Protokoll der Sitzung vom 21.11.2002

Herr Minister, auch wenn man über Material diskutieren kann, frage ich Sie: Welche Schlüsse müssen denn aus der Tatsache gezogen werden, dass die Risse wieder an den gleichen Stellen wie 1995 aufgetreten sind und diesmal auch gleich an drei Rohrleitungen? Das ist doch eine äußerst beunruhigende Tatsache!

Herr Minister!

Ja, es ist in der Tat beunruhigend, dass sich das Material so verändert hat. Man macht dann das, was im Zweifel üblich ist: Man wechselt es aus. Wir überprüfen gerade auch die Übertragbarkeit auf andere Kraftwerke in Niedersachsen. Wahrscheinlich wird sich dabei herausstellen, dass die Stutzen dort aufgrund der Materialentwicklung eine andere Qualität haben und anders eingerichtet sind, sodass die Übertragbarkeit nur begrenzt gegeben sein wird. Sie sehen daraus, dass in diesem Teil des Kraftwerks, der frei von Radioaktivität ist - darauf will ich noch einmal hinweisen -, technische Prozesse ablaufen, die durchaus mit Ermüdung usw. zu tun haben. Deshalb wird auch regelmäßig kontrolliert. Wenn sich dabei Defizite zeigen, wird Material ausgetauscht. So einfach ist das an dieser Stelle, aber so wichtig ist es auch, dem sorgfältig nachzugehen, damit auch auf Dauer gewährleistet wird, dass sämtliche technischen Teile in einem Kraftwerk in solidem Zustand sind. Genau darauf kommt es an.

Ich habe auch auf Folgendes hingewiesen: Unterstellt, dort wäre es zu einer Leckage gekommen - das liegt ja nicht vor, sondern da ist Material angerissen, wenn man so will, ohne dass etwas austritt; darauf will ich hinweisen -, dann wäre dieses Kraftwerk sofort abgestellt worden und wäre die Wärme aus dem Primarbereich über die noch vorhandenen Systeme abgeführt worden, sodass dies unter Sicherheitsgesichtspunkten, was Umwelt und Gesundheit angeht, kein relevantes Thema ist. Aber für die Techniker ist das unter der Fragestellung der Sicherheit im Betrieb einer Anlage eine große Herausforderung. Hier ist ein Problem aufgetaucht, dem sie jetzt mit Akribie nachgehen. Sie möchten nämlich saubere Arbeit leisten und merken im Moment, dass dort ein Problem ist. Dieses Problem wird jetzt gelöst. Bis zur Lösung des Problems wird daran gearbeitet, und so lange wird das Kraftwerk auch nicht in Betrieb gehen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wenzel! Dann Herr Schwarzenholz.

Herr Minister Jüttner, wenn, wie Sie sagen, die Fachwelt staunt und der Laie sich wundert, warum ist es dann anrüchig, diese Fragen zu stellen? Das ist meine erste Frage.

(Beifall bei den GRÜNEN - Frau Harms [GRÜNE]: Das wird in der ganzen Bundesrepublik aufgeregt dis- kutiert!)

Die zweite Frage, Herr Minister Jüttner: Der zuständige Gutachter, der TÜV, ist mit diesem AKW ja quasi verheiratet.

(Frau Harms [GRÜNE]: Das kann man so sagen!)

Halten Sie es für sinnvoll, dass ein Prüfer, ein Gutachter in einer solchen Folge immer wieder dasselbe Objekt prüft, oder sollte man da nicht einmal zu einem Austausch des Gutachters kommen?

Herr Jüttner!

Zu Frage 1: Mich hat die Liste der Dringlichen Anfragen erreicht. Dort heißt die Überschrift: „Rissiges Atomkraftwerk“. Was denkt sich der Laie beim Thema „Rissiges Atomkraftwerk“? - Er denkt sich: Das ist doch eine unheimlich brisante Geschichte! Da steht eine Anlage - jedem fällt Tschernobyl ein -, und wenn in einer solchen Anlage ein Riss ist, ist die Bevölkerung im Umkreis von 150 km hochgradig gefährdet. - Das fällt dem Laien, der nicht einmal Vorurteile haben muss, beim Thema „Rissiges Atomkraftwerk“ ein. Wenn dort ein Riss im Reaktorkern wäre, dann wäre das auch alles berechtigt.

