Protokoll der Sitzung vom 16.02.2000

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Okay!)

Deshalb wäre es doch gut, wenn wir beide genau wissen, wen wir meinen - bei uns selbst und bei allen anderen -, und ansonsten in der Sache betrachten, was an Veränderungen des Ministergesetzes, der Geschäftsordnung der Landesregierung, des Abgeordnetengesetzes und möglicherweise an Dingen unterhalb der Gesetzes- oder Verordnungsebene begründet ist. Das hielte ich für einen guten Einstieg.

Zweiter Punkt: Ich meine, dass es nicht sinnvoll ist, Frau Kollegin Harms, in die Debatte nach dem Motto einzusteigen: „Entschuldigung, dass es uns Politikerinnen und Politiker noch gibt, aber wir arbeiten daran!“.

(Beifall bei der SPD)

Darum geht es nicht, sondern es geht darum, zu sagen, an welcher Stelle in der Politik oder in der Gesellschaft das Handeln von Politikerinnen und Politikern auch weiterhin nötig ist und wo es keinen Sinn macht, eine Verfassung, die 1948/1949 entstanden ist, heute aufgrund des Fehlverhaltens einzelner Abgeordneter völlig außer Kraft zu setzen oder sie infrage zu stellen - das tun Sie in Teilen -, und wo es Sinn macht, dass sich Politik heraushält, sich selbst begrenzt, um auch die Kraft zu haben, das zu tun, wozu sie nach der Verfassung da ist. Ich möchte zwei Beispiele nennen, die ich nach den Vorstellungen, die in der letzten Zeit veröffentlicht wurden, schwierig finde.

Das erste Beispiel betrifft das Thema der Amtszeitbegrenzung. Ich habe dazu lediglich gesagt, dass ich es natürlich in einer solchen Debatte für möglich halte, die Frage zu behandeln: Können gewissermaßen Systeme entstehen? Darum geht es ja. Aber es gibt natürlich auch hinlänglich Beispiele dafür - ein paar sind hier bereits genannt worden, andere nicht -, dass so etwas bereits nach

einem Jahr existieren kann. Ich nehme nicht an, dass wir durch eine Änderung der Verfassung dort hineinkommen. Darin stimme ich Herrn Kollegen Wulff ausdrücklich zu: Das ist keine formale Frage.

Ich meine, dass wir die Möglichkeiten der Präsidialverfassung aus England und den USA oder des Bundespräsidenten nicht ohne Weiteres auf die einer parlamentarischen Demokratie übertragen können. In diesem Punkte habe ich eine verfassungsrechtlich andere Einschätzung als Sie, Frau Kollegin Harms. Warum Sie das öffentlich sozusagen populistisch - in der Art und Weise, wie Sie es vorhin getan haben - diskreditieren, verstehe ich nicht. Es muss doch in einem Parlament möglich sein, eine an der Verfassung orientierte Debatte zu führen, ohne dies gewissermaßen zu einer Art Kabarettveranstaltung werden zu lassen, nur weil man sich erhofft, eine schöne Rede halten zu können. Ich finde, das ist auch nicht angemessen, wie Sie, Frau Kollegin Harms, damit umgehen.

Dritter Punkt: Ich meine nicht, dass man in der Diskussion so tun sollte, als wäre der Rückzug von Parteivertretern das Allheilmittel. Ich nenne einmal zwei Beispiele. Da gibt es kluge Leute, die stellen die Frage: Warum wählen eigentlich Parlamentarier und Parteivertreter Verfassungsrichter? Mich würde einmal interessieren: Wer soll sie eigentlich wählen, wenn nicht Parlamentarier und Parteienvertreter? Vor allen Dingen: Wie soll die Legitimation für Verfassungsrichter entstehen, wenn sie nicht vom Parlament gewählt werden?

Ich habe in den verschiedenen Talkshows eine Reihe von Vertretern - übrigens aller Parteien gesehen, die auf einmal der Meinung waren, man könne das ganz anders machen, und die erklärten, da hätten die Parteien zu viel zu sagen. Aber keiner hat die Frage beantwortet, wie eigentlich die Legitimation für ein Mitglied dieser Gewalt entstehen soll, wenn nicht vorher das Parlament diese Legitimation geliefert hat.

Das zweite Beispiel ist der Rückzug aus den Rundfunkräten. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man keine Rundfunkräte hat und man die Kontrolle des Rundfunkstaatsvertrages oder der Rundfunkgesetzgebung der Regierung und den Gerichten übergibt, wenn es Streit gibt. Aber zu behaupten, man könne sich Beiräte, Aufsichtsgremien wie Rundfunkräte vorstellen, ohne dass die Legitimation dafür ebenfalls über das Parlament und damit

über Parteienvertreter entsteht - dafür habe ich nun keine Erklärung, wer solche Fiktionen erfindet.

