Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben schon ein starkes Stück. Nach zwei Jahren Schulstrukturdiskussion in Richtung selbständiger Schule legen Sie heute einen Entwurf in einer Phase vor, in der Schulträger sehr genau diskutieren, wie sie ihre Schulstandorte aufwerten und halten können.

(Klare [CDU]: Wollen Sie sich nicht anschließen?)

Sie wissen ganz genau, dass es eine Menge Initiativen für die Kooperative Haupt- und Realschule gibt, um Standorte zu sichern. Es gibt eine Reihe von Diskussionen über Kooperative Gesamtschule, um Standorte zu sichern. Eine Elterninitiative im Landkreis Helmstedt hat sich inzwischen für eine Integrierte Gesamtschule durchgesetzt. Der Kreistag hat sie gerade beschlossen.

(Zuruf von Busemann [CDU])

In dem Augenblick, in dem die Entwicklung in Gang gekommen ist, legen Sie Ihren absolut rigiden und konservativen

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Verstaubten!)

und verstaubten Gesetzentwurf der 50er-Jahre vor.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe es Ihnen heute Morgen gesagt: Stärker kann man den Elternwillen nicht mehr missachten.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: So ist das!)

Dafür sind wir Ihnen in der jetzt auf uns zukommenden Wahlphase herzlich dankbar.

Sie versuchen, diese Entwicklungen nur aus ideologischen Gründen zu beseitigen. Es interessiert Sie nicht, welcher Elternwille erhoben wird und wie viele Leute jedes Jahr abgelehnt werden, weil nicht genügend Bildungsangebote im Gesamtschulbereich existieren. Die Hälfte aller Kinder wird abgelehnt, weil es in Niedersachsen nicht genügend Plätze an Gesamtschulen gibt.

(Zuruf von Klare [CDU])

Nach unserem Schulgesetz bieten wir den Eltern sowohl das gegliederte Schulwesen als auch das integrierte und kooperative Schulwesen an.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben einmal einen Antrag zum vielfältigen Bildungsangebot gestellt. Wo ist er geblieben? Sie frönen mit diesem Gesetzentwurf ausschließlich Ihren ideologischen Positionen.

Zu dem Entschließungsantrag der Grünen will ich nur kurz sagen: Wir sind erfreut, dass Sie Ihre Position zur sechsjährigen Grundschule korrigieren. Der Abgeordnete Wulf hat dazu schon etwas gesagt. Frau Litfin, Sie sollten sich auch mit der Verordnung für die Jahrgangsstufen 12 und 13 befassen. Keine Schule muss eine Profilklasse einrichten. Man kann genauso gut wieder den Sprung über das Schuljahr 11 machen. Beides ist nach der Verordnung möglich. Sie haben über etwas geredet, was längst erfüllt ist. Allerdings haben Sie inzwischen auch den Verbundgedanken aufgenommen, den wir im Bereich der selbständigen Schule weiterentwickeln wollen. Nur so bekommen wir überhaupt vernünftige Budgets hin.

(Busemann [CDU]: Das ist bei uns uralt!)

Diese Korrektur und diese Einsichtsfähigkeit, die Sie mit diesem Entschließungsantrag zeigen, kann man bei der CDU nicht erwarten. Der Gesetzentwurf der CDU missachtet sämtliche Erkenntnisse aus der PISA-Studie und sämtliche Erkenntnisse aus dem DIPF-Gutachten. Wenn man einmal nachliest, was das DIPF-Gutachten dazu sagt, dass Kinder in „empfohlen“ und „nicht empfohlen“ einsortiert werden, welche soziale Selektion sich daraus ergibt, und wenn man hört, dass die Elternentscheidung mehr bewirkt als die Lehrerempfehlung, dann wird deutlich, dass Sie genau die falschen Konsequenzen ziehen.

