Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung: Maßnahmen gegen die wachsende Jugendkriminalität - Immer noch keine Plätze für die geschlossene Heimunterbringung hochgradig gefährdeter und krimineller Kinder und Jugendlicher - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1587
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Wochenende war bei uns in der Zeitung - wie leider schon häufig - nachzulesen: Die Jugendkriminalität ist unsere größte Sorge. Außerdem - wie auch schon häufig nachzulesen war stand dort, dass Prävention eine ganz wichtige Aufgabe ist. Aber - so hieß es - Prävention allein reicht nicht. Es gibt nämlich eine Gruppe hartnäckiger Täter, denen mit solchen Maßnahmen nicht beizukommen ist. - Genau dieses, meine Damen und Herren, haben wir bei der Diskussion des Antrages, den die CDU-Landtagsfraktion am 2. Juni 1997 eingebracht hat - ich wiederhole: am 2. Juni 1997 -, festgestellt. Am Schluss der Diskussion sind wir uns einig gewesen. Priorität hat für uns die Verhinderung der Ersttat bzw. die Verhinderung der Folgetat. An zweiter Stelle - auch zu dieser Erkenntnis sind wir übereinstimmend gekommen, wobei ich in diesem Fall ausdrücklich, Herr Schröder, Bündnis 90/Die Grünen ausnehmen möchte - sind CDU und SPD zu der Erkenntnis gekommen, dass wir für die begrenzte Anzahl der nicht einsichtsfähigen Problemfälle als notwendiges Mittel die geschlossene Heimunterbringung in Niedersachsen einrichten müssen, und zwar vor dem Hintergrund, dass dieses im Rahmen wirkungsvoller pädagogischer und therapeutischer Konzepte geschieht. Ich will es gleich vorwegnehmen: Ich habe heute, genauso wie damals, keine Lust, mich mit Ihnen über die Begrifflichkeiten zu streiten, nämlich ob wir nun „geschlossene Heimunterbringung“ sagen oder etwas anderes.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben es in Ihrem Konzept „Interventionsprogramm“ genannt. Ich habe nachlesen können: Die SPD in Hamburg spricht mittlerweile von „verbindlicher Unterbringung“. Auch die SPD in Hamburg ist ja zu der Erkenntnis gekommen, dass dieses Konzept, das ja schon in Bayern und Baden-Württemberg umgesetzt worden ist, greift. Insofern waren wir uns schon damals einig, und ich brauche das gar nicht weiter auszuführen. Selbst der damalige Fraktionsvorsitzende und jetzige Ministerpräsident Gabriel hat schon im November 1997 sehr deutlich gesagt:
„zeitlich befristete Maßnahmen zur Inobhutnahme der betroffenen Jugendlichen als Krisenintervention, verbunden mit mittel- und langfristigen Betreuungs- und Sozialisierungskonzepten.“
- Habe ich auch gar nicht gesagt. Ich werde mich hüten. In diesem Punkt waren wir uns ja einig. Warum soll ich ihn da kritisieren?
Auf jeden Fall muss ich feststellen, dass es immer so ist: Wenn das Thema Jugendkriminalität oder Gewalttätigkeit in den Medien hochkocht - Fall Mehmet, Fall Wismoor, der tragische Fall der Lehrerin, die in Meißen durch einen Schüler zu Tode gekommen ist -,
dann wachen auf einmal alle Politiker auf und reden über Präventionskonzepte. Wir - wie gesagt waren uns auch über andere Konzepte einig.
Frau Kollegin Vockert, können Sie mir erklären, was die Straftaten eines 16jährigen Schülers mit Ihrer Forderung nach Heimerziehung für Kinder zu tun hat?
Wir haben sehr deutlich gemacht, dass man einem Kreis von nicht einsichtfähigen Problemfällen durch eine geschlossene Heimunterbringung behilflich sein kann, wenn dieses im Rahmen wirkungsvoller therapeutischer Konzepte geschieht.
Ich frage mich, ob nicht bestimmte Fälle, extrem kriminelle Fälle im Vorfeld hätten verhindert werden können, wenn bestimmten Personen in einer geschlossenen Heimunterbringung geholfen worden wäre.
