Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hatte ich gedacht, dass die Antragsteller zuerst das Wort ergreifen würden. Aber das macht nichts. Wir haben bereits im Kultusausschuss über den Antrag gesprochen. Die Fraktion der Grünen fordert mit ihrem Antrag - ich formuliere das einmal so - die totale Integration. Das ist nicht abwertend gemeint, sondern stellt eine Beschreibung der Gesamtforderungen dar. Das ist, so glaube ich, der dritte oder vierte Antrag, der dieselbe Zielrichtung hat.
Einen Augenblick, Herr Kollege Klare. Ich muss erst einmal die Wanderungsbewegungen hier im Plenarsaal beenden. Das gilt auch für die beiden Herren, die mir im Augenblick den Rücken zudrehen.
Ich will durchaus anerkennen, dass Sie von den Grünen sich treu bleiben. Vielleicht muss man hier im Landtag auch drei- oder viermal einen Antrag stellen, um mit dem einen oder anderen Antrag Erfolg zu haben. Trotzdem geht der Antrag in die falsche Richtung, weil Sie nämlich die Differenzierung außer Acht lassen, die bei der Förderung von behinderten Kindern unbedingt notwendig ist. Jeder, der sich mit den Bedürfnissen von behinderten Kindern näher befasst, weiß, wie viel Unterstützung diese Kinder brauchen, wie viel Einfühlungsvermögen diese Kinder brauchen, und der weiß auch, wie viel fundiertes Wissen notwendig ist, damit man diesen Kindern gerecht werden kann. Deshalb muss man bei der Förderung von behinderten Kindern immer die einzelne Persönlichkeit in den Vordergrund stellen und immer die
Förderung an dem einzelnen Kind ausrichten. Deswegen ist jegliche pauschale Aussage falsch. Pauschale Aussagen widersprechen auch meinem Verständnis von dem Geist von Integration überhaupt. Das heißt, pauschale Aussagen verbieten sich hier.
Das Gleiche gilt auch für die Organisation, in diesem Fall für die schulische Organisation von Integration. Das Wort Sonderschulen z. B. kommt in Ihrem Antrag nicht vor. Ich finde, das ist ein entscheidender Fehler.
- Ich halte das trotzdem für einen entscheidenden Fehler, denn ich glaube, dass Sie damit die großen Verdienste der Sonderschule außer Acht lassen. Die Sonderschule ist eine besondere Schule für besondere Kinder mit besonders ausgebildeten Lehrkräften.
Zweitens. Meine Damen und Herren, jeder, der über Integration - in welcher Form auch immer redet, muss wissen, dass Integration unabhängig davon, wie man sie organisieren will, sehr teuer ist. Auch hier liegt meiner Ansicht nach ein Fehler, denn mit den 50 Stellen, die Sie über die nächsten Jahre einplanen wollen, werden Sie Ihre Forderung auch nicht annähernd umsetzen können. Das muss klar sein. Wenn Integration funktionieren soll, kostet das Geld. Wenn wir gemeinsam Integration wollen, dann müssen wir dafür auch die notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung stellen.
Drittens glaube ich, dass Sie sich auf einem gefährlichen Weg befinden. Auch die Landesregierung musste schon erfahren, dass man den Betroffenen sehr, sehr große Hoffnungen macht, als sei totale Integration gewissermaßen so einmal eben möglich. Den Eltern, den Betroffenen wird etwas vorgegaukelt, am Ende kann man aber die Versprechungen, die man macht, nicht einhalten. Ich glaube, dass das insbesondere bei dem sehr sensiblen Thema Integration eine besondere Problematik ist. Wir haben in der Vergangenheit viele Änderungen gehabt, durch die insbesondere Eltern von behinderten Kindern zutiefst enttäuscht wurden. Ich halte das angesichts der massiven Belastungen psychischer und physischer Art, der Eltern und Verwandte von Behinderten ausgesetzt sind, für fatal.
Grundlage für die Förderung muss das einzelne Kind sein, und das bedeutet ganz konkret: der persönliche Förderbedarf. Dieser Förderbedarf muss immer für das einzelne Kind gesondert festgestellt werden.
Bei der Feststellung des Förderbedarfes entscheiden dann Fachleute, wie, mit wie viel Fördermitteln und an welcher Schule das Kind am besten gefördert werden kann. Wenn das festgestellt worden ist, muss diese Maßnahme auch sehr konsequent umgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich ganz kurz auf die Rahmenplanungen der Landesregierung zur Förderung der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf eingehen, was besser bekannt ist unter dem Begriff „Lernen unter einem Dach“. Hier wird, was die Integrationsklassen, die Frage der mobilen Dienste oder die Förderung von Kooperationsklassen anbetrifft, in Teilen differenziert herangegangen.
