Protokoll der Sitzung vom 28.01.2000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon die Eingangsformulierung von Frau Harms, die den Antrag eingebracht hat, war verräterisch. Sie sagte, sie wolle keine Sachdebatte über Positionen führen,

(Frau Harms [GRÜNE]: Das hatten wir doch gerade bei dem Punkt Me- dienpolitik!)

sondern sie wolle Aufklärung darüber, was denn innerhalb der niedersächsischen SPD an unterschiedlichen Meinungen zum Thema diskutiert wird.

(Zurufe - Unruhe)

Nun ist dies hier aber kein Parteitag, weder einer der CDU noch einer der SPD noch einer der Grünen, sondern wir sind hier im Parlament und haben die Frage zu prüfen, wie denn Niedersachsen insgesamt zu bildungspolitischen Fragen steht.

(Klare [CDU]: Sehr richtig! Da bin ich gespannt!)

Dazu möchte ich Sie auch sehr herzlich einladen.

(Senff [SPD]: Genau!)

Frau Kollegin Ernst, Sie haben ja Recht, wenn Sie sagen, dass es in den großen Parteien und auch in den kleinen Parteien unterschiedliche Meinungen zu einzelnen Sachfragen geben muss, die dann natürlich auch innerhalb der Parteien diskutiert werden müssen. Selbstverständlich dürfen auch Sie als Person oder darf Ihr Landesverband eine andere Meinung haben als Ihr Bundesvorstand. Über unterschiedliche Meinungen muss man halt diskutieren können. Mein wesentlicher Kritikpunkt an der Debatte insgesamt ist nun der, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir nicht in der Sache diskutieren, sondern dass wir tabuisieren. Wir tabuisieren dadurch, dass wir eine an sich notwendige Debatte über die Frage, ob wir mit der Studienfinanzierung, so wie sie jetzt besteht, weiterkommen oder ob wir Änderungen brauchen,

(Frau Körtner [CDU]: Sie verunsi- chern alle!)

auf ein Reizwort verkürzen, nämlich auf das Reizwort Studiengebühren. Mit dieser Verkürzung teilen wir die Welt unzulässigerweise in zwei anscheinend sich diametral gegenüberstehende Lager ein, die Befürworter auf der einen Seite und die Gegner auf der anderen Seite, und anscheinend gibt es dazwischen überhaupt keine Brücken.

Nun schauen Sie aber bitte einmal genauer hin! Dann werden Sie nämlich feststellen, dass die Unterschiede in den Positionen so gewaltig, wie das suggeriert wird, überhaupt nicht sind. Auch die Befürworter von Studiengebühren wissen - das stellt man bei genauem Hinsehen fest -, dass die Einführung von Studiengebühren nur vor dem Hintergrund einer geänderten Studienfinanzierung

möglich ist, einer Studienfinanzierung nämlich, die dafür Sorge trägt, dass durch Stipendien oder welche Mittel auch immer gewährleistet ist, dass es keine finanziellen Erschwernisse für den Studienzugang gibt. Das sagen die Befürworter von Studiengebühren auch laut. Nur wird das wegen dieser Verkürzung auf das Reizwort Studiengebühren öffentlich oft gar nicht wahrgenommen.

Die so genannten Gegner von Studiengebühren, zu denen ich ja zähle, sagen, auch laut: Wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, dass es eine neue Studienfinanzierung gibt, dass es ein Modell gibt, bei dem niemandem der Hochschulzugang aus finanziellen Gründen erschwert wird, dann sind Studiengebühren nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll; denn sie haben, wenn man sie denn realisieren kann, zweifelsfrei Vorteile, die z. B. darin liegen, dass es ein neues Wertverständnis zwischen den Studierenden und den Hochschulen gibt. Wenn durch unmittelbaren Finanztransfer deutlich wird, was eine Leistung kostet, dann kann man sich auch einmal überlegen, ob man bestimmte Leistungen in Anspruch nimmt oder nicht. Ich will mit Ihnen jetzt nicht über Einzelheiten diskutieren; wir werden das im Ausschuss tun. Wir haben im Zusammenhang mit Gebühren für die Benutzung bestimmter Hochschuleinrichtungen ja z. B. darüber nachgedacht, ob man nicht den Nutzern selbst das Geld in die Hand geben sollte, anstatt sozusagen eine Einrichtung öffentlich vorzuhalten, die im Verdacht steht, dann gar nicht das anzubieten, was die Nutzer brauchen, sodass man durch direkte Gebührenzuordnung ein neues Leistungsverhältnis bei diesen Einrichtungen bekommt.

