungen und Behörden einschließlich Bezirksregierung Weser-Ems, Straßenbauamt, IHK, die Städte Aurich und Emden sowie der Landkreis Aurich teilnahmen, waren sich dagegen die Anwesenden einig, dass eine Reaktivierung der Bahnstrecke sehr wohl in Frage komme und höchst attraktiv erscheine. Zu diesem Zwecke wurde eine Arbeitsgemeinschaft für die Erstellung eines Finanzierungskonzeptes gegründet.
Ein von der Stadt Aurich in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich Kosten in Höhe von rund 6,2 Millionen Euro (nicht in zweistelliger Millionenhöhe!) für die Reaktivierung der Bahnstrecke bei einer - für den Transport von sperrigem Gut erforderlichen - Beförderungsbreite bis 4,20 m entstehen, was gegenüber den im zweistelligen Millionenbereich liegenden Kosten im Zusammenhang mit dem Ausbau der B 72 einen geringen Wert darstellt.
Im Zusammenhang mit dem Ausbauplan B 72 (Aurich - Moordorf) ist zugleich zu hinterfragen, ob es sich tatsächlich um einen Ausbau im Sinne einer wirklichen Verbesserung des Verkehrflusses handelt oder nicht lediglich um eine Verschiebung der bestehenden Fahrbahn um 90 cm unter Beibehaltung der bisherigen Breite von 7,50 m unter Herstellung nur der Möglichkeit für eine spätere Verbreiterung des vorhandenen Radweges um 25 cm.
Im Erläuterungsbericht zum Planfeststellungsverfahren sind zumal Begründungskriterien für den Ausbau genannt, die nicht überzeugend sind und nicht relevant erscheinen.
Es mangelt mit anderen Worten mindestens an Transparenz und Überzeugungskraft für die von der Landesregierung bislang bevorzugte Lösung. Um diese Transparenz herzustellen und eine objektiv nachvollziehbare Entscheidung herbeizuführen,
sollte kurzfristig eine Kosten-Nutzen-Analyse zum Ausbau der Bundesstraße B 72 im Vergleich zu einer Reaktivierung der Bahnstrecke in diesem Bereich durchgeführt und deren Ergebnis öffentlich gemacht werden.
Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die Standortsicherung des Windenergieherstellers ENERCON mit rund 1 500 Arbeitsplätzen, der sich an die Landesregierung gewandt und in beachtlicher Deutlichkeit sein Interesse bekundet hat, künftig seine Anlagenteile, Fertigungsteile und Rohstoffe auf der Strecke Emden - Aurich-Nord per Bahn zu verbringen, wenn die Bahnstrecke reaktiviert wird.
Um den erforderlichen Prozess der Bewertung und objektiven Abwägung nun in Gang zu setzen, frage ich die Landesregierung: