Protokoll der Sitzung vom 11.10.2000

(Unruhe)

Lassen Sie uns in Ihrem Sinne, im Sinne der Antragsteller und derjenigen, die diesen Antrag unterstützen, diese Zeit nutzen! Lassen Sie uns nach Nizza eine breite öffentliche Debatte eröffnen! Daran müssen selbstverständlich beteiligt sein das Parlament, die Parlamente, das Europäische Parlament, die Nationalparlamente, auch die Länderparlamente. Deshalb halte ich die heutige Debatte

für einen ersten wichtigen Schritt auf diesem Wege.

Wir müssen in und mit den neuen Beitrittsländern debattieren; denn diese werden davon betroffen sein. Vor allen Dingen müssen wir mit unserer eigenen Bevölkerung debattieren. Das ist das Wichtigste in diesem gesamten Prozess; denn ein europäisches Grundgesetz bietet die große Chance, die Bevölkerung wieder positiv mit dem europäischen Gedanken zu beschäftigen, ihr auch Fragen und Entscheidungen zu einem europäischen Grundgesetz vorzulegen und sie darüber entscheiden zu lassen. In meinen Augen stellt sich damit die Aufgabe - Herr Wenzel hat das für sich bzw. für die Grünen angedeutet -, am Ende eines solchen Prozesses zu klären, ob über ein europäisches Grundgesetz durch einen wie auch immer gearteten Volksentscheid entschieden werden soll. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Kollege Eveslage hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zusätzliche Redezeit beantragt. - Bis zu vier Minuten, Herr Kollege Eveslage!

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Mit dieser Großzügigkeit hatte ich gar nicht gerechnet. Ich werde mich bemühen, mich würdig zu erweisen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind hier bei einem Thema, das in diesem Jahr sehr viele Menschen in der Europäischen Union bewegt und das in den nächsten Jahren sicherlich noch mehr Menschen bewegen wird, insbesondere die in den Beitrittsländern. Wenn wir diese Diskussion als Landtag schon hier führen, dann sollten wir auch darauf achten, dass wir dabei selbst ein entsprechendes Niveau in der Debatte einhalten, verehrter Kollege Mientus.

(Mientus [SPD]: Na, na, na!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal ganz deutlich sagen: Die CDU-Fraktion ist mit Ihnen völlig einverstanden darin, dass sich der Niedersächsische Landtag mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union befasst. Was wir kritisieren, ist, dass der Entwurf, der uns mit Datum vom 28. September von Ihrer Fraktion

vorgelegt worden ist, Forderungen zur Ausgestaltung dieser Charta enthält, die in der Charta selbst längst enthalten sind: das Grundrecht auf Datenschutz, das Recht auf Bildung, das Recht zu arbeiten, Minderheitenrechte, Kinderrechte, soziale Rechte,

(Unruhe bei der SPD - Zuruf von der SPD: Das wissen wir!)

- Wenn Sie es wissen, dann ist es umso beschämender, dass Sie dann noch den Antrag stellen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zu- rufe von der SPD)

- Herr Rabe, warum stellen Sie Anträge zu Dingen, die schon geregelt sind? Das zeugt doch nur davon, dass Sie den richtigen Zeitpunkt für diese Debatte verschlafen haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Wie wir eben von Herrn Rabe gehört haben, hat der Konvent unter dem Vorsitz unseres Bundespräsidenten a. D. Dr. Roman Herzog, dem wir alle für seine Arbeit gedankt haben, neun Monate lang gearbeitet, hat insgesamt 50 Sitzungen abgehalten. In der 50. Sitzung am 2. Oktober ist die Fassung der Charta verabschiedet worden, die der Öffentlichkeit am 28. September

(Zurufe von der SPD)

vorgestellt worden ist. Die zweitletzte Fassung dieser Charta ist der Öffentlichkeit am 21. September übermittelt worden. Wenn Sie sich mit der Sache wirklich befasst hätten, dann hätten Sie mit Ihrem Antrag vom 27. September zumindest die zweitletzte Fassung der Charta vom 21. September zugrunde legen können,

(Zuruf von Rabe [SPD])

in der die Grundrechte, die Sie fordern, auch schon enthalten sind.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zu- rufe von der SPD)

Deswegen sage ich Ihnen: Wenn wir als Niedersächsischer Landtag bei diesem Thema „Europäische Union, Grundrechtecharta der Europäischen Union“ qualifiziert mitreden wollen - ich halte eine solche Mitsprache für notwendig -, dann sollten wir das mit einer Entschließung machen, die der Sache gerecht wird, statt den Antrag in der vorlie

genden Fassung zu beschließen, wodurch sich der Niedersächsische Landtag insgesamt bei allen denen blamierte, die in der Sache Bescheid wissen.

(Zurufe von der SPD)

Deshalb sollte dieser Antrag nicht in der vorliegenden Fassung beschlossen werden - das darf auf keinen Fall geschehen -, sondern sollte zunächst im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten behandelt werden.

(Starker Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, auch der Kollege Wenzel hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zusätzliche Redezeit beantragt. - Herr Kollege Wenzel, bis zu zwei Minuten!

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte die Hoffnung, dass wir hier vielleicht doch noch zu einer gemeinsamen Position kommen, d. h. dass wir auch die CDUFraktion würden überzeugen können, um heute einen gemeinsamen Beschluss fassen zu können.

