Protokoll der Sitzung vom 22.01.2003

Meine Damen und Herren, es sollte eigentlich um die Frage gehen, ob Niedersachsens Schulen verlässlich sind. Dazu muss jedermann im Lande wissen: Was ist zurzeit daran verlässlich? Seit 1990 12 % weniger Unterrichtsversorgung und bei der Lehrer-Schüler-Relation ein Minus von fast 20 %. Bei Lehrernachwuchs und Personalmanagement, Frau Ministerin, ist Null angesagt. Wir laufen da in eine Katastrophe. Und das nennen Sie insgesamt verlässlich?

Im PISA-Vergleich landet Niedersachsen im Bundesvergleich auf Platz 11 von 14. Wollen Sie, Herr Kollege, nach diesen Ergebnissen allen Ernstes behaupten, unsere jungen Leute in Niedersachsen könnten sagen, sie würden aufgrund unseres verlässlichen Schulwesens gut gerüstet ins Berufsleben entlassen? – Mitnichten!

(Beifall bei der CDU)

Der Jahrgang, der jetzt zum Abitur ansteht, ist vor 13 Jahren eingeschult worden, zu der Zeit, als Sie als Staatssekretärin ins Ministerium eingezogen sind. Die heutigen Verhältnisse haben Sie

höchstpersönlich mit zu verantworten. Da kann sich niemand herausstehlen, und das wird am 2. Februar auch bilanziert werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Mit Verlässlichkeitsformeln kommen Sie aus der Thematik nicht heraus. Wer jetzt von Verlässlichkeit redet und 13 Jahre lang nichts gemacht hat, sollte sich selber an die Nase fassen.

(Zustimmung bei der CDU)

Zum Thema Grundschule, nur damit wir wenigstens in ein paar Punkten Klarheit miteinander bekommen: Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Masse der Grundschulstandorte so genannter verlässlicher Standort geworden ist. Bitte nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass an vielen Orten der Förderunterricht nicht vernünftig klappt. Frau Ministerin, wir haben uns auch den Bereich Gifhorn noch einmal angesehen, in dem Sie hoffentlich noch ein bisschen Realitätsnähe entwickeln. Noch im November/Dezember haben allein 17 Grundschulstandorte im Bereich Gifhorn gemeldet, dass sie den Vertretungsunterricht nicht organisieren können. Dann kommen Sie bitte nicht und sagen, alles sei toll, es sei ein Erfolgsmodell und dergleichen mehr.

Da, wo Sie für Verlässlichkeit insbesondere Betreuungsangebote formulieren - das hat durchaus auch etwas Gutes -, werden wir mit zusätzlichen Unterrichtsangeboten agieren. Das ist der richtige Weg.

(Zustimmung bei der CDU)

Wenn PISA belegt, dass die jungen Leute die Grundfertigkeiten nicht richtig beherrschen, dann müssen wir an der Grundschule ansetzen mit mehr Unterrichtsstunden für Rechnen, Schreiben und Lesen. Das ist der richtige Weg.

Dass wir im Kita-Bereich einiges vorhaben, wissen Sie auch. Noch vor acht Wochen polterte Herr Gabriel:

(Möllring [CDU]: Wo ist er denn?)

Bildungsauftrag Kindergarten, alles Quatsch, alles nicht bezahlbar, alles Unfug der Opposition. Heute müssen Sie eine Arbeitsgruppe bilden, um den Bildungsauftrag zwischen Kita und Grundschule miteinander zu formulieren. Hoffentlich leistet diese Gruppe eine gute Arbeit, dann können wir die Ergebnisse im März vielleicht übernehmen.

(Frau Janssen-Kucz [GRÜNE]: Dazu wird es nicht kommen!)

Jedenfalls sehen wir uns da gerne bestätigt.

Zu den Ganztagsschulen: Herr Wulf, in die Ecke kriegen Sie uns nicht. Wir sind schon seit Jahr und Tag an dem Thema dran,

(Lachen bei der SPD)

substanziell vor Ihnen. In der Bedarfsbeschreibung bewegen wir uns durchaus in dem Bereich wie Sie. Wir sagen: 30 bis 40 % der Standorte möchten das gern. Aber dann gilt bitte sehr das Freiwilligkeitsprinzip, dann muss es maßgeschneidert werden. Da reichen z. B. zwei Stunden Unterricht nicht mehr. Die können auch am Vormittag angeboten werden, dazu braucht man keine Ganztagsschule.

(Frau Janssen-Kucz [GRÜNE]: Dann haben Sie das Prinzip nicht verstan- den!)

Da haben wir anspruchsvollere Modelle, und wir werden das auch vernünftig durchführen.

Eine letzte Bitte, Frau Ministerin, über die wir vielleicht morgen vertieft diskutieren können: Bitte sorgen Sie dafür, dass die UMTS-Milliarden oder Millionen aus Berlin nun auch wirklich kommen, und zwar mit einer richtigen Zweckbestimmung. Wir werden damit fertig. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat die Kultusministerin, Frau JürgensPieper.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziemlich genau vier Jahre ist es her. Am 20. Januar 1999 war Herr Busemann hier auch am Reden.

