Protokoll der Sitzung vom 20.06.2000

Auf dem Rücken junger Polizisten hätten Sie Ihre Politik gemacht. Auf dem Rücken und zulasten der Gesundheit junger Polizisten haben Sie hier in Niedersachsen Straßenterror betrieben. Das darf man doch wohl einmal feststellen.

(Beifall bei der CDU - Frau Harms [GRÜNE]: Das haben Sie doch ge- macht!)

Ihre Politik hat dazu geführt, dass inzwischen 100 Milliarden DM an volkswirtschaftlichem Kapital in den Sand gesetzt worden sind und dass ganze hoch profitable Wirtschaftsbereiche ausgesteuert werden sollen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Sind die Be- rufskollegen von Herrn Wojahn ge- meint, oder wen meinen Sie?)

Sie haben diesem Staat also nur geschadet, indem Sie die Menschen getäuscht haben, indem Sie den Menschen Angst gemacht haben.

(Beifall bei der CDU)

Was der Umweltminister hier ausgeführt hat, ist die glatte Unwahrheit, um das einmal so zu sagen.

(Beifall bei der CDU)

Dass Ministerpräsident Albrecht die Kernenergie nach Niedersachsen geholt hat, dass Albrecht das Entsorgungskonzept der Bundesregierung nach Niedersachsen geholt hat, ist die Unwahrheit. Anhand von Protokollen kann nachgewiesen werden, dass man seinerzeit mit dem damaligen Bun

deskanzler Schmidt in der Präsidentensuite zusammengesessen, diese Verhandlungen geführt und letztendlich dieses nationale Entsorgungskonzept verabredet hat. Wenn Sie hier nun aber sagen, dass es die CDU bzw. Albrecht gewesen sei, kann ich Ihnen nur empfehlen: Gucken Sie einmal, welche Unterschriften unter den Genehmigungen für die Kernkraftwerke stehen. Dann werden Sie wissen, wer es gewesen ist.

(Beifall bei der CDU)

Welcher Bundeskanzler hat denn den blauen Himmel über der Ruhr versprochen, und wer hat gesagt, die Kernenergie sei die Lösung aller politischen Probleme? Wer ist das denn gewesen? Gucken Sie doch einmal in Ihre Programme!

(Beifall bei der CDU)

Richtig ist doch - Sie werfen das dem Kollegen Möllring vor -, dass weiter so gearbeitet wird. In der Tat wird weiter so gearbeitet. Die Leute werden getäuscht, die Leute werden belogen. In Wirklichkeit geschieht gar nichts. Die Kernkraftwerke werden so lange betrieben, wie sie wirtschaftlich sind. Das ist auch richtig so; denn wir brauchen diese Kernkraftwerke. Fragen Sie doch einmal, was die Alternative ist, wenn Stade abgeschaltet wird! Dann wird der Strom in Holland, in Frankreich oder vielleicht sogar in der Ukraine gekauft. Sind die Anlagen dort denn besser? Haben wir dadurch mehr Sicherheit? Liegt das in unserem volkswirtschaftlichen Interesse?

(Beifall bei der CDU - Beckmann [SPD]: Das ist nun wirklich Unsinn, was du da erzählst!)

Wie sehr hier gelogen wird, kann man doch an folgendem Beispiel sehen: Während die einen noch darüber reden, dass Stade als eines der ersten Kraftwerke vom Netz gehen müsse, hat der niedersächsische Wirtschaftsminister nichts anderes zu tun, als mahnend darauf hinzuweisen: Aber bitte erst abschalten, wenn wir Ersatzarbeitsplätze haben. - Was glauben Sie denn, auf welchem Feld wir leben? Glauben Sie, dass einer kommt, wo wir so technologiefeindlich sind, wo wir aus der modernsten Kernenergie aussteigen wollen, um dort 1.000 Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Regionen zu ersetzen?

(Beifall bei der CDU)

Sie sind doch seit zehn Jahren an der Regierung. Sie hätten doch zehn Jahre lang vorsorglich eine solche Industriepolitik machen können, damit die Struktur dort so stark ist, dass das heute wirklich redlicherweise der Fall wäre. Was haben Sie denn zustande gebracht?

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder?

Ich habe leider keine Zeit. Sonst würde ich das gern machen.

Es ist also festzustellen: Sie machen weiter damit, den Bürgern Angst zu machen. Auf dem Rücken strukturschwacher Gebiete machen Sie Politik. Aber in Wirklichkeit haben Sie überhaupt nichts zustande gebracht. Das sollten Sie bitte auch zugeben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Jetzt hat das Wort der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem hat der Kollege Schirmbeck Recht: Der Einstieg in die Nutzung der Kernenergie, der Einstieg in die Atomwirtschaft ist von Sozialdemokraten, Konservativen und Freidemokraten vor Jahrzehnten gemeinsam gewünscht und in Gang gesetzt worden. Der Unterschied ist - ich finde, den muss man hinnehmen, der ist auch in Ordnung -, dass Sozialdemokraten heute - wie die Grünen schon immer - der Auffassung sind, dass die Risiken, die mit dieser Energiegewinnung verbunden sind, unkalkulierbar sind, dass Zeiträume von hunderttausenden von Jahren für die gesicherte Entsorgung von uns nicht hinreichend prognostiziert werden können, dass Menschen eben Menschen bleiben und damit eine solche Energieform auch in Zukunft störanfällig sein wird und dass die damit verbundenen Risiken für Menschen und Umwelt nach unserer Auffassung in Zukunft nicht mehr tragbar erscheinen.

