Protokoll der Sitzung vom 23.10.2002

Einen Augenblick, bitte. - Meine Damen und Herren, machen Sie es bitte der Rednerin zum Schluss nicht zu schwer, sondern nehmen Sie den

Geräuschpegel etwas zurück, wenn Sie sich unbedingt hier im Saal unterhalten müssen. - Bitte sehr!

Dabei bin ich immer davon ausgegangen, dass ich eine tragende Stimme habe.

(Klare [CDU]: Manchmal kommt es auf den Inhalt an!)

Es geht um einen großen Teil unserer Bevölkerung, nämlich um Menschen, die psychisch erkrankt oder psychisch behindert sind. Ein nicht unerheblicher Teil bleibt dies nach der Erkrankung. Wir haben einen Antrag zur Beratung und zur Abstimmung vorgelegt, der auf einer Fachtagung des letzten Herbstes basiert und sich mit der Bewertung der Psychiatrieentwicklung in den letzten 25 Jahren beschäftigt. In dem Antrag wird weiterhin die Erfahrung einer Fachtagung aus diesem Sommer in Loccum und insbesondere eine Petition aus dem Raum Hannover aufgegriffen, die sich mit den Problemen bezüglich der Zuweisung von psychisch behinderten Menschen in Heime beschäftigt.

Der Änderungsantrag, der im Ausschuss von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt wurde, würdigt die erreichte fachliche Qualität und fordert die Weiterentwicklung und die Korrektur von Fehlentwicklungen ein. Fehlentwicklungen sehen wir gemeinsam in der Anzahl und in der Verteilung der stationären Hilfen für Menschen mit psychischer Behinderung. Diese Bevorzugung der stationären Hilfen hat ihre Ursachen. Wir haben festgestellt, dass es eine Bevorzugung der stationären Einrichtungen durch Helfer gibt. Es ist sehr praktisch und sehr bequem für Menschen, die eine Betreuung von psychisch Kranken übernommen haben, Menschen - statt ihnen in einer Wohnung oder in einer ambulanten Maßnahme zu helfen - in einer Einrichtung unterzubringen, weil man damit mit einem Schlag alle Probleme los wird.

Wir haben außerdem eine Bevorzugung dieser stationären Hilfen durch die Finanzierung unseres Hilfesystems festgestellt. Abhilfe hat das Land Niedersachsen begonnen zu schaffen mit der Einführung des so genannten Quotalen Systems. Hilfen für psychisch Kranke mussten früher von der Landesebene bezahlt werden, und ambulante Maßnahmen für solche Menschen mussten von den kommunalen Trägern finanziert werden. Mit der Einführung des Quotalen Systems haben wir die

Erwartung verbunden, dass sich die finanzbedingten Zuweisungen verändern. Wir stellen fest, dass die Information darüber in der Fachwelt noch nicht so weit herumgekommen ist, wie wir es uns wünschen.

Wir schlagen daher in unserem Antrag vor, die fachliche Qualifizierung der Mitarbeiter in den Stellen, die die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen bewilligen, fortzusetzen und sie dadurch zu stützen, dass wir in den Städten und Gemeinden die so genannten Hilfekonferenzen, die sich schon ziemlich weit etabliert haben, verstärken. Außerdem regen wir an - diese Bereiche berühren natürlich die Selbstverwaltungsmacht der Städte und Gemeinden -, die Städte und Gemeinden aufzufordern, die Kostenanerkenntnisse für Menschen mit psychischen Behinderungen an die Durchführung von Hilfekonferenzen zu binden. Bei den bisherigen Modellversuchen konnten wir beobachten, dass bis zu 50 % der in Hilfekonferenzen beratenen psychisch Behinderten nicht in ein Heim eingewiesen wurden, sondern mit ambulanten Maßnahmen bedarfsgerecht ausgestattet werden konnten.