Wer bekommt denn heute die Legitimation von den gesellschaftlichen Gruppen anders, wenn nicht über das Parlament?

Ich finde, dass hierüber eine Menge Scheindebatten geführt werden. Wir müssen aufpassen, dass wir darauf nicht hereinfallen, nur weil es sich so schön anhört, wenn öffentlich erklärt wird, „Wir ziehen uns überall daraus zurück“, ohne dass gleichzeitig gesagt wird, wie die dann fehlende Legitimation solcher Kontrollinstrumente entstehen soll, wenn nicht über das Parlament.

Vierte Bemerkung: Ich meine allerdings, dass es Teile gibt, in denen wir uns entweder alte, richtige Regelungen wieder in Erinnerung rufen müssen oder die Interpretation dieser Regelungen - Artikel 34 unserer Verfassung ist solch eine Regelung - neu vornehmen müssen. Ich behaupte nicht, dass die vorherige Interpretation falsch oder unrechtmäßig gewesen wäre; ich meine, dass sich in einem Zeitraum von 40 Jahren Ausübung von Verfassungsrealität mancherlei Dinge entwickeln, von denen wir unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen sagen: Nein, die Idee, die der Verfassungsgeber vor 40 oder 50 Jahren hatte, war möglicherweise korrekter, auch noch im Jahre 2000.

Deswegen plädiere ich dafür, sehr stringent mit der Frage umzugehen, in welchem Aufsichtsrat sich Mitglieder der Regierung aufhalten sollen. Ich gehe nicht so weit, zu sagen, die Landesregierung dürfe nicht mehr eine Garantenstellung in einem strukturbestimmenden Unternehmen übernehmen. Da habe ich eine andere Auffassung als Sie.

(Frau Pawelski [CDU]: Das ist Mi- nisterpräsidentensache!)

- Also, für den Ministerpräsidenten gelten insofern, meine ich, keine anderen Regelungen als für Landesminister; sonst wird das nach meinem Empfinden sehr inkonsequent.

Ich bin darüber hinaus der Auffassung, dass es eine Reihe von Dingen gibt, bei denen die öffentliche Diskussion auch bei den Betroffenen zu Unsicherheiten geführt hat, und zwar in allen Parteien. Nach meiner Meinung macht es Sinn, klarzulegen, was denn nun für die verschiedenen Reisen gelten soll, die man als Politiker und als Regierungsmitglied unternehmen soll. Mir ist übrigens ziemlich egal,

wie wir das regeln; nur muss es für alle gelten, und es muss klar und konsequent sein.

Ich bin dafür, meine Damen und Herren, dass wir dies einvernehmlich organisieren. Wir wollen zwar alles dafür tun, dass dieser Fall nicht eintritt, aber es soll ja die Möglichkeit existieren, dass auch einmal andere die Regierungsmitglieder stellen und nicht die SPD. Dann muss für sie das doch ebenfalls gelten. Es macht doch Sinn, diese Regelung erstens öffentlich zu finden und zweitens über alle Parteigrenzen hinweg.

Wenn ich mir die von Frau Harms so mutig und markig vorgetragene Rede anhöre und diese mit dem vergleiche, was das Kabinett gestern in der Tat intensiv diskutiert hat, dann wundere ich mich über das, was Sie hier - sagen wir mal - so vorstellen. Wenn ich mir das angucke, kann ich mit Blick auf die Nummern 2 und 4 nur feststellen, dass das Kabinett gestern deutlich konkreter, deutlich exakter und deutlich stringenter argumentiert hat, als Sie hier allgemein formuliert haben.

(Beifall bei der SPD)

Zumindest müssten Sie erklären: Liebe Landesregierung, vielen Dank, dass du unsere allgemeinen Formulierungen inzwischen in ganz konkrete Aufträge umgesetzt hast.

(Frau Steiner [GRÜNE]: Sollen wir jetzt den Antrag zurückziehen, nur weil Sie es im Kabinett diskutiert ha- ben?)

Im Zusammenhang mit den Punkten 1 und 3 muss der Landtag darüber diskutieren, wie weit wir den von Ihnen sicherlich auch mit guten Gründen vorgetragenen Vorschlägen nachkommen können und wo hier Grenzen sind. Der Hinweis auf die Höhe der Einkünfte, der hier gegeben worden ist, ist ja nicht ganz unberechtigt.

