Protokoll der Sitzung vom 28.01.2000

(Beifall bei der SPD - Frau Mundlos [CDU]: Das kann ich belegen! - Frau Hansen [CDU]: Vor der Wahl/nach der Wahl!)

Ich muss in dieser Diskussion schon aus existentiellen Gründen ungeheuer geradlinig sein. Das ist nämlich eine schwierige Diskussion, die ich führe. In einer solchen Diskussion können Sie kein Wendehals sein.

Im Übrigen möchte ich Sie einmal darauf hinweisen, dass es eine doppelte Ebene der Diskussion gibt. In allen Parteien und Fraktionen gibt es nämlich Leute, die für Studiengebühren sind. Was meinen Sie, wie viele Leute aus der CDU-Fraktion mir hinter vorgehaltener Hand - das ist mehr als ein Dutzend - gesagt haben: Junge, die Debatte ist

völlig richtig. Ich bin für Studiengebühren. Aber ich kann das nicht offen sagen. - Ich hingegen spreche das offen aus. Etwas anderes können Sie mir nicht vorhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschlüsse in allen Parteien sind momentan gegen Studiengebühren gerichtet; auch der Beschluss meiner Partei. Das habe ich zu respektieren. Ich denke aber weiter. In mancher Hinsicht können nämlich Parteibeschlüsse die Wirklichkeit nicht aufhalten und nicht verändern. Das haben wir schon öfter erlebt. In der Wirklichkeit werden die Studiengebühren kommen. Sie sind sogar schon da. Ich möchte Ihnen das gern einmal an Beispielen demonstrieren.

Ich war in der vergangenen Woche zu Besuch bei der privaten Fachhochschule in Hannover. Dort werden Diplombetriebswirte und Wirtschaftsinformatiker ausgebildet. Der gesamte Fachhochschulstoff, der normalerweise in acht Semestern bewältigt wird, wird dort in sechs Semestern vermittelt, und zwar in der Weise, dass die Studierenden drei Monate studieren und drei Monate im Unternehmen sind - immer abwechselnd: Wenn die eine Gruppe im Unternehmen ist, ist die andere an der Hochschule. Die Hochschule ist immer zu 100 % ausgelastet. Für diese sechs Semester bezahlen die Studierenden - vielfach unterstützt von Unternehmen; insofern gibt es eine Art Stipendiensystem - 40 000 bzw. 45 000 DM. Sie haben danach praktisch eine Arbeitsplatzgarantie.

Die private Fachhochschule Göttingen, bei der das Studium fasst ähnlich viel kostet, spricht sogar offiziell eine Arbeitsplatzgarantie aus. Es gibt Leute, die diese Gebühren bezahlen, weil sie diese Ausbildung haben wollen. Das Problem, diese Gebühren aufzubringen, ist in der Tat zu lösen. Nicht überall gibt es Unternehmen, die die finanziellen Mittel bereitstellen.

Aber das größte Problem, das die deutschen Studierenden haben, sind nicht Studiengebühren, sondern die Lebenshaltungskosten. Ein Studium dauert in Deutschland - übrigens sind in dieser Hinsicht Bayern und Baden-Württemberg nicht besser als Niedersachsen - im Durchschnitt 13,5 Semester. In 13,5 Semestern müssen die Studierenden nach einer Untersuchung des Deutschen Studentenwerkes Lebenshaltungskosten in der Größenordnung von 100 000 DM aufbringen. Rechnen Sie das jetzt einmal bei den Studierenden an der privaten Fachhochschule in Hannover her

unter! Die brauchen nicht 13,5 Semester, sondern schaffen das in sechs Semestern. Sie müssen nicht 100 000 DM an Lebenshaltungskosten aufbringen, sondern weniger als die Hälfte. Das heisst, was sie an den Lebenshaltungskosten einsparen, bringen sie für Studiengebühren auf. Nun können Sie sagen: Das ist ja plus/minus Null. Dabei würde man allerdings verkennen, dass diese Studierenden mindestens drei Jahre früher auf dem Arbeitsmarkt sind und Geld verdienen und wesentlich bessere Arbeitsmarktchancen haben.