In dem Antrag wird aber auch darauf verwiesen, dass nicht nur die Hilfekonferenzen notwendig sind, sondern dass vorausgesetzt werden muss, dass in den Städten und Gemeinden funktionierende sozialpsychiatrische Verbünde existieren. Diese sozialpsychiatrischen Verbünde sind mit einer Anschubfinanzierung durch das Land eingerichtet worden. Wir haben damit die Erwartung verbunden, dass den Städten und Gemeinden in dieser Zeit auffallen wird, welche finanziellen Effekte sie dadurch erzielen können, dass sie diese sozialpsychiatrischen Verbünde unterstützen, sodass es dann zu Umschichtungen aus den Mitteln für die stationären Bereiche kommt und dadurch die sozialpsychiatrischen Verbünde weiter am Leben gehalten und ordentlich ausgestattet werden können.

Ich sehe, dass mir meine Redezeit wegläuft. Ich bin nicht dazu gekommen, auf den wichtigen Aspekt der Arbeit einzugehen, die für die psychisch Kranken noch immer allzu häufig nur in Werkstätten für Behinderte angeboten wird. Das möchten wir nicht unterschätzen. Es hat uns enorme Anstrengungen gekostet, dies flächendeckend aufzubauen. Es ist jedoch nötig, auch in andere Bereiche hineinzugehen. Ich nenne als Beispiele Integrationsfirmen und andere Modelle geschützter Arbeit. Wir glauben, dass durch die Umstellung im Arbeitsförderbereich, beispielsweise durch Lohn

subventionen, ein enormer Zuwachs erreicht werden kann.

Warum gibt es hier zwei Anträge?

(Frau Zachow [CDU]: Das erkläre ich Ihnen!)

Die CDU-Fraktion hat einen Änderungsantrag vorgelegt. Wenn Sie sich den anschauen, werden Sie feststellen, dass die Veränderung eigentlich nur auf wenige Punkte zielt. Ich freue mich und sage: Willkommen im Club.

(Frau Zachow [CDU]: Nein!)

Für die Psychiatrieerfahrenen in Niedersachsen ist es vielleicht ein Stück weit beruhigend zu wissen, dass wir in eine einheitliche fachliche Richtung marschieren wollen. Wir sind jedoch darauf angewiesen, dass wir unsere Vorstellungen konkretisieren, damit sie besser überprüft und an den Zielvereinbarungen gemessen werden können. Wir hatten in der Vergangenheit viele Absichtserklärungen. Wir wollen mit unseren konkreten Hinweisen darüber hinausgehen. Sie können das nachlesen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Zachow.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier im Haus besteht sicherlich große Einigkeit darüber, wenn es um die Ziele der Psychiatrie geht. Wir können uns auch sehr schnell darauf verständigen, dass psychisch kranken Menschen geholfen werden muss, sich zu integrieren, und zwar in die Gesellschaft und nicht in irgendwelche Heime. Wir können uns auch über die meisten Einzelpunkte dieses Antrages sofort verständigen. Wir hätten gerne, dass die ambulante Krankenpflege in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen wird. Darin sind wir uns einig. Die Frage der Finanzierung ist allerdings offen. Wir sind uns sicherlich auch einig, dass wir den Bedarf und das Angebot an ambulanten und stationären Plätzen feststellen müssen und dass wir die ambulante der stationären Behandlung vorziehen.

Ich sage Ihnen aber, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion: Das alles ist nicht neu. Sie

sagten mir dankenswerterweise gerade, dass es bisher Absichtserklärungen gab und dass Sie jetzt etwas tun wollen.

1992 hat die Fachkommission Psychiatrie viele Empfehlungen ausgearbeitet. Es gibt Forderungen nach Arbeitsplätzen, Werkstätten, Integrationsarbeitsplätzen, nach niedrigschwelligen Angeboten und vor allem nach Wohnangeboten. Meine Damen, meine Herren, hätten Sie davon etwas mehr verwirklicht, bräuchten Sie Ihren Antrag heute nicht zu stellen. Hätten Sie die Zeit bloß genutzt.

