Protokoll der Sitzung vom 22.01.2003

- Aber doch nicht, weil Sie gearbeitet haben, sondern weil unsere Wirtschaft perfekt ist. Deshalb hat das nichts mit dem 11. September zu tun; denn dadurch wurde der Export nicht beflügelt.

Als Abschluss zu dieser Diskussion, bei der es auch um Arbeitsplätze geht, will ich Ihnen eines sagen: In den Ostfriesischen Nachrichten ist vor genau einer Woche folgender Kommentar erschienen:

„4,2 Millionen Arbeitslose sind Antwort genug auf verfehlte SPD-Politik. Da sind derartige wirtschafts- und mittelstandsfeindliche Äußerungen“

- des Ministerpräsidenten, ist da gemeint

„gar nicht mehr hinzunehmen. Kein Wunder, dass SPD-Landtagskandidat Hermann Bontjer von Gabriel abrückt. Aber in der SPD rückt ja momentan sowieso jeder von jedem ab.“

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Lanclée [SPD]: Herr Bontjer gibt eine persönliche Er- klärung ab!)

Für die Landesregierung hat Herr Ministerpräsident Gabriel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, wir sollten jetzt mal ein bisschen Spannung in die Debatte hineinbringen.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht hat Herr Wulff ja auch einmal Lust, ein bisschen mitzumachen. Kurz vor der Landtagswahl muss auch gezeigt werden, wo die Alternativen zu uns liegen.

Das Erste zu Herrn Möllring: Ich verstehe, dass Sie aus der Entfernung den Bundesrat noch nicht so richtig beurteilen können. Wir wollen eine Menge dafür tun, dass das so bleibt. Aber die Situation ist schlicht und ergreifend so, dass die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf zur Steuerreform in den Bundesrat eingebracht hat und dass es noch keinerlei Möglichkeiten gibt, diesen Gesetzentwurf in den Vermittlungsausschuss zu bringen. Vielmehr hat die CDU-geführte Seite eine Stellungnahme abgegeben. Dieser Stellungnahme hat das Land Niedersachsen widersprochen. Sie haben hier behauptet, wir hätten sozusagen dem Gesetzespaket zugestimmt. Wir haben der Stellungnahme der CDU nicht zugestimmt. Das wollen wir auch noch nicht;

(Beifall bei der SPD)

denn erstens wollen wir in den Vermittlungsausschuss und zweitens, Herr Möllring, geht eines nicht - das betreiben Sie und Ihre Parteikollegen in ganz Deutschland -, nämlich dass Sie zu jeder Sache Nein sagen, ohne darzulegen, wie man die Alternative organisieren soll. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin nicht der Überzeugung, dass alle Steuerrechtsänderungen der Bundesregierung am Ende beschlossen werden dürfen. Dieser Überzeugung bin ich ausdrücklich nicht. Ich bin aber dafür, dass wir offen sagen, was die Konsequenz ist, wenn man das nicht mitmacht. Da fangen wir einmal mit Ihrer Politik an.

Sie gehen durch die Lande und versprechen den Menschen weitere Steuersenkungen. Sie versprechen ihnen die Senkung der Schulden. Sie versprechen ihnen auch, dass Sie in Einzelbereichen mehr ausgeben werden. Ich will nicht über WahllügenUntersuchungsausschüsse reden. Das Familiengeld haben Sie ja schon kassiert; davon ist nicht mehr die Rede. Aber ich sage Ihnen: Wer das zusammenkriegt - geringere Schulden, geringere Steuern und mehr Ausgaben -, der muss Mathe wirklich in einer ganz schlechten PISA-Schule gelernt haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich kenne ja die wohlfeile Theorie, die dann kommt.

(Wojahn [CDU]: Olle Kamellen!)

- Moment! Ich will gerade Ihren Fraktionsvorsitzenden zitieren und Sie sagen „Olle Kamellen!“ Nicht so schnell! Er ist doch ganz frisch dabei. Er hat doch gerade erklärt, wenn wir das alles nicht machen, dann wird es Wachstumsimpulse geben und von dem größeren Kuchen wird der Staat dann auch wieder Steuereinnahmen haben. - In der Tat! Aber eines stimmt doch auch - das weiß doch jeder -: Es wird dann Zeiträume geben, in denen wir Maastricht nicht einhalten werden. Das aber trauen Sie sich nicht zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns doch einmal Nägel mit Köpfen machen! Auch ich bin dafür, dass wir nicht jede Steuerrechtsänderung beschließen, auch nicht die Änderung zur Dienstwagensteuer und einige Dinge mehr.

(Zustimmung bei der SPD)

Aber ich bin dafür, dass wir den Menschen reinen Wein einschenken.