Bei der Gisma in Hannover gibt es Studiengebühren für das postgraduale Studium. In Bremen bekommen wir demnächst eine Internationale Universität - gemeinsam mit der Rice University of Texas -, wo man für 15 000 DM im Jahr auch ein ingenieur- oder naturwissenschaftliches Studium wird absolvieren können. Ich prophezeie Ihnen eines: Diese Hochschulen und diese Studienplätze werden nachgefragt. Es wird eine Abstimmung mit den Füßen geben! Diejenigen, die Studiengebühren bezahlen können, werden sie bezahlen. Das Problem ist nur, dass alle diese Studiengebühren nicht dazu eingesetzt werden können, die Qualität im Bereich der öffentlichen Hochschulen zu verbessern. Diese Studiengebühren gehen nach Amerika, oder sie gehen zu privaten Fachhochschulen in Deutschland. Das ist auf jeden Fall besser.

Aber die Einrichtungen, die ich Ihnen eben genannt habe, sind nur Vorboten. Es geht weiter.

(Frau Pawelski [CDU]: Woran liegt das?)

- Das liegt z. B. daran, dass über das Internet ein neuer Bildungsmarkt entsteht. Wir werden dort demnächst Qualitäten beim Tele-Teaching haben, die so gut sind, dass es ohne weiteres möglich sein wird, aus einer amerikanischen Elite-Universität auf Englisch erstklassige Lehrveranstaltungen direkt nach Deutschland zu übertragen - natürlich gebührenpflichtig -, und ich will Ihnen eines sagen: Diese Veranstaltungen werden gekauft werden. Mit anderen Worten: Die Studiengebühren kommen. Die kann niemand aufhalten. Was wir natürlich können, ist, dafür zu sorgen, dass die Studiengebühren nicht in die öffentlichen Hochschulen kommen.

Natürlich sind die Hochschulen nicht zureichend ausgestattet. Auch das ist überall in Deutschland so. Wir haben in Deutschland eine ProfessorenStudenten-Relation von 1 : 60. In Niedersachsen

kommen übrigens auf einen Professor nur 55 Studierende. Das liegt an dem hohen Anteil der Ingenieurwissenschaften in unserem Lande. Aber an einer guten amerikanischen Hochschule gibt es eine Relation von 1 : 20. Das sage ich, um einmal klarzustellen, welche Ausstattungsunterschiede es gibt.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, dass in allen Ländern, in denen es Studiengebühren gibt - in fast allen Ländern gibt es sie -, wesentlich schneller als in Deutschland studiert wird.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Studiengebühren mögen kein Instrument der Bildungsfinanzierung sein. Damit haben Ministerpräsident Gabriel und mein Kollege Domröse sicherlich Recht. Wir müssen sicherlich auch weiterhin dafür sorgen, dass das eine öffentliche Aufgabe bleibt. Moderate Studiengebühren können, wenn überhaupt, nur eine kleine Spitzenfinanzierung sein. Aber sie sind - darüber besteht doch Konsens - ein erstklassiges Lenkungsinstrument. Unterstellt, alle wären sozial und finanziell in der Lage, Studiengebühren zu zahlen - ich unterstelle das einmal als Denkmodell, Frau Hansen -, dann gäbe es überhaupt keinen vernünftigen Grund mehr, ihre Einführung zu verhindern. Aber dann hätten wir Leute, die ein kleines bisschen von den Kosten ihrer Ausbildung selbst tragen müssten. Wir würden ein kleines bisschen Eigenverantwortung in ein System einführen, das im Augenblick wirklich sehr anonym ist. Unsere Hochschulen sind in dieser Frage leider nicht so wie viele ausländische Hochschulen, weil die Verbindlichkeit auf beiden Seiten fehlt.