(Vizepräsident Jahn übernimmt den Vorsitz)

Also: Auch die Gegner wissen, dass eine solche Möglichkeit nicht nur denkbar, sondern auch sinnvoll wäre.

Worin unterscheiden sich denn jetzt überhaupt noch die beiden Positionen?

(Zuruf von Frau Körtner [CDU])

- Ich werde Ihnen meine persönliche Position gleich noch darstellen. - Ich will das aus meiner Sicht einmal auf den Punkt bringen.

Die Gegner, zu denen ich gehöre, sagen: Die politische Welt ist im Augenblick so, dass keine Chance dafür gegeben zu sein scheint, in dem Umfeld,

in dem wir uns befinden, eine neue Studienfinanzierung, eine neue Stipendienfinanzierung zu gestalten, die ohne zusätzliche Finanzerschwernisse Gebühren möglich macht, weil die Politik eben sagt: Wir wollen im Augenblick vorrangig Familien entlasten. Wir wollen sie bei den Steuern entlasten. Wir wollen sie durch das Kindergeld entlasten. - Vor diesem Hintergrund ist das Umschichtungspotential verbraucht. Das haben wir bei der BAföG-Diskussion erlebt, übrigens nicht erst seit dem Machtwort des Bundeskanzlers zu der Frage, ob es einen Grundbetrag für die Studierenden gibt. Ich selbst habe die Diskussion über das so genannte Drei-Körbe-Modell oder über verwandte Modelle über Jahre verfolgt und habe die Familienpolitiker aller Parteien erlebt, die mit erheblichen Bedenken gegen ein solches Modell vorgegangen sind, weil es nicht systematisch in den Familienlastenausgleich einzuordnen ist. Weil das so ist - das sage ich wie auch andere so genannte Gegner der Studiengebühren -, ist es im Augenblick nicht vorstellbar, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Studiengebühren als ein sinnvolles Element der Umverteilung eingeführt werden können.

Die Befürworter sagen - das ist eigentlich noch der einzige Unterschied -: Lasst uns trotz dieser Tatsache, dass das schwierig zu sein scheint, intensiv daran arbeiten, die Voraussetzungen für die Einführung von Gebühren zu schaffen, weil nach unserer Auffassung die Vorteile so groß sind, dass es sich lohnt, die Anstrengungen zu unternehmen, die notwendig sind, um ein neues Studienfinanzierungsmodell gestalten zu können.

Auch in anderen Bereichen, meine Damen und Herren, haben sich die Positionen ganz klammheimlich angenähert. Auch die Grünen sprechen in ihrem „Leitantrag“ nur noch von einem gebührenfreien Erststudium. Alles andere ist inzwischen, sage ich einmal, schon Konsens. Man weiß, dass für das, was über das Erststudium hinausgeht, Gebühren möglich sein müssen.

Meine Damen und Herren, dem Antragsteller geht es darum - das ist deutlich geworden -, einmal in Erfahrung zu bringen, was denn innerhalb der niedersächsischen SPD an unterschiedlichen Positionen existiert.

(Schröder [GRÜNE]: Das würde ich gern mal hören!)

Sie haben zwar keinen Anspruch darauf, das hier zu erfahren, weil dies kein Landesparteitag der SPD ist, aber ich will Ihnen den Gefallen trotzdem tun und will Ihnen genau sagen, mit wem ich an welcher Stelle über Kreuz liege, und dann können Sie daraus Ihre Schlüsse ziehen.

Ich komme zunächst auf den Ministerpräsidenten Gabriel zu sprechen. Dazu eine Vorbemerkung. - Als einer von vielleicht wenigen der hier Anwesenden war ich bei dem Neujahrsempfang dabei. Sie können sich vorstellen, dass ich messerscharf zugehört habe,

(Eveslage [CDU]: Voller Sorge!)