Worüber reden wir aber? - Wir reden über ein technisches System, das es auch in anderen Kraftwerken bzw. technischen Anlagen gibt - das also nicht atomkraftspezifisch ist -, wo Material hochgradig belastet wird. Da gibt es - das ist das ganz normale Gebaren, ob von Gutachtern oder von der Gewerbeaufsicht - regelmäßige Überprüfungen. Atomkraftwerke werden nach einem technischen Regelwerk besonders eindringlich überwacht, geprüft usw. Die Stelle in diesem Kraftwerk, über die wir sprechen, gilt unter Fachleuten aus guten Gründen wegen der Gewichtigkeit der Anfällig

keitspotenziale, die darin stecken, als besonders „beäugbar“. Das ist gar keine Frage.

Jetzt wird festgestellt, dass sich das Material dort verändert, gedehnt hat - es ist angerissen, wenn man so will -, was im Hinblick auf Gesundheit und Umwelt nicht brisant ist, aber hinsichtlich des soliden technischen Fahrens dieser Anlage brisant ist. Das wird jetzt bearbeitet. Insofern ist das nur deshalb politisch interessant, auch für Sie nur politisch interessant, weil es dazu beitragen soll, ein Atomkraftwerk unter Schwung zu halten. Das ist das, was ich Ihnen an dieser Stelle vorwerfe: Angesichts eines im Normalfall wahrscheinlich häufig stattfindenden Vorgangs in einer technischen Anlage wird von Ihnen der Versuch unternommen, das zum Politikum zu machen und Ängste zu schüren. Das halte ich wirklich für eine Sauerei.

(Zustimmung bei der SPD)

„Sauerei“ darf man, glaube ich, nicht sagen. Das halte ich für nicht in Ordnung, meine Damen und Herren. - So viel zu der ersten Frage. Was war die zweite Frage?

(Wenzel [GRÜNE]: Die Frage nach dem Gutachter!)

- Die Frage nach dem Gutachter. Auch dazu will ich Ihnen deutlich etwas sagen. Wir haben im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um Sellafield harte Debatten mit dem TÜV geführt. Ich teile Ihre Einschätzung, dass bestimmte Bearbeitungsarbeitsplätze regelmäßig verändert gehören. Es geht nicht an, dass Sachverständige, aber auch Mitarbeiter in Aufsichten Jahrzehnte an demselben Objekt sitzen, weil man betriebsblind wird. Das ist ein berechtigter Hinweis. Das sage ich in aller Deutlichkeit.

Ich verwahre mich aber entschieden dagegen, ein Unternehmen in Niedersachsen mit Namen TÜV - das ist ein Verein, aber ein großes Unternehmen in dieser Weise hier zu denunzieren. Die machen solide Arbeit. Wenn sie nicht eine solide Arbeit machen, dann kriegen sie dafür etwas auf die Mütze. Wir haben nach der Auseinandersetzung vor drei Jahren, als wir den Eindruck hatten, dass der TÜV nicht an allen Stellen hinreichend präzise informiert hat, obwohl er sich rechtlich und vertraglich korrekt verhalten hat - das muss man fairerweise dazu sagen -, die Vertragsbedingungen mit dem TÜV verändert und ihm hinsichtlich der Informations- und Meldepflichten zusätzliche Auflagen aufgetragen. Außerdem haben wir seit

dem die Palette derer, die wir gutachterlich beschäftigen, deutlich erweitert. Hier ist nicht ein Unternehmen oder ein Betrieb mit dem TÜV verheiratet, sondern wir erwarten, dass die Aufsicht und die Gutachter solide Arbeit leisten. Wenn sie das nicht tun, dann ziehen wir Konsequenzen. Wir haben aber bei dem in Rede stehenden Vorfall im Kernkraftwerk Unterweser keine Veranlassung, an der Qualität der Gutachter zu zweifeln.

(Zustimmung von Plaue [SPD])

Herr Schwarzenholz! Danach Frau Pothmer.

Herr Minister, ist die Tatsache, dass jetzt verstärkt in einem solchen Belastungsbereich derartige Probleme auftreten, nicht ein Indikator dafür, dass mit zunehmender Alterung von Atomkraftwerken die Gefährdung aufgrund von Materialermüdungen und ähnlichen Faktoren, wie sie auch in anderen alten Industrieanlagen vorliegen, zunimmt und dadurch dieser Betrieb mit zunehmendem Alter immer problematischer wird?

(Frau Harms [GRÜNE]: Ganz sicher!)

Herr Jüttner!

Im Kern ist es natürlich richtig, dass ältere Anlagen im Zweifel durchaus darauf überprüft werden, ob sie die rechtlichen Voraussetzungen für ihren Weiterbetrieb noch erfüllen. In dem Moment, wenn das nicht mehr der Fall ist, sind Genehmigungen zu widerrufen oder ist ein Betrieb nicht mehr zulässig. Hier reden wir aber über Teile der Anlage, die man problemlos erneuern kann. Es gibt mindestens ein niedersächsisches Atomkraftwerk, in dem diese Stutzen vor einigen Jahren ausgetauscht worden sind, sodass zumindest dieser Teil nicht mehr in einer Ermüdungssituation ist, sondern sich revitalisiert hat. Im Kern kann man Ihre Frage also eingeschränkt mit Ja beantworten. Das hilft uns aber an dieser Stelle auch nicht weiter.

