Protokoll der Sitzung vom 26.09.2002

deutschen Schützenfestbesuchern. Ein 16-jähriges Mädchen erhob den Vorwurf der sexuellen Nötigung. Am Sonntag Abend kam es dann zu einem erneuten schweren Angriff auf die Flüchtlingsunterkunft. Mit Eisenstangen bewaffnete Männer drangen in die Flüchtlingsunterkunft ein, zertrümmerten Türen und Fenster und versuchten, in die abgeschlossenen Zimmer der Flüchtlinge einzudringen. Die Polizei war über eine Stunde lang nicht in der Lage, die Angreifer aus dem Haus zu entfernen. Die Polizei wurde von mehreren Personen vor dem Haus angegriffen und an einem Einsatz gehindert. Von den zahlreichen Angreifern konnte die Polizei lediglich eine Person festnehmen. Die Angreifer zogen sich nach über einer Stunde selbst zurück. Sie wurden von der Polizei nicht daran gehindert. Die Polizei räumte die Flüchtlingsunterkunft in Algermissen und brachte die Flüchtlinge in Hildesheim unter.

Bereits vor drei Monaten wurden die Wände innerhalb der Flüchtlingsunterkunft mit rechtsradikalen Parolen und Hakenkreuzen beschmiert. In Algermissen soll es seit Monaten zu Übergriffen auf die tamilischen Flüchtlinge gekommen sein.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie war genau der Ablaufplan der Polizeieinsätze auf dem Schützenfest in Algermissen und vor bzw. in der Flüchtlingsunterkunft am Samstag, dem 31. August und Sonntag, dem 1. September (Zeitpunkt der Notrufeingänge, Anzahl der Einsätze und genaue Einsatzzeiten, Anzahl der eingesetzten Beamten, Anzahl der Geschädigten bzw. Verletzten, Anzahl der er- mittelten Tatverdächtigen)?

2. Zu welchem Ermittlungsergebnis ist die eingerichtete Ermittlungsgruppe der Polizei bislang gekommen?

3. Wie will die Landesregierung gewährleisten, dass es nicht erneut zu Angriffen und Übergriffen auf das Asylbewerberheim in Algermissen kommt?

Über die erschreckenden Ereignisse im Zusammenhang mit dem Algermissener Schützenfest am 31. August (Samstag) und 1. September (Sonntag) habe ich mir von der Bezirksregierung Hannover ausführlich berichten lassen. Das Wohnheim in Algermissen (Landkreis Hildesheim) war mit 22 Personen belegt: Asylbewerber im Asylverfahren und auch bereits abgelehnte Asylbewerber. Zusätzlich waren in dieser Unterkunft auch zwei deutsche Obdachlose untergebracht.

Im Zusammenhang mit dem Schützenfest in Algermissen kam es zum angegebenen Zeitpunkt zu tätlichen Auseinandersetzungen, Sachbeschädi

gungen und weiteren Straftaten. Der Sachverhalt stellt sich nach dem heutigen Erkenntnisstand im Wesentlichen wie folgt dar:

Die Ereignisse vom Samstag (einschließlich der Nacht zum Sonntag):

Auf dem Festplatz des Algermissener Schützenfestes kam es am 31. August gegen 20 Uhr zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen vermutlich vier Bewohnern der Asylbewerberunterkunft und einer Gruppe von etwa 10 bis 15 deutschen Beteiligten. Vorausgegangene Straftaten im Zusammenhang mit sexuellen Äußerungen bzw. Handlungen durch Asylbewerber aus Algermissen sollen dabei eine Rolle gespielt haben. Nach ersten körperlichen Rangeleien flüchteten die Ausländer vom Festplatz in Richtung Unterkunft. Auf diesem Weg wurden sie von einigen aus der Gruppe verfolgt. Es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Dabei erlitten drei Asylbewerber erhebliche Schlag- und Schnittverletzungen; einer der Asylbewerber wurde massiv am Hinterkopf verletzt. Ein deutscher Tatbeteiligter wurde durch Messerstiche verletzt. Zu diesen Vorfällen kam es gegen 23.05 Uhr. Um 23.07 Uhr wurde die Polizei in Sarstedt durch einen Taxifahrer telefonisch alarmiert. Unmittelbar darauf wurden zwei Funkstreifenwagen zum Schützenplatz entsandt, die wenige Minuten später eintrafen (23.25 Uhr). Beim Eintreffen der Polizei waren die Auseinandersetzungen bereits beendet. Sämtliche Verletzte waren nicht mehr am Tatort. Nach Befragung der von den Polizeibeamten vor Ort angetroffenen Personen konnten die Verletzten in der Asylbewerberunterkunft und auf dem Schützenplatz angetroffen werden. Eine ärztliche Versorgung wurde veranlasst, und die Personalien von elf Personen wurden festgestellt. Tatverdächtige konnten vor Ort nicht ermittelt werden.