Ich habe in den Ländern, die ich besucht habe und in denen Studiengebühren gezahlt werden, festgestellt, dass zahlende Studierende auch dann, wenn sie nur einen kleinen Anteil zahlen, schneller studieren. Wir sehen schon bei den 200 DM, die in Niedersachsen gezahlt werden, dass das gewaltige Veränderungen bewirkt hat. Wir haben 10.000 Studierende weniger, die offenbar nur eingeschrieben, aber keine Studierenden waren. Ich gehe auch davon aus, dass die Verwaltungskostenbeiträge und die Debatte über Studiengebühren eine Fernwirkung entfalten und dass sich einige Leute bei ihrem Studium etwas mehr beeilen werden, um Studiengebühren zu vermeiden.

Wenn das wenigstens diese Wirkung hat, dann hat es einen guten Sinn gehabt, diese Diskussion zu führen. In allen Ländern, in denen es Studiengebühren gibt, studieren die zahlenden Studierenden nicht nur schneller, sondern sie sind die besten Qualitätsprüfer auf der Welt. Die lassen bei ihrer Lehre und bei ihrer Ausbildung keine mangelnde Qualität zu. Die sorgen dafür, dass die Professoren pünktlich kommen, dass keine Veranstaltung ausfällt und dass alle ordentlich vorbereitet sind.

(Glocke des Präsidenten)

Ich will die Diskussion jetzt nicht vertiefen. Sie wird fortgesetzt werden. Klar ist lediglich, dass es in dieser Wahlperiode in Deutschland keine Studiengebühren geben wird, weil sich alle Parteien letztlich dagegen ausgesprochen haben. Sehen Sie mir nach, wenn ich gelegentlich an das eine oder andere Argument, das dennoch für Studiengebühren spricht, erinnere und alle gemeinsam zur Diskussion über dieses Thema herausfordere; denn wir müssen unser Bildungssystem - insbesondere unser Hochschulsystem - international konkurrenzfähig halten. Es nützt überhaupt nichts, wenn wir alle in Übereinstimmung mit Parteitagsbeschlüssen in Frieden leben, sondern wir müssen international wettbewerbsfähig sein. Wenn diese Hochschulen auf den Markt treten - unter den 15 besten Hochschulen der Welt gibt es keine deutsche mehr; die besten deutschen gehören nicht zu den 15 besten der Welt;

(Schröder [GRÜNE]: Wer hat das denn gemessen?)

das werden Ihnen alle Wissenschaftsexperten in Deutschland bestätigen -, dann müssen wir darüber nachdenken.

Nun komme ich zum Abschluss noch einmal zur CDU. Die dpa meldete am 22. Januar:

„CDU-Vorstand billigt Bildungspapier – offen für Studiengebühren.

Der CDU-Parteivorstand hat am Montag in Berlin ein neues bildungspolitisches Grundsatzpapier gebilligt. Darin öffnet sich die CDU erstmals für Studiengebühren und Bildungskredite. Für die künftige Finanzierung des Studiums wird eine ‚sinnvolle Kombination von Bafög, Bildungssparen, Bildungsdarlehen und Gebühren‘ angestrebt. ‚Freiplätze für Be

gabte und Bedürftige‘ sollen die ‚Sozialverträglichkeit‘ sichern. Die Rückzahlung der Darlehen soll abhängig vom späteren Einkommen erfolgen.“

Frau Ernst und alle anderen in der CDU, wenn die Verfechter von Studiengebühren bei den Grünen und in der SPD auf solch eine Beschlusslage blicken könnten, wären sie mehrere Schritte weiter.

Meine Damen und Herren, ich plädiere besonders dafür, dass wir die BAföG-Reform dafür nutzen, über die Bezuschussung insbesondere des unteren Einkommendrittels, das Hilfe bracht, den Zugang zur Hochschule zu öffnen, hinaus Bildungskredite - dabei stimme ich mit der CDU völlig überein und Darlehensmöglichkeiten für Studierende zu eröffnen, die nicht mehr unter die Einkommensgrenzen beim BAföG fallen, die aber dennoch schnell, ohne einer umfangreichen Erwerbstätigkeit nachzugehen, ihr Studium durchbringen wollen - vielleicht auch ohne Hilfe der Eltern -, oder für Studierende, die eine private Hochschule besuchen wollen und Gebühren bezahlen müssen, die ihre Eltern ihnen nicht bezahlen können oder wollen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich plädiere dafür, dass es dafür günstige Kredite gibt. Das wäre ein weiterer Schritt, Chancengleichheit in Deutschland herzustellen.

