Protokoll der Sitzung vom 23.01.2003

Ich muss Ihnen sagen, mich hat eigentlich überrascht, dass insbesondere die Vertreter der evangelischen Kirche die Aufhebung des Friedhofszwangs mit der Abschaffung der Friedhöfe gleichgesetzt haben. Ich kann diese Sichtweise überhaupt nicht nachvollziehen. Auch der CDU-Abgeordnete Herr Bookmeyer hat ja vor der Zerstörung der Friedhofskultur in Deutschland gewarnt.

(Stratmann [CDU]: Recht hat er!)

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, dass Sie gegenüber den Ritualen, die hier über Generationen gewachsen und in der Bevölkerung stark verwurzelt sind,

(Frau Jahns [CDU]: Das sind auch un- sere Rituale!)

kein Vertrauen haben; denn die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern haben gezeigt, dass diese Möglichkeit nur von einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Angehörigen - in den Niederlanden gerade mal 1 % - in Anspruch genommen worden ist.

Ich bin der Meinung, dass die christlichen Rituale, die seit langem gewachsen und tief verwurzelt sind, dafür Sorge tragen werden, dass eine solche Möglichkeit nicht flächendeckend von allen in Anspruch genommen würde. Gleichwohl sollte es sie geben. Rituale sind ja nicht so einfach zu ersetzen; das weiß ich auch.

Aber wenn die Sorge, die die Vertreter und Vertreterinnen der evangelischen Kirche vorgetragen haben, tatsächlich berechtigt ist, wenn die Stimmung in der Bevölkerung tatsächlich so ist, dass mit der Aufhebung des Friedhofszwangs die Existenz der Friedhöfe gefährdet wäre, dann, meine Damen und Herren, ist die Debatte um die Neuordnung des Friedhofwesens zwingender denn je. Es kann doch nicht sein, dass nur der Friedhofszwang, d. h. nur darüber, dass den Verstorbenen und ihren Angehörigen keine Alternative zur Verfügung steht, die Existenz der Friedhöfe sichert. Ich glaube nicht, dass das so ist. Aber wenn ihre Befürchtungen berechtigt sind, dann, glaube ich, ist eine solche Debatte dringend notwendig. Meine Auffassung ist, dass die Kirchen für den Umgang mit dem Tod ein gutes Angebot machen. Sie sollten versuchen, über die Qualität ihres Angebotes zu überzeugen, statt die Debatte über die Aufrechterhaltung eines Zwangs abzuwürgen.

Drittens schlagen wir in unserem Antrag vor, dass es eine Neuregelung bei der Bestattung von Totund Fehlgeburten geben sollte. Sie alle wissen, dass in diesen Fällen eine Bestattung derzeit schon möglich ist. Das Problem ist aber, dass viele Eltern, Mütter und Väter darüber gar nicht informiert werden. Deswegen müssen wir da noch einmal nachregeln. Ich meine, es ist dringend notwendig, dass Fehlgeburten und totgeborene Kinder aus dem Status von Operationsabfällen herausgeholt werden, damit auch in dieser schweren Situation eine echte Trauerarbeit möglich ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich glaube, letztlich ist der Umgang mit dem Tod genau so individuell wie das Leben. Deswegen ist es die Auffassung meiner Fraktion, dass wir bei der Neuregelung der Friedhofsordnung ein weites und vielfältiges Spektrum von Trauerritualen ermöglichen sollten. Dafür sollte unser Antrag einen Anstoß geben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung von Plaue [SPD])

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Jahns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat ihren Antrag zur Neuordnung des Friedhofs- und Bestattungswesens eben ausführlich begründet. Ich muss Ihnen sagen, dass mich dieser Antrag persönlich sehr betroffen gemacht hat. Ich möchte das auch gerne begründen.

Sie führen an, dass Bürger und Bürgerinnen aufgrund veränderter weltlicher Anschauungen zwischenzeitlich andere Wünsche haben und dass diesen individuellen Wünschen Verstorbener und ihrer Angehörigen nicht Rechnung getragen wird. Ich habe mit vielen Menschen und auch mit Bestattungsunternehmern gesprochen. Es hat mir niemand, wirklich niemand bestätigt, dass die Bestattungskultur, die wir nach unserem religiösen christlichen Glauben in jahrhundertelanger Tradition vollzogen haben, nicht den Wünschen der Bürger und Bürgerinnen hier in Niedersachsen oder in Deutschland entspricht.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb frage ich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit allem Ernst: Haben Sie irgendwo Beweise für Ihre These?