Von daher meine ich, dass das sinnvoll ist. Fragen Sie sich doch einmal, Herr Schröder, was mit den Kindern, mit den Jugendlichen passiert. Im Februar 2000 hat in Loccum eine Sitzung des seit fünf Jahren erfolgreich arbeitenden Landespräventionsrats stattgefunden. Dort hat die Vorsitzende des Landespräventionsrates sehr deutlich gesagt: Heutzutage geschieht mit den Kindern Folgendes: Sie landen entweder in der Psychiatrie, im Knast oder, wenn sie viel Glück haben, in entsprechenden Heimen in Baden-Württemberg oder Bayern, in denen sie mit therapeutischen Mitteln betreut und therapiert werden. - Es kann doch für uns in Niedersachsen nicht die Zielsetzung sein, zu sagen: Wenn sie Glück haben, werden sie in Bayern oder Baden-Württemberg untergebracht, ansonsten, wenn sie Pech haben, kommen sie in die Psychiatrie oder in den Knast. - Wir wollen den Jugendlichen helfen, und entsprechend war auch die Einigkeit da. In meiner grenzenlosen Naivität hatte ich eigentlich die Hoffnung, dass wir durch unsere
Beschlussfassung im Niedersächsischen Landtag dieses entsprechend umsetzen werden. Leider muss ich jetzt feststellen - gut zweieinhalb Jahre später -, dass diese Niedersächsische Landesregierung nach wie vor nichts gemacht hat, und zwar nach dem Motto: Die Debatte ist jetzt vorbei. Die Probleme gehen weiter, bis der nächste Fall kommt. Dann können wir uns wieder mit dem nächsten Thema auseinander setzen oder vielleicht wieder eine Untersuchung durchführen. - Es hat ja dazu in den vergangenen zehn Jahren erst 100 Untersuchungen gegeben. Insofern hat die Landesregierung vielleicht die Chance, weitere Gutachten in Auftrag zu geben. Es hat ja auch schon lange genug gedauert, bis sie uns konkrete Eckpunkte auf den Tisch gelegt hat. Vielleicht hatte ja die Landesregierung die Auffassung vertreten, das Problem erledigt sich durch Liegenlassen. Auf jeden Fall ist für uns festzuhalten, dass sich die Eckpunkte, die die Landesregierung für ihr Interventionsprogramm umgesetzt bzw. auf den Tisch gelegt hat, als nicht realisierbar erweisen. In diesem Zusammenhang denke ich an die - in diesem Zusammenhang lächerlichen 95 DM, die dafür pro Tag zur Verfügung gestellt werden. Hieran wird sehr deutlich, dass die Landesregierung überhaupt kein Interesse an der Umsetzung ihres eigenen Interventionsprogrammes hat. Denn es ist deutlich geworden, dass es inzwischen wohl fünf Träger gibt, die durchaus bereit wären, dieses Konzept umzusetzen. Aber da die Landesregierung überhaupt nicht bereit ist, die finanziellen Bedingungen entsprechend zu klären, sagen diese Träger: Mit uns nicht. Liebe Landesregierung, tue erst einmal etwas.
Zweieinhalb Jahre nach unserer Beschlussfassung hier im Landtag ist nichts geschehen. Deshalb haben wir Ihnen heute einen Antrag auf den Tisch gelegt, in dem wir erstens alle gemeinsam - auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD - die Landesregierung rügen. Wenn Sie das nicht tun, müssen Sie sich fragen, wieso Sie hier sitzen. Dann könnten Sie genauso gut nach Hause gehen, weil Sie dann Ihre Rolle nämlich nicht begriffen haben.
Zweitens fordern wir in unserem Antrag, dass die Landesregierung das, was wir, CDU und SPD, aufgrund unseres Antrags gemeinsam beschlossen haben, endlich umsetzt, dass sie endlich in die Strümpfe kommt.
gestellt werden können. Vielleicht geben Ihnen die Länder Bayern und Baden-Württemberg die entsprechende Orientierung; denn dort werden 15 Millionen DM für Investitionen zur Verfügung gestellt. Das heißt, hier ist Bayern tatsächlich glaubwürdig. Diese Glaubwürdigkeit fehlt der Niedersächsischen Landesregierung. Dafür ist sie zu rügen, und sie ist aufzufordern, das Konzept, das wir gemeinsam beschlossen haben, umzusetzen. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Vockert, wir haben Ihre Forderung nach geschlossener Unterbringung von verhaltensauffälligen Kindern vor allem während des Wahlkampfs wiederholt hier diskutiert. Ich habe heute auch nicht viel Neues zu diesem Thema gehört. Ich kann mich aber sehr gut an einen Satz von Ihnen erinnern. Sie haben gesagt, der Staat soll nicht bellen, sondern beißen.