Ich finde es in Ordnung, dass die CDU darauf hinweist, dass sie auch weiterhin für die Atomwirt

schaft steht und auch weiterhin für die Nutzung der Kernenergie in Deutschland eintritt.

(Widerspruch bei der CDU)

Auf diesen Unterschied darf man hinweisen. Ich finde es vernünftig, dass sich die CDU zu dieser Form von Politik bekennt. Wir sind stolz darauf, dass wir aus den Unfällen in der Welt gelernt haben und diese Politik nicht weiter betreiben wollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich sehe auch keinen Grund, sich darüber aufzuregen, dass wir in einem entscheidenden Punkt unterschiedlicher Auffassung sind. Meine Damen und Herren, was Sie hier als wirtschaftliches Risiko beklagen - ich finde, Sie müssen sich dazu bekennen, dass Demokratie nun einmal daraus besteht, dass aus Minderheiten Mehrheiten werden können und dass bisherige Mehrheiten zu Minderheiten werden. Mehr als 20 Jahre lang haben in Deutschland Menschen für den Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie gekämpft und demonstriert, die Mehrzahl, Herr Schirmbeck, mit absolut friedlichen Mitteln. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie den demokratischen Widerstand von großen Teilen der Bevölkerung gegen diese Nutzung der Kernenergie hier in der Art und Weise diffamieren, wie Sie das tun.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Herr Schirmbeck, Sie würden doch auch nicht den demokratischen Protest in anderen Bereichen so ohne weiteres mit Einzelfällen der Gewalttätigkeit in einen Topf werfen,

(Möllring [CDU]: Einzelfälle?)

auch wenn sie im Einzelfall von uns wirklich nicht gebilligt werden können. Daran gibt es doch keinen Zweifel.

Aber, meine Damen und Herren, ich finde es schon eine Bemerkung wert, dass die CDU in diesem Hause erklärt, man dürfe von dem Prinzip, dass aus Minderheiten Mehrheiten werden, keinen Gebrauch machen, wenn dabei sozusagen eine wirtschaftspolitische Debatte entsteht. Meine Damen und Herren, Demokratie lebt davon, dass dies möglich ist. Ich finde, Sie müssen doch wenigstens akzeptieren, dass Sie nun in den nächsten zehn oder 20 Jahren mit der gleichen Situation leben müssen, wie das Sozialdemokraten und

Grüne und Bürgerinitiativen in den letzten 20 Jahren getan haben, nämlich dass nun eine Mehrheit gegen die weitere Nutzung der Kernenergie in Deutschland existiert und dass wir das Atomgesetz so ändern werden, dass der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland möglich wird.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Ep- pers [CDU])

Die Mehrheiten, die in dieser Frage existieren, Herr Kollege Eppers, gibt es nach allem, was wir in Deutschland durch Umfragen wissen, schon seit mehr als zehn Jahren. Sie sind doch auch nach Tschernobyl noch der Auffassung, dass man von diesem Störfallrisiko überhaupt keine Kenntnis nehmen sollte.

Eines muss Ihnen sagen: Wer wie die CDU massiv für die Umsetzung von Gorleben und Schacht Konrad eintritt, wer die Wiederaufarbeitungsanlagen von Wackersdorf und von Gorleben nicht etwa inhaltlich zurücknehmen wollte, sondern weil sie politisch nicht durchsetzbar erschienen, der, Herr Kollege Eppers, hat jedes Recht verloren, sich in Salzgitter gegen Abgeordnete wie Wilhelm Schmidt und andere zu stellen. Denn Sie sind es doch, die in Salzgitter Schacht Konrad von Anfang an und auch heute noch durchsetzen wollen. Das ist doch die Politik der CDU gewesen!

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Ep- pers [CDU])

Meine Damen und Herrn, eines muss man noch einmal hervorheben, was der Kollege Inselmann hier schon deutlich gemacht hat: Die CDU im Niedersächsischen Landtag kümmert sich nicht um niedersächsische Interessen, sondern sie unterstützt beispielsweise Bayern und Hessen in ihrem Protest nicht etwa gegen den Ausstieg aus der Atomenergie - das ist in Ordnung, da gibt es unterschiedliche Auffassungen -, sondern Bayern und Hessen protestieren gegen den Energiekonsens, weil zum ersten Mal Zwischenlager auch in diesen Ländern errichtet werden müssen und nicht Ahaus und Gorleben die einzigen Standorte sind, wohin der Atommüll aus ganz Deutschland quer durch das Land geschafft wird.

(Beifall bei der SPD)

Die Bayerische Staatsregierung und die Hessische Landesregierung haben nun - das ist wörtlich gesagt worden - zum ersten Mal die gleichen

Probleme z. B. mit Bürgerinitiativen vor Ort, wie wir sie in Niedersachsen seit mehr als 20 Jahren kennen. Es wäre angemessen, wenn die Opposition der CDU im Niedersächsischen Landtag die Interessen der niedersächsischen Bürger vertreten und nicht das Geschäft der Bayerischen Staatsregierung betreiben würde!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Schirmbeck [CDU]: Sie sollten sich schämen!)

Das Wort hat noch einmal Frau Kollegin Harms.

Wer sich hier schämen muss in der Bilanz dieser Debatte, Herr Schirmbeck, darüber entscheiden die Zuhörer, nicht Sie.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Schirmbeck [CDU]: Sie aber auch nicht!)

Ich habe überhaupt keinen Grund, mich mit irgendeiner Position zu Gorleben oder der Atompolitik dieser Bundesregierung zu verstecken. Wenn Sie Zeitung lesen oder Nachrichten hören würden,

(Schirmbeck [CDU]: Ich lese andere!)