(Vizepräsidentin Goede übernimmt den Vorsitz)

Ich will Ihnen einmal Handwerkspositionen vorlesen, die es an anderer Stelle gibt. Unser niedersächsisches Handwerk sollte auch etwas zu dem sagen, was inzwischen das Zentralhandwerk vertritt. Vor allem die Handwerker aus BadenWürttemberg vertreten dies. Ich will Ihnen zitieren, was sie dazu sagen:

„Ein weiterer Aspekt, der das dreigliedrige Schulsystem infrage stellt, ist die Tatsache, dass das Leistungsniveau der deutschen Schüler im Vergleich zu anderen Ländern, die kein gegliedertes System haben, wesentlich niedriger ist. In keinem Land sind die Lerngruppen so homogen wie in Deutschland. Trotzdem bringen sie weder Topleistungen noch ein Gesamtergebnis auf hohem Niveau. Im Gegenteil: Die starke Homogenität produziert Schwierigkeiten im Umgang mit Unterschieden und Abweichungen.“

Dann sagen die Handwerker weiter:

„Das selektive Schulsystem entlässt die Schulen aus der Verantwortung, sich um schwierige und abweichende Schüler zu kümmern. Wer nicht der Norm entspricht, den stigmatisiert das System zum schlechten Schüler. Er wird vom Gymnasium in die Realschule und von dort in die Hauptschule weitergereicht.“

Wissen Sie, was vom Handwerkstag in BadenWürttemberg vorgeschlagen wird? Haben Sie das einmal nachgelesen?

(Klare [CDU]: Klar haben wir das nachgelesen! Lesen Sie doch bei den Niedersachsen nach! Da sind Sie zu- ständig!)

- Es ist schön, dass Sie das machen. Ich will auch unser Handwerk fragen.

(Busemann [CDU]: Dann machen Sie das doch! - Klare [CDU]: Welches System schwebt Ihnen denn vor?)

Sie schlagen dort die neunjährige Grundschule vor, um eine gemeinsame Schulzeit zu entwickeln. Damit müssen Sie sich auseinander setzen. Herr Klare, Sie haben dann ein Problem.

Aus diesem Gründen schlägt nicht nur das baden-württembergische Handwerk, sondern schlagen auch die Bertelsmann-Stiftung und McKinsey Veränderungen im deutschen Schulsystem vor. Damit wird deutlich: Der Gesetzentwurf der CDU konterkariert absolut die Ergebnisse der PISA-Studie und missachtet den Elternwillen.

Das Schärfste ist, dass Sie entgegen Ihrem Entwurf aus dem Jahre 1980 die Schulform der Gesamtschule im vorderen Teil streichen, in Teilen aber ohne Bildungsauftrag, ohne alles bestehen lassen. Das ist allein handwerklich eine Sauerei, um es auf Deutsch zu sagen. Es ist aber erst Recht eine absolute Missachtung der niedersächsischen Entwicklung.

(Jahn [CDU]: Na, na, na! - Zuruf von Klare [CDU])

Frau Ministerin, würden Sie Ihre Formulierung bitte relativieren.

Ich nehme das zurück und behaupte, dass es handwerklich eine ganz, ganz schwache Leistung ist. Sie haben sich in Ihrer eigenen Pressemitteilung schon für Ihre handwerkliche Leistung im Schulgesetz entschuldigt. Sie hatten aber zwei Jahre dafür Zeit. Das zeigt noch einmal, welche Kompetenz Sie im Bildungsbereich besitzen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben kein Wort zur Finanzierbarkeit Ihres Gesetzentwurfes verloren. Ihre Anforderungen an andere Gesetzentwürfe zur Finanzierbarkeit lasse ich einmal außen vor. Sie erfüllen das Gegenteil von dem, was Sie behaupten. Sie sichern keine Standorte. Sie suggerieren auch noch, dass der Entwurf finanzierbar sei. Der Gesetzentwurf ist aber ein Kostenexplosionsgesetz. Das muss man an dieser Stelle sagen. Er kostet das Land Niedersachsen mehr Stellen, er kostet die Kommunen mehr Schulräume und kostet mehr an Schülerbeförderung. Es ist wirklich bemerkenswert, wie Sie über den Finanzierungsbedarf hinweggehen.