Um 00.40 Uhr gingen im Polizeikommissariat Sarstedt zwei Anrufe ein. Ein Deutscher sowie ein Asylbewerber teilten mit, dass in der Asylbewerberunterkunft eine Fensterscheibe eingeschlagen worden sei. Daraufhin wurden sofort zwei Funkstreifenwagen entsandt, die bis 00.55 Uhr bei der Unterkunft eintrafen. Zur Unterstützung war ein weiterer Funkstreifenwagen vom Polizeikommissariat Hildesheim vor Ort. Es wurde festgestellt, dass eine Fensterscheibe auf der Rückseite des Gebäudes zerstört war. Die Personalien von drei vor der Unterkunft angetroffenen Personen wurden festgestellt. Eine Tatbeteiligung konnte ihnen vor Ort nicht nachgewiesen werden. Bewaffnungsge

genstände wurden von den eingesetzten Polizeibeamten nicht wahrgenommen. Während der Personalienfeststellungen kamen weitere Personen vom Festplatz hinzu. Aus gefahrenabwehrenden Gründen wurde diesen Personen ein Platzverweis erteilt. Zur Verhinderung weiterer Straftaten blieb eine Funkstreifenwagen-Besatzung bis ca. 02.30 Uhr in der Nähe der Unterkunft.

Gegen 03.47 Uhr wurde die Polizei über eine Schlägerei zwischen zwei Deutschen im Zusammenhang mit dem Schützenfest in Kenntnis gesetzt. Bei Aufnahme des Sachverhalts stellten die eingesetzten Polizeibeamten keinerlei Zusammenhänge mit den vorhergegangenen Ereignissen fest. Die Polizeibeamten blieben anschließend bis ca. 04.50 Uhr in der Nähe des Festplatzes.

Die Ereignisse vom Sonntag:

Am 1. September 2002, 21.19 Uhr, wurde über Notruf mitgeteilt, dass sich zwei Personen, die am Vorabend eine sexuelle Belästigung zum Nachteil einer 16-jährigen Jugendlichen begangen haben sollen, im Festzelt aufhalten sollen. Es wurde unverzüglich ein Funkstreifenwagen dorthin entsandt; die Polizeibeamten trafen etwa eine Viertelstunde später im Festzelt ein (21.35 Uhr). Sie trafen dort auf eine 16-jährige Jugendliche, die angab, am Vortag von mehreren Asylbewerbern der Asylbewerberunterkunft durch eindeutige verbale Äußerungen sexuell belästigt bzw. genötigt worden zu sein. Vor Ort wurden ebenfalls die Eltern dieses Mädchens angetroffen, die eine Person ausländischen Aussehens festhielten und beschimpften. Die eingesetzten Polizeibeamten beschrieben die Stimmung in dem Festzelt insgesamt als sehr aggressiv und gereizt. Nach Feststellung der Personalien aller beteiligten Personen konnten die Polizeibeamten die der sexuellen Belästigung bezichtigte Person als Täter zweifelsfrei ausscheiden. Zur Durchführung weiterer Ermittlungen suchten die Polizeibeamten anschließend die Asylbewerberunterkunft auf. Bei deren Eintreffen hielten sich dort fünf Personen auf, die weiteren Zulauf erhielten. Eine Bewaffnung wurde von den eingesetzten Polizeibeamten nicht festgestellt. Insgesamt bildete sich in kurzer Zeit eine Menschenmenge von ca. 50 Personen. Die Polizeibeamten wurden massiv angepöbelt. Aus der Gruppe heraus wurde geäußert, dass man die Sache selbst in die Hand nehmen müsse, weil die Polizei sowieso nichts mache. Die Gruppe bestand sowohl aus jungen Männern und jungen Frauen als auch aus älteren Personen.