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Ja, haben wir!)

Gibt es wirklich Bürger, die eine Änderung des Bestattungsrechts wollen? - Uns hat niemand Derartiges vorgetragen.

Sie verlangen in Ihrem Entschließungsantrag, die Sargpflicht bei Erdbestattungen aufzuheben, um auch Menschen islamischen Glaubens eine Bestattung nach ihren Ritualen zu ermöglichen. Mit diesem Vorschlag - das lege ich Ihnen warm ans Herz - brechen Sie mit der bisherigen christlich orientierten Bestattungskultur. Auch wenn eine Öffnung zu fremden Bestattungsriten aufgrund der Vielzahl der in Deutschland lebenden und anders vertretenen Kulturen wünschenswert ist, sollte dies nicht dazu führen, dass das Verhältnis von Regelbestattung und Ausnahme umgekehrt wird.

(Beifall bei der CDU - Frau Pothmer [GRÜNE]: Mit welchem Recht, Frau Jahns?)

Seit Jahrhunderten leben Menschen mit anderen religiösen Riten in unserem christlichen Kulturkreis. Sie haben sich mit unserer Form der Trauerbewältigung auseinander gesetzt und diese auch akzeptiert. Es ist mir nicht ein einziges Anliegen bekannt, wonach Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland mit dieser Trauer- und Bestattungskultur nicht leben können. Dies möchte ich auch durch folgende Aussage bekräftigen: Nach Rücksprache mit erfahrenen Bestattungsunternehmern wurde mir mitgeteilt, dass in der praktischen Arbeit der Bestatter von Menschen muslimischen Glaubens in Niedersachsen nicht ein einziges Mal der Wunsch geäußert worden ist, in einem Leinentuch ohne Sarg bestattet zu werden.

(Frau Merk [SPD]: Sie haben ja keine Ahnung!)

Der Sarg wird durchaus akzeptiert. Nur auf das christliche Kreuz wird kein Wert gelegt. Das ist verständlich und auch normal.

Bei unseren bestattungsrechtlichen Vorschriften ist es schon aus hygienischen Gründen nicht hinzunehmen, dass Verstorbene nur in einem Leinentuch aufbewahrt werden.

(Frau Merk [SPD]: Das ist ja lächer- lich!)

Unsere Rechtsvorschriften verlangen, dass ein Verstorbener nicht vor Ablauf von 48 Stunden nach dem festgestellten Tod bestattet werden darf. Dies ist sowohl aus medizinischer als auch aus ordnungsrechtlicher und christlicher Verantwortung heraus richtig so.

Man hat nicht ohne Grund bestimmt, dass bei Bestattungen ein Sarg zu verwenden ist. Im Übrigen: Die christlich geprägte Bestattung verwendet seit Jahrhunderten den Sarg als Transport-, Aufbewahrungs- und Aufbahrungsbehältnis.

(Frau Merk [SPD]: Und das muss dann auf Ewigkeit so bleiben?)

In Deutschland ist die Bestattung im Sarg die Regelbestattung. Für eine Kremation ist ein Holzsarg unverzichtbar. Dabei ist unstrittig, dass auch andere Glaubensgemeinschaften ihre Bestattungsriten verwenden können. Da diese aber von der Regelbestattung abweichen, stellen sie auch zahlenmäßig die Ausnahme dar. Entsprechend sollten Sie dies auch zur Kenntnis nehmen. Das heißt, die Sargbestattung sollte die Regelbestattung und die anderen Rituale die Ausnahme bleiben.

Das hat sich auch aus medizinischen Gründen bewährt; denn ein Sarg ist mit aufsaugenden Stoffen versehen, sodass sichergestellt ist, dass aufgrund von ansteckenden Krankheiten eines mit Medikamenten versorgten Verstorbenen keine Gesundheitsgefährdung für Angehörige oder Bedienstete der Bestattungsunternehmen eintreten kann.

(Frau Merk [SPD]: Das ist doch nur noch peinlich!)

Nur der Vollständigkeit halber möchte ich Sie darauf hinweisen, dass keineswegs geklärt ist, dass die Glaubensgemeinschaft des Islam eine Bestattung ohne Sarg vorschreibt.

(Frau Langhans [GRÜNE]: Das gibt es doch gar nicht!)