- nein, nicht voller Sorge; ich kenne Herrn Gabriel viel zu lange, als dass ich da Sorge haben müsste um mitzubekommen, ob es da irgendwo ein Missverständnis gibt. Er hat das, wie ich finde, korrekt ausgedrückt. Er hat klipp und klar erklärt, dass Studiengebühren, wenn sie denn vor einem bestimmten Hintergrund darstellbar wären, durchaus Vorteile hätten, dass sie aber vor allem kein Modell zur Hochschulfinanzierung sind. Er hat ausgeführt, in welchem Zusammenhang er das meint und hat dann gesagt: Aber bevor wir darangehen, darüber überhaupt nachzudenken, muss ein neues Modell für die Studienfinanzierung, Stipendien und dergleichen mehr, fertig sein. - Bis hierher ist dies auch exakt meine Position, die ich über Jahre vertreten habe. Der einzige kleine Dissens zwischen Herrn Gabriel und mir - personenbezogen; mehr können Sie daraus nicht ablesen - ist der, dass ich sage: Seine Vorstellung, dass sich das innerhalb von zwei Jahren realisieren lässt, halte ich nicht für realistisch. - Das ist der einzige Dissens, den es in dieser Fragestellung gibt.

Nun komme ich auf Herrn Oppermann zu sprechen. - Mit Herrn Oppermann habe ich Dissens in einer Frage. Er sendet nach meinem Dafürhalten zu stark das Signal aus, dass Gebühren ein zusätzlicher Geldstrom für die Hochschulen sein könnten. Auch von Frau Ernst ist gesagt worden: Wenn überhaupt, dann muss das den Hochschulen zur Verfügung stehen. - Meine Damen und Herren, bei allem, was wir heute diskutieren, was der CDUBildungsparteitag gesagt hat, was auch die Grünen gesagt haben, reden wir über ein Umverteilungspotential, über Veränderungen im Familienleistungsausgleich mit dem Ziel, mehr Gerechtigkeit, mehr Hochschulzugang zu erreichen; da sind Gebühren möglicherweise ein Teilelement.

Bei einer Umverteilung gibt es nicht mehr Geld. Ich bin davon überzeugt - das hat vorhin auch Frau Harms ausgeführt -, dass die Hochschulen in aller erster Linie Strukturgewinne dadurch erwirtschaften müssen, dass sie effizienter arbeiten. Diese Aufgabe stellt sich ihnen. Sie damit zu locken, dass möglicherweise in absehbarer Zeit, in ein, zwei oder drei Jahren, Studiengebühren zusätzliches Geld an die Hochschulen bringen, ist ein falsches Signal.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundeskanzler Schröder - das ist schon gesagt worden hat klargestellt, dass das Regierungshandeln darauf ausgelegt bleibt, dass keine Gebühren für das Erststudium erhoben werden. Das ist ein klares Wort. Meine Hoffnung ist, dass vor dem Hintergrund dieses klaren Wortes das Geklappere aufhört, allein mit diesem Reizwort Politik zu machen und Menschen auseinander zu dividieren, sondern dass wir die Zeit finden, sachlich darüber nachzudenken.

(Frau Körtner [CDU]: Mit dem Klap- pern meinen Sie Herrn Oppermann!)

- Ich meine damit alle - zur Not auch mich selber -, die diese Debatte immer auf das Reizwort "Studiengebühren" verkürzen. Wir brauchen, meine Damen und Herren, eine dauerhafte Sicherung des Hochschulzuganges für alle, die über eine Hochschulzugangsberechtigung - sei es von der Schule oder sei es von der beruflichen Bildung her - verfügen, und zwar unabhängig vom Familieneinkommen. Da der Anteil an Studierenden eines Jahrganges inzwischen auf 50 % zustrebt, muss doch klar sein, dass wir im Familienleistungsausgleich auch die Finanzierung des Studiums mit unterbringen müssen. Wir müssen also darüber nachdenken, wie wir den Familienleistungsausgleich gestalten. Aber wir müssen auch deutlich machen, dass die Studienfinanzierung in erster Linie eine gesellschaftliche Aufgabe ist, denn es besteht ein gesellschaftliches Interesse, dass unsere jungen Menschen Bildungsangebote wahrnehmen. Nicht im Vordergrund steht das Einzelinteresse.

