Protokoll der Sitzung vom 29.03.2000

Meine Damen und Herren, wie Sie vielleicht auch in der politischen Diskussion merken, geht die Zahl der Befürworter der O-Stufe immer weiter zurück. Manchmal hat man den Eindruck, dass das nur noch wenige Anhänger einer Sekte und vielleicht noch die letzten Mohikaner in der SPDFraktion sind. Es war interessant, das in den letzten Wochen und Monaten zu verfolgen. Jedenfalls wird die Abschaffung der O-Stufe in zunehmendem Maße gefordert.

Vor ein paar Tagen hatte dann unser Ministerpräsident ein kleines Jubiläum. Er hatte die ersten 100 Tage über die Bühne gebracht. Nun denkt man, Staatsmänner geben gelegentlich Jubiläumsgeschenke aus, und just in diesen Tagen tritt Herr Gabriel auf und denkt über die O-Stufe nach. Es ist interessant, die Presse zu verfolgen: Gabriel: OStufe überdenken. - SPD ringt um O-Stufe. - Stufe vor dem Aus. - O-Stufe im Visier. - Gabriel macht Fass auf. - Eine kleine Zeitung spricht dann noch von einem Kuckucksei. Das ist ganz interessant. Darauf komme ich gleich noch zurück.

Meine Damen und Herren, natürlich kam es, wie es kommen musste: Unser Ministerpräsident blähte die Backen, und heraus kam heiße Luft. Man kann auch sagen: Der Prophet ließ den Berg kreißen, und man gebar gemeinsam mit der SPD-Fraktion eine Maus. Und die Maus heißt Bestandsaufnahme.

30 Jahre Orientierungsstufe. - Ich habe eine Bestandsaufnahme zur Orientierungsstufe aus dem Schuljahr 1984/85 gefunden. Es ist alles schon ermittelt und beobachtet worden.

(Möhrmann [SPD]: Was haben Sie denn damals daraus gemacht?)

Herr Wernstedt, Sie haben das wahrscheinlich schon 1990 versenkt, weil man wusste, dass die Ergebnisse klar sind. Aber warum handelt man eigentlich nicht?

(Beifall bei der CDU)

Herr Ministerpräsident, Sie haben in den letzten Monaten schon einmal einen Fehler eingeräumt; das hatte mit Ihrem Amtsvorgänger zu tun. Ich meine, Sie machen einen weiteren schweren Fehler, wenn Sie ein Fass aufmachen und offenbar nicht geklärt haben, wie die Meinungslage in Ihrer eigenen Fraktion ist.

(Plaue [SPD]: Wir würden einen schweren Fehler machen, würden wir Sie ernst nehmen!)

Für mich ist das Bild zurzeit absolut diffus. Wenn ich lese, was Sie letztlich wirklich wollen, was die Ministerin will, was die SPD-Fraktion will - wenn ich Aufsätze von Frau Seeler und anderen lese -, dann kann ich nur sagen: Hochinteressant. Aber der Patient ist todkrank, und Sie, meine Damen und Herren, verpassen ihm zwei Jahre weiterer Beobachtung. Kann das denn wohl richtig sein?

(Plaue [SPD]: Was Sie wollen, ist klar: Sie wollen die Schule der 50er- Jahre!)

Da muss man sagen: Nehmen Sie die 30 Jahre Erfahrung, nehmen sie zwei Jahre Beobachtung hinzu; dann geht es mit dem Atomausstieg in Deutschland ja noch schneller, als dass Sie eine Meinung zur O-Stufe haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich halte das insgesamt für eine fatale Entwicklung.

(Frau Harms [GRÜNE]: Welche, die bei der Schule oder die beim Atom- ausstieg?)

So, wie Sie, Herr Ministerpräsident, das Thema zurzeit einstielen, schaffen Sie mehr Unruhe an der Schule als Klarheit im Schulwesen.

Ich will dann einmal auf die „Ostfriesen Zeitung“ zurückkommen, die schrieb: Wahrscheinlich hat der Ministerpräsident seiner SPD im Lande ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Das wollen wir dann doch einmal beobachten. Oft endet es ja damit, dass hinterher ein fremder Vogel im Nest sitzt. Warten wir es doch einmal ab. Wir werden rechtzeitig Alternativvorschläge machen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU – Plaue [SPD]: Aber das haben Sie doch schon ge- macht, Herr Busemann! Sie wollen zurück in die 50er-Jahre! - Zuruf von der SPD: Viel geredet, nichts gesagt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Präsident kann ich nicht in die inhaltliche Debatte eingreifen, aber, Herr Kollege Busemann, der

ehemalige Kultusminister Wernstedt hat mir mitgeteilt,

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

dass es schon fünf Jahre gedauert hat, bis er überhaupt in die Lage gekommen sei, etwas daran zu ändern. Das nur als eine gedankliche Erinnerung. – Herr Kollege Fasold!

(Jahn [CDU]: Das war ein Sachbei- trag des Kollegen Wernstedt! – Möll- ring [CDU]: Das hätte ich an Ihrer Stelle nicht getan. Das kann böse Fol- gen haben!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte das besondere berufliche Glück, 1971 und in den Folgejahren eine der ersten zehn Orientierungsstufen mit entwickeln zu können, die in Niedersachsen gestartet wurden. Es handelte sich um ein Schubladenprojekt des CDU-Ministers Langeheine - -

(Zurufe von der SPD: Mikro!)