(Beifall bei der CDU)

Aber, meine Damen, meine Herren, was uns geärgert und es uns nicht möglich gemacht hat, diesem Antrag zuzustimmen - das haben wir im Ausschuss schon gesagt -, ist die Einleitung, die einfach nicht der Wahrheit entspricht. Sie sagen, dass mit dem Regierungswechsel 1990 im Hinblick auf die Krankenhauspsychiatrie endlich gehandelt worden sei.

(Zuruf von Groth [SPD])

Wir haben 1976, als die CDU damals die Regierung übernommen hat, Anstalten mit riesigen Schlafsälen und völlig unzureichenden sanitären Einrichtungen vorgefunden. Sie alle wissen genau, dass sehr viel Geld aus dem Krankenhausinvestitionsplans in diese Landeskrankenhäuser geflossen ist.

(Unruhe bei der SPD - Glocke des Präsidenten)

Das waren die ganz großen Anliegen unseres früheren Sozialministers Schnipkoweit. Das hat nicht erst 1990 angefangen. Auch die Reduzierung der Belegung der Krankenhäuser hat in den 80erJahren begonnen - aber auch nur begonnen -; das musste weitergeführt werden; das ist ganz klar.

Dann erwecken Sie zumindest den Eindruck, dass die sozialpsychiatrischen Dienste erst seit 1990 eingerichtet worden sind. Nein, es gab sie schon 1986 flächendeckend. Auch das ist eindeutig.

Das sind Dinge, die schlichtweg falsch sind. Solche falschen Behauptungen können wir nicht mittragen. Das goldene Zeitalter der Psychiatrie hat nicht 1990 mit dem Regierungswechsel angefangen. Wir haben noch einiges zu tun, bis wir dahin kommen.

Lassen Sie mich erklären, was wir etwas anders sehen als Sie. Das sind keine gravierenden Dinge. Es geht um die Frage des Abbaus von Heimplätzen. Hier fordern Sie, mit dem Abbau von Heimplätzen anzufangen, und nennen 10 % als Vorgabe. Wir hingegen sind der Meinung, dass wir erst einmal qualitativ hohe Strukturen unten brauchen. Unsere Befürchtung ist nämlich, dass wir bei einem Abbau von Heimplätzen angesichts des Bedarfs an ambulanten Plätzen zu früh entlassen und dadurch wieder verstärkt Drehtüreffekte bekommen.

Die Strukturqualität der ambulanten Angebote muss also erst erhöht werden. Nur dann können wir wohl etwas machen.

Wir sind nicht gegen Hilfekonferenzen. Es gibt ein paar Datenschutzprobleme; ich meine, die lassen sich regeln. Allerdings ist es eine rechtliche Verpflichtung nach § 46 BSHG, dass Gesamtpläne für Hilfsbedürftige aufgestellt werden. Auch das ist nichts ganz Neues.

Am kritischsten sehen wir die Passage, in der Sie sagen, dass die Krankenhäuser, die für die psychiatrische Versorgung zuständig sind, auch die Aufgabe von Schwerpunktkrankenhäusern wahrnehmen könnten. Wenn Sie das konsequent zu Ende denken, wäre das das Ende der Landeskrankenhäuser. Nun kann man unterschiedlicher Meinung sein. Wir sind der Meinung, wir brauchen die Landeskrankenhäuser; denn sie leisten die Schwerpunktversorgung für psychisch Kranke, und zwar für die gesamte Bandbreite der Psychiatrie bei Kindern und Jugendlichen, bei Erwachsenen, in der Gerontopsychiatrie und auch im Maßregelvollzug. Meine Damen, meine Herren, das wollen wir nicht ändern. Wir wollen die Landeskrankenhäuser erhalten.

In der großen Zielsetzung sind wir uns einig. Deshalb haben wir in unserem Antrag die gemeinsamen Punkte wiederholt und die Differenzen herausgearbeitet. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Frau Elsner- Solar [SPD]: Die Landeskrankenhäu- ser tauchen in Ihrem Antrag doch gar nicht auf!)