(Glocke des Präsidenten)

- Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss. Es muss auch deutlich werden, dass wir die Möglichkeit haben, über alternative Modelle - seien es Bildungsgutscheine oder seien es Bildungskonten nachzudenken. Es muss eine offene Debatte darüber geben können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wenn Sie gemerkt haben, dass ich in der Frage, wo ich über Kreuz liege, eine Person ausgelassen habe, dann will ich Ihnen auch diese Antwort nicht schuldig bleiben. Was trennt mich denn von Frau Bulmahn? - Von Frau Bulmahn trennt mich, dass sie schon seit Jahren explizit Studiengebühren verbieten will. Das würde eine Sachdebatte tabuisieren. An dieser Stelle liegen wir über Kreuz.

Nun haben Sie alle Antworten, die Sie brauchen. Jetzt können Sie munter nach Hause gehen und damit Parteipolitik machen.

(Beifall bei der SPD)

Nun hat Herr Minister Oppermann um das Wort gebeten. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass Frau Ernst und Herr Domröse eine so muntere Debatte im Niedersächsischen Landtag über Studiengebühren oder - besser - über Bildungsfinanzierung in Gang gebracht haben, während ich aber schon missbilligen muss, dass die Initiatorin dieser Diskussion, Frau Harms, in Ihrer Einbringungsrede nicht ein einziges Argument zum inhaltlichen Thema gebracht hat, sondern nur nach dem Motto: „Da gibt es einen Parteitagsbeschluss; der Minister weicht davon ab; das ist unglaubwürdig; damit habt ihr ein Problem in der SPD, wie löst ihr das eigentlich?“ parteitaktisch vorgetragen hat. Zum Thema der Bildungsfinanzierung haben Sie aber kein einziges Wort gesagt.

Wir werden Ihnen das sicherlich eines Tages einmal zurückgeben können. Wenn die atompolitischen Beschlüsse der Grünen vielleicht in einem Jahr einmal auf dem Prüfstand stehen, möchte ich wissen, was davon übrig bleibt, was Herr Trittin davon umgesetzt haben wird. Ich bin gespannt, ob Sie sich dann hier vorn hinstellen und eine entsprechende Diskussion beginnen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Bisher dachte ich, dass in Niedersachsen die Sozial- demokraten und die Grünen in dieser Frage eine gemeinsame Position ha- ben!)

- Ja, schon. Aber Sie werden am Ende ein Problem haben, weil Ihre Ziele nicht komplett umgesetzt werden und Ihr Parteitagsbeschluss ein Stück weit unrealisiert bleibt. Stellen Sie sich dann auch hier hin, und sagen Sie dann, das sei ein völlig untragbarer Zustand?

(Frau Harms [GRÜNE]: Darauf ant- worte ich Ihnen gleich!)

In den Parteien wird es auch in Zukunft Beschlüsse geben - das ist auch gut so, weil unsere parteienstaatlich verfasste Demokratie trotz der Probleme, die im Augenblick im Zusammenhang mit den Spenden bestehen, sehr gut funktioniert -, aber es wird auch immer Leute geben, die diese Beschlüsse irgendwann einmal in Frage stellen und den Anfang dafür liefern, dass es neue Beschlüsse gibt. Das gehört nämlich zur Demokratie dazu.

(Frau Steiner [GRÜNE]: Es muss aber eine Schamfrist dazwischen liegen! - Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Nicht gleich am nächsten Tag!)

Nun zu Frau Ernst. Frau Ernst, der Grundsatzartikel aus der „Frankfurter Rundschau“, den Sie zitiert haben, ist von einem Mitglied des linken Göttinger AStA verfasst. Dass Sie jetzt solche Artikel zitieren, zeigt doch, dass die Politik immer offener, immer ideologiefreier wird und dass sich Gruppen annähern, die vorher glaubten, nichts miteinander zu tun zu haben.

Bei allem Respekt vor Ihrer Jungfernrede - aber dass Sie mich in dieser Diskussion als „Wendehals“ bezeichnet haben, muss ich zurückweisen.

(Beifall bei der SPD - Frau Mundlos [CDU]: Das kann ich belegen! - Frau Hansen [CDU]: Vor der Wahl/nach der Wahl!)