(Möllring [CDU]: Was heißt hier „am Reden“?)

Vor dem Landtag sagte er zur Verlässlichen Grundschule:

„Nach der Anpreisung durch Frau Seeler halte ich die verlässliche Grundschule nicht mehr nur für falsch, sondern ich habe jetzt sogar

Angst davor, was mit ihr auf uns zukommt.“

Das hat er gesagt. Sie haben zu Recht Angst gehabt. Sie haben nämlich wohl geahnt, dass der Erfolg dieser Schule Sie völlig überrollt. Sie sind gerade noch rechtzeitig zur Seite gesprungen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Busemann, mit dieser Aktuellen Stunde wollten wir Ihnen eigentlich die Gelegenheit geben, diese Aussage endlich einmal zurückzunehmen.

(Möllring [CDU]: Wieso Sie? Seit wann beantragt die Regierung eine Aktuelle Stunde?)

In diesen Sätzen haben sich Ihre krasse Fehleinschätzung und Ihre Inkompetenz klar gezeigt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn alle Grundschulen im kommenden Jahr verlässlich geworden sind, haben wir 65 Millionen Euro für den Grundschuldbereich mehr ausgegeben. Das heißt - auch da reden Sie Unsinn - mehr als 100 % Unterrichtsversorgung. Wenn Sie nicht verstehen, dass Vertretungsreserve ein Instrument ist, um Unterrichtsausfall zu bekämpfen, haben Sie die Bildungspolitik nicht begriffen; dann werden Sie auf jeden Fall scheitern. Das kann ich Ihnen voraussagen.

(Klare [CDU]: Funktioniert das Sys- tem?)

- Das System funktioniert, und zwar auch in Gifhorn. Ich habe mir dort die Schulen angesehen. Es funktioniert dort sogar hervorragend. Ich kann Ihnen einen Besuch dort nur empfehlen. Für den Fall, dass es noch Zweifler an dem Erfolgsmodell gibt, sage ich nur: Sie wissen ganz genau, dass der Landeselternrat eine Umfrage durchgeführt und das Modell mit „gut“ bewertet hat.

(Klare [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, das gestatte ich nicht. - Dass der Landeselternrat eine Umfrage durchgeführt und das Modell mit „gut“ bewertet hat, wissen Sie ganz genau. Das gilt auch für die Kommunen, in denen Sie Verantwortung tragen. Dort wird mir hinter vorgehaltener Hand gesagt: Obwohl Herr Wulff nicht möchte, dass wir das einführen, machen wir es trotzdem, weil das nämlich ein gutes Modell ist.

(Beifall bei der SPD – Klare [CDU]: Sie sagen nicht die Wahrheit!)

Die nächsten Schritte zur Weiterentwicklung der Grundschule sind auf den Weg gebracht worden - Sie wissen das ganz genau -: der Ausbau der Sprachförderung, die Möglichkeit zur Einführung einer flexiblen Eingangsstufe. Das werden Erfolgsmodelle sein. Das zeichnet sich schon jetzt ab. Wir werden damit bundesweit eine Spitzenstellung einnehmen.

In Westdeutschland, meine Damen und Herren, wünschen sich knapp 70 % der nicht erwerbstätigen Mütter mit Kindern von bis zu zwölf Jahren die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Wer in der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorankommen will, muss verlässliche Zeiten anbieten, und zwar halbtags und ganztags.

(Möllring [CDU]: Das wollen wir!)

- Ich komme jetzt zu dem komischen Modell, das Sie „Ganztagsschule“ nennen. - Mit Ihrem Modell der freiwilligen Nachmittagsbetreuung nehmen Sie nach wie vor die gesellschaftliche Realität, was Frauen wollen und Familien brauchen, nicht wahr, weil Sie ideologisch geprägt sind.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie bildungspolitisch meinen, wir benötigten eine freiwillige Nachmittagsbetreuung in den Schulen, dann haben Sie sich allerdings ebenfalls getäuscht und die PISA-Befunde nicht verstanden. Die deutsche Vormittagsschule ist - zusammen mit der Fünf-Tage-Woche - am Ende ihrer zeitlichen Möglichkeiten. Das haben Sie offensichtlich noch nicht bemerkt. Der Zeitrahmen reicht für das, was Sie machen wollen, nicht aus. Das zeigt, dass Sie die Vormittagsschule noch gar nicht richtig verstanden haben. Der Zeitrahmen am Vormittag reicht für Sprachförderung, für Wahlpflichtangebote, für mehr Arbeits- und Übungsstunden nicht aus. Wir müssen am Nachmittag Lehrkräfte, nicht

aber Betreuungskräfte, wie Sie dies wollen, einsetzen. Das muss den Leuten klar werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)