Gerade die kleinen neuen Internetunternehmen brauchen keine technischen Informatiker. Die brauchen vielmehr Leute mit hoher Lern- und Veränderungsbereitschaft, die sich schnell in ein neues System einarbeiten können, die eine hohe soziale Kompetenz haben, die Kreativität und Fantasie mitbringen. Das sind die Qualifikationen, die dort gefragt sind. Deshalb stellen die auch gerne Leute ein, die ein Sprachenstudium absolviert haben und keine Vollinformatiker sind. Wir haben den Wandel von der technischen Informatik hin zur angewandten Informatik geschafft, hin zur Bindestrichinformatik. Überall sind neue Studiengänge entstanden: Wirtschaftsinformatik, Multimediainformatik, Rechtsinformatik, Bioinformatik, Geoinformatik. In diesen Studiengängen liegt die Zukunft. Diese Zukunft ist in den niedersächsischen Hochschulen gesichert. Die Nachfrage ist groß. Wir werden das Angebot durch weitere Umschichtungen weiter vergrößern. Davon, dass wir die Zeit verschlafen hätten, kann nun keine Rede sein. Die niedersächsischen Hochschulen sind richtig aufgestellt. - Vielen Dank.
Herr Minister, Sie haben die Zeit nicht verschlafen, aber weit überzogen. - Herr Golibrzuch hat jetzt das Wort. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann es doch drehen und wenden, wie man will. Die Tatsache, dass die Informatik in Hildesheim Mitte der 90er-Jahre geschlossen worden ist, war eine Rieseneselei.
Ich will Ihnen sagen, Herr Oppermann: Wenn Sie heute mit der jeweils aktuellen Arbeitsmarktlage argumentieren, dann hätten Sie schon während Ihrer Amtszeit drei ingenieurwissenschaftliche Studiengänge schließen müssen. Wir machen das nicht von der aktuellen Arbeitsmarktlage abhängig. Wenn Sie sagen, die Überlaststellen seien ein Problem gewesen, dann kann das doch keine Begründung sein. Das tauchte damals auch nur am Rande auf. Wenn man schon damals der Überzeugung gewesen ist, dass Informatik eine Investition in die Zukunft ist, dann wären Sie bzw. diese Landesregierung - Sie waren damals ja noch nicht im Amt - gefordert gewesen, diese Überlaststellen, diese Programmstellen in feste Stellen umzuwandeln.
Wenn Sie ferner in Ihrer Rabulistik sagen, dass dies alles nicht absehbar gewesen sei, dann sage ich Ihnen dazu Folgendes: Ich lasse mir das für eine Entscheidung, die vielleicht einstimmig und auch stillschweigend hingenommen wird, gefallen. Wer heute angesichts der Tatsache, dass die betroffene Hochschule damals gesagt hat, dass das falsch sei, dass auch die Opposition hier im Landtag gesagt hat, dass das unsinnig sei, und dass sich eine ganze Region gegen einen solchen Beschluss gewehrt hat, so argumentiert, der unterstellt doch, dass Bill Gates vor drei Jahren noch in einer Garage gewohnt hat.
In Hildesheim ist ein funktionierender Studiengang zerschlagen worden. Das ist auch für die Hochschule und für die Region eine schreiende Ungerechtigkeit. Deswegen stehen die Hildesheimer Abgeordneten der SPD heute da wie ein begossenes Pudel-Rudel.
Die wissen überhaupt nicht, wie sie sich vor Ort rechtfertigen sollen. Deswegen ist es verkehrt, wenn Sie nun sagen, dass wir auf die aktuelle Arbeitsmarktlage reagieren, und neue Studiengänge in Göttingen und Hannover gründen, aber nicht das nutzen, was in Hildesheim aus Bordmitteln, aus eigenen finanziellen Mitteln, in der Informatik
erhalten geblieben ist, um es als Weiterbildungsangebot aufrechtzuerhalten und z. B. auch dadurch zu nutzen, dass man es mit dem NLI in geeigneter Form zusammenfasst und dann der Weiterbildung und Qualifizierung der Lehrkräfte im Lande zuführt.
Den Studiengang in Hildesheim zu schließen, war eine beispiellose Fehlleistung. Das taugt allerdings nicht als Argument gegen die Green Card, Kollege Möllring. Jedenfalls insoweit gebe ich Herrn Oppermann Recht: Selbst wenn wir in Niedersachsen - nicht nur in Hildesheim - schon damals neue Informatikstudiengänge geschaffen hätten, hätten wir hierzulande gar nicht so viele Informatiker ausbilden können, wie sich heute die Nachfrage tatsächlich darstellt. Deswegen meine ich, dass es jenseits der Bewertung solcher Fehler richtig ist, eine solche Green Card zu nutzen. Es gibt keine Alternative dazu, kurzfristig auch auf ausländische Fachkräfte zu setzen.