Die Asylbewerberunterkunft verfügt über zwei Eingänge auf der Vorderseite, zwei Eingänge auf der Rückseite und zusätzlich zwei Kellereingänge an der Rückseite. Einzelne Personen hatten sich diesen Eingängen genähert und konnten durch die eingesetzten Polizeibeamten nur mit Mühe am Betreten gehindert werden. Daraufhin wurden von den Polizeibeamten Verstärkungskräfte angefordert. Zu dem Zeitpunkt, als die ersten der angeforderten Verstärkungskräfte eintrafen und eingewiesen wurden, gelang es einer Gruppe von vermutlich fünf Personen, durch einen Kellereingang auf der Rückseite ins Gebäude einzudringen. Nach Eintreffen weiterer Verstärkungskräfte gelang es den Polizeibeamten bereits nach wenigen Minuten, die eingedrungenen Personen aus dem Gebäude zu entfernen. Die Personen wurden aufgefordert, das Gebäude sofort zu verlassen. Dieser Aufforderung kamen sie langsam und zögerlich nach. Nach Erkenntnissen der Polizei war bereits versucht worden, eine Tür gewaltsam zu öffnen. Waffen wurden bei diesen Personen nicht festgestellt.

Insgesamt waren nach Eintreffen aller Verstärkungskräfte (zwischen 22.15 Uhr und 22.22 Uhr) zwölf Polizeibeamte vor Ort. Anweisungen der Polizeibeamten an die sich vor dem Gebäude aufhaltende Gruppe, den Ort zu verlassen, blieben ohne Erfolg. Aus einsatztaktischen Erwägungen wurde dann eine Person, die sich zuvor erkennbar durch ihr Verhalten in der Gruppe hervorgetan hatte, aus der Gruppe herausgegriffen und isoliert. Eine weitere Person, die ebenfalls zu den fünf Personen gehörte, die in das Gebäude eingedrungen waren, konnte durch die Polizeibeamten identifiziert werden. Die Stimmung in der Gruppe soll danach schlagartig umgeschlagen sein. Einige Gruppenmitglieder haben noch versucht, den Rädelsführer zu befreien. Danach hat sich die Menschenmenge allmählich zerstreut. Unmittelbar im Anschluss wurde von den Polizeibeamten Kontakt zu den – verständlicherweise verängstigten – Asylbewerbern aufgenommen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Siehe Vorbemerkungen.

Zu 2: Bei der Polizeiinspektion Hildesheim wurde eine zehnköpfige Ermittlungsgruppe zur Aufklärung der Geschehnisse eingerichtet. Da bereits zu dem Zeitpunkt ganz eindeutig von einer fremdenfeindlichen Motivation auszugehen war, wurde die Leitung dem 4. Fachkommissariat (Polizeilicher

Staatsschutz) übertragen. Nach Mitteilung der Ermittlungsgruppe befinden sich nachfolgende Ermittlungskomplexe in Bearbeitung. Die Ermittlungsstände sind dazu jeweils kurz dargestellt.

- Körperverletzung, Bedrohung und Freiheitsberaubung zum Nachteil einer Jugendpflegerin aus Algermissen im Juli 2002

Beschuldigt ist ein Bewohner der Asylbewerberunterkunft Algermissen (Sri Lanka).

- Sexuelle Nötigung im August 2002 zum Nachteil zweier Frauen aus Algermissen

Zunächst soll es in einer Gaststätte in Algermissen zu Blickkontakten zwischen zwei Asylbewerbern und zwei Frauen aus dem Ort (20 und 30 Jahre alt) gekommen sein. Beim Verlassen der Gaststätte seien die Frauen von den Asylbewerbern verfolgt worden. Im weiteren Verlauf seien sie mit drastischen Worten zum Geschlechtsverkehr aufgefordert worden. Gegen ihren Willen seien die Frauen an Oberschenkel, Brust und Po angefasst worden. Die beiden Asylbewerber, von denen einer in der Asylbewerberunterkunft in Algermissen untergebracht war, wurden von der Polizei am Tatort festgenommen. Das Ermittlungsverfahren ist noch in Bearbeitung.

- Versuchte sexuelle Nötigung am 31. August 2002 zum Nachteil einer 16-jährigen Jugendlichen aus Algermissen

Nach Angaben einer 16-jährigen Jugendlichen aus Algermissen sei sie am Abend des 31. August 2002 in der Nähe des Festplatzes verbal über die Straße hinweg massiv sexuell belästigt worden. Sie sei eindeutig zum Geschlechtsverkehr aufgefordert worden. Außerdem sei sie für den Fall der Weigerung gleichzeitig bedroht worden. Nach Aussagen der Geschädigten kommen als Täter Ausländer aus der Asylbewerberunterkunft in Algermissen in Frage. Entsprechende Ermittlungen werden durch o. a. Ermittlungsgruppe geführt. Tatverdächtige konnten bislang nicht ermittelt werden.

