Herr Klein, vorstellen kann ich mir das. Aber wenn ich Ihnen jetzt ein Referat über die unendliche Geschichte der Novellierung des Waffengesetzes halten sollte, dann würden Sie mir zustimmen müssen, dass das nur in einem Zeitraum von ca. 20 Jahren Aussicht auf Erfolg hat.
Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass auch verschiedene andere Erkenntnisse darauf hinweisen, dass sich in Niedersachsen in bestimmten Regionen rechtsradikale Cluster, also Schwerpunkte, herausbilden und es offensichtlich auch
einen Zusammenhang zwischen solchen Ereignissen wie den Militaria-Messen und diesen Clustern gibt, frage ich Sie: Gibt es unterhalb der Schwelle des formalen Vorgehens, der Genehmigungsebene, nicht eine Notwendigkeit, so etwas wie eine Kampagne zur politischen Ächtung solcher Messen und solcher Verherrlichungsveranstaltungen durchzuführen?
Herr Schwarzenholz, ich muss noch einmal Folgendes zum Ausdruck bringen: Den konkreten Zusammenhang zwischen der Durchführung solcher Messen und einer Massierung von rechtsextremistischen Aktivitäten konnten wir bisher nicht feststellen. Wir haben in Teilen unseres Landes Rechtsextremismus. Sie wissen, dass wir bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus relativ erfolgreich sind. Ich muss Heideheim und ähnliche Dinge, die wir verboten haben, nicht erwähnen. Wir sind insoweit sehr sensibel und sehr aufmerksam. Aber den Zusammenhang, dass man sagt, das dort, wo eine extreme Szene ist, auch eine solche Militaria-Messe auftaucht, konnten wir bisher nicht feststellen. Wir werden den Sachverhalt sicherlich noch sorgfältiger analysieren, und wenn wir einen Zusammenhang feststellen sollten, werden wir auch versuchen, Maßnahmen zu ergreifen. Das könnte auch in Form einer Kampagne geschehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen wurde erneut durch die Ermittlerinnen und Ermittler der AOK Niedersachsen sowie der Kaufmännischen Krankenkasse ein groß
angelegter Abrechnungsbetrug aufgedeckt. Bundesweit wurden von Ärztinnen und Ärzten Leistungen abgerechnet, obwohl die angeblichen Leistungsempfänger längst tot waren. Schätzungen der Ermittlerinnen und Ermittler gehen davon aus, dass in dieser Art mehr als 1 000 Betrugsfälle vorliegen, die bei den Krankenkassen und Versicherten Schäden in Millionenhöhe verursacht haben.
(Dr. Winn [CDU]: Bundesweit! - Ob bundesweit oder landesweit, ist doch egal! Das ist doch beides schlimm genug! (Dr. Winn [CDU]: Sie diffamieren so aber einen ganzen Berufsstand!)
Leider ist dieser neuerliche Skandal kein Einzelfall: In den letzten Jahren wurden durch die Ermittlungsgruppen der Krankenkassen immer wieder Betrugsfälle aufgedeckt, beispielsweise die Abrechnung falscher Rezepte oder überhöhte Rechnungen für ausländischen Zahnersatz. Es drängt sich angesichts der Fülle der Fälle sowie der offensichtlichen Dreistigkeit, mit der im Gesundheitswesen einige Leistungserbringer betrügen, der Verdacht auf, dass die Abrechnungsverfahren dringend einer Reform bedürfen.
2. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für erforderlich, um die sich häufenden Betrugsfälle in der Zukunft zu verhindern?
3. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass Patientinnen und Patienten bei der Kontrolle abgerechneter Leistungen stärker als bisher einbezogen werden sollten?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen wollen und müssen ihren Ärzten und Ärztinnen vertrauen können. Einzelne, immer wieder neu ans Licht gebrachte Abrechnungsbetrügereien erschüttern dieses Vertrauen.
Deshalb müssen wir im Interesse der ehrlichen Ärztinnen und Ärzte und der Beitragszahler die Kontrollen verschärfen und solche Betrugsdelikte so gut es geht verhindern.