Undifferenziert geht man aber heran in der Frage des sonderpädagogischen Grundbedarfs. Das kann so nicht bleiben. Ich habe schon an anderer Stelle gesagt, dass das dringend geändert werden muss, weil sich daraus wieder pauschale Antworten ergeben werden.
Im Bereich der Kooperationsklassen, der mobilen Dienste und der Förderung in Kooperationsklassen gibt es sehr positive Ergebnisse; diese Maßnahmen können fortgeführt werden. Ich warne nur davor, dass man auch bei diesen Maßnahmen, wie in jüngster Zeit geschehen, kürzt. Wenn Integration in Integrationsklassen funktionieren soll, dann müssen sie optimal ausgestattet sein. Wenn sie nicht optimal ausgestattet sind, drohen sie zu scheitern. Wir haben leider die Erfahrung gemacht, dass diese Modelle dann, wenn die Mittel nicht optimal eingesetzt werden, nicht funktionieren. Das geht dann massiv zulasten der behinderten Kinder. Das können wir uns in dieser Frage überhaupt nicht leisten.
Sie haben auch an anderen Stellen gekürzt, z. B. im Bereich der Kooperation von Grund- und Sonderschule. Diese Maßnahme zeitigt wirklich hervorra
gende Ergebnisse. Wenn man sämtliche Kooperationsstunden aus der Grundschule herausnimmt, wird diese Maßnahme aber nicht fortgeführt werden können. Dann werden die Kinder, die von Behinderung bedroht sind, zur Sonderschule gehen müssen und nicht, wie bei dieser Maßnahme vorgesehen, in der allgemein bildenden Schule, der Grundschule, verbleiben können.
Lassen Sie mich ganz kurz noch ein Wort zu Ihren Planungen hinsichtlich der sonderpädagogischen Grundversorgung sagen, die fatale Auswirkungen haben werden. Die Landesregierung plant, dass die Kinder, die heute zu einer Sonderschule für Lernbehinderte, zu einer Sonderschule für Sprachbehinderte und zu einer Sonderschule für Verhaltensgestörte gehen, demnächst automatisch in die jeweilige Grundschule eingeschult werden, ohne dass ihr individueller pädagogischer Förderbedarf festgestellt wird. Dafür ist nur ein Fördervolumen von zwei Stunden je Klasse vorgesehen. Dieses Fördervolumen kommt übrigens zustande, indem man alle Lehrerstunden an diesen Sonderschulformen zusammenzählt und diese Lehrerstunden durch die Grundschulklassen teilt. Wenn man dann noch 300 weitere Sonderschullehrkräfte hinzuzählt, die übrigens noch eingestellt werden müssen, dann errechnet sich ein Förderbedarf von zwei Stunden je Klasse.
Herr Kollege Klare, einen Augenblick bitte! Meine Damen und Herren, das Gemurmel im Parlament stört in der Tat bei der Aufnahme dessen, was der Redner zu sagen hat. Darum bitte ich, die Lautstärke, wenn es denn irgendwie möglich ist, herunterzufahren. Sie würden uns allen einen großen Gefallen tun. - Bitte sehr, Herr Klare!
Danke sehr. - Dieses Modell ist eher ein arithmetisches, aber kein an den pädagogischen Bedürfnissen orientiertes Modell. Deshalb müssen wir dieses Modell ablehnen.
Sie müssen sich einmal vorstellen, dass nur ein einziges verhaltensgestörtes Kind je Grundschulklasse dazu führen wird, dass kein Unterricht mehr stattfinden kann, und gleichwohl integrieren Sie
jetzt Lernbehinderte, Verhaltensgestörte und Sprachbehinderte und gewähren lediglich zwei zusätzliche Stunden. Ich kann nur feststellen, dass das keine Integration ist. Das hat mit Integration überhaupt nichts zu tun.
Das geht zulasten von behinderten Kindern, aber eben auch zulasten der anderen Kinder. Ich habe den Eindruck, dass Sie ein möglichst preiswertes Modell der Integration verkaufen. Das ist unredlich und meines Erachtens unverantwortlich. Die Folge des Modells, das Sie in diesem einen Bereich planen - ich habe ansonsten sehr differenziert vorgetragen -, ist, dass es demnächst die Grundstufen der Sonderschulen nicht mehr geben wird. Das ist der Anfang vom Ende eines differenzierten Sonderschulsystems.