Mit dem vorgelegten Entwurf haben Sie es geschafft, seit 2000 insgesamt 10 000 neue Stellen zu fordern. Letztes Mal sagte ich Ihnen, Sie seien schon bei 8 500. Durch den Gesetzentwurf haben Sie - grob geschätzt - inzwischen die Grenze von 10 000 überschritten. Wir müssen über 2 500 Stellen gar nicht mehr reden, wenn man bedenkt, was Sie alles zu erfüllen haben, und man das zu dem hinzurechnet, was Sie selbst zur Finanzierung des Haushalts von Niedersachsen sagen. Es geht nichts mehr zusammen, aber auch gar nichts.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie haben sich mit diesem Gesetzentwurf selbst konterkariert. Sie wissen ganz genau, dass das, was Sie vorschlagen, nicht finanzierbar ist. Wir können Ihnen das im Einzelnen vorrechnen - das ist ganz leicht. Wenn Sie die 5. und 6. Klasse schulformspezifisch ausstatten, haben Sie allein in punkto Lehrerstellen eine Kostenerhöhung, weil Gymnasiallehrer teurer sind als andere Lehrer. Das wissen Sie alles. Wir haben, grob gerechnet, 53 Millionen Euro allein durch diesen Gesetzentwurf auf Landesseite festgestellt - die Mehrausgaben auf Schulträgerseite außen vor gelassen.

Zusammengefasst heißt das: Sie verringern die Bildungsqualität in Niedersachsen, Sie missachten in erheblichem Maße den Elternwillen,

(Zuruf von Busemann [CDU])

und Sie wollen strukturelle und inhaltliche Entscheidungen einleiten, die die PISA-Studie missachten. Außerdem schlagen Sie etwas vor, was nun wirklich nicht bezahlbar ist.

Es ist gut, dass Klarheit eingetreten ist. Frau Litfin hat gesagt: Wir haben jetzt Klarheit. Und es ist gut, dass wir nun einen Gesetzentwurf haben, an dem wir in den nächsten Wochen zeigen können, wohin die Reise mit der CDU gehen soll. - Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der SPD - Busemann [CDU]: Da kann uns die Vermögen- steuer helfen!)

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Vockert hat zusätzliche Redezeit erbeten. Das ist nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung möglich. Ich erteile Ihnen bis zu drei Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eben gehört, dass uns die Niedersächsische Kultusministerin etwas vorrechnen will. Ich erinnere an die Debatte hinsichtlich der Finanzierung im letzten Plenum, in der wir uns zunächst einmal haben vorrechnen lassen müssen, wie der Ministerpräsident die 2 500 Lehrkräfte finanziert hat. Er hat uns doch ins Stammbuch geschrieben: Schauen Sie einmal bitte in den Haushalt, schauen Sie in die Mipla. Da stehen die 2 500 zusätzlichen Lehrkräfte

drin. - Eine Seite weiter, also fünf Minuten später, sagt uns der Finanzminister Aller: Es tut uns herzlich Leid, aber in der Mipla konnten wir dieses definitiv nicht absichern.

Frau Ministerin, Ihren Rechnungen, die Sie uns aufmachen wollen, schenken wir überhaupt keinen Glauben.

(Beifall bei der CDU)

Genauso wenig können wir Ihren Konzepten Glaubwürdigkeit entnehmen. Sie haben mittlerweile 16 inhaltlich verschiedene Konzepte auf den Tisch gelegt. Alle sind irritiert, alle sind verunsichert. Es steht vor dem Hintergrund der PISAErgebnisse nichts an positiven Veränderungen drin. Deswegen ist es notwendig, dass wir an dieser Stelle definitiv sagen, dass wir ein begabungsgerechtes System brauchen, ein System, in dem entsprechend den Leistungen gefördert wird.

(Zustimmung bei der CDU)