Ich halte das für den falschen Umgang mit gestörten und verstörten Kindern, die zumeist selbst Opfer sind. Aber über den Schutz vor gefährlichen Hunden wollen wir ja anschließend reden.
Die Landesregierung hat vor allen Dingen während der vergangenen Jahre, im Wahlkampf, durchaus nachgegeben und beschlossen, solche Einrichtungen zu schaffen und Plätze für die Heimunterbringung von Kindern bereitzustellen. Ich glaube, das war ein Stück weit dem Wahlkampf geschuldet. Die Fachwelt war einhellig dagegen, und auch heute sind wir an diesem Punkt noch keinen Schritt weiter. Die meisten Einrichtungen, die hierfür infrage kämen, sind dazu nicht bereit, weil sie das für pädagogisch nicht sinnvoll halten und weil in der Tat ganz wesentliche wirtschaftliche und finanzielle Fragen bis heute nicht geklärt sind. Es geht immerhin um Tagessätze von 500 DM pro Kind. Es ist nach wie vor unklar, wie viel Kinder überhaupt eingewiesen würden und welche Auslastung der Plätze zu erwarten ist.
(Frau Vockert [CDU]: Das haben wir alles im Ausschuss diskutiert! Schade, dass Sie nicht dabei waren!)
Ich will nur einmal eine Zahl nennen, die etwas zum Bedarf sagt. Es hat in diesem Jahr in Niedersachsen ein einziges Kind gegeben - 13 Jahre alt -, das von einem Jugendamt in einem geschlossenen Heim untergebracht werden sollte - ein einziges Kind, Frau Vockert!
Frau Kollegin, Sie beabsichtigen mit Ihrem Antrag offenbar, die Landesregierung vorzuführen, die ihre Zusage gemacht und bis heute nicht eingehalten, die diese Plätze nicht geschaffen hat. Ich glaube, es wäre klüger und vernünftiger, wenn die Landesregierung, wenn Herr Gabriel an diesem Punkt Einsicht zeigen und sagen würde: Wir haben zwei Jahre über dieses Thema nachgedacht und festgestellt, dass es diesen immer wieder behaupteten Bedarf in Niedersachsen in dieser Weise nicht gibt
und dass es besser wäre, statt der Fortsetzung immerwährend gleicher Debatten über die Rückkehr zur geschlossenen Heimerziehung einmal einige neue Ideen zum Umgang mit Kinderkriminalität zu hören. - Ich glaube aber, darauf müssen wir noch eine Weile warten, aber das wäre eine Debatte, die sich wirklich lohnt. Wir halten die bestehenden Möglichkeiten, Kindern ihre Freiheit zu entziehen, jedenfalls für völlig ausreichend.
Ich will noch eine Kleinigkeit am Rande bemerken, Frau Kollegin. Sie werfen hier alles durcheinander. Sie unterscheiden nicht einmal zwischen der geschlossenen Unterbringung von Kindern nach KJHG auf der einen Seite und dem, was bei straffälligen Jugendlichen jugendgerichtlich möglich ist, auf der anderen Seite. Ihre Vorstellung, Jugendliche, die straffällig werden, präventiv in die Heimerziehung zu bringen, spricht nach meiner Überzeugung für sich.
Es ist ein Wahlkampfschlager, den Sie offenbar erneut auflegen, um die Regierung vorzuführen. Ich würde mich freuen, wenn wir bei anderer Gelegenheit und zu einer anderen Tageszeit über einige andere Vorschläge reden könnten, was wir tun könnten und wofür die Millionen, die eine solche Heimerziehung kosten würde, sinnvoller eingesetzt werden könnten. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Vockert, als ich Ihnen zugehört habe, habe ich auch gedacht: Was sind Sie an dieser Stelle grenzenlos populistisch! Wir haben wirklich nichts Neues gehört.
- Das habe ich auch gemerkt, dass Sie nichts Neues wollten. Sie wollen weiterhin politisches Kapital aus einem äußerst schwierigen und komplexen Thema schlagen. Mehr ist das an dieser Stelle offensichtlich nicht.
Wir sollten uns in der Politik hüten, so wie Sie das eben gemacht haben, auch nur annähernd zu suggerieren, dass man Attentate, dass man Kinderkriminalität mit der Schaffung dieser wenigen Heimplätze verhindern könnte. Ich finde es schlimm, wenn die Politik - zum Glück hören nicht mehr so viele zu - dies den Menschen suggeriert. Ich halte das für höchst populistisch.