Meine Damen und Herren, Teile der Rahmenplanung der Landesregierung werden sich bewähren. Sie müssen aber auch fortgeführt werden. Und das kostet Geld. Aber die pädagogische Grundversorgung mit diesen pauschalen Ansätzen ist fehlerhaft und darf so nicht umgesetzt werden. Es gibt übrigens keinen ernst zu nehmenden Pädagogen, der das Konzept, das Sie für diesen Bereich vorschlagen, zur Umsetzung empfiehlt. Es gibt von diesem Modell viele Abweichungen, an denen man sich orientieren sollte. Ansonsten werden wir den Antrag der Grünen ablehnen, weil er pauschale Antworten auf Fragen gibt, die wir individuell lösen müssen.
Das Wort hat nun Frau Kollegin Litfin. Ich nehme an, dass Sie jetzt, nachdem Sie bei Herrn Klare etwas lauter gewesen sind, auf Frau Litfin Rücksicht nehmen, weil wir Männer es ja ohnehin gewohnt sind, Rücksicht zu nehmen.
Herr Kollege Klare, Sie haben natürlich Recht: Ich fordere die totale Integration, und ich stehe auch dazu. Ich meine, dass Behinderung etwas ganz Normales ist und dass behinderte Kinder ganz normal gemeinsam mit anderen Kindern groß werden sollten und gemeinsame Einrichtungen im Kindertagesstättenbereich, aber auch in den Schulen besuchen sollten.
Sie werfen uns vor, pauschale Aussagen zu treffen, die untauglich seien. Das tun wir nicht. Wir fordern ja gerade Differenzierung. Wir fordern ein Konzept, durch das abgesichert ist, dass Integrationsklassen, bei denen natürlich der jeweilige individuelle Förderbedarf der zu integrierenden Kinder festgestellt werden muss, fortbestehen. Darauf hat die Landesregierung keine Antwort. Das werfen wir der Landesregierung vor.
Sie sagen, am Ende könnten wir Grüne unsere Versprechungen nicht einhalten. Wir werden diese Versprechungen einhalten können, aber die Landesregierung hält sie nicht.
Sie nimmt ihr Versprechen, dass die totale Integration stattfinden wird, nicht zurück, setzt dieses Versprechen aber auch nicht um. Sie versucht, mit preiswerten Modellen, die letztlich nicht dazu taugen werden, dem Integrationsgedanken gerecht zu werden, etwas an die Wand zu malen, was in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Ich fände es ehrlicher, wenn man sagen würde, dass das etwas sei, was man nicht mehr umsetzen wolle, als die Kritik der Oppositionsfraktion der Grünen und dem Behindertenbeauftragten, der übrigens die gleiche Linie wie meine Fraktion verfolgt, zu überlassen.
Sie haben zu Recht festgestellt - auch das geht aus unserem Antrag hervor -, dass das Modell der sonderpädagogischen Grundversorgung so nicht bleiben kann. Es geht einfach nicht, dass flächendeckend allen Grundschulklassen des Landes nur zwei Stunden Sonderpädagogik je Woche zugewiesen werden.
Damit werden wir, Eckhard Fasold, einzelnen Schulen bzw. Schülerinnen und Schülern nicht gerecht werden, denn wir wissen doch ganz genau, dass Schulen in sozial besonders belasteten Ge
bieten einen viel, viel höheren Förderbedarf haben. Leider gibt es oftmals in einem Bezirk mehrere Schulen, die genau die gleichen Probleme haben, denen diese jeweils zwei Stunden aber trotzdem nur pauschal zugewiesen werden und die sich um diese Stunden dann letztlich prügeln können, denn sie alle benötigen mehr.
Wir wollen, dass das Konzept der sonderpädagogischen Grundversorgung auch in der Sekundarstufe I fortgesetzt wird. Wir fordern nicht etwa, wie uns die SPD-Fraktion unterstellt hat, dass dort Grundschulpädagogik fortgesetzt werden soll. Verhaltensstörungen z. B. sind nicht an das Alter von Kindern gebunden. Diese Kinder können sie sehr wohl noch in der Orientierungsstufe oder in der 7. oder 8. Klasse entwickeln. Wir möchten, dass auch für diese Fälle Vorsorge getroffen wird. Insbesondere möchten wir, dass die Lehramtsausbildung, und zwar in jedem Bereich, so geändert wird, dass Sonderpädagogik obligatorischer Bestandteil jeglicher Ausbildung ist. Wir sind nämlich der Meinung, dass eine Grundschullehrerin, die etwas von Sonderpädagogik versteht, etwas davon gelernt hat, auf lange Sicht tatsächlich in der Lage sein wird, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sehr viele Sonderpädagogik-Stunden, die man in den Klassen sonst zusätzlich bräuchte, überflüssig werden. All diesen Forderungen wird die Landesregierung nicht gerecht.