(Schünemann [CDU]: Nein, das schaffen wir nicht!)

Diplomatische Formulierungen, wie sie der Minister hier gewählt hat, sind natürlich immer kontraproduktiv,

(Beifall bei der CDU)

wenn man am Ende denn doch noch zu einer gemeinsamen Beschlussfassung kommen will.

Lassen Sie mich nur noch einen Satz zu der Frage von Herrn Eveslage sagen, warum in dem Antrag Sachen stehen, die in der letzten Fassung der Grundrechtecharta jetzt schon enthalten sind. Diese Grundrechtecharta ist ja noch nicht abschließend beschlossen. Sie wird dem außerordentlichen Europäischen Rat in Biarritz jetzt vorgelegt werden. Endgültig beschlossen werden soll sie im Dezember in Nizza. Hoffentlich wird das in der Form geschehen, dass diese Grundrechtecharta in die Europäischen Verträge aufgenommen wird.

Bis dahin wird es noch ein hartes Ringen um viele der Artikel geben, die in dem vorliegenden Antrag genannt sind. Da wird es etwa um folgende Fragen gehen: In welchem Verhältnis steht die unternehmerische Freiheit zu den sozialen Rechten? Was passiert mit dem Schutz des menschlichen Genoms, wird das wirklich festgeschrieben, oder setzen sich hier andere Lobbygruppen, Interessenverbände durch, die das dort nicht so klar festgeschrieben haben wollen?

Deshalb finde ich es richtig, dass wir das - wenn wir das denn heute beschließen würden - noch einmal anführen. In einer Grundrechtecharta, die am Ende dabei herauskommt, muss der Schutz des menschlichen Genoms enthalten sein, muss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung enthalten sein, und darin muss auch stehen, welche sozialen Rechte es gibt. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir das in der vorliegenden Fassung beschließen. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, auch der Kollege Rabe hat zusätzliche Redezeit beantragt. Bis zu vier Minuten!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich mache es sehr kurz. Ich kann aber nicht den Eindruck hier im Saal stehen lassen, dass das richtig ist, was der Kollege Eveslage hier gesagt hat. Herr Kollege Eveslage, wenn wir mit diesem Antrag so verfahren, wie Sie das wollen, dann - das wissen Sie ganz genau - wird dieser Antrag nach der Beratung im Ausschuss, die frühestens am nächsten Montag durchgeführt werden könnte, und wenn er denn dann hier beschlossen wird, Rechtsgeschichte sein. Das heißt: Wir müssen den Antrag heute so beschließen, wie Sie ganz genau wissen.

(Eveslage [CDU]: Wir blamieren uns! - Weitere Zurufe von der CDU)

Wenn Sie dann darauf hinweisen, dass die vorliegende Fassung des Antrags etwa dem entspricht, was der Konvent will, dann ist das völlig in Ordnung. Die letzte Tagung des Konvents war nach der Beschlussfassung über unseren Antrag. Wir hätten den Antrag also korrigieren können. Das hätte aber vorausgesetzt, dass wir den Antrag noch

einmal mit den vier anderen Bundesländern abstimmen. Im Gegensatz zu der CDU-Fraktion hier wird die CDU-Fraktion in Bremen diesem Antrag zustimmen, und zwar auch im Oktober-Plenum. Warum Sie das hier nicht machen, das erklären Sie einmal der Öffentlichkeit!

(Starler Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, damit ist die Rednerliste abgeschlossen, und ich beende die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung.

Zunächst lasse ich über den Antrag unter Tagesordnungspunkt 27 „Europa ist das, was wir daraus machen“ abstimmen. Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Antrag zur federführenden Beratung und Berichterstattung an den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und zur Mitberatung an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen, den Ausschuss für Wissenschaft und Kultur und den Ausschuss für Verwaltungsreform und öffentliches Dienstrecht zu überweisen. Wenn Sie dem Ihre Zustimmung geben wollen, dann bitte ich um ein Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Sie haben einstimmig so beschlossen, meine Damen und Herren.

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag in der Drucksache 1896 unter Tagesordnungspunkt 28. Hierzu hat die Fraktion der SPD sofortige Abstimmung beantragt. Nach § 39 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung kann der Landtag so verfahren, sofern nicht mindestens 30 Mitglieder des Landtags dem widersprechen. Entsprechend unserer Geschäftsordnung frage ich deshalb zunächst, ob Ausschussüberweisung beantragt wird.

(Zurufe von der CDU - Buß [SPD]: Eine schwache Leistung!)

- Das ist der Fall. Da Ausschussüberweisung beantragt worden ist, frage ich, wer dieser zustimmen möchte. - Das für eine Ausschussüberweisung erforderliche Quorum von 30 Mitgliedern des Landtags ist erreicht. Damit ist das so beschlossen.

Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, meine Damen und Herren, den Antrag zur federführenden Beratung und Berichterstattung an den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und zur Mitberatung an den Ausschuss für Rechts- und Ver

fassungsfragen zu überweisen. Der Kollege Wenzel hat beantragt, den Antrag zur Mitberatung außerdem an den Ausschuss für innere Verwaltung zu überweisen. Wenn Sie dem folgen möchten, dann bitte ich um ein Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Auch nicht. Dann haben Sie so beschlossen, meine Damen und Herren.