Frau Pothmer! Danach Frau Harms.

Herr Minister, Sie betonen ja immer wieder, das Problem, über das wir hier diskutieren, sei mit keinerlei Gefahren für die Bevölkerung verbunden. Ich frage Sie aber: Was würde eigentlich passieren, wenn es in diesem Bereich tatsächlich zu einem großen Leck kommt? Würde dann nicht doch die Kühlung des Reaktorkerns in Frage gestellt?

(Zustimmung von Frau Harms [GRÜNE])

Das war eine prozesstechnische Frage.

Herr Präsident, ich bin aber geneigt, sie trotzdem zu beantworten. Da Frau Harms durch ihren Beifall deutlich gemacht hat, dass sie die Logik in der Fragestellung unterstützt, muss ich ihren technischen Sachverstand sehr in Zweifel ziehen.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Harms [GRÜNE]: Unglaublich!)

Ich kann die Frage einfach nur mit Nein beantworten.

Frau Harms, Sie sind dran.

Herr Minister, wir haben gehört, dass Sie jetzt - obwohl das alles ja gar kein Problem ist - auch die anderen niedersächsischen Atomkraftwerke besonders gründlich untersuchen. Wie werden denn die Überprüfungen an den Rohrleitungen durchgeführt? Prüfen Sie die Protokolle von alten Messungen, die vielleicht schon viele Jahre zurückliegen, oder beabsichtigen Sie, die anderen niedersächsischen Atomkraftwerke abzuschalten, um das neu in Augenschein zu nehmen?

Herr Jüttner!

Herr Präsident! Frau Harms, Ihre Fragestellung finde ich wirklich sehr beeindruckend. Sie nehmen auf, dass das nicht ganz entscheidend ist - das ist

meine Argumentation -, aber trotzdem widmen wir dem eine solch große Bedeutung. Sie argumentieren, das sei ein Widerspruch in sich.

(Frau Harms [GRÜNE]: Ich meine, es wird bei der Reaktorsicherheitskom- mission im Dezember auf der Tages- ordnung stehen!)

- Das weiß ich. Natürlich.

(Frau Harms [GRÜNE]: Sie spielen das herunter!)

- Nein, ich spiele das gar nicht herunter. Wir haben hier jedoch die Situation, dass ein technisch relevantes Problem von Ihnen zum Politikum gemacht wird, und zwar unter Beteiligung des BMU.

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist kein Problem. Das sind wir gewohnt. Das ist ja nicht neu. Das ist ein schönes Zusammenspiel - übrigens unter Ignorierung der rechtlichen Zuständigkeiten. Aber das ist völlig egal; das ist gar nicht mein Thema.

(Frau Harms [GRÜNE]: Ich finde, wir schaffen Aufsicht hier ganz ab!)

Tatsache ist: Wir stellen fest, da ist ein technisches Problem, und unter Gesichtspunkten der Vorsorge sorgen wir dafür, dass dieses technische Problem beseitigt wird, und zwar nicht nur im Atomkraftwerk Unterweser, sondern, wenn es auch woanders vorhanden sein sollte, auch in den anderen niedersächsischen Kraftwerken, für die wir die Aufsicht haben. Da wir nicht sicher sind, ob dieses Problem auch in anderen Bundesländern auftritt, haben wir - obwohl wir dazu rechtlich überhaupt nicht verpflichtet sind - den BMU unterrichtet mit der Bitte, auch in den anderen Ländern entsprechende Prüfungen zu veranlassen. Wie kommt man einer solchen Bitte um Prüfung nach? - Man informiert die Reaktorsicherheitskommission und bittet, das Thema dort zu besprechen. Das ist der normale Weg im Umgang mit einem Problem in diesem Sektor.

Wir überprüfen jetzt genau anhand der Protokolle und Begutachtungen und im Zweifel durch Schallmessungen und werden im Zweifel, wenn es sich als relevant herausstellt, dass etwas ausgetauscht werden muss, dafür sorgen, dass die entsprechenden Stellen herausgeschnitten werden. Das ist ein ganz normaler Vorgang.

Es ist völlig klar, dass im Fall einer Leckage die Anlage abgeschaltet und die Wärme abgeführt würde. Das war ja auch die Frage Ihrer Vorrednerin.

(Zuruf von Frau Pothmer [GRÜNE])