Von daher verstehe ich an dieser Stelle nicht, Frau Harms, warum Sie jetzt wieder mit möglichst viel Dissens, mit möglichst viel Differenz und mit möglichst viel parteipolitischer Abgrenzung an ein Thema herangehen, bei dem ich glaube, dass es nicht darum geht, wer es zuerst macht und wer am weitesten geht, sondern darum, dass wir sachgerechte Lösungen finden, die mit Recht und Verfassung übereinstimmen und sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Parlament möglichst einvernehmlich von allen getragen werden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Plaue hat jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme allen, die vor mir gesprochen haben, in der Einschätzung zu, dass die Debatte, die wir führen müssen, eine wichtige Debatte ist. Ich stimme auch der Kollegin Harms zu - das haben wir auch in der letzten Plenarsitzung schon deutlich gemacht -, dass man die aktuellen Ursachen für diese Debatte nicht so zusammenrühren kann, dass daraus ein Brei entsteht, der bei allen Beteiligten unter dem Strich nur noch Frust produziert. Frau Kollegin Harms, deshalb fand ich es nicht angemessen, dass Sie das Thema Kommunalpolitik, in der viele tausend Menschen ehrenamtlich - mehr oder weniger ehrenamtlich; wir wissen das - tätig sind, in der Form diskreditieren, dass Sie sagen, man müsse den kommunalpolitischen Klüngel hinter sich lassen. So geht das nicht.

(Beifall bei der SPD - Frau Harms [GRÜNE]: Könnten Sie nicht aus- nahmsweise einmal zuhören? Ich habe nichts über Kommunalpolitiker, son- dern nur über Minister gesagt!)

- Ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt einmal zuhören würden; denn meiner Meinung nach führt gerade die Wahl der Worte dazu, dass sich Menschen betroffen fühlen, die zu Recht den Anspruch erheben können, dass sie sich mit Erfolg darum bemühen, nicht gegen Recht und nicht gegen das Grundgesetz zu verstoßen. Deshalb wäre ich an Ihrer Stelle hierbei sehr vorsichtig.

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass diese Debatte zwar unabhängig, aber nicht losgelöst von der Tatsache geführt werden kann, dass es in der jüngsten Vergangenheit Spitzenpolitikerinnen und -politiker gegeben hat - Spitzenpolitiker jedenfalls haben es zugegeben -, die gegen die Verfassung verstoßen und gegen Gesetz gehandelt haben. Dadurch ist das Vertrauen in die Politik pauschal verloren gegangen. Dies auch deshalb, weil wieder zusammengerührt worden ist, was eigentlich nicht zusammen gehört. Die Vorwürfe sind aber so gravierend, dass ich auch verstehen kann, weshalb Vertrauen in die Politik

verloren gegangen ist. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen alles tun, um dieses verloren gegangene Vertrauen zurückzubekommen.

Das geht aber nicht, indem man sich hinstellt und erklärt, man hätte eine Antwort auf alle damit zusammenhängenden Fragen. Das geht auch nicht dadurch, dass man schnell einfach nur einmal eine Gesetzesänderung vorschlägt, sondern meiner Meinung nach geht das wohl nur so, wie es Ministerpräsident Gabriel in den letzten Tagen deutlich gemacht hat, nämlich zu versuchen, mit einigen Eckpunkten in die Diskussion mit Menschen, die außerhalb der Politik stehen, und mit dem Parlament einzutreten und wirklich den Versuch zu unternehmen, bei allen Beteiligten einen breiten Konsens über Regeln zu erzielen, die wir hatten, die in dem einen oder anderen Punkt aber neu gefasst und gegebenenfalls auch schärfer formuliert werden müssen.

Meine Damen und Herren, Verstöße gegen Recht sind nicht zu verhindern. Das ist wohl wahr. Wenn solche Verstöße vorkommen, müssen wir versuchen, sie so schnell wie möglich aufzuklären und daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. In diesem Punkt haben wir uns in Niedersachsen, so meine ich, im Gegensatz zu anderen Bereichen in der Bundesrepublik Deutschland nichts vorzuhalten. In eine solche Debatte gehört auch hinein, dass man an der Stelle einen anderen Anspruch zu verteidigen und zu vertreten hat.