Ich habe mit der Green Card ein ganz anderes Problem. Ich meine, wenn wir ernsthaft das Ansinnen verfolgen, ausländische Fachkräfte zur Entwicklung neuer Technologien - auch an der aktuellen Arbeitsmarktlage orientiert - zu uns ins Land zu bitten, dann können wir mit diesen Leuten ausländerrechtlich nicht umgehen wie mit Erntehelfern. Dann muss man den Mut haben, zu sagen: Wir geben nicht nur befristete Arbeitserlaubnisse, sondern sie müssen auch ihre Familien mitbringen und hier Unternehmen gründen dürfen. - Das ist umso wichtiger, als gerade die Informatiker, die hier ausgebildet werden, gar kein Interesse an Existenzgründungen haben, weil sie alle gleich vom Markt aufgesaugt werden. Also muss man doch die ausländerrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass nicht jeder ausländische Studierende, der einen Abschluss in Informatik oder auch in Ingenieurwissenschaften macht, gleich darauf wieder das Land verlassen muss, dass beispielsweise ein bosnischer Computerspezialist nicht nach Sarajewo zurückgeschickt wird, sondern selbstverständlich die Möglichkeit hat bzw. bekommt, sich hierzulande zu bewerben.
Wer Wissenschaft und neue Technologien hierzulande voranbringen will, Herr Minister, muss von daher dafür sorgen, dass sich dieses Land auch im Ausländerrecht so weltoffen zeigt, wie das in Sonntagsreden gerne behauptet wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, es ist eine völlig unzulässige Verkürzung der Zukunftsdebatte, die wir hier führen müssen, auf das vergangene Problem Hildesheim einzugehen. Aber da es einen so großen Raum eingenommen hat, komme ich natürlich nicht umhin, mich im Schwerpunkt auf diese Frage zu konzentrieren.
Meine Damen und Herren von der CDU und den Grünen, Sie laufen - ich füge hinzu: immer noch irgendwelchen Scheinwelten hinterher.
Sie laufen der Scheinwelt hinterher, dass die Beibehaltung des Vollstudienangebotes Informatik in Hildesheim irgendetwas an unseren gegenwärtigen Problemen geändert und in irgendeiner Form einen Beitrag zur Zukunft geleistet hätte.
- Nein, Herr Möllring, das hätte noch nicht einmal so viel dazu beigetragen, wie auf Ihre berühmten Disketten passt.
Ich sage es Ihnen auf den Kopf zu, Frau Harms: Denn gebe es noch ein Vollstudienangebot Informatik in Hildesheim, würden wir uns und würden sich der Wissenschaftsrat und alle Fachleute die Frage stellen müssen, was wir mit einem Informatikstudierenden machen, der außer der theoretischen Informatik nichts von dem Umfeld aufweist, das heutzutage diejenigen, die im Multimedia- und Internetbereich mit Computern arbeiten, brauchen.
Die brauchen den Zusammenhang mit der Hardware, der Elektronik und der Elektrotechnik. Die brauchen den Zusammenhang mit den multimedialen Anwendungen bis hin zu dem Bereich der Kunst und Kulturwirtschaft. Das haben wir in Hildesheim nicht. Das hätten wir - auch Sie als
Haushälter der Grünen, Herr Golibrzuch - in Hildesheim niemals schaffen können. Die Frage der Zukunft der Informatik in Hildesheim - das wissen Sie aus der damaligen Debatte - war nicht nur eine quantitative Frage nach den finanziellen Mitteln, sondern es war eine strukturelle Frage, die wir zu beantworten hatten, weil nicht nur der Wissenschaftsrat, sondern auch die wissenschaftlichen Kommissionen des Landes klargemacht haben, dass dies eine Sackgasse ist, die zu nichts führt.
Die zweite Scheinwelt, die Sie hier aufbauen, besteht darin, zu glauben, mit dem Vorhalten von leeren Studienplätzen könnten Sie junge Leute animieren, Informatik zu studieren. Dies ist ein Trugschluss, und zwar bundesweit. Ein leerer Studienplatz ist nicht nur kein Angebot, sondern er ist eher abschreckend.