Frau Pothmer hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Zachow, im Ziel sind wir uns einig. Das stimmt. Ich glaube, wir hätten es möglicherweise auch hingekriegt, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Das hätte allerdings erfordert, dass Sie Ihren Änderungsantrag in die Ausschussberatung eingebracht hätten. Das ist leider nicht der Fall.

(Zustimmung bei der SPD)

Frau Zachow, nichts für ungut. Ich kann an Ihrer Argumentation überhaupt nicht verstehen, dass Sie einerseits darauf hinweisen, dass in den vergangenen Jahren die SPD die Zeit nicht genutzt hat, um einen entsprechenden Umbau, über den wir uns immer einig waren, auch voranzutreiben, dass Sie andererseits gleichwohl aber jede Konkretisierung, die wir genau aus dieser Einsicht heraus in die Beschlussempfehlung aufgenommen haben, mit Zahlen und ganz deutlichen Zeit- und Zielvorgaben, vermeiden. Sie geben der Landesregierung genau den Spielraum, von dem Sie sagen, die Landesregierung habe ihn nur unzureichend genutzt.

Obwohl wir uns im Ziel einig sind, haben wir leider in Niedersachsen eine Fehlentwicklung in der Versorgungsstruktur für psychisch kranke Menschen. Das ist historisch gewachsen. Der Umbau ist dringend notwendig. Wir haben in Niedersachsen fast dreimal so viele stationäre Angebote und stationäre Plätze wie in anderen Bundesländern.

Das Drama ist: Das Angebot an Heimplätzen nimmt von Jahr zu Jahr weiter zu, obwohl die Heime ganz offensichtlich einen ihrer zentralen gesetzlichen Aufträge, nämlich psychisch behinderte Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren, nicht erfüllen. Mit der Heimeinweisung ist nicht die Wiedereingliederung vorgesehen. Faktisch ist die Heimeinweisung für viele Menschen leider die Endstation.

Schon nach ein bis zwei Jahren gibt es den dramatischen Prozess, dass die Menschen stärker an die Situation des Heimes angeglichen werden, als dass sie auf die normale Realität vorbereitet werden. Sie verlieren in ein bis zwei Jahren Lebenstüchtigkeiten und Kenntnisse, die sie vorher hatten.

Ambulante Behandlung muss jetzt endlich mit klaren Zielvorgaben vor stationärer Behandlung Realität werden. Wir schlagen in unserem gemein

samen Antrag deswegen vor, dass in der nächsten Legislaturperiode - ich betone: als erster Schritt mindestens 10 % der stationären Angebote in ambulante umgewandelt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch einmal etwas zu Ihrer Strategie, Frau Zachow, sagen. Ihr Vorschlag lautet, wir bauen erst ambulante Angebote auf, und dann bauen wir stationäre ab. Diese Strategie, Frau Zachow, ist genau die, mit der die Landesregierung uns mindestens in den vergangenen acht Jahren immer getröstet hat. Sie hat gesagt: Das wird sich entwickeln. Wenn sich das entwickelt hat und es dann noch das Quotale System gibt, dann wird quasi alles gut.

So funktioniert es eben nicht. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir parallel das ambulante Angebot aufbauen müssen, weil das natürlich auch nicht umsonst zu haben ist. Das heißt, es darf da nicht und muss auch nicht - das zeigen alle Untersuchungen - um zusätzliche Mittel gehen. Es geht darum, die Ressourcen, die wir im stationären Bereich haben, in den ambulanten Bereich umzuleiten.

Wir wissen, wenn wir umbauen, haben wir erhebliche Wirtschaftlichkeitsreserven. Unser Problem ist doch: Wenn wir jetzt nicht sehr schnell in den Umbau einsteigen, dann werden wir vor dem Hintergrund wirklich sehr begrenzter Haushaltsmittel auf der einen Seite, aber einer ständig wachsenden Anforderung von Angeboten auf der anderen Seite nur immer mit Leistungskürzungen reagieren können. Meiner Ansicht nach sind wir in Sachen Leistungskürzung aber an einem Punkt angelangt, wo man wirklich fragen muss, ob das noch verantwortbar ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)