- Ich habe das Mikro nicht abgestellt.

(Möllring [CDU]: Das ist ein intelli- gentes Mikro. Das weiß, was gesagt wird! – Gegenruf von Frau Lau [SPD]: Nun hören Sie doch einmal auf!)

- Darf ich jetzt noch einmal beginnen? - Also noch einmal.

Ich hatte 1971 das besondere berufliche Glück, eine der ersten zehn Orientierungsstufen mit entwickeln zu können, die im Land Niedersachsen gestartet wurden. Es handelte sich um ein CDUSchubladenprojekt von Herrn Langeheine. Die SPD begann es, und der CDU-Ausnahmeminister im Kabinett Albrecht, Dr. Remmers, hat es dann flächendeckend umgesetzt. Nach meiner Kenntnis war dies das letzte parteiübergreifende bildungspolitische Gesamtprojekt im Land Niedersachsen.

Ich habe dabei erlebt, mit wie viel beruflicher Leidenschaft hunderte von Lehrern nach Lösungen für einen extrem schwierigen Auftrag suchten, der den Schulen vom Land gegeben wurden, nämlich erstens, innerhalb kürzester Zeit - innerhalb von zwei Jahren - nach möglichst objektiven Kriterien zu suchen, um Schülern den Weg in die weitere

Schullaufbahn ab Klasse 7 zu weisen, zweitens, nach dem Grundschulunterricht und seinem Klassenlehrerprinzip mit Fachunterricht mit verschiedenen Fachlehrern und -lehrerinnen zu beginnen, drittens, eine Beobachtungsphase für die einzelnen Schülerleistungen einzurichten, und viertens, Eltern zu beraten und sie hinsichtlich der Entscheidung zu orientieren, welche Schullaufbahn das Kind einmal einschlagen sollte.

(Schirmbeck [CDU]: Alles Ge- schichte!)

Eine besondere Schwierigkeit des Auftrags war es, Schüler trotz unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und trotz unterschiedlicher Eignungen und Neigungen gemeinsam zu unterrichten

(Frau Körtner [CDU]: Das hat nie funktioniert! Das wissen Sie auch!)

und dennoch zu prüfen, wo sie leistungsbezogen differenziert unterrichtet werden müssten,

(Möllring [CDU]: Das ist nur auf den ganz kleinen Dorfschulen so!)

also wo der Unterricht auch eine Trennung der Schülerinnen und Schüler erforderlich werden ließ.

Heute, nach drei Jahrzehnten, können wir zum System sagen, dass dieser Bildungsauftrag, der 1971 realisiert werden sollte, praktisch auch erfüllt worden ist.

(Zuruf von Klare [CDU])

Wir haben mit 70 % mittlerer und höher qualifizierter Abschlüsse ein Drittel mehr als Bayern, das keine Orientierungsstufe kennt und in naher Zukunft auch nicht kennen wird. Wir haben mit den 70 % gleichzeitig eine Annäherung an die Zielvorstellungen europäischer Bildungssysteme erreicht. Wir haben aber auch gleichzeitig unser Schulsystem in Niedersachsen in Ordnung halten können. Denken Sie nur daran, dass davon abhängig ist, dass die 1.878 Grundschulen im Lande erhalten bleiben konnten - damit kurze Schulwege - und dass auch die Orientierungsstufe wohnungsnah angebunden werden konnte.

Wir haben aber vor allem erreicht, dass unser Schulsystem mit einem Schritt so etwas wie europatauglich sein kann.

(Zuruf von Frau Vockert [CDU])

In Europa beträgt die gemeinsame Unterrichtszeit im Durchschnitt acht Jahre; nur Österreich befindet sich mit vier Jahren dort, wohin Sie von der CDU unmittelbar zurück wollen.

(Glocke des Präsidenten)

- Was heißt das? - Ach so, noch eine Minute. Hier ist ja alles neu für mich.

Wir sind dem Landeselternrat sehr dankbar,

(Jahn [CDU]: Bravo!)

dass wir die aus pädagogischen Gründen unumgänglichen Schwierigkeiten, die sich bei der Arbeit auftaten und auf die er unmittelbar seit Beginn der Arbeit hingewiesen hat, jetzt sozusagen durch seine Anregungen in Angriff nehmen können. Ein Punkt ist ja, dass wir die Erfolge der Orientierungsstufe als selbstverständlich voraussetzen und sozusagen nicht mehr darüber reden, weil das gutes, geltendes Recht ist. Wir werden Anregung des Elternrates bezüglich der Schwierigkeiten, die sie von Anfang an hatte, jetzt aufnehmen.

Was wir nicht tun werden, ist, das zu machen, was die CDU gemacht hat, nämlich eine differenzierte Stellungnahme des Elternrates parteipolitisch zu missbrauchen,

(Busemann [CDU]: Was?)

um zu zeigen, dass sie die Antworten auf die Fragen, die sie scheinbar stellt, bereits kennt, also aus ihrer Betonposition heraus zu erklären,