Für Transport, Aufbewahrung und Aufbahrung ist ein Behältnis, das wegen der Umweltverträglichkeit nur aus Naturmaterial sein kann, aus hygienischen Gründen unverzichtbar.

Zu Ihrer Kenntnis möchte ich hinzufügen, dass zwar wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass die Verwesung von Leichen auch ohne Sarg stattfindet, soweit die Bodenverhältnisse das zulassen. Es ist aber aufgrund der hygienischen Anforderungen beim Transport und bei der Aufbewahrung Verstorbener unverzichtbar, einen Sarg als Behältnis zu verwenden. Insbesondere ist dies für die Frist bis zur Bestattung von regelmäßig etwa acht Tagen wichtig; denn die Aufbewahrung von Verstorbenen während dieser Frist und über diese Frist hinaus bringt regelmäßig hygienische Probleme mit sich,

die nur durch ein Behältnis wie den Sarg gesundheitsverträglich gelöst werden können.

Wenn Verstorbene in einem Leinentuch aufbewahrt und frühestens nach 48 Stunden bestattet werden sollen, wird unter Umständen die Zersetzung bereits am Leinentuch sichtbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie dies wollen.

Und stellen Sie sich vor: schwer verunfallte, schwer kranke und mit besonderen Kennzeichnungen verstorbene Menschen in diesen Leinentüchern, für jeden sichtbar! Für mich ist das unvorstellbar.

(Frau Merk [SPD]: Das merkt man!)

Wie soll solch eine Trauerfeier vonstatten gehen? Dies widerspricht der christlichen Bestattungskultur. Ich kann mir auch nicht denken, dass Sie die christlichen Kirchen dafür gewinnen können.

Sie fordern in Ihrem Antrag, dass der Friedhofszwang für Urnen wegfallen soll, und begründen dies damit, dass Angehörige die Asche der Verstorbenen in einer Urne aufbewahren oder an den dafür vorgesehenen Orten verstreuen möchten, wenn die Verstorbenen dies zu ihren Lebzeiten schriftlich festgelegt haben.

Haben Sie sich einmal mit den Folgen Ihres Antrags auseinander gesetzt? Haben Sie darüber nachgedacht, was Sie mit so einer Unkultur anrichten? - Für uns gilt immer noch Artikel 1 unserer Verfassung: Ein Verstorbener hat Anspruch auf eine würdevolle Bestattung.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Aber er be- stimmt, was würdevoll ist, nicht Sie!)

Stellen Sie sich vor - das kommt in unseren Breitengraden häufig vor -, dass es Streit in einer Familie gibt. Ein Verstorbener wird nach einer Feuerbestattung anschließend bei z. B. einem Angehörigen im Wohnzimmer aufbewahrt. Sind weitere Angehörige, die mit dem Verstorbenen eng verbunden waren, künftig an der Trauerbewältigung dadurch gehindert, dass sie - das sage ich wirklich einmal ketzerisch - kein Besuchsrecht für die Urne bekommen?

(Lachen bei den GRÜNEN - Zuruf von den GRÜNEN: Quatsch!)

Die Folgen einer derart veränderten Rechtslage sind überhaupt nicht absehbar. Was passiert - auch darauf möchte ich hinweisen -, wenn derjenige, der

die Urne aufbewahrt, verstirbt? Welche Konsequenzen sind dann zu ziehen? Wird die Urne weggeschmissen, oder wird sie nach einem Umzug entsorgt, wie es nach Ihrer Auffassung scheinbar so sein soll? - Mir läuft es kalt den Rücken herunter, wenn ich an diese Auswirkungen denke.

Lassen Sie mich zum Schluss eine sehr persönliche, aber an unseren christlichen Werten und Normen orientierte Bewertung vornehmen. Kinder kommen in den Kindergarten, gehen zum Lernen in die Schule. Tiere kommen ins Tierheim. Technische Geräte müssen in die Recyclinganlage. Kranke werden in ein Krankenhaus eingewiesen. Sterbende bringt man in ein Hospiz. Und Verstorbene - so sind wir es gewohnt, und so soll es bleiben kommen eben auf den Friedhof.

(Beifall bei der CDU)

Diese Ordnung, bei der sich bisher niemand vergewaltigt vorkam, sind wir gewohnt, und so akzeptiert es auch die Mehrheit der Menschen in Deutschland.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Das muss im Gesetz geklärt werden!)