- Bedrohung, Nötigung, Verdacht des Verstoßes gegen das Waffengesetz vor etwa drei Monaten

Im Zuge der Ermittlungen der am 2. September 2002 eingerichteten Ermittlungsgruppe wurde bekannt, dass eine Gruppe von Bewohnern der Asylbewerberunterkunft vor etwa drei Monaten durch einen deutschen Staatsangehö

rigen mit einer Faustfeuerwaffe bedroht worden sein soll. Entsprechende Ermittlungen werden durch o. a. Ermittlungsgruppe geführt. Ein Beschuldigter wurde ermittelt. Die Ermittlungen dauern an.

- Gefährliche Körperverletzung, wechselseitig begangene Körperverletzung und Schlägerei zwischen Bewohnern der Asylbewerberunterkunft in Algermissen und einer Gruppe von Deutschen am 31. August 2002 gegen 23.05 Uhr

15 Beschuldigte konnten ermittelt werden. Die Ermittlungen dauern an.

- Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, begangen durch eine größere Anzahl von Deutschen (zum Teil Tatbeteiligte der vorangegange- nen Körperverletzung und zum Teil Besucher des Schützenfestes in Algermissen) am 1. September 2002 gegen 00.40 Uhr

Zehn Beschuldigte konnten ermittelt werden. Darunter befindet sich der vermutliche Rädelsführer, gegen den inzwischen Untersuchungshaft angeordnet wurde. Die Ermittlungen dauern an.

- Körperverletzung zwischen deutschen Staatsbürgern (ebenfalls Besuchern des Schützenfestes, ohne erkennbare Bezüge zu den Auseinanderset- zungen zwischen Deutschen und der ausländi- schen Gruppe) am 1. September 2002 gegen 03.47 Uhr

Ohne Relevanz für diese Anfrage.

- Körperverletzung / Beleidigung zum Nachteil einer männlichen Person

Ausländisch aussehende Person wurde fälschlicherweise als Täter für o. a. versuchte sexuelle Nötigung vom 31. August 2002 angesehen und gewürgt, geschlagen und beleidigt. Drei Beschuldigte konnten ermittelt werden. Die Ermittlungen dauern an.

- Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs zum Nachteil der Bewohner der Asylbewerberunterkunft in Algermissen 1. September 2002 gegen 21.50 Uhr

Zehn Beschuldigte konnten ermittelt werden. Darunter befindet sich der vermutliche Rädelsführer, gegen den inzwischen Untersuchungshaft angeordnet wurde. Die Ermittlungen dauern an.

- Körperverletzung zum Nachteil eines deutschen Staatsbürgers am 1. September 2002 gegen 22.30 Uhr

Nach derzeitigem Ermittlungsstand steht die Tat nicht im Zusammenhang mit den Angriffen auf die Asylbewerber.

Alle ermittelten Beschuldigten stammen aus Algermissen bzw. dem unmittelbaren Nahbereich. Zu einzelnen Beschuldigten liegen allgemeinpolizeiliche Erkenntnisse vor. Hauptsächlich handelt es sich hierbei um so genannte Rohheitsdelikte wie Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung. Staatsschutzpolizeiliche Erkenntnisse liegen bei keinem der bislang ermittelten Beschuldigten vor.

Nach derzeitigem Kenntnisstand gehe ich nicht davon aus, dass es sich um eine organisierte, planvolle Aktion von Rechtsextremisten gehandelt hat. Auch die bisherigen Ermittlungsergebnisse der Polizei zeigen keine rechtsextremistischen Bezüge oder Zugehörigkeiten zu Organisationsformen wie Kameradschaften o. ä.

Fremdenfeindliche Motivationen liegen zweifelsfrei vor.

Zu 3: Um eine mögliche Gefährdung der Flüchtlinge abzuwenden, wurde die Bezirksregierung Hannover vom Innenministerium angewiesen, eine andere Unterbringung in die Wege zu leiten und die Asylbewerber umzuverteilen. Die Umverteilungen sind umgehend durchgeführt worden. Darüber hinaus ist beabsichtigt, einen Neuzuzug von Asylbewerbern nach Algermissen durch verstärkte polizeiliche Streifentätigkeit im Umfeld der Asylunterkunft zu begleiten.

Ein weiterer Schwerpunkt wird auf die Präventionsarbeit gelegt. Zwischenzeitlich hat sich eine Initiative gebildet, die einen Antrag zur Bildung eines Präventionsrates in Algermissen in den Gemeinderat einbringen wird. In diesem Zusammenhang spielen auch die technischen Einrichtungen und Sicherheitsvorkehrungen der Unterkunft eine Rolle.

Anlage 6

Antwort

des Finanzministeriums auf die Frage 14 des Abg. Golibrzuch (GRÜNE):