(Lachen bei der CDU)

- Ja, aber Sie auch!

(Busemann [CDU]: Jetzt wird es et- was!)

- Herr Busemann, rufen Sie nicht zu früh „Bravo!“ Sie müssen den Menschen dann ehrlich sagen: Mit dem Konzept der CDU ist Maastricht nicht einzuhalten.

(Möllring [CDU]: Natürlich!)

Wer - wie Sie es tun - den Menschen verspricht, die Staatsquote auf unter 40 % zu senken, der muss den Menschen sagen, dass das 170 Milliarden Euro kostet. Der gesamte Bundeshaushalt umfasst nur 250 Milliarden Euro. Entweder versprechen Sie den Menschen etwas, was Sie niemals einhalten können, weil Sie mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts einsparen wollen, oder Sie haben vor, diesen Einsparbetrag zu erbringen. Dann allerdings können Sie ihn nicht aus dem Bundeshaushalt erbringen; dann müssen Sie die Staatsquote an anderer Stelle senken. Da gibt es dann nur eine Möglichkeit.

(Möllring [CDU]: Mehrere!)

- Nein!

(Möllring [CDU]: Bei Ihnen gibt es immer nur eine!)

Da geht es um die Sozialversicherung. Wenn Sie diese Größenordnung aus der Sozialversicherung herausschneiden wollen, dann sagen Sie den Menschen das! Dann wird es auch ein Konzept, wenn Ihre Leute sagen, die Menschen sollen wieder bis 67 oder 70 arbeiten, wenn es Leute gibt, die sagen, der Zahnersatz solle von den Menschen selbst bezahlt werden, oder wenn Sie auf die abenteuerliche Idee kommen, dass jeder Mensch eine Privatversicherung abschließen soll.

(Möllring [CDU]: Rürup will das!)

- Nicht einmal das wissen Sie! Rürup hat das nicht vorgeschlagen, sondern ein Professor aus Freiburg. Nicht einmal das wissen Sie, aber Sie reden ständig darüber. Nicht einmal das wissen Sie.

(Beifall bei der SPD)

Es sind Ihre Leute, die den Menschen Angst machen, dass Sie bis 67 oder 70 arbeiten müssen. Ich schlage vor, einige der Abgeordneten, die das vorschlagen, und einige Professoren sollten einmal

aus ihren Stübchen herausgehen und sich anschauen, wie ein Bauarbeiter oder eine Krankenschwester im Schichtdienst oder jemand in der Industrie arbeitet; dann wissen sie, warum die Leute mit 58 oder 59 Jahren in Rente gehen. Das ist der Hintergrund.

(Beifall bei der SPD)

Sie bestreiten den Erfolg der Riester-Rente, indem Sie sagen, es seien nur ein paar Millionen eingestiegen. Aber Sie verschweigen, dass 18 Millionen über die betriebliche Altersvorsorge eingestiegen sind. Das verschweigen Sie den Menschen.

Sie machen den Menschen permanent vor, Sie hätten ein Konzept für Ihre 170 Milliarden Euro. Das kriegen Sie aber nur dann hin, wenn Sie das Konzept verfolgen, allen wieder eine private Krankenversicherung zuzuschreiben. Das sollten Sie den Menschen dann aber auch sagen. Sagen Sie den Menschen doch, dass ein Handwerksgeselle mit 1 000 Euro Nettoeinkommen die Wahl hat, sich privat krankenzuversichern oder eine schlechtere Gesundheitsversorgung zu bekommen! Sagen Sie den Menschen, was Ihre Alternative ist!

(Beifall bei der SPD)

Sie predigen hier seit Wochen und Monaten, man brauche Mut zur Reform.

(Möllring [CDU]: Braucht man auch!)

- Passen Sie mal auf! Es geht um die Frage, welchen Mut. Ich will nicht, dass Sie es immer nur als Mut definieren, wenn bei Kranken, Patienten, Alten und Pflegeversicherten gekürzt wird. Dafür braucht man keinen Mut.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in der ersten Runde im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat darüber beraten, wie man auch Apotheker, Ärzte und Krankenhäuser an den Kosten beteiligt.

(Behr [CDU]: Fragen Sie mal die Apotheker, wie sie darüber denken!)

- Na klar. Es geht darum, dass wir auch den Apothekern sagen müssen: Wir können das Bilden von Ketten nicht dauerhaft verbieten, weil wir sehen, dass in den Ketten Möglichkeiten zur Senkung von Preisen stecken. Wir können doch nicht immer die Arbeitnehmer zur Kasse bitten, nur weil andere ihre Privilegien aufrechterhalten wollen.