Ich erinnere an die Debatte, die wir über die Frage geführt haben, warum so wenig junge Menschen bereit sind, Ingenieurwissenschaften - dazu zählt auch der Bereich Informatik - zu studieren. Dafür gibt es viele Gründe - Minister Oppermann hat den einen oder anderen Grund angesprochen -; dazu gehören das Angebot aus der Wirtschaft und die staatliche Nachfrage nach Arbeitskräften oder Arbeitswilligen. Dazu gehört aber in erster Linie auch das Bild, das gezeichnet wird. Wenn in einer Hochschullandschaft wie Niedersachsen landesweit immer wieder festgestellt werden muss, dass die Studienplätze nur zu knapp mehr als der Hälfte nachgefragt sind, dann ist das - insbesondere wenn die Berufsaussichten nicht gut sind - kein Motivationsschub für junge Leute, dieses Studium zu absolvieren, sondern es hat eher eine abschreckende Wirkung.
Ich bringe noch einmal zwei Zahlen auf den Punkt, weil Herr Minister Oppermann in der Kürze der Zeit nicht alle Zahlen hat anführen können.
(Frau Pothmer [GRÜNE]: Es würde mich einmal interessieren, was die SPD-Kollegen aus Hildesheim zu Ih- rer Rede sagen!)
- Hören Sie doch einmal zu, Frau Pothmer. - Wenn Sie seine Zahlen addiert haben, gibt es in Niedersachsen 1.300 Plätze für Studienanfänger pro Jahr im Bereich Informatik mit allen dazugehörenden Arrondierungsbereichen. Im Jahr 1998 gab es 355 Absolventen - das ist die letzte Zahl, die mir vorliegt. Diese beiden Zahlen müssen Sie einmal miteinander vergleichen. Dann wird deutlich, welche Kapazitätsdifferenz dort bestanden hat.
Damit wird eines klar - das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen -: Wir haben in Niedersachsen für jeden Studierwilligen, der Informatik mit allen artverwandten Bereichen studieren wollte, einen Studienplatz vorgehalten.
- Herr Präsident, ich sehe auf der Anzeige noch zweieinhalb Minuten Redezeit. Wie kommt das? Ist dort informationstechnisch etwas nicht in Ordnung?
Nein, Sie haben jetzt noch knapp eine Minute Redezeit. Die gesamte restliche Redezeit für die SPD-Fraktion beträgt noch zwei Minuten und 23 Sekunden - jetzt nur noch 22 Sekunden. Das ist schon faszinierend. Sie reden ja gerade über Informatik, Herr Kollege.
Wir haben also für jeden Studierwilligen einen Studienplatz vorgehalten. Damit sind wir in der Tat gut gerüstet für die Zukunft.
Lassen Sie mich in der verbleibenden Zeit in aller Kürze auf die Probleme eingehen. Ich weiß schließlich, wovon ich rede. Denn ich programmiere als selbständiger Programmierer in Betriebssystemen heute noch selber.
Es hat in diesem Bereich eine so extreme Dynamik der Entwicklung gegeben, wie es bislang in keinem anderen ingenieurwissenschaftlichen Bereich der Fall gewesen ist. Der übliche Zyklus von einer Erfindung bis hin zu dem, was an Wissen erzeugt
und dem Lehrenden an die Hand gegeben wird, um es an den Lernenden weiterzuvermitteln, dass die es dann in der Arbeit bzw. in der Neuentwicklung einsetzen können, ist viel zu lang, um diese Entwicklung überhaupt aufgreifen zu können. Was diejenigen betrifft, die heute für die Programme verantwortlich sind, mit denen beispielsweise auch wir im Landtag arbeiten, können wir doch nicht für uns in Anspruch nehmen, wir hätten sie ausgebildet. Sie haben sich selbst ausgebildet - durch Versuch und Irrtum. Als selbständig Werdende an den Hochschulen und als selbständig Tätige zu Hause haben sie die Software entwickelt, mit der wir heute arbeiten, weil wir überhaupt nicht in der Lage waren, den üblichen Ausbildungszyklus einzuhalten. Daran müssen wir uns in der Tat erinnern.
Meine Damen und Herren, ich komme in meinem Schlusssatz auf die Scheinwelten zurück. Der CDU-Fraktionvorsitzende - er hört mir gerade nicht zu, aber vielleicht hört er es noch mit einem Ohr - hat die Berufsschule in Salzgitter besucht und den jungen Leuten geholfen, die CDU-Seiten im Internet zu finden. Es hieß: Wulff gab Tipps zur Arbeit mit Suchmaschinen und jagte schließlich mit zwei Jugendlichen virtuelle Moorhühner.
(Frau Pawelski [CDU]: Das machen doch tausende andere auch! Das ist doch ein Witz! Das sollten Sie mal machen! Das ist spannend!)
Jagen Sie ruhig weiter virtuelle Moorhühner. - Wir gestalten die reale Gegenwart und Zukunft. - Danke schön.