Meine Damen und Herren, so hart Entscheidungen, die Konsequenzen erforderlich machen, im Einzelfall auch sein mögen, so sind sie dennoch erforderlich, weil die Bürgerinnen und Bürger draußen nicht das Gefühl haben dürfen, dass wir die Gesetze, die wir gemacht haben und die uns zum Teil auch Privilegien einräumen, weil wir sie in Ausübung unseres Mandates brauchen, dann, wenn sie gegen uns gerichtet werden, leichtfertig außer Kraft setzen. Deshalb finde ich richtig, was der Herr Bundestagspräsident im Augenblick mit sehr großer Stringenz macht.

Ich sage noch einmal: Das Regelwerk, das wir haben, ist in Ordnung. Es bedarf sicherlich der Modifizierung. Woran es aber fehlt - da greife ich jetzt das auf, was Präsident Wernstedt beim letzten Tagesordnungspunkt gesagt hat -, ist ein - wenn man so will - seit langem überfälliger Streit in der Öffentlichkeit darüber, was Abgeordnete tun dürfen, wenn sie in der Ausübung ihres Mandates den

Auftrag, den ihnen die Wählerinnen und Wähler gegeben haben, abarbeiten.

Ich glaube, dass wir an dieser Stelle in der Vergangenheit zu defensiv vorgegangen sind. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir keine andere Alternative haben, als genau diesen schwierigen und auch kritischen Dialog nach draußen zu organisieren, und zwar einen Dialog - das sage ich hier in aller Deutlichkeit -, der für uns ergebnisoffen geführt werden muss. Auch die Punkte, die Herr Gabriel und das Kabinett gestern auf den Tisch gelegt haben, und auch das, was Sie heute auf den Tisch gelegt haben, wollen wir sehr offen diskutieren. Wir müssen aber ergebnisoffen diskutieren. Wenn ich die Leute, mit denen ich darüber reden möchte, ernst nehmen will, muss ich ihnen auch die Chance geben, etwas zu formulieren, von dem sie erwarten können, dass es dann auch umgesetzt werden kann.

Ich habe das Gefühl, Frau Kollegin Harms - lassen Sie mich das deutlich sagen -, dass Ihr Antrag einen anderen Ansatz hat. Er geht nach der Methode: Wir haben unser Urteil schon gefällt. Das ist es nun. - Ich glaube, dass dies der falsche Ansatz ist.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das anhand von zwei oder drei Punkten aus den beiden von Ihnen vorgelegten Anträgen auch belegen. Frau Kollegin, Sie haben vorgeschlagen, das Abgeordnetengesetz zu verändern. Als Maßstab haben Sie denjenigen Punkt genommen, den wir in der Vergangenheit immer genommen haben, wenn es darum ging, Regelungen zu entwickeln mit dem Ziel, mögliche Abhängigkeiten von Abgeordneten transparenter zu machen. Das, was hier steht, ist ja nichts Neues; denn diese Diskussion wurde ja auch schon in den Jahren vor Kohl intensiv geführt, vielleicht ein bisschen beschleunigt durch die Flick-Affäre, in der das besonders prägnant gewesen ist.

Deshalb hätte ich überhaupt keine Probleme mit einer Offenlegung der Art und der Herkunft von Einkommen aus selbständiger und nicht selbständiger Tätigkeit. Ich hätte auch keine Probleme damit, wenn wir sagen müssten, wo es mögliche Interessenkonflikte geben kann - nicht: geben muss -, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, mit welchen Abgeordneten sie es zu tun haben. Ich fände es auch richtig, wenn Abgeordnete Spenden, die sie bekommen, so es die überhaupt gibt - ich bitte, mir meine etwas naive Reaktion zu verzeihen, denn ich habe noch nie eine bekommen -,

veröffentlichen müssten. Gar keine Frage. Dadurch würde klar werden, aus welchen Quellen sich Abgeordnete letzten Endes finanzieren.

Meine Damen und Herren, wenn Sie verlangen, die Höhe der Einkommen offen zu legen, dann stoßen Sie aber ganz schnell an Grenzen. Das haben Sie ja selbst in Ihrem Gesetzentwurf so formuliert. Nicht ohne Grund trägt er ja die Unterschrift des Kollegen Schröder,

(Frau Harms [GRÜNE]: Zwei Juristen haben daran gearbeitet, Herr Plaue!)

der, wenn ich das richtig sehe, in seiner Nebentätigkeit Rechtsanwalt und Notar ist. Er sagt z. B., dass man dann, wenn es um Mandantenschutz oder Standesrecht geht, die Einkommen nicht offen legen kann.

(Zurufe - Unruhe)

- Es kann sein, Kollege Rabe, dass er da Recht hat.

(Frau Harms [GRÜNE] - zur SPD -: Ist das gut, was wir da vorschlagen?)