Unsere Zukunft, unser Wohlstand und unsere Lebensqualität hängen letztlich davon ab, dass es uns gelingt, in unserem Bildungssystem und nicht zuletzt beim Zugang zu den Hochschulen Chancengleichheit zu realisieren. Wir können es uns nicht leisten, dass auch nur ein Talent, eine begabte Person in diesem Land nicht die mögliche Schulund Hochschulbildung bekommt. In dem Sinne plädiere ich für Chancengleichheit. Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft einen Zustand erreichen, in dem Studiengebühren, Hochschulfinanzierung und Chancengleichheit sich überhaupt nicht ausschließen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, ich bitte um gütige Nachsicht dafür, dass ich mit einem dezenten Hinweis auf die Zeitüberschreitung aufmerksam machen wollte. Es sind nämlich gut neun Minuten geworden, und ich

muss das bei den Rednern, die eventuell zusätzliche Redezeit beanspruchen, berücksichtigen. Ich hoffe, dass wir bald zum Abschluss kommen werden.

Zunächst einmal möchte Frau Kollegin Harms die verbleibende Redezeit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nutzen. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon mehrfach angesprochen worden, dass wir diesen Antrag nicht unbedingt deshalb eingebracht haben, um hier tatsächlich in der Sache zu debattieren, sondern wir wollten eine Lage klären. Der Verlauf der Debatte zeigt mir, dass sich das zumindest für Niedersachsen inzwischen fast erledigt hat, es sei denn, Sie dächten noch einmal darüber nach, was hier tatsächlich abgelaufen ist.

Ich muss dazu noch eines vorausschicken: Der Antragstext, über den wir heute hier debattieren und den Sie kennen, entspricht fast wörtlich einem Beschluss der SPD. Der SPD-Bezirk Hannover hat nämlich im letzten Herbst genau diesen Text verabschiedet. Frau Bulmahn sagt, das sei ganz genau das, was auch die Linie der Bundespolitik sei und was sie vertreten würde. Das sei also sozusagen bundespolitisch von der SPD abgesegnet worden.

Ich kann deshalb überhaupt nicht verstehen, warum sich Herr Kollege Domröse bezüglich dieses Textes zu sagen erlauben kann, dabei würde irgendwie ein „Wortgeklapper“ gemacht werden. Wir haben jetzt eine Lage in Niedersachsen, in der nicht irgendwer, sondern der Ministerpräsident, Minister Oppermann und Frau Bulmahn mit unterschiedlichen Positionen nach außen gehen.

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Das können sie auf dem nächsten Parteitag klä- ren!)

Der Ministerpräsident zieht sich aus dieser Debatte wieder zurück, indem er sagt, das sei ein Missverständnis gewesen.

(Bontjer [SPD]: Was?)

Nachdem Frau Bulmahn ihn angerufen hatte - das konnte man so zumindest nachlesen -, hat er gesagt, das sei ein Missverständnis, und das alles sei gar nicht so gemeint gewesen.

Frau Kollegin Harms, möchten Sie eine Frage beantworten?

(Domröse [SPD]: Ich habe mich zu Wort gemeldet!)

- Das geht so nicht. Ich habe gedacht, das wäre eine Frage. Bitte machen Sie das deutlicher erkennbar.

(Domröse [SPD]: Verzeihung!)

Bitte sehr!

Ich bin auch gerne bereit, die Diskussion im Ausschuss - ich komme auch gerne einmal dorthin, wenn es um diese grundsätzlichen Fragen geht weiter zu vertiefen.

Meiner Meinung nach hat Frau Bulmahn völlig Recht, wenn sie erklärt, dass die Diskussion um Studiengebühren von den eigentlichen Problemen im Hochschulbereich ablenkt.