Jenseits des finanziellen Schadens darf es nicht dazu kommen, dass ein ganzer Berufsstand durch die Missetaten letztlich einer Minderheit in Verruf gerät. Es geht aber auch um die finanzielle Seite. Es ist doch unerträglich, dass wir wie David gegen Goliath kämpfen, um die Kassenbeiträge stabil zu halten, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hohe Abgabenlasten tragen müssen, während einige in der Ärzteschaft immer wieder nicht davor zurückschrecken, sich auf Kosten der solidarischen Krankenversicherung zu bereichern.
Meine Damen und Herren, dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die einzelnen Fragen wie folgt:
Zu Frage 1: Die neuerlich aufgetretenen Fälle - beteiligt sind allein nach Angaben der AOK mehrere Dutzend Ärzte - betreffen den Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung. Eine Praxis aus Wilhelmshaven - um nur einmal den krassesten Fall zu erwähnen - hat mit der KV-Chipkarte fiktive Leistungen für eine 72-Jährige abgerechnet, die schon vor fünf Jahren verstorben ist. Diesem Fall wurde sofort nachgegangen.
Nach bisherigem Stand liegen 34 Strafanzeigen vor. In 21 Fällen wird noch ermittelt. Sechs Verfahren wurden eingestellt. Die Kassen und die Kassenärztliche Vereinigung haben mir bestätigt, dass mit einer solchen Dreistigkeit, dass auf der Chipkarte von Verstorbenen abgerechnet wird, bisher niemand gerechnet hat. Insofern war die Aufdeckung dieses Betruges nach ihren Angaben auch eher ein Zufallstreffer. Das heißt für mich allerdings auch, dass wir alle prüfen müssen, wie wir die Kontrollmöglichkeiten deutlich intensivieren können.
Zu Frage 2: Am vergangenen Dienstag habe ich mit Vertretern der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen Vereinbarungen über verstärkte Kontrollmöglichkeiten getroffen. Dabei wurde deutlich - das möchte ich
vorausschicken -, dass keiner der Beteiligten ein Interesse daran hat, schwarze Schafe in der Ärzteschaft zu schützen. Im Gegenteil, alle haben sehr konstruktiv überlegt, wie Abrechnungsbetrug in Niedersachsen wesentlich erschwert und somit auch eingedämmt werden kann. Konkret wurde über folgende sechs Punkte gesprochen:
Erstens. Die Krankenkassen werden die Patientendaten, die ihnen von der Kassenärztlichen Vereinigung regelmäßig zur Verfügung gestellt werden, künftig stärker mit den ihnen gemeldeten Sterbefällen abgleichen. Durch diese engmaschigere Kontrolle soll in Zukunft grundsätzlich verhindert werden, dass Leistungen für verstorbene Versicherte abgerechnet werden. Abrechnungsmanipulationen mit bereits Verstorbenen werden so auch vermehrt und schneller aufgedeckt und demzufolge auch schneller geahndet.
Zweitens. Die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung haben sich darauf verständigt, gemeinsam ein Raster zu erarbeiten, nach dem die bei dem genannten Abgleich ausgeworfenen Fälle, die auf Betrug hinweisen, von der KV weiter verfolgt werden können. Damit wird der Informationsaustausch zukünftig reibungsloser und stringenter ablaufen, und der KV wird es leichter möglich sein, Ärztinnen und Ärzte, die Kassenleistungen falsch oder in betrügerischer Absicht abrechnen, zu identifizieren und gegen sie rechtliche Schritte einzuleiten.
Wir haben uns in dem Gespräch ferner darauf verständigt, dass eine Patientenquittung ein geeignetes Mittel ist, um Abrechnungsbetrug deutlich einzudämmen. Wir waren uns auch einig darin, dass eine solche Quittung Teil einer umfassenden Lösung mit einer Chipkarte sein müsse, die auch erweiterte Möglichkeiten der Speicherung von Daten biete. Das ist zurzeit nur im Rahmen von Modellversuchen möglich, weil es noch keine entsprechende bundesgesetzliche Regelung gibt. Deshalb haben wir verabredet, dass wir zunächst einmal unsere länderrechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Eine Expertengruppe der Beteiligten bereitet in Niedersachsen ein kassenartenübergreifendes Modellprojekt vor. Das kann sehr zügig geschehen. Dieses Modellprojekt ist notwendig, um die flächendeckende Einführung einer solchen Patientenquittung durch Bundesgesetz zu forcieren.
Weitere drei Punkte hat die Kassenärztliche Vereinigung bereits auf den Weg gebracht: Bis zum 30. September 2003 müssen nach Bundesrecht alle
Arztpraxen neue elektronische Lesegeräte einführen, die die Abrechnungsdaten des jeweils letzten Quartals automatisch löschen. Auf diese Weise wird die Abrechnung von Leistungen, die gar nicht erbracht worden sind, deutlich erschwert. Man muss diese Daten schon in betrügerischer Absicht wieder eingeben. Es ist klar, was daraufhin zu erfolgen hat.
Um diesen Umstellungsprozess zu beschleunigen und in dem vorgesehenen Zeitraum zu beenden - das halte ich für bemerkenswert -, bietet die Kassenärztliche Vereinigung die Lesegeräte im Austausch gegen die alten Geräte preisgünstig an.
Fünftens. Die Ärzteschaft muss seit Jahresanfang 2003 bei jeder Quartalsabrechnung eine Verpflichtungserklärung dahin gehend abgeben, dass die Versichertendaten nicht in das nächste Quartal übertragen werden.
Sechstens. Seit September 2002 besteht zwischen den Krankenkassen und der KVN in Niedersachsen ein Vertrag über so genannte Plausibilitätsprüfungen durch die KVN. Die Vorbereitungen dafür sind inzwischen so weit abgeschlossen, dass in diesem Jahr nunmehr die Überprüfung des ersten Quartals erfolgen kann. Dadurch können weitere Betrugsdelikte aufgedeckt werden, zum Beispiel der, dass ein Arzt Leistungen in einem Umfang abrechnet, die einem normalen Arbeitstag eines Arztes nicht entsprechen können.
Die Kassenärztliche Vereinigung betonte bei dem Spitzengespräch, dass die Ärzteschaft selbst ein großes Interesse daran habe, Abrechnungsmanipulationen aufzudecken, da diese immer auch die Vertragsärzte untereinander schädigen.
Zu Frage 3: Ja, eine stärkere Einbindung der Patientinnen und Patienten wird auch als wichtig für eine verbesserte Abrechnungskontrolle angesehen. Deshalb setze ich mich auch für den Einstieg in die Patientenquittung über die Chipkarte ein und möchte alle diesbezüglichen Möglichkeiten ausschöpfen. Die Patientinnen und Patienten - das ist es - müssen selbst in die Lage versetzt werden und ein Interesse daran gewinnen, kontrollieren zu können, ob die Leistungen tatsächlich erbracht worden sind. Die Stärkung dieses Interesses ist eines der vorrangigen Ziele der Landesregierung. Es geht ganz grundsätzlich mit dem Thema Stärkung der Patientensouveränität einher.
ben. Ich habe die Kassen und die Kassenärztliche Vereinigung gebeten, mir, wie ich dargelegt habe, für Niedersachsen einen kassenartenübergreifenden Einstieg vorzuschlagen. Ich werde dies als weiteren Baustein zu den bereits genannten und möglicherweise noch hinzukommenden Bausteinen zur Eindämmung des Abrechnungsbetruges auf den Weg bringen. - Vielen Dank.
Frau Ministerin, da solche betrügerischen Fälle nicht ganz neu sind - in der Bundesrepublik sind in der letzten Zeit ja schon einige solche Fälle aufgetreten -, frage ich mich, warum Sie erst jetzt angefangen haben, Ihre Aufsicht über die Krankenkassen wahrzunehmen. Das ist doch eine Ihrer Hauptaufgaben. Erst am vergangenen Dienstag damit anzufangen, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist relativ spät.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich habe dieses Gespräch am Dienstagabend geführt. Dieses Thema ist so komplex, dass selbst die Fachleute bei den Kassen, bei mir im Haus und bei der Kassenärztlichen Vereinigung eingeräumt haben, dass der Prozess der Betrugseindämmung nur als Schrittfür-Schritt-Prozess verstanden werden kann, dem Baustein für Baustein hinzugefügt werden muss. Es ist die Aufgabe der Selbstverwaltung, alles zu tun - die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind auch geschaffen -, um Betrug einzudämmen und zu ahnden. Die gesetzlichen Grundlagen dafür gibt es. Wenn es aber der